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Titel
Bischofsabsetzungen und Bischofsbild. Texte – Praktiken – Deutungen in der politischen Kultur des westfränkisch-französischen Reichs 835 – ca. 1030


Autor(en)
Kleinjung, Christine
Reihe
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (11)
Erschienen
Ostfildern 2021: Jan Thorbecke Verlag
Anzahl Seiten
388 S.
Preis
€ 48,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stephan Bruhn, Deutsches Historisches Institut London

Bischöfe haben in der Erforschung politischer Ordnungen (nicht nur) des Früh- und Hochmittelalters unbestreitbar Konjunktur. Nach der mittlerweile zum Standardwerk avancierten Arbeit von Steffen Patzold1 und der Studie von Monika Suchan2 bildet die hier zu besprechende Arbeit von Christine Kleinjung die nun schon dritte Habilitationsschrift, welche sich binnen weniger Jahre in einem wissenssoziologischen beziehungsweise diskursgeschichtlichen Zugriff mit dem politischen (Selbst-)Verständnis des Episkopats in der fränkischen Welt befasst. Kleinjung schließt dabei mit ihrer Untersuchung nicht nur in sinnvoller Weise an bestehende Forschungen zum Wissen über das Amt an, sondern entwickelt diese durch die Aufarbeitung eines drängenden Desiderates – der Funktionalisierung und Aktualisierung dieses Wissens in Konfliktsituationen – auch in entscheidender Weise weiter.

Die Studie gliedert sich neben Einleitung (I., S. 13–35) und Fazit (XII., S. 333–350) in zwei größere Untersuchungsfelder, die weitestgehend chronologisch aufgebaut sind. In einem ersten Schritt werden die Bischofsabsetzungen des 9. Jahrhunderts anhand mehrerer Fallstudien vergleichend analysiert (II. bis VII., S. 37–174), bevor in einem zweiten Teil (VIII. bis XI., S. 175–331) diejenigen der postkarolingischen Zeit sowie das Wissen um den Episkopat im westfränkischen Reformmönchtum beleuchtet werden. Die üblichen Verzeichnisse sowie ein hilfreiches Register schließen die Arbeit ab.

Der zweigeteilte Aufbau der Studie ergibt sich aus dem Erkenntnisinteresse Kleinjungs, welches in der Einleitung aus der bestehenden Forschung abgeleitet und methodologisch fundiert wird. Wenngleich das sich im 9. Jahrhundert formierende Wissen um das Bischofsamt mittlerweile gut erforscht sei, bliebe die praktische Relevanz dieser Wissensbestände und deren Kenntnis jenseits des Episkopats vielfach unterbeleuchtet. Kleinjung schlägt dabei zwei Perspektiverweiterungen vor, um diese Leerstelle zu schließen. Zum einen betont sie in Anlehnung an die Kulturgeschichte des Politischen das epistemische Potenzial von Konflikten. Denn in Streitfällen ließe sich die handlungsleitende Funktion von Wissen und dessen argumentative Nutzung durch unterschiedliche Parteien sehr anschaulich greifen. Bischofsabsetzungen böten sich daher als paradigmatischer Konfliktfall um das episkopale Amt in einer einzelfallübergreifenden Aufarbeitung für eine Analyse von Wissensfunktionalisierungen an, wie Kleinjung zu Recht herausstellt.

Zum anderen müsse der wissenssoziologische Ansatz methodisch erweitert werden, um neben der Tradierung auch langfristige und situationsbezogene Transformationen von Wissensbeständen über die Karolingerzeit hinaus berücksichtigen zu können. Hierzu rekurriert Kleinjung auf die gemeinschaftsbezogene Gedächtnisforschung von Aleida Assmann, deren begriffliche Unterscheidung von Speicher- und Funktionsgedächtnis genutzt wird, um diese differierenden Wissenskonfigurationen zu fassen. Dieser diachronenen Tiefenschärfe ist – neben einer verstärkten Berücksichtigung von nicht-bischöflichen Akteur*innen – wohl auch die Untersuchung des Bischofsbildes im westfränkischen Reformmönchtum bis etwa 1030 geschuldet.

Im ersten Teil der Arbeit werden die Bischofsabsetzungen des 9. Jahrhunderts in insgesamt sechs Fallstudien beleuchtet. Während die causa Ebos von Reims (835–867) als „stilgebend[es]“ und „erste[s] formale[s] Verfahren“ (S. 40) für sich genommen untersucht wird (II., S. 37–61), erfolgt die Annäherung an die weiteren Absetzungen akteurszentriert, wie die Obertitel der Kapitel anzeigen: Während im Falle Wenilos von Sens (859) die Anklageschrift Karls des Kahlen und somit das Königtum im Mittelpunkt steht (III., S. 63–82), wird bei den Verfahren gegen Rothad von Soisson (861–865) und Hinkmar von Laon (871) über die Schriften Hinkmars von Reims die Rolle des Metropoliten fokussiert (IV., S. 83–134). Die gemeinsame Absetzung Gunthars von Köln und Thietgauds von Trier 863 durch Nikolaus I. beleuchtet wiederum das Papsttum (V., S. 135–164). Trotz der jeweiligen Schwerpunktbildung erschließt Kleinjung die Überlieferung zu jedem Fall in ihrer gesamten Breite. Dabei geht es ihr nicht um die Rekonstruktion der tatsächlichen Abläufe oder die Frage nach der Rechtmäßigkeit der jeweiligen Prozesse, sondern um die von den Parteien vorgebrachten Argumente, die sie gemäß ihren theoretischen Vorbemerkungen überzeugend als Funktionalisierungen von etablierten Wissensbeständen um das Amt auswertet.

Der von den Beteiligten grundsätzlich geteilte Wissenshorizont konnte im Sinne der eigenen Interessen und je nach Kontext sehr unterschiedlich ausgelegt werden, sodass Kleinjung die vermeintliche Geschlossenheit des Episkopats in Bezug auf das eigene Amtsverständnis relativieren kann. Ebenso zeigt sie – bei allem erkennbaren Bemühen der involvierten Akteure um eine Formalisierung der Verhältnisse – die Grenzen von Verbindlichkeitsstiftungen auf: Schriftliche Autoritäten und rituelle Handlungen waren prinzipiell mehrdeutig, sodass sie sich für ganz unterschiedliche Begründungsstrategien nutzen ließen. Auch gab es keine letztgültigen Entscheidungsinstanzen, wie ferner das systematisch angelegte Kapitel zu den räumlichen und personellen Konstellationen der Absetzungsprozesse aufzeigt (VI., S. 165–174). Denn die Grenzen zwischen Reichsversammlung und Synode dürften im Westreich äußerst fließend gewesen sein und die Verfahren somit vor ganz unterschiedlichen Öffentlichkeiten stattgefunden haben. Aufgrund dieser rechtlichen Fragilität sowie der Weiheproblematik maßen die Akteure dem freiwilligen Amtsverzicht durch den jeweiligen Angeklagten hohe Bedeutung zu, der über ein komplexes Geflecht aus Oralität, Performanz und Schriftlichkeit dauerhaft gesichert werden sollte.

Der zweite Abschnitt widmet sich der Tradierung, Nutzung sowie Aktualisierung der karolingischen Wissensbestände um das Bischofsamt im 10. und 11. Jahrhundert und gliedert sich seinerseits in zwei Untersuchungsfelder auf. In einem ersten Schritt widmet sich Kleinjung den Bischofsabsetzungen in der Diözese Reims. Neben zeitgenössischen Konflikten, wie dem Verfahren gegen Erzbischof Arnulf (VIII., S. 211–238) und der Doppelbesetzung des Reimser Episkopats mit Hugo und Artold (VII., S. 189–210), wird über die Darstellung der causa Ebos bei Flodoard auch die Wahrnehmung historischer Auseinandersetzungen thematisiert (VII., S. 180–189). Entgegen älterer Forschungsannahmen, die Flodoard lediglich die Reproduktion etablierter Wissensbestände zugeschrieben beziehungsweise den Autor gar an diesen vermeintlichen Standards gemessen haben, fokussiert Kleinjung dabei in überzeugender Weise dessen eigenständigen Umgang mit dem Bischofsamt. Ebenso enthält sie sich personenbezogener Urteile im Fall des von Gerbert von Aurillac angestoßenen Verfahrens gegen Arnulf von Reims, dessen Wirkungslosigkeit auf eine sich ändernde politische Öffentlichkeit und eine „Pluralisierung der Wertevorstellungen“ (S. 238) durch das Aufkommen des Reformmönchtums zurückgeführt wird.

Die Reformklöster bilden dementsprechend den Angelpunkt des zweiten Untersuchungsschritts, in dem Kleinjung mit den Auseinandersetzungen zwischen Bischöfen und Äbten um das Kirchengut eine weitere Konfliktform um das episkopale Amt in den Blick nimmt. Die ausführliche Auseinandersetzung mit der besonders reichen Überlieferung aus dem Reformzentrum Fleury (IX.–XI., S. 239–303 und 322–326) wird dabei um eine Reihe kleinerer Fallstudien zu Mirakelsammlungen aus anderen Kontexten ergänzt (XI., S. 305–322 und 326–331). Auch hier gelingt es Kleinjung, ältere Annahmen eines Antagonismus zwischen bischöflichem Diözesanherrn und Mönchen zu revidieren und die hohe Situationsgebundenheit der Zeugnisse herauszustellen. Zugleich zeigt sie die Kenntnis um den bischöflichen Amtsdiskurs in monastischen Gemeinschaften auf, der allerdings gerade in Fragen der Besitzhoheit nachhaltig modifiziert worden sei.

Die Stärke von Kleinjungs Studie liegt mit der vergleichenden Untersuchung von Bischofsabsetzungen nicht allein in der Aufarbeitung eines Forschungsdesiderats. Vielmehr knüpft die Autorin über diesen Untersuchungsgegenstand in sinnvoller Weise an aktuelle Diskussionen der Bischofsforschung an und entwickelt diese mit Bedacht weiter, sodass einem vermeintlich wohl bekannten Themenfeld neue Perspektiven eröffnet werden. Insbesondere der konsequent kommunikationsgeschichtliche Zugriff auf die Quellen kann durchaus Modellcharakter für zukünftige Studien haben. Das konzise Fazit, in welchem Kleinjung die vielfältigen Ergebnisse ihrer Studie anschaulich zusammenführt, zeigt die hinter dem Buch stehende Forschungsleistung deutlich auf.

Macht der Inhalt das Buch somit zweifellos zu einer bereichernden Leseerfahrung, so kann dies leider nur bedingt über die Textgestaltung gesagt werden. Die Drucklegung einer Habilitationsschrift stellt vor dem Hintergrund der zahllosen Anforderungen und Unsicherheiten des modernen Universitätsbetriebs gewiss schon für sich genommen eine anzuerkennende Leistung dar. Immerhin gibt es genug Schriften, die nie erscheinen. Dennoch hätte der Arbeit ein gründlicheres Schlusslektorat gutgetan, weist der Text doch eine Fülle an Flüchtigkeitsfehlern auf, die vermeidbar gewesen wären. Zudem erschließt sich der genaue Aufbau der Arbeit erst durch die Gesamtlektüre, da insbesondere die Darlegung des eigenen Vorgehens in der Einleitung allzu gerafft ausfällt.

In einigen Punkten wäre die Perspektive nach Meinung des Rezensenten zudem noch ausbaufähig gewesen. Die starke Abgrenzung von Bischofsabsetzungen gegenüber „Bischofsmord, Vertreibung sowie Konflikte[n], die sich um die Besetzung von Bischofsstühlen drehten,“ (S. 34) lenkt den Fokus auf rechtliche und formalisierte Formen der Konfliktführung, was der Eingrenzung der Themenstellung grundsätzlich zuträglich ist. Allerdings stellt Kleinjung mit Blick auf einige der untersuchten Fallbeispiele (etwa die mit einer Blendung einhergehende Absetzung Hinkmars von Laon oder den Doppelepiskopat Hugos und Artolds in Reims) selbst heraus, dass sich diese strikte Eingrenzung aufgrund des fluiden Charakters der Verfahren nicht immer trennscharf einhalten lässt. Ebenso lohnend wäre ein Blick über die westfränkisch-französischen Reichsgrenzen hinaus gewesen. Zwar konstatiert Kleinjung, dass die von ihr untersuchten Absetzungsverfahren ein Spezifikum des Westreichs bildeten und Vergleichsfälle aus dem ostfränkischen Bereich fehlten (S. 341). Insbesondere in Bezug auf den letzten Untersuchungsteil zum Bischofsbild des Reformmönchtums hätte sich ein Einbezug des englischen Mönchsepiskopats indes angeboten – zumal mit dem nur beiläufig erwähnten Exil Abbos von Fleury unmittelbare Bezüge zur englischen Reformgruppe bestanden. Schließlich verwundert es ein wenig, dass mit der Diözese der zentrale Handlungsraum des Bischofs in den Untersuchungen Kleinjungs nur eine untergeordnete Rolle spielt (am ausführlichsten in ihrer Diskussion der causa Gunthars von Köln, vgl. S. 151f.). Dies lässt sich nur bedingt auf die Überlieferungslage zurückführen, da etwa der Diözesanklerus im Falle Hinkmars von Laon selbst einen Traktat erstellte, auf den auch knapp hingewiesen wird (vgl. S. 103, Anm. 380). Die von den Absetzungsverfahren unmittelbar Betroffenen, ihre Wahrnehmung des Amtes sowie ihr Einfluss auf die Konflikte werden somit kaum thematisiert, obwohl hier Ansatzpunkte gegeben wären.

Bei all diesen Punkten handelt es sich indes weniger um Kritik als vielmehr um einen Beleg dafür, wie anregend die Lektüre für den Rezensenten gewesen ist. Wer sich zukünftig mit dem bischöflichen Amtsverständnis im Übergang vom Früh- zum Hochmittelalter befassen will, wird die Studie Kleinjungs unbedingt berücksichtigen müssen.

Anmerkungen:
1 Steffen Patzold, Episcopus. Wissen über Bischöfe im Frankenreich des späten 8. bis frühen 10. Jahrhunderts, Ostfildern 2008.
2 Monika Suchan, Mahnen und Regieren. Die Metapher des Hirten im frühen Mittelalter, Berlin 2015.

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