Cover
Titel
Geistige Nachrüstung. Ronald Reagan und die Deutschlandpolitik der U.S. Information Agency 1981–1987


Autor(en)
Bierganns, Cedric
Reihe
Studien zur Zeitgeschichte (95)
Erschienen
Anzahl Seiten
X, 512 S.
Preis
€ 69,95
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Richard Rohrmoser, Augsburg

„The march of freedom and democracy will leave Marxism-Leninism on the ash heap of history”, erklärte US-Präsident Ronald Reagan am 8. Juni 1982 in einer Rede im britischen Parlament.1 Neun Monate später, am 8. März 1983, bezeichnete er die Sowjetunion in einer Ansprache an die North American Evangelical Alliance in Orlando als „an evil empire“.2 Als die Supermacht im Osten am 1. September 1983 eine zivile Boeing 747 der Korean Air Lines, die sich in den sowjetischen Luftraum verirrt hatte, über internationalen Gewässern abschoss, wodurch alle 269 Personen an Bord zu Tode kamen, warf Reagan der Sowjetunion vor, sich gegen die Welt und ihre moralischen Prinzipien gewendet zu haben.3 Vor diesem Hintergrund ist es durchaus erstaunlich, dass sich die beiden Supermächte in Ost und West bereits wenige Jahre später, am 8. Dezember 1987, in einer historisch einzigartigen Vertrauenskonstellation im Rahmen eines Gipfeltreffens in Washington auf den INF-Abrüstungsvertrag einigen konnten, der die Vernichtung aller boden- und landgestützten Flugkörper mit kürzerer und mittlerer Reichweite (zwischen 500 bis 5.500 Kilometer) festlegte und damit das Ende des Kalten Krieges einläutete.

Während die Geschichtswissenschaften den NATO-Doppelbeschluss, die Nachrüstung und die Friedensbewegung der 1980er-Jahre in der letzten Dekade bereits in den Fokus der Forschung rückten4, blieb die Auswärtige Kultur-, Bildungs- und Informationspolitik der USA unter der Präsidentschaft Ronald Reagans bis dato noch relativ unberücksichtigt. In seiner 2021 als Buch erschienenen Dissertation untersucht der Bonner Historiker Cedric Bierganns, wie die Vereinigten Staaten von Amerika während der Kontroverse um die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen in Europa Einfluss auf die öffentliche und veröffentlichte Meinung in der Bundesrepublik Deutschland nehmen konnten. Basierend auf einem beeindruckend breiten Quellenkorpus schließt Bierganns damit eine bedeutsame Forschungslücke im Hinblick auf die Neue Diplomatie-, Medien- und Strategiegeschichte, ergänzend zur Untersuchung der traditionellen Außenpolitik. Bierganns legt dabei eine über weite Teile sehr flüssig lesbare Publikation vor, die komplementär „Hard-“ und „Soft-Power-Elemente“ der internationalen Beziehungen beleuchtet und letztlich der US-Kultur-, Bildungs- und Informationspolitik sogar einen enormen – jedoch sicherlich diskutablen – Stellenwert zuschreibt: Er behauptet, dass diese „zu einer kostengünstigen Alternative zum stumpf gewordenen Nuklearschwert“ avancierte und dadurch „den erstarrten Kalten Krieg auf einem geistig-kulturellen Ersatzfeld wieder führbar [machte]“ (S. 46).

Nach der Erläuterung zentraler Begriffe, der Formulierung der Erkenntnisziele und einem Überblick zum aktuellen Forschungsstand werden im ersten Kapitel zunächst Ronald Reagans Inszenierung im Fernsehzeitalter, die Gesamtstrategie seiner Administration sowie die United States Information Agency und deren Direktor, Charles Z. Wick, thematisiert. Auf diesen ersten knapp 100 Seiten leidet die Publikation allerdings noch etwas an Sperrigkeit und fehlender Kompaktheit: Um das Forschungsdesiderat in seiner Absolutheit zu erfassen, versucht der Autor zudem, den Untersuchungsgegenstand aus einer essentialistischen Perspektive zu analysieren. Er bedient sich bisweilen bei bedeutungsschweren Zitaten etwa des chinesischen Generals Sun Tsu, Niccolò Machiavellis, Klemens Fürst von Metternichs oder Winston Churchills, mit denen er die Auswärtige Kultur-, Bildungs- und Informationspolitik von US-Präsident Reagan in universeller Manier erläutern will. So zitiert Bierganns beispielsweise den ehemaligen Premierminister Großbritanniens mit den Worten „[j]e länger man zurückschauen kann, desto weiter kann man nach vorne blicken“, um die Kenntnis der Geschichte für eine zukunftsfähige Politik zu akzentuieren (S. 49). An späterer Stelle konstatiert er ferner, dass „[d]er Erfolg einer Rede in einer Parlamentsversammlung […] fast ausschließlich vom Nimbus des Redners ab[hängt], keineswegs von den Gründen, die er vorbringt“ (S. 162). Stichwortgeber für diese vermeintliche Erkenntnis ist diesmal der französische Psychologe Gustav Le Bon und dessen Werk „Psychologie der Massen“. Schließlich bezieht sich Bierganns sogar auf ein Diktum des US-amerikanischen Illusionskünstlers David Copperfield („Illusion gives us the stuff of survival“, S. 419), was leider dem ohnehin omnipräsenten „Große Männer machen Geschichte“-Narrativ in dieser Dissertation zusätzlich Vorschub leistet.

Ab dem zweiten Kapitel wird die Publikation deutlich ertragreicher: Anschaulich beschrieben wird Reagans erstmalige Unterbreitung der sogenannten „Nulllösung“ – der Vorschlag für einen vollständigen Verzicht auf die Stationierung neuer Waffensysteme auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs –, den Bierganns einer detailreichen Forschung folgend als einen „Eröffnungszug zwischen Scheinangebot und Beruhigungsmittel“ resümiert (S. 119). Ebenso aufschlussreich ist seine Darstellung, wie das Weiße Haus die öffentliche Berichterstattung über den sich abzeichnenden Zweiten Kalten Krieg ab Dezember 1981 auf einen Nebenschauplatz lenkte, als die polnische Volksarmee unter der Führung von General Jaruzelski das Kriegsrecht ausrief: Die für Öffentlichkeitsarbeit bzw. Public Diplomacy zuständige United States Information Agency produzierte daraufhin in Zusammenarbeit mit dem US-Verteidigungsministerium den 90-minütigen Film „Let Poland be Poland“, in dem westliche Regierungschef:innen und Politiker:innen ihre Solidarität mit der polnischen Bevölkerung aussprechen. Den daraus resultierenden Druck der Weltöffentlichkeit auf den Ostblock fasst Bierganns überzeugend zusammen: „Was für Moskau die Friedensbewegung im Westen, war für Washington die polnische Gewerkschaftsbewegung im Osten.“ (S. 145)

In diesem Stil werden in den weiteren Kapiteln beispielsweise Reagans erster Europabesuch, die Initiativen im amerikanisch-deutschen Jugendaustausch oder die Amerikahäuser und deren kulturelles Veranstaltungsprogramm als Transmissionsriemen einer „Soft-Power-Politik“ beleuchtet. Ebenso werden die moralische Desavouierung des Sowjetimperiums infolge des Abschusses der zivilen Boeing 747 der Korean Air Lines oder der durch die 1983 lancierte Strategic Defense Initiative (SDI) artikulierte technische Superioritätsanspruch der Vereinigten Staaten thematisiert, bevor die Publikation ihren fruchtbarsten Abschnitt erreicht: In den letzten beiden Kapiteln richtet Bierganns seinen Fokus auf die Wiederaufnahme der im November 1983 abgebrochenen Abrüstungsgespräche, nachdem Michail Gorbatschow am 12. März 1985 sein Amt als Generalsekretär der KPdSU antrat. Akribisch analysiert Bierganns, dass das vor allem für die Fernsehkameras inszenierte Verhältnis zwischen den beiden Spitzenpolitikern nicht frei von eitlen Befindlichkeiten, weltanschaulichen Rivalitäten und forschen Selbstinszenierungen war, dass jedoch letztendlich die Kongenialität von Ronald Reagan und Michail Gorbatschow Vertrauen zwischen den Supermächten in Ost und West kreierte, so dass alte Feindbilder verblassten und nach den Gipfeltreffen in Genf 1985 und in Reykjavík 1986 der historische INF-Abrüstungsvertrag am 8. Dezember 1987 unterzeichnet werden konnte. Besonders einleuchtend ist an dieser Darstellung die bereits zu Beginn der Publikation postulierte These, wonach Vertrauen „als das wichtigste Kapital der Auswärtigen Kultur-, Bildungs- und Informationspolitik [fungiert]“ (S. 14).

Insofern legt Bierganns eine sorgfältig recherchierte, schlüssig strukturierte und auf jeden Fall erkenntnisreiche Studie über die öffentlichkeitswirksame Diplomatie- und Strategiegeschichte der USA in den 1980er-Jahren vor. Ebenso wie er seine Dissertation als Komplement zur traditionellen Außen- und Sicherheitspolitik dieser Zeitspanne beschreibt und dazu nachdrücklich auf Reagans Standpunkt „[I]n this age, traditional diplomacy is not enough“ verweist (S. 2), ist es jedoch unerlässlich, ergänzend zu diesem Werk ebenso die Forschungsergebnisse bezüglich der internationalen Friedensbewegung und des zivilgesellschaftlichen Engagements zu berücksichtigen. Schließlich besteht in der Geschichtswissenschaft längst Konsens darüber, dass sich im Zweiten Kalten Krieg ein starkes Paradox entwickelte, wonach eben nicht nur große Männer wie Ronald Reagan, sondern ebenso die unabhängige Friedensbewegung einen entscheidenden Anteil am Ende des Ost-West-Konfliktes hatte, weil diese durch ihren Protest die Plausibilität eines westdeutschen Revanchismus substanziell entkräften konnte und somit einen emotionalen Brückenschlag – Stichwort „Vertrauen“– zu Gorbatschows Führungskreis kreierte.5

Anmerkungen:
1 Zitiert nach: Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1984, hrsg. im Auftrag des Auswärtigen Amts vom Institut für Zeitgeschichte, Berlin 2014, S. 914.
2 Siehe dazu: Simon Miles, Engaging the Evil Empire. Washington, Moscow, and the Beginning of the End of the Cold War, Ithaca 2020.
3 Vgl. David Hoffmann, Tone of Reagan Speech was Delicately Balanced, in: The Washington Post, 06.09.1983, https://www.washingtonpost.com/archive/politics/1983/09/06/tone-of-reagan-speech-was-delicately-balanced/a78d97c1-977e-420e-aab9-17a3199c5dc9/ (01.01.2023).
4 Siehe beispielsweise: Christoph Becker-Schaum / Philipp Gassert / Martin A. Klimke u.a. (Hrsg.), „Entrüstet Euch!“. Nuklearkrise, NATO-Doppelbeschluss und Friedensbewegung, Paderborn 2012; Philipp Gassert / Tim Geiger / Hermann Wentker (Hrsg.), Zweiter Kalter Krieg und Friedensbewegung: Der NATO-Doppelbeschluss in deutsch-deutscher und internationaler Perspektive, Berlin 2011; Susanne Schregel, Der Atomkrieg vor der Wohnungstür. Eine Politikgeschichte der neuen Friedensbewegung in der Bundesrepublik 1970–1985, Frankfurt am Main 2011.
5 Siehe dazu: Michael Ploetz, Wie die Sowjetunion den Kalten Krieg verlor, München 2000, S. 352.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Kooperation
Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
Klassifikation
Epoche(n)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension