R. Steinmetz u.a. (Hrsg.): Deutsches Fernsehen Ost

Cover
Titel
Deutsches Fernsehen Ost. Eine Programmgeschichte des DDR-Fernsehens


Herausgeber
Steinmetz, Rüdiger; Viehoff, Reinhold
Erschienen
Anzahl Seiten
607 S. + DVD
Preis
€ 39,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christina Bartz, SFB/FK 427 - Kulturwissenschaftliches Forschungskolleg "Medien und kulturelle Kommunikation", Universität zu Köln

Die Kultur- und Medienpolitik der DDR wird gerne unter der Prämisse der linearen Umsetzung der politischen Vorgaben von ‚oben’ (Zentralkomitee) nach ‚unten’ betrachtet. In diesem Rahmen werden Massenmedien als reine Verlautbarungsorgane für ideologische und politische Überzeugungen verstanden. Mit dieser Prämisse erübrigen sich dann weiterführende methodische Überlegungen zur Untersuchung kulturpolitischer Gegenstandsbereiche. Ihre Analyse beschränkt sich auf eine Identifizierung der ideologischen Ziele in den kulturellen Artefakten. Dass diese Herangehensweise zu kurz greift, zeigt der voluminöse Abschlussband der DFG-Forschergruppe „Programmgeschichte des DDR-Fernsehens“, der jetzt unter dem Titel „Deutsches Fernsehen Ost“ vorliegt und das komplizierte Wechselverhältnis von politischen Vorgaben, technischen und ästhetischen Innovationen sowie Medienrezeption im Detail vorstellt.

Der Band liefert eine Rekonstruktion der Programmentwicklung des DDR-Fernsehens von seinen institutionellen Anfängen in den Nachkriegsjahren bis zum Versuch eines Neubeginns unter demokratischen Verhältnissen 1991 und hat dabei gleichermaßen herrschafts- wie medienhistorische Problemstellungen im Blick. Er fragt nach der Entwicklung der unterschiedlichen Sendungstypen, das heißt wie sie in das Gesamtprogramm eingebunden sind, unter welchen Bedingungen sie sich ausdifferenzieren und gegebenenfalls auch wieder verworfen werden und wie ihre Entwicklung verläuft. Dabei werden organisatorische Strukturen, intermediale Effekte, technische Möglichkeiten, ästhetische Konzepte und parteipolitische Forderungen in die Untersuchung mit einbezogen. Letzteres steht immer wieder im Zentrum der Analyse, weil die Parteispitze zum einen die Zielsetzung für das Fernsehen formuliert und zum anderen die institutionelle Struktur geprägt hat.

Dessen ungeachtet gilt es auch diese Vorgaben differenziert zu betrachten, wie der Band zeigt. Als Beispiel kann die Frühphase des DDR-Fernsehens dienen, weil hier marxistisch-sozialistische Unterhaltungskonzepte auf ein bildungsbürgerliches Ressentiment gegenüber Formen des Amüsement treffen, wie sie seit dem 19. Jahrhundert in Deutschland formuliert wurden und somit auch in der Nachkriegszeit noch präsent sind. Solche Traditionsbildungen sind an der Formierung der Erwartungen der Zuschauer an das Fernsehen ebenso beteiligt wie bestehende Erfahrungen der Rezipienten mit anderen Medien. Diese Erwartungen – das macht die Forschergruppe immer wieder deutlich – können auch in einer diktatorischen Herrschaftsform wie der DDR nicht ignoriert werden, denn ohne „Zuspruch des Publikums konnten die intendierten Ziele nicht erreicht werden.“ (S. 78) Sie müssen daher auch bei der Untersuchung des DDR-Fernsehens mit einbezogen werden.

Ein weiterer Aspekt, dem die Untersuchung viel Aufmerksamkeit schenkt, ist die Systemkonkurrenz der beiden deutschen Staaten, die einen erheblichen Effekt auf die Programmproduktion und -rezeption sowie die Herausbildung von Genres hatte. Mit dem Begriff des „kontrastiven Dialogs“ wird die Bedeutung des bundesrepublikanischen Fernsehangebots für die Programmentwicklung des ostdeutschen Fernsehens beschrieben, das sich ständig in Bezug auf das bundesrepublikanische Programm entworfen hat.

Um den Gegenstandsbereich zu analysieren, befasst sich der Band nicht mit der Programmgeschichte in ihrer Gesamtheit, sondern fokussiert ausschließlich unterhaltende Genres. Dies bringt den Vorteil mit sich, dass „damit eine ganz spezifische systeminterne Belastung der informierenden, publizistischen Genres ausgeblendet werden“ kann, weil diese „an der gemeinsam erlebten Wirklichkeit gemessen werden“ (S. 17) und dieser Überprüfung in der Regel nicht standhalten. Die Entwicklung des televisuellen Unterhaltungssegments wird in chronologischer Reihenfolge vorgestellt. Das ist insofern bemerkenswert, als damit eine Gliederung nach Teilprojekten und damit nach deren thematischen beziehungsweise genrespezifischen Zugängen umgangen wird, wodurch eine starke Vernetzung der Teilprojekte zu Tage tritt. Statt der üblichen Präsentationsweise, bei der jedes Teilprojekt seine Ergebnisse einzeln vorstellt und mit Autorennamen signiert, stellt der Abschlussband ein Gemeinschaftswerk dar, das unter der Federführung der Sprecher der Forschergruppe erschienen ist.

Im Anschluss an eine ausführliche Einleitung, die sich vor allem mit den vier Aspekten Instrumentalisierung, Unterhaltung, Genres und Zuschauerforschung theoretisch differenziert und gegenstandsbezogen auseinandersetzt, folgt eine historische Aufarbeitung der Programmgeschichte, deren Kapiteleinteilung chronologisch vorgeht. Dass dabei fast in Dezenniumsschritten vorgegangen wird, lässt sich für jedes Jahrzehnt gut begründen: Nach einer Etablierungsphase in den 1950er-Jahren, folgt in den 1960er-Jahren die Konsolidierung: die Marke von einer Millionen angemeldeter Empfangsgeräte wird überschritten, es etabliert sich eine feste Programmstruktur und es kommt zu einer Ausdifferenzierung im Bereich der Organisation. Mit dem Mauerbau 1961 geht zudem auch eine spezifische Indienstnahme des Fernsehens einher, das nun eine eigene sozialistische Nationalkultur propagieren soll. Die nächste Phase beginnt mit dem Machtwechsel von Walter Ulbricht zu Erich Honecker 1971, mit dem zum einen eine erhebliche Ausdehnung des Unterhaltungsangebots des Fernsehens und zum anderen Hoffnungen auf eine Änderung der restriktiven Kulturpolitik verbunden sind. Weil sich diese Hoffnungen aber nicht erfüllten, wie spätestens mit der Ausweisung Wolf Biermanns 1976 deutlich wird, sind die 1980er-Jahre von Stagnation geprägt, bevor dann mit dem Mauerfall der Versuch eines Neubeginns unternommen wird.

Die Unterteilung in diese Phasen basiert auf einem Periodisierungsmodell, das die Forschergruppe erstellt hat, um „strukturelle Ähnlichkeiten zwischen Entwicklungsverläufen unter ganz unterschiedlichen ‚Rahmenbedingungen’ sichtbar werden“ zu lassen. (S. 539) Insofern beansprucht das Modell Gültigkeit über die Programmgeschichte des DDR-Fernsehens hinaus und wird als allgemeiner Beitrag zur medienwissenschaftlichen Forschung verstanden. Denn dieses „Phasenmodell geht […] von weitgehend analogen und weitgehend evolutionär notwendigen – das heißt auch in ihrer Abfolge fixierten – Stufen sozialer Aggregationen in der einzelnen Gattungs- wie in der gesamten Systemevolution des Programms aus“ (S. 539). Auch wenn das Modell für die Periodisierung der Programmgeschichte der DDR hohe Plausibilität besitzt, ließe sich über die starke Behauptung einer Notwendigkeit von entwicklungsgeschichtlich einheitlich verlaufenden Stufen diskutieren.

Zu Beginn der Vorstellung jeder Phase beziehungsweise jedes Kapitels findet sich eine knappe Einleitung, in der die wichtigsten Ereignisse und Veränderungen des Dezenniums genannt werden, wodurch sich der Leser schnell orientieren kann. Ebenfalls zur Orientierung dient ein Organigramm zu jedem Jahrzehnt, das die organisatorische Struktur der Institution Fernsehen veranschaulicht. Die Organigramme bieten eine gute Übersicht über die Akteure der Programmproduktion und ermöglichen in der Regel einen schnellen Einblick in institutionelle Veränderungen, wie zum Beispiel die Schaffung neuer Ressorts.

Entwicklungsverläufe im Bezug auf die Herausbildung von Formaten werden zudem durch die anschauliche und detailreiche Schilderung zahlreicher Filmbeispiele deutlich, die zum Teil auch Kurioses zu Tage fördern. Die Forschergruppe hat nach eigenen Angaben 4.000 Sendungen gesichtet, wovon mindestens ein Viertel in Form von Beschreibungen und Analysen Eingang in die Publikation gefunden haben. Zudem ist dem Buch eine DVD beigefügt, die 54 Sendungsausschnitte als Programmbeispiele enthält, die über eine sehr komfortable Benutzerführung anwählbar sind. Zur Orientierung ist jedes Beispiel mit einer schriftlichen Erläuterung versehen, die in der Regel eine kurze Inhaltsangabe und weitere Angaben enthält, die für das Verständnis des Ausschnitts hilfreich sind. Obgleich die Forschergruppe ihnen keine Repräsentativität für das Programm des DDR-Fernsehen zuspricht, geben die Beispiele einen guten Einblick in die unterschiedlichen Formate und deren ästhetische Entwicklung. Es wäre jedoch wünschenswert gewesen, wenn sich im gedruckten Fließtext Hinweise auf den Filmausschnitt der jeweils besprochenen Sendung finden würden. Ohne solche Verweise zwischen Buch und DVD entwickelt letztere ihr Potential vor allem als interessanter Schnelldurchgang durch die 40-jährige Geschichte der Fernsehunterhaltung der DDR.

Die umfangreiche Materialsichtung, die der Untersuchung zugrunde liegt, und die methodische Verbindung von politik- und medienhistorischen Fragenstellungen machen den Band zu einem zentralen Beitrag zur Fernseh- und Programmgeschichtsschreibung zur DDR.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension