Cover
Titel
Vom Löwen zum Adler. Der Übergang Schwedisch-Pommerns an Preußen 1815


Herausgeber
Jörn, Nils; Schleinert, Dirk
Reihe
Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern. Reihe V: Forschungen zur Pommerschen Geschichte (52)
Erschienen
Köln 2019: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
272 S., 17 Abb.
Preis
€ 50,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Frank Rochow, Interdisziplinäres Forschungszentrum Ostseeraum, Universität Greifswald

Der vorliegende Band dokumentiert die Beiträge einer Tagung, die 2015 unter gleichem Titel von der Historische Kommission für Pommern e.V., der Gesellschaft für pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst e.V. und dem Stadtarchiv der Hansestadt Stralsund ebendort veranstaltet wurde. Anlass bot der 200. Jahrestag der Herrschaftsübertragung über den noch verbliebenen schwedischen Besitz Pommerns an Preußen im Jahre 1815. Sowohl die Tagung als auch der Band folgen generell einer landesgeschichtlichen Perspektive, die jedoch durch die Behandlung weiterer Regionen zu erweitern gesucht wurde.

Die im vorliegenden Band publizierten Beiträge weichen nur in zwei Punkten wesentlich von der Tagung ab: zum einen findet sich Sascha Otts Vortrag zur „Organisation der höchsten Gerichtsbarkeit in Neuvorpommern“ in dem Band nicht wieder; zum anderen trägt Dirk Schleinert zwei Texte zum Band bei. Auf der Konferenz war er nur mit einem vertreten. Da die übrigen Beiträge nur sehr geringe Abweichungen zu den Vorträgen aufweisen, kann an dieser Stelle auf eine detaillierte Inhaltswiedergabe verzichtet werden. Diese ist bereits auf H-Soz-u-Kult als Tagungsbericht veröffentlicht.1

Die marginalen Abweichungen zwischen Konferenz und Publikation überraschen angesichts der zum Ende der Konferenz angestellten Überlegung, „über die Tagungsbeiträge hinaus weitere, nach Möglichkeit auch interdisziplinär angelegte Aufsätze […] zu gewinnen“.2 Dies ist offenbar nicht gelungen. Woher dieser explizite Wunsch rührte, wird bei der näheren Betrachtung der einzelnen Beiträge deutlich, die bei weitem nicht die mögliche thematische Breite oder inhaltliche Tiefe des Untersuchungsgegenstandes ausschöpfen. So bleiben auch in einem konservativen Verständnis von „Integration“ vorhandene Themenfelder wie Infrastrukturausbau oder militärische Sicherung fast komplett ausgeblendet. Ganz ähnlich sieht es bei neueren Forschungsansätzen aus, etwa zur Sichtbarkeit der preußischen Herrschaft im Alltag der neuen Untertanen oder deren Möglichkeit, ihren Status als preußische Untertanen zum Beispiel im Rahmen einer überregionalen Mobilität zu nutzen. Die Beiträge verbleiben damit im Bereich der politischen Struktur- und Diplomatiegeschichte, der traditionellen Wirtschaftsgeschichte oder doch zumindest bei Erzählungen über „große Männer“.

Dessen ungeachtet ist es einigen Autor:innen sehr gut gelungen, an größere Fragen anzuknüpfen bzw. anschlussfähige Perspektiven aufzuzeigen, die für die historische Forschung jenseits einer reinen landesgeschichtlichen Sicht nutzbar erscheinen. Unter ihnen sind besonders Anja Erdmanns Beitrag zur „Kriminalverfassung in Neuvorpommern und Rügen 1815–1851“ und Anke Wiebersohns Vergleich der wirtschaftlichen Integration Wismars in Mecklenburg-Schwerin mit derjenigen „Neuvorpommerns“ in Preußen zu nennen. Diesen Beiträgen ist gemein, dass sie sich zunächst definitorisch mit dem Begriff „Integration“ auseinandersetzen und somit im Vergleich zu den anderen Texten an analytischer Tiefe gewinnen. Besonders facettenreich ist dies Wiebensohn gelungen, die durch ihren Vergleich nicht nur die Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung der untersuchten Regionen andeutet, sondern auch zeigt, dass sich die Frage nach der Integration keinesfalls mit Fokus auf die Durchsetzung der im integrierenden Staat existierenden Ordnungen erschöpft.

Es ist jedoch genau diese Sichtweise, welche die übrigen Beiträge oft zumindest implizit beeinflusst. Damit wird im Prinzip durch die meisten Beitragenden die preußische Sichtweise des 19. Jahrhundert fortgeführt (illustriert u.a. durch die häufige Verwendung der Bezeichnung „Neuvorpommern“), so dass das Agens der zu integrierenden Region auf die Aktivitäten einiger weniger Persönlichkeiten reduziert wird. Konzeptionell gewonnen hätte der Band in dieser Hinsicht durch einleitende methodische Überlegungen, die auch die mehrfach genannte Heterogenität der inneren Verfasstheit des preußischen Staates für die Analyse hätte nutzbar machen können. Es sei hier z.B. an die Ideen der „zusammengesetzten Staatlichkeit“3 erinnert, die es ermöglichen, den „Sonderstatus“ des von Schweden abgetretenen Restvorpommerns weniger als Ausnahme, denn als Regel zu verstehen und somit den Fokus auf allgemeine Staatsbildungs- und Umbruchprozesse zu lenken. Der wiederholte Verweis auf die zur gleichen Zeit ablaufenden Prozesse in den preußischen Rheinprovinzen z.B. durch Erdmann deutet genau in diese Richtung, ohne jedoch genauer ausgearbeitet worden zu sein.4

Was der Band trotz dieser Kritik leistet kann, ist die Grundlage zu schaffen für weitere Analysen. Diese traditionelle Stärke der Landesgeschichtsschreibung stellt die Basis mikrogeschichtlicher und weiterer vergleichender Forschung dar. Im vorliegenden Band wird zwar nicht „im Kleinen das Große“ 5 gesucht, aber findige Leser:innen erkennen die größeren Forschungsfragen hier auf jeden Fall repräsentiert. Das Thema „Integration“ drückt dies exemplarisch aus. Darüber hinaus geht es um Fragen des Herrschaftsmanagements, die immer wieder anklingen, sowie Modi der Interaktion zwischen Stadt und Land und zwischen Zentrum und Peripherie. Hinzu kommen Narrative über Fort- und Rückschrittlichkeit, Rechtsverbindlichkeit, Effizienz usw., wobei es nicht zuletzt die Ambivalenz dieser Begriffe ist, die deutlich hervortritt. In diesem Sinne sensibilisiert dieser Band für die verschiedenen Facetten dieser Termini, thematisiert sie aber nicht explizit.

Eine weitere Möglichkeit die Beiträge stärker in Bezug zueinander zu setzen und so die konzeptionellen Überlegungen der obengenannten Autorinnen und wiederkehrende Thematiken für den gesamten Band zu identifizieren und gewinnbringend einzuordnen, wäre durch ein von den Herausgebern verfasstes Fazit gewesen. Dass dieses fehlt, ist wohl nicht zuletzt der Verschiedenartigkeit der Beiträge geschuldet, die nur schwerlich zusammengebunden werden konnten. So spielt selbst die Region, um die es eigentlich in diesem Band gehen soll, nicht in allen Beiträgen eine Rolle. Genannt seien hier die Beiträge von Jens E. Olesen, Manfred Menger und Kathleen Jandrausch.

Aus einem anderen Grund fällt in diesem Zusammenhang auch Schleinerts zweiter Beitrag auf, der im Wesentlichen lediglich aus vier Dokumenten aus dem Nachlass des ehemaligen Stralsunder Bürgermeisters David Lucas Kühl besteht. Ohne an dieser Stelle den Wert der Bereitstellung von Quellen für ein breiteres Publikum anzweifeln zu wollen, soll jedoch darauf hingewiesen werden, dass deren Einbettung unter die Tagungsbeiträge zumindest eine dezidiertere Auseinandersetzung mit den Quellen erfordert hätte. In der Form, wie sie abgedruckt wurden, wären sie in einem Anhang im Anschluss an alle Beiträge besser aufgehoben gewesen, zumal die dargestellten Quellen in mehreren Beiträgen eine Rolle spielen. Genauer geht es um Instruktionen für die Gesandtschaften Schwedisch-Pommerns an die Höfe in Schweden und Berlin.

Zusammenfassend muss leider konstatiert werden, dass dieser Sammelband zwar viele Einblicke, aber, im Gegensatz zu früheren Publikationen der Reihe, wenig Erkenntnisse bereitstellt. Dies trifft natürlich, wie oben ausgeführt, nicht auf alle Beiträge zu. Potentiale für die weitere Forschung liegen in diesem Sinne vor allem in der näheren Betrachtung der angeführten Konzepte und Begriffe. Möglicherweise finden sie sich bereits im nächsten Titel der Reihe berücksichtigt: Der voraussichtlich im Juni 2022 erscheinende Band zum „Frieden im Ostseeraum. Konfliktbewältigungen vom Mittelalter bis 1945“, ebenfalls von Dirk Schleinert herausgegeben, weitet insbesondere die zeitliche Perspektive und bietet damit Ansatzpunkte zur Beantwortung der Frage, inwiefern die Übertragung des noch schwedischen Pommerns an Preußen 1815 als Teil eines Mechanismus zur Konfliktbeilegung und damit zur Friedenssicherung im Ostseeraum verstanden werden kann.

Anmerkungen:
1 Katja Jensch, Tagungsbericht: „Vom Löwen zum Adler“. Der Übergang Schwedisch-Pommerns an Preußen 1815, 23.10.2015–24.10.2015 Stralsund, in: H-Soz-Kult, 20.06.2016, <https://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-6568> (09.03.2022).
2 Ebd.
3 Hans-Jürgen Becker (Hrsg.), Zusammengesetzte Staatlichkeit in der europäischen Verfassungsgeschichte. Tagung der Vereinigung für Verfassungsgeschichte in Hofgeismar vom 19.3.–21.3.2001 (Beihefte zu „Der Staat“ 16), Berlin 2006.
4 Dass ähnliche Untersuchungen wie im vorliegenden Band auch in Bezug auf das Rheinland vorliegen, an die hätte angeknüpft werden können, belegt z.B. Thomas P. Becker / Dominik Geppert / Helmut Rönz (Hrsg.), Das Rheinland auf dem Weg nach Preußen 1815–1822 (Stadt und Gesellschaft 6), Köln 2019.
5 Ewald Hiebl / Ernst Langthaler (Hrsg.), Im Kleinen das Große suchen. Mikrogeschichte in Theorie und Praxis (Jahrbuch für die Geschichte des ländlichen Raumes 9), Innsbruck 2012.

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