H. Junginger (Hrsg.): The Study of Religion Under the Impact of Fascism

Titel
The Study of Religion Under the Impact of Fascism.


Herausgeber
Junginger, Horst
Erschienen
Anzahl Seiten
xviii, 666 S.
Preis
€ 139,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Carsten Ramsel, Seminar für Indologie und Vergleichende Religionswissenschaft, Universität Tübingen

Zunächst fühlt man sich als Leser des Buches „The Study of Religion under the Impact of Fascism“ von einer mehr als 100seitigen Einleitung erschlagen. Dieser erste Eindruck verschwindet jedoch schnell, wenn man beginnt, den von Junginger gefällig formulierten Text zu lesen. Der hier zu besprechende Sammelband ist das Ergebnis eines Symposiums an der Universität Tübingen. Die Tagung beschäftigte sich mit der historischen Rolle der Religionswissenschaft und seiner Fachvertreter zu Zeiten des Nationalsozialismus in Deutschland und in Europa. Das Thema sei vor allem aus wissenschaftsinternen Gründen bislang noch nicht ausreichend aufgearbeitet worden. Ja, die Aufarbeitung stehe gerade erst am Anfang und die Religionswissenschaft sei eine der letzten wissenschaftlichen Disziplinen, die es unternehme, sich mit ihrer Rolle in jener Zeit zu beschäftigen (S. 5).

Junginger beschreibt die historische Entwicklung von der Weimarer Republik bis zum Ende der faschistischen Diktatur unter Berücksichtigung der wissenschaftlichen Situation der Religionswissenschaft und ihrer Abgrenzung von der Theologie. Die historische Erforschung der „arischen Religionsgeschichte“ durch die Religionswissenschaft habe maßgeblich zur wissenschaftlichen Legitimation der faschistischen Ideologie beigetragen und sei mit einer deutlichen Aufwertung des bis dato kleinen Faches gegenüber den vorherrschenden Theologien verbunden gewesen. Dies habe nicht nur für Deutschland sondern auch in vielen Teilen Europas gegolten. Wenn es zukünftig gelingen sollte, die teils opportunistischen teils überzeugten Verbindungen der Vertreter des Faches zur Politik und Gesellschaft in der NS-Zeit offenzulegen, erwachse nach Junginger daraus auch die Möglichkeit die ideologiekritische Funktion der Religionswissenschaft auf ihre eigene Geschichte und die damit verbundenen theoretischen Probleme anzuwenden (S. 6). Welche Probleme damit gemeint sind, lässt Junginger offen. Die Aufgabenstellung für die folgenden Beiträge ist damit benannt: 1. Gelingt es dem Autor einen Beitrag zur Aufarbeitung der religionswissenschaftlichen Vergangenheit zur Zeit des Nationalsozialismus zu leisten? 2. Wird die Geschichte der Religionswissenschaft ideologiekritisch reflektiert? 3. Versucht der Autor aufgrund seiner historischen Analysen theoretische Probleme der Religionswissenschaft zu lösen?

Zum Inhalt: Die Beiträge des Bandes handeln ohne Ausnahme von Religionshistorikern der 1920er- bis 1940er-Jahre in Europa und Japan. Das SS-Ahnenerbe und damit verbunden die Erforschung der „arischen Religionsgeschichte“ (G. Benavides, H. Junginger, B. Lincoln, M. Timus) werden dabei ebenso betrachtet wie der Einfluss der Religionswissenschaft auf die politischen Entwicklungen in Südosteuropa (C. Grottanelli, I. Keul, V. N. Makrides, F. Turcanu und M. Stausberg) mit einem besonderen Schwerpunkt auf Mircea Eliade und seine Verbindungen zu anderen Religionswissenschaftlern in Europa. Neben anderen Beispielen (R. Faber, U. Vollmer) ist die besondere Rolle Pater Wilhelm Schmidts (U. Mischek) für die Religionswissenschaft im Nationalsozialismus zu erwähnen. Weitere Artikel haben A. Akerlund, H. Grzymala-Maszczynskas, S. Hjelde, I. Leitane und P. Pietikäinen beigesteuert.

Bei der Vielzahl der Beiträge, die in englischer, deutscher und französischer Sprache verfasst sind und auf die im Einzelnen nicht eingegangen werden kann, sind einige hervorzuheben. Fritz Heinrich zeigt in seinem Aufsatz über Bernhard Kummer (1897-1962) wie die Auseinandersetzung mit dessen Oeuvre eine Antwort auf die Frage geben kann, ob der Nationalsozialismus ein Totalitarismus, ein Faschismus oder ein singuläres unvergleichbares Phänomen sei. Heinrich kommt zu dem Ergebnis, dass das Werk Kummers Elemente aller drei Auffassungen enthalte. Im interessantesten Teil dieses Beitrags benennt Heinrich Ursachen der Verstrickungen Kummers mit dem politischen Establishment und den für die Wissenschaft wichtigen politischen Organen jener Zeit. Auf der Grundlage von Bourdieus „Homo academicus“ reflektiert er die Kooperation religionswissenschaftlicher Forscher mit dem politischen Mainstream. Heute wie zu Zeiten des Nationalsozialismus seien es weniger ideologische Überzeugungen gewesen, die (Religions-)Wissenschaftler mit dem bestehenden politischen System sympathisieren ließen als vielmehr persönliche Interessen. Im Streit zwischen einzelnen Personen und einzelnen Fakultäten, hier der Theologien und der Religionswissenschaft, sei es in der NS-Zeit um „Pöstchen“ und knappe finanzielle Ressourcen gegangen und gehe es heute immer noch. Dabei habe keiner der Protagonisten gezögert seine eigenen Arbeiten in ein ideologiekonformes Licht zu rücken und die Texte seiner Gegner zu diskreditieren. Die „Anbiederung“ an die jeweils - heute wie damals - vorherrschenden Ideologien geschehe dabei nicht nur aus Überzeugung sondern auch aus finanziellen Erwägungen (S. 254ff.) mit weit reichenden Konsequenzen für die Qualität der wissenschaftlichen Arbeiten. Heinrichs Beitrag ist deswegen hervorzuheben, weil es dem Autor gelingt die Biografie Bernhard Kummers in den historischen Gesamtzusammenhang zu stellen, eine zentrale geschichtswissenschaftliche Frage zu stellen, sie im Rahmen der Fragestellung zu beantworten und darüber hinaus wichtige Impulse für die Reflexion über die heutige Situation an den Universitäten anzubieten.

Hiroshi Kubota macht in seinem Artikel „Strategies in Representing 'Japanese Religion' during the National Socialist Period: The Cases of Kitayama Junyû and Wilhelm Gundert“ deutlich, dass ein politisches Interesse der drei Achsenmächte an der Erforschung religiöser Gemeinsamkeiten seit dem Abschluss des Drei-Mächte-Pakts im September 1940 bestehe. Dieses zeige sich in gemeinsamen akademischen Aktivitäten. Religionswissenschaft und Japanologie erführen in der Folgezeit eine politische Aufwertung, die mit dem Zwang der wissenschaftlichen Legitimation „völkischer“ Ideen einhergehe. Die Veröffentlichungen Kitayama Junyûs und Wilhelm Gunderts dienen Hiroshi Kubota hierzu als Beispiel. Kitayama stellt in seinen Veröffentlichungen das japanische „Volk“ wie die populäre Ideologie des deutschen „Volkstums“ als unveränderliche Essenz dar. „Japanese Mahâyâna-Buddhism constituted for him [Kitayama Junyû] 'the final stage and fulfillment of Buddhist religiosity.' His understanding of the term 'purification' meant nothing else than 'Japanazing', corresponding with [Heinrich] Frick's 'purified' Protestantism in Germany, that is with a 'Germanized' Christianity.“ (S. 623) Unter Berücksichtigung des japanischen Shintô als „Volksreligion“ illustriert Kitayama „the Japanese belief in the divine character of the Emperor“ (S. 623). Er greift auf die „Rassenseelenkunde“ Hauers zurück, wenn er behauptet, dass die geistige Verfassung eines „Volks“ nur verstanden werden könne, wenn seine Religion erforscht werde und die rassisch determinierte Beziehung zwischen dem Volk und dem Heiligen erklärt werde. Gundert habe den Versuch unternommen, die Japanologie als deutsche Wissenschaft des eigenen Volkes zu etablieren. (S. 626) Dabei vergleicht er die deutsche und japanische Religionsgeschichte und kommt zu dem Schluss, dass japanologische Studien das deutsche Selbstbewusstsein fördern könnten. „What antiquity and humanism were to Germany, was what Confucian moral philosophy was to Japan; what romanized Christianity was to Germany, was what Chinese Buddhism was to Japan.“ (S. 627f.) Der Aufsatz beleuchtet kritisch, wie weltweit (Religions-)wissenschaftler faschistische und völkische Ideen aufgrund echter Überzeugung oder aus Gründen der Opportunität wissenschaftlich legitimierten. Doch obwohl Kubota behauptet, dass eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte der Disziplin die Möglichkeit schaffe unsere eigenen diskursiven Strategien heute zu beleuchten, leistet er genau das nicht.

Der von Eugen Ciurtin verfasste Artikel „Raffaele Pettazzoni et Mircea Eliade: historiens des religions généralistes devant les fascismes (1933-1945)“ weist den beiden genannten Religionshistorikern eine wesentliche Rolle bei der Gründung des Faches während der Zeit der faschistischen Herrschaft zu (S. 333). Er zeigt neben dem Beitrag Cristiano Grottanellis („War-time Connections: Dumézil and Eliade, Eliade and Schmitt, Schmitt and Evola, Drieu La Rochelle and Dumézil“) anhand der Korrespondenz zwischen Pettazzoni und Eliade, dass ihre Verbundenheit auf gemeinsamen politischen Überzeugungen beruht habe. Die gemeinschaftlichen wissenschaftlichen Projekte der genannten Personen seien nicht die Ursache der Verbundenheit gewesen, sondern ihr Ergebnis. (S. 334f. zur Verbundenheit mit Hauer S. 349f.) Ciurtin gelingt es detailiert die Verbindungen zwischen Politik und Universität aufzuzeigen. Über indirekte Kontakte der Protagonisten zeichne sich ein wissenschaftliches Netzwerk ab. „Pour simplifier tous ce qui peut-être simplifie: religion et politique, mythologie et pouvoir étaitent déjà bel et bien des thèmes de l'histoire des religions; parmi les meilleurs qui les ont aperçu comme tel on compte évidemment Pettazzoni et Eliade.“ (S. 349) Die Religionsgeschichte und der Diskurs über Religion seien instrumentalisiert worden, um die neue Religiosität ihrer Länder und die neuen faschistischen Theorien zu erklären. Der Aufsatz trägt zwar maßgeblich zur Aufarbeitung der Funktion der Religionswissenschaft zur Zeit des Nationalsozialismus bei und betont noch einmal deutlich die länderübergreifende Verbindung zwischen Politik und Akademie, er lässt jedoch eine ideologiekritische Reflexion ebenso vermissen wie die Behandlung theoretischer Probleme.

Kurt Rudolphs Artikel „Joachim Wachs Grundlegung der Religionswissenschaft“ ist der einzige Artikel in dem Sammelband, der sich mit theoretischen Fragestellungen des Faches beschäftigt. Darin würdigt Rudolph den „einzige[n] deutsche[n] Religionswissenschaftler, den das NS-Regime aus dem Land gejagt hat“ (S. 637) als einen Vordenker der heutigen Religionswissenschaft, weil Wach sich in seinen Veröffentlichungen von dem damals vorherrschenden Verständnis der Religionsgeschichte abwende, um mit Hilfe einer „historischen Theorie, der Hermeneutik, [...] Anregungen für die Probleme der Religionswissenschaft zu erhalten.“ (S. 638) Wach halte die Verwirrung in methodischen Grundfragen der Religionswissenschaft für groß und plädiere schon früh für eine kulturwissenschaftliche Religionswissenschaft mit empirischem Charakter. Dabei gehe es Wach um die Emanzipation der Religionswissenschaft von der Theologie und der Religionsphilosophie. „[D]ie Aufgabe der Religionswissenschaft ist die Erforschung und Darstellung der empirischen Religionen.“ (S. 641) Damit grenze Wach die Religionswissenschaft methodisch als historische Disziplin gegen eine spekulative Religionsphilosophie ab. Rudolph gelingt es in seinem kurzen Artikel zentrale Ideen Wachs verständlich darzustellen und behauptet, dass die Beschäftigung mit Wachs Werk auch heute noch entscheidende Impulse für die theoretischen Fragen der Religionswissenschaft leisten könne. Da viele Ideen Wachs in der Religionswissenschaft heute als selbstverständlich gelten, bleibt bedauerlicherweise offen, welche Impulse sich Rudolph von der Lektüre Wachs verspricht.

Abschließende Kritik: Die Einleitung ist auch für Leser interessant, die sich nicht mit der (nationalsozialistischen) Geschichte des Faches beschäftigen, weil es Junginger mit dem Text gelingt, auf allgemeine (häufig wissenschaftstheoretische) Probleme der Religions- und Geschichtswissenschaft hinzuweisen. Deswegen nimmt sie einen besonderen Platz in dem Sammelband ein. Die nachfolgenden Artikel sind aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive sicherlich sehr gut gearbeitet und können mit neuen Informationen besonders zu Eliade aufwarten. Sie bleiben jedoch bei einer bloßen Ansammlung historischer Fakten allzu oft stehen. Sie erfüllen mit Ausnahme des Beitrags von Fritz Heinrich zu selten die in der Einleitung formulierten Ansprüche. Wenn der Leser sich mit der Vergangenheit des Faches zur Zeit des Nationalsozialismus beschäftigen möchte, bietet dieser Sammelband reichlich Gelegenheit dazu. Die ideologiekritische Reflexion muss er jedoch weitestgehend selbständig leisten. Welche theoretischen Probleme durch die historische Aufarbeitung gelöst werden können, bleibt unklar. Diese Fragestellung wird - mit Ausnahme Kurt Rudolphs - von keinem der Autoren wieder aufgegriffen.

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