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Titel
Aus Büchern Bücher machen. Zur Produktion und Multiplikation von Wissen in frühneuzeitlichen Kompilationen


Autor(en)
Zweifel, Simone
Erschienen
Anzahl Seiten
VII, 275 S.
Preis
€ 79,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Meike Knittel, Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung; Meike Knittel, Universität Bern

Sie erschienen über die Dauer von knapp zweihundert Jahren in über einhundert Auflagen und wurden in drei Sprachen übersetzt: Unter dem Namen des in Basel geborenen Colmarer Stadtarztes Johann Jacob Wecker (1528–1586) publizierte Bücher waren auf dem frühneuzeitlichen Buchmarkt wahrhafte Erfolgsprodukte. Die meisten der Veröffentlichungen handeln, wie bereits ihre Titel ankündigen, von den „Geheimnissen“, insbesondere jenen, die 1555 unter dem Pseudonym Alessio Piemontese in italienischer Sprache veröffentlicht worden waren. In dieser Tradition der Secreti, der Books of Secrets, machten die Bücher Wissen zu vielfältigen Themen zugänglich: zur Herstellung von Heil- und Färbemitteln, zur Mast von Tieren und zu Himmelsphänomenen. Nicht nur das posthume Weitererscheinen, sondern auch die dichte zeitliche Abfolge der thematisch reichhaltigen Veröffentlichungen werfen die Frage auf, wie diese Bücher entstanden.

Simone Zweifel argumentiert in ihrer 2020 als Dissertation an der Universität Basel eingereichten Arbeit, dass es das Kompilieren war, welches die Books of Secrets erfolgreich machte und so die für die Epoche charakteristische „Informationsexplosion“ begünstigte (S. 23). Sie interessiert sich darum für die Kompilationsnetzwerke, welche die Entstehung der großen Zahl an Veröffentlichungen ermöglichten. Damit knüpft sie an Forschungen zur frühneuzeitlichen Buch- und Wissensproduktion an, die durch Fallstudien beispielsweise zu Conrad Gessner, Walther Hermann Ryff und Theodor Zwinger die Bedeutung des Kompilierens für die Informationsverarbeitung und Wissensgenerierung herausgearbeitet haben und diese Praxis losgelöst von der modernen, negativ wertenden Sichtweise zu betrachten begannen. 1 Zudem stellen jene Studien infrage, inwiefern die Kultur der experimentellen Erprobung und Bestätigung der Wissensbestände, auf die von den Autoren und Autorinnen immer wieder verwiesen wurde und die von der älteren Forschung vielfach im Sinne einer Frühgeschichte der „wissenschaftlichen Revolution“ gedeutet wurde, auch tatsächlich praktiziert wurde. Hier setzt Zweifels Studie an und richtet den Blick auf die Books of Secrets, d.h. Rezeptsammlungen, deren Paratexte immer wieder auf die Originalität und empirische Prüfung durch den Autor bzw. Kompilator der Anleitungen verweisen. Sie fragt nach den an der Textproduktion beteiligten Akteuren und Akteurinnen, um zu untersuchen, ob bei der Entstehung der Books of Secrets Buchwissen tatsächlich zugunsten empirischer Testungsverfahren in den Hintergrund trat (S. 8).

Zweifel verortet ihre Studie an der Schnittstelle zwischen Wissensgeschichte und Buchwissenschaft, die sich beide für sozial eingebettete Produktionsprozesse interessieren. Die Praktiken der Buchherstellung arbeitet sie mikrohistorisch anhand der unter Weckers Namen publizierten Bücher sowie handschriftlich überlieferter Korrespondenz heraus. Etwa 50 Briefe Weckers an Theodor Zwinger, selbst ein erfolgreicher Kompilator, sowie einzelne Schreiben weiterer Akteure und Akteurinnen aus dem Umfeld der beiden erlauben es ihr, Einblicke in die Arbeitsweisen des Kompilationsnetzwerks zu gewinnen. Die gedruckten Bücher untersucht sie vergleichend hinsichtlich textueller Übereinstimmungen, der Veränderungen des Umfangs und der Zitationsbeziehungen zwischen den Auflagen.

Das auf die Einleitung folgende zweite Kapitel kontextualisiert die Studie in den Forschungsdebatten um frühneuzeitliche Definitionen von Autorschaft, charakterisiert die Books of Secrets als Rezeptbücher und setzt sich kritisch mit der in der bisherigen Forschung verwendeten Bezeichnung „populär“ auseinander, dessen dichotomes Verständnis als Gegensatz zu „gelehrt“ die Wissensbestände der Books of Secrets nicht adäquat beschreibe. Das dritte Kapitel ist dem Kompilationsnetzwerk gewidmet und reflektiert dieses zunächst theoretisch, um anschließend die daran beteiligten Akteure und Akteurinnen herauszuarbeiten. Kapitel 4 beleuchtet die einzelnen im Netzwerk umgesetzten Produktionsschritte, während das fünfte und letzte Kapitel auf jene Veröffentlichungen fokussiert, die in den letzten Lebensjahren und nach Weckers Tod als Auskopplungen und Übersetzungen unter seinem Namen publiziert wurden. Der Schlussteil fasst die Ergebnisse der Studie zusammen und formuliert weiterführende Forschungsdesiderate, wie beispielweise eine weitere Reflexion und Historisierung der Konzepte von Autorschaft.

Zweifels Studie arbeitet heraus, wie das Weckersche Kompilationsnetzwerk an der Beschaffung, Auswahl und Anpassung der Textvorlagen beteiligt war. Sie zeigt, wie Kontakte zu Mitwirkenden und Fürsprechern durch Korrespondenzen und Widmungen angebahnt und gepflegt wurden. Ausführlich setzt sich die Autorin mit dem Ordnen des Wissens auseinander, das sie auf Basis von Textvergleichen zwischen unterschiedlichen Auflagen als iterative Praxis charakterisiert. Diese kann, wie Zweifel anhand der Praxistheorie von Elizabeth Shove, Mika Pantzar und Matt Watson darlegt, nur ausgeführt werden, wenn verschiedene „Elemente“ miteinander in Verbindung treten. 2 So führt Zweifel u.a. am Beispiel der für die Buchproduktion essenziellen Beschaffung von Büchern aus, dass Druckvorlagen erst durch ihre erfolgreiche Beschaffung zu Teilen des Kompilationsnetzwerks wurden und die Ausführung der beschriebenen Buchpraktiken ermöglichten (S. 121f.).

Anhand der Praktiken des Übersetzens, Auskoppelns und Kompilierens, die für das Wachsen des Texts sorgten, widerlegt Zweifel Ergebnisse früherer Studien zu den Books of Secrets. So übernahmen Weckers übersetzte Fassungen der Secreti zwar das Narrativ, die abgedruckten Rezepte seien durch Erfahrung bestätigt worden, nachweisen lassen sich diese empirischen Praktiken jedoch nicht. Auch der Einordnung in feste Textkorpora wie „Originale“ vs. „new Alexian corpus“ 3 widerspricht die Autorin mit Verweis auf die Übertragungspraktiken, die nahelegen, dass es sich vielmehr um eine fluide Textmasse handelte. So ergänzten Wecker und sein Kompilationsnetzwerk ihre Secreti-Bücher auch mit Passagen aus anderen Werken als den unter dem Namen Alessio Piemontese veröffentlichten – ohne dies im Titel immer deutlich zu machen. Sie koppelten einzelne Kapitel heraus und lösten sich mit wachsender Bekanntheit des Namens Wecker zunehmend von den Inhalten der „Originale“ – wenn sie auch in Titel und Form in der Tradition von Piemonteses Secreti-Büchern blieben. Zudem wird deutlich, dass die Textproduktion nicht an eine einzelne Person gebunden war, sondern erst durch die von mehreren Elementen gemeinsam vollzogenen Praktiken möglich wurde.

Im Unklaren bleibt die Rolle handschriftlicher und mündlicher Praktiken, deren Bedeutung gerade für die räumlich nahe Kommunikation zwar benannt, aber – auch aufgrund fehlender Quellen – nicht näher beleuchtet wird. Ebenso bleibt die ökonomische Bedeutung der Buchproduktion für die Haushalte frühneuzeitlicher Stadtärzte im Dunklen. Wünschenswert wäre gewesen, dass die in den Paratexten erfolgte kommunikative Abwertung von anderen Publizierenden als „Geldgierige“ (S. 129f.) anhand weiterer Quellen noch kritischer reflektiert worden wären, als dies Selbsteinschätzungen in den untersuchten Vorworten und Briefen erlauben. Die im Kapitel 4.4 („Wissen ordnen“) dargelegte adressatengerechte Sortierung der Inhalte sowie die gezeigte Bedeutung von Indizes und Umstrukturierungen als Verkaufsargumente weisen ebenso wie die von Zweifel skizzierte Rolle der Widmungen und die Verhandlungen mit dem Drucker darauf hin, dass die Weckersche Buchproduktion in ökonomische Logiken eingebunden war, die bislang nur unzureichend erforscht sind. Deren Analyse trüge zum Verständnis der Erfolgsgeschichte der Books of Secrets bei und wäre den im Schlussteil formulierten weiteren Forschungsfragen hinzuzufügen.

Von diesen Desideraten abgesehen, leistet Zweifels Studie einen wichtigen Beitrag zur Erforschung frühneuzeitlicher Buchpraktiken, die für die epochencharakterisierende Multiplikation von Wissen entscheidend waren. Einmal mehr wird durch die Arbeit deutlich, dass vormoderne Wissenspraktiken kollaborativ waren und die hinter den gedruckten Endprodukten verborgenen Netzwerke untersucht werden müssen, um deren Entstehung und Wirkung zu verstehen.

Anmerkungen:
1 Siehe z.B. Ann Blair, Too Much to Know. Managing Scholarly Information before the Modern Age, New Haven 2010; Helmut Zedelmaier, Navigieren im Textuniversum. Theodor Zwingers theatrum vitae humanae, in: metaphorik.de 14 (2008), S. 113–135.
2 Elizabeth Shove / Mika Pantzar / Matt Watson, The Dynamics of Social Practice. Everyday Life and how it Changes, Los Angeles 2012.
3 So vorgenommen von William Eamon, Science and the Secrets of Nature. Books of Secrets in Medieval and Early Modern Culture, Princeton 1996.

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