Cover
Titel
Helmut Ringelmann. Der Produzent


Autor(en)
Jacobsen, Wolfgang
Erschienen
München 2021: Hirmer Verlag
Anzahl Seiten
200 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Knut Hickethier, Institut für Medien und Kommunikation, Universität Hamburg

Die Geschichte des deutschen Fernsehens wird zumeist als Geschichte der Sendeanstalten und Sendeunternehmen geschrieben. Selten gerät die Geschichte der Fernsehproduktion jenseits der meist handbuchartigen Darstellung, wie Sendungen hergestellt werden, in den Blick. Vor allem bleiben die meist kommerziellen Unternehmen außen vor, die seit den 1960er-Jahren im Auftrag der Sendeanstalten Fernsehsendungen herstellen. Für eine Darstellung der audiovisuellen Produktion und ihrer Strukturen hat Claudia Dillmann-Kühn mit ihrer Beschreibung der CCC-Filmstudios Artur Brauners einen Maßstab gesetzt, allerdings für die Kinoproduktion und nicht für das Fernsehen.1

Wolfgang Jacobsen ist Kinofilmhistoriker, war langjähriger Mitarbeiter der Stiftung Deutsche Kinemathek, des CineGraph sowie der Berliner Filmfestspiele und hat zahlreiche Publikationen über den deutschen Kino- und Fernsehfilm veröffentlicht. Mit dem vorliegenden Buch wendet er sich dem Münchener Produzenten Helmut Ringelmann zu, der vor allem durch die Auftragsproduktion zahlreicher Fernsehserien wie Das Kriminalmuseum, Der Kommissar, Derrick, Der Alte und Siska hervorgetreten ist. Das ist an sich verdienstvoll, weil es Informationen über den Hintergrund des Mediums Fernsehen liefert. Jacobsen stellt anders als Dillmann-Kühn keine Studio- oder Unternehmensgeschichte der Ringelmann-Firmen vor, sondern konzentriert sich ganz auf die Person des Produzenten. Er versteht ihn letztlich als den eigentlichen Urheber der Serien und Fernsehfilme, unter dem dann Drehbuchautor:innen, Regisseur:innen und Schauspieler:innen die jeweilige Sendung hergestellt haben.

Jacobsen gliedert seine Darstellung nach einer Einleitung (filmisch als "Aufblende" überschrieben) in acht Kapitel. Die ersten beiden sind biografisch angelegt und beschreiben den Werdegang Ringelmanns (geboren 1926) von seiner Kindheit innerhalb einer komplexen Familienstruktur, seinen Kriegserlebnissen als junger Mann sowie seinem beruflichen Weg nach 1945. Ringelmann kommt über das Theater (hier begegnet er unter anderem Heinz Hilpert und Martin Held) zum Film und wird in München Aufnahmeleiter bei einigen Kinofilmproduktionen. Über die Mitarbeit bei der Freien Fernsehproduktion GmbH (FFG), die für das von Konrad Adenauer geplante, aber vom Bundesverfassungsgericht verbotene Bundesfernsehen Sendungen vorproduzierte, gelangt er Ende der 1950er-Jahre zum Fernsehen. Zunächst wird er angestellter Herstellungsleiter und schließlich Produzent mit eigenen Produktionsfirmen.

In drei weiteren Kapiteln beschreibt Jacobsen, wie Ringelmann in den 1960er-Jahren vornehmlich für das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) mehr oder weniger ambitionierte Fernsehspiele und Fernsehfilme herstellt. Es sind Literaturadaptionen wie Schnitzlers Professor Bernhardi (Regie: Peter Beauvais) oder Michael Kramer von Gerhart Hauptmann, dann auch zeitbezogene Dokumentarspiele wie Der Schwarze Freitag von Maria Matray und Answald Krüger (Regie: August Everding), oder auch Erich Maria Remarques Die Nacht von Lissabon (Regie: Zbynek Brynych). Hier beschreibt Jacobsen auf eine subtile und differenzierte Weise die Produktionen, geht auf ihre zeitbezogene inhaltliche Bedeutung ein, auf die Besetzung, die Kameraführung und den Musikeinsatz. Dabei ist er sehr überzeugend, hat einen geschärften Blick für die jeweiligen Besonderheiten der heute leider meist nicht mehr zugänglichen Fernsehspiele.

Die eigentliche Bedeutung Ringelmanns liegt jedoch in der Serienproduktion. Jacobsen schiebt als sechstes Kapitel einen Text von Ringelmann selbst ein, in dem dieser ausführlich sein Verständnis der Krimiserie darlegt. Es handelt sich dabei um einen Vortrag, den Ringelmann 1989 in München gehalten hat. Das Datum müssen sich die Leser:innen über das Quellenverzeichnis am Ende des Buches selbst erschließen. Das ist nicht unerheblich, beschreibt Ringelmann damit doch ein Serienverständnis, das historisch bereits nach seinen großen internationalen Erfolgen von Der Kommissar (1969–1974) und Derrick (1974–1998) liegt.

In zwei weiteren eher kurzen Kapiteln geht Jacobsen dann auf die Serienproduktionen ein, ohne jedoch den anfangs angelegten biografischen Faden noch einmal aufzunehmen. Auch werden die Unterschiede zwischen dem Kriminalmuseum Anfang der 1960er-Jahre, dem Kommissar Anfang der 1970er-Jahre und dem Alten in den 2000er-Jahren nicht thematisiert. Für ihn scheint Ringelmanns Serienfilmpraxis irgendwie unhistorisch immer gleich gewesen zu sein.

Der private Ringelmann verschwindet dabei ganz – nach den ersten beiden biografischen Kapiteln überraschenderweise. Dass er zweimal verheiratet war, erfahren die Leser:innen nur aus der beigefügten Chronik. Von den Frauen ist sonst nicht die Rede, auch nicht, ob die erste Frau irgendwann gestorben ist. Die zweite Frau tritt als Herausgeberin des Buches auf, hat vielleicht als Nachlassverwalterin die Entstehung des Buches ermöglicht, dem Autor Zugang zu Sendungen, zu Produktionslisten und Zeitungsartikeln verschafft, aus denen der Verfasser zitiert und die er im Anhang als Quellen aufführt.

Jacobsen beschreibt die ringelmannsche Fernsehproduktion im Grunde als ein großes Familiengeschehen, bei dem es vor allem auf eine Art Treue und Zusammenhalt ankommt. Er verzichtet darauf, den Weg Ringelmanns vom angestellten Produzenten der einer internationalen Investorengruppe gehörenden Produktionsfirma „Intertel Television“ Anfang der 1960er-Jahre zu der von Ringelmann gegründeten Neuen Münchener Fernsehproduktion und der für die Herstellung der Serie Derrick zuständigen „Telenova Film- und Fernsehproduktion“ genauer darzustellen. Wenig Informationen gibt es auch darüber, in welchen Studios gearbeitet wurde, wenig über die Technik.

Misslicher noch ist, dass über den Zusammenhang zwischen dem Ringelmann-Imperium und dem ZDF, das seine Fernsehspiele und Serien hauptsächlich gesendet hat, bzw. zum Bayerischen Rundfunk (für die Serie Polizeirevier 1) rein gar nichts zu erfahren ist. Einmal wird der ZDF-Intendant Dieter Stolte mit einem Grußwort zu Ringelmanns 75. Geburtstag zitiert (vgl. S. 67), in dem Stolte Ringelmanns Zuverlässigkeit der Lieferungen rühmt. Doch die Leser:innen hätten darüber hinaus gern mehr erfahren, wie sich eine so langjährige und umfangreiche Zusammenarbeit gestaltet hat. Wie verhielten sich neben Stolte die anderen ZDF-Intendanten, etwa Karl Holzamer oder Karl-Günther von Hase, zu Ringelmann, wie die fürs Fernsehspiel zuständigen Abteilungsleiter wie zum Beispiel Heinz Ungureit oder Hans Janke? Oder waren sie gar nicht zuständig, weil im ZDF Serien als Unterhaltung galten? Wie kommt es, dass Ringelmanns Firmen in den 1980er-Jahren jährlich 40-50 Sendungen herstellten, dann in den 1990er- und 2000er-Jahren nur noch etwa 15 bis 25? Das wäre doch einer Klärung Wert gewesen.

Auch hätte sich der Rezensent eine Einordnung des Produzenten Ringelmann in eine Skizze der bundesdeutschen Fernsehproduzenten- und Fernsehproduktionslandschaft gewünscht. Der Fokus bleibt jedoch ganz auf den angeblichen Solitär Ringelmann beschränkt und verlängert so im Grunde nur dessen Selbsteinschätzung als Krimiserienproduzent, die Ringelmann in seinem Vortragstext von 1989 in der Mitte des Bandes gibt.

Worin besteht Ringelmanns Besonderheit, worin die von Stolte behauptete Zuverlässigkeit seiner "Qualität" in der Quantität des Produzierten (die im Anhang befindliche Filmografie listet fast 1.200 Titel auf)? Sie besteht darin, so ist es der Darstellung zu entnehmen, dass Ringelmann alles in der Hand behielt oder behalten wollte, Treue zu den Autoren bewahrte (besonders zu Herbert Reinecker), zu einzelnen Regisseuren, zu Schauspieler:innen (wie Martin Held, Siegfried Lowitz, Horst Tappert) und vor allem zu einem Team von Mitarbeiter:innen. Dass er offenbar alle Drehbücher selbst las, an ihnen (auch bei denen von Reinecker, mit dem ihn ein "herzliches Arbeitsverhältnis" (S. 119) verband) Korrekturen vornahm oder sie auch ganz verwarf, erstaunt bei der Vielzahl der von ihm verantworteten Produktionen. Wann fand er für alles nur die Zeit? Er leitete Regiebesprechungen (vgl. S. 70), besetzte selbst die Rollen (vgl. S. 75) und überwachte Schnitt und Montage (vgl. S. 75). Er wollte offenbar über alles die Kontrolle behalten. Er war ein "Mister Allgegenwärtig" (S. 75), resümiert Jacobsen. Es war offenbar ein traditionell patriarchales Verhältnis.

Passend zu dieser Beschreibung ist die Bebilderung des Bandes: In mehr als 70 meist ganzseitigen Aufnahmen wird immer wieder der Produzent mit Regisseuren, Schauspieler:innen, Autoren gezeigt, ja herausgestellt, sind die Kommissare auf Pressefotos zu sehen, im Laufschritt auf den Zuschauer:innen – und Leser:innen – zugehend. Es sind letztlich fast alles Marketingbilder aus dem Ringelmann-Archiv, die mehr verbergen als sie zeigen.

So prägnant Jacobsen in der Analyse gerade der frühen Fernsehspiele der 1960er- und 1970er-Jahre ist, bei den Serien zieht er sich auf allgemein bleibende mitmenschliche Verhältnisse zwischen den Akteuren zurück, erwähnt nur positive Aussagen von Schauspieler:innen und Regisseuren über den Produzenten. In fett gedruckten Passagen sind immer wieder konzeptuelle Beschreibungen der Serienfiguren, offenbar von Ringelmann selbst, zu lesen. Der Text überhöht den Produzenten Ringelmann, macht ihn zu einer Art Übervater. Da sind doch auch Zweifel angebracht. Es fällt kein kritisches Wort. Das ist schon erstaunlich. Von dem sonst analytisch genau und prägnant formulierenden Autor wäre anderes zu erwarten gewesen.

Anmerkung:
1 Claudia Dillmann-Kühn, Artur Brauner und die CCC. Filmgeschäft, Produktionsalltag, Studiogeschichte 1946–1990, Frankfurt am Main 1990.

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