Die vorliegende Arbeit beruht in ihrem Ansatz auf der 2015 an der Universität Lancaster (England) verfassten Dissertation des Verfassers, wurde aber von diesem von Grund auf neu überarbeitet und erweitert. Als Grundlagen dienten ihm, neben anderen archivalischen Quellen, vor allem die im Archiv der Israelitischen Kultusgemeinde Wien liegenden Akten sowie die Bestände des United States Holocaust Memorial Museums in Washington, das umfangreiche Verfilmungen des in Jerusalem verwahrten historischen Archivs der Wiener Israelitischen Kultusgemeinde besitzt. Der Aufbau der Arbeit gliedert sich nach chronologischen Gesichtspunkten, so folgt nach einer thematischen Einführung eine Beschreibung jüdischer Friedhöfe im Allgemeinen, die nachfolgenden Kapitel behandeln die jüdischen Friedhöfe in der Seegasse, jenen in Währing, den alten jüdischen Teil des Wiener Zentralfriedhofs (1. Tor) sowie den neuen jüdischen Friedhof (4. Tor).
Vertieft behandelt der Verfasser im Kapitel 8 den neuen jüdischen Friedhof während der Shoa und in Kapitel 9 die Orthodoxisierung des jüdischen Bestattungswesens in der Ära Ernst Feldsbergs als Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde. Diese beiden Kapitel, zu denen dem Verfasser reichliches Quellenmaterial zur Verfügung stand, sind zweifellos die gelungensten des Buches. Dessen Schwächen offenbaren sich allerdings dementsprechend dort, wo breitere Kenntnisse der sehr unterschiedlichen Traditionen und Lebenswelten der jüdischen Gesellschaften im Raum der österreichisch-ungarischen Monarchie notwendig gewesen wären. Beispielhaft manifestiert sich dies vor allem in den Kapiteln 4 und 5, in denen der Verfasser versucht, die Geschichte des Währinger Friedhofs (Kapitel 4) und des Ersten Tors (Kapitel 5) zu erzählen. Problematisch ist hier vor allem, dass der Verfasser die sehr unterschiedlichen jüdischen Sepulkralkulturen jener Gemeinden, aus denen ab 1850 die Zuwanderung nach Wien erfolgte, ignoriert. So erschließen sich ihm weder die sozialen Ordnungsprinzipien, nach denen die Gemeinden ihre Friedhöfe organisierten, noch gelang es ihm, ein Sensorium für die sozialen und genealogischen Bezüge der von ihm betrachteten Grabsteine zu entwickeln. Aus dieser Unkenntnis der Verhältnisse resultieren eklatante Fehleinschätzungen, so zum Beispiel auf S. 323, wo er bezüglich der Gruft der Familie Magyar „kleinbürgerliche Laudationen“ einer Familie der „mittleren Schicht“ zu erkennen glaubt. Dass die Familie Magyar zu den führenden jüdischen Familien Temesvárs, damals eine pulsierende Handelsstadt, gehörte (wovon man sich durch einen Besuch auf dem gut erhalten dortigen jüdischen Friedhof hätte überzeugen können), weiß der Verfasser ebensowenig wie den Umstand, dass Katharina Magyar geb. Deutsch zu einer der zentralen Großhändlerdynastien Budapests gehörte. Dass ihre katholisch gewordene Schwester Fanny die Ehefrau des Wiener Polizeipräsident Anton Ritter von Le Monnier war und dass ihr Sohn Emmerich Magyar unter dem Künstlernamen „Robert“ ein gefeierter Burgtheaterschauspieler seiner Zeit war, unterstreicht die Bedeutung der Familie weiter.
Auf S. 322 geht der Verfasser, ohne seine Quellen zu nennen, auf Alois Cavaliere de Kuffner ein, der viele Jahre als Kaufmann in Mailand und Livorno lebte, spätestens dem Lektorat hätte auffallen können, dass der Titel eines „Cavaliere“ kein französischer Adelstitel ist. Auf S. 340 beschreibt er den Wiener Bankier Eduard Ritter Wiener von Welten „als im Prager Ghetto geboren“ – abgesehen davon, dass schon der Großvater des Bankiers Michael Herschmann Wiener einer der größten Textilfabrikanten Prags war, lebte die Familie schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts in der Prager Altstadt, dementsprechend ist Eduard Wiener dort im Haus 208-I. am Prager Annaplatz geboren; das Haus gehörte seinem Vater Hermann und seinem Onkel Nathan. Der Döblinger Friedhof wird auf lediglich vier Seiten abgehandelt (S. 349–352), wo fälschlich behauptet wird, dass es sich um keinen rein jüdischen Friedhof handelt und dass die dort geübte Praxis, Gräber aufzulassen und neu zu vergeben, „nicht einmal im liberalsten Sinn als jüdisch verstanden werden kann“. Die strenge Dogmatik, dass ein jüdisches Grab immerwährend sei und nicht aufgelassen werden darf, wurde im 19. und frühen 20. Jahrhundert viel pragmatischer gesehen als heute. Entscheidend war offensichtlich nicht, dass das Grab bestehen bleibt, sondern nur, dass die sterblichen Überreste am jüdischen Friedhof verbleiben. So wurden auf dem jüdischen Friedhof in Brünn, einer Wien sehr ähnlichen Gemeinde, jene Felder, in denen in den 1850er- bis 1870er-Jahren kleine Kinder oder mittellos Verstorbene begraben wurden, ab den 1930er-Jahren mit neuen Gräbern belegt. Nur wenn das Grab einen Stein hatte, sah man davon ab. Dass die israelitische Abteilung des Döblinger Friedhofs, wie vom Verfasser geschildert, keinen rein jüdischen Charakter mehr hat, ist vor allem den Abräumungen der 1950- und 1960er-Jahre geschuldet. Damals wurden allerdings die sterblichen Überreste und die Grabsteine auf den neuen jüdischen Friedhof überführt.
Eine zentrale Quellengruppe, die der Verfasser nicht nur nicht verwendet, sondern offenbar vollständig ignoriert hat, sind die Matriken der israelitischen Kultusgemeinde. Bei Konsultation des Sterbebuchs der ehemaligen Gemeinde in Fünfhaus für die Jahre 1873–1892 hätte ihm auffallen müssen, dass nicht alle jüdisch Gestorbenen auch auf einem jüdischen Friedhof begraben wurden. Kleine Kinder und Totgeburten wurden auch auf den christlichen Friedhöfen in Baumgarten, Penzing und Meidling begraben, auch das ein Hinweis auf die wenig dogmatische Sichtweise der damaligen Zeit. Der Verfasser hat auch davon abgesehen, die beiden zentralen Zeitungen „Die Neuzeit“ in Wien und „Ben Chananja“ in Szegedin in Hinblick auf seine Fragestellungen auszuwerten. Nachdem „Ben Chananja“ speziell in der Auseinandersetzung zwischen der Orthodoxie und den liberaleren Strömungen eine zentrale Stellung zukommt, eine kaum entschuldbare Unterlassung.
Vor allem der im ganzen 19. Jahrhundert schwelende Streit bezüglich des Blumenschmucks auf jüdischen Gräbern hätte im Rahmen dieser Arbeit ausführlicher behandelt werden müssen. Intensiv befaßt sich das Buch nicht nur mit den jüdischen Friedhöfen Wiens im 19. und frühen 20. Jahrhundert, sondern auch mit deren Schicksal während der NS-Zeit. Der Verfasser scheint indes kein intimer Kenner der Wiener Archive oder ihrer Bestände zu sein. Dies verleitet ihn, mitunter in unpassendem Tonfall, zu ungerechtfertigten Anschuldigungen. So beruft er sich etwa auf S. 557 bezüglich der angeblich im Wiener Stadt- und Landesarchiv fehlenden „Entnazifizierungsakten“ Robert Körbers auf eine Auskunft des Österreichischen Staatsarchivs und fügt bissig hinzu „fehlende beziehungsweise deplatzierte Akten aus der NS-Zeit sind in den Nachkriegsarchiven Österreichs wohlgemerkt keine Seltenheit“. Hätte er sich die Mühe gemacht, das richtige Archiv zu fragen oder sich mit der Genese der Akten zu beschäftigen, hätte ihm auffallen müssen, dass die Voraussetzung für eine allfällige Entnazifizierung ein vorhergehende Registrierung Körbers als Nationalsozialist gewesen wäre. Eine solche ist nach bisherigem Kenntnisstand nicht nachweisbar. Auch verliert sich seine Spur nach dem Zweiten Weltkrieg keineswegs, sondern er starb 1980 in Bünde bei Bielefeld, wo er sich nach dem Zweiten Weltkrieg als antisemitischer Schriftsteller betätigte. Auch der im selben Absatz genannte Andreas Tröster, der bis zu seinem Tod 1971 in Kagran lebte, kann aus oben genannten Gründen keinen „Entnazifizierungsakt“ haben, weil er nicht als Nationalsozialist registriert war.
Es ist schade, dass einem Buch dieses Umfangs kein Orts- und Sachindex beigegeben wurde und in den allgemein gehaltenen, nicht auf Archivalien beruhenden Teilen, die offenbar verwendete Literatur nicht immer sauber zitiert wird. Die auf archivalischen Quellen beruhenden Teile des Buches sind zweifellos von großer Gründlichkeit und bilden eine Bereicherung der Geschichte der jüdischen Friedhöfe in Wien.