J. Kreienbaum: Das Öl und der Kampf um eine Neue Weltwirtschaftsordnung

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Titel
Das Öl und der Kampf um eine Neue Weltwirtschaftsordnung. Die Bedeutung der Ölkrisen der 1970er Jahre für die Nord-Süd-Beziehungen


Autor(en)
Kreienbaum, Jonas
Reihe
Studien zur Internationalen Geschichte
Erschienen
Anzahl Seiten
354 S., 6 Abb., 11 Tab.
Preis
€ 59,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Robert Heinze, Abteilung Geschichte Afrikas, Deutsches Historisches Institut Paris

Die Geschichte des Neoliberalismus wird immer noch mit wenigen Ausnahmen als eine auf die globalen kapitalistischen Zentren fokussierte Geschichte geschrieben, in der der globale Süden oft als Opfer von Prozessen, die anderswo entschieden wurden, vorkommt.1 Jonas Kreienbaum hat mit seinem Buch „Das Öl und der Kampf um die Neue Weltwirtschaftsordnung“ eine Studie vorgelegt, die die „Dritte Welt“ und ihren großangelegten Versuch, eine Umstrukturierung des globalen Kapitalismus zu erreichen, ins Zentrum stellt.

Dass diese „Neue Weltwirtschaftsordnung“ (NWWO) – als ideologischer Entwurf wie als konkreter Maßnahmenkatalog zur Gestaltung einer gerechteren Weltordnung – letztlich scheiterte, ist, so zeigt Kreienbaum, nicht allein Resultat der Verweigerung und aktiven Bekämpfung der NWWO durch westliche Staaten; vielmehr war es auch die im Verlauf des Versuchs immer stärker zutage tretende Uneinigkeit und Interessensdivergenz der „Dritten Welt“ selbst, die es ihr immer schwerer machte, die NWWO auf globaler Ebene durchzusetzen. Die „Dritte Welt“ als Thirdworldism, als Projekt der Vereinigung der Staaten, die in der globalen kapitalistischen Arbeitsteilung zu den Ausgebeuteten gehörten, scheiterte ebenfalls daran. Die Ölkrisen, argumentiert Kreienbaum, spielten dabei eine paradoxe Rolle: der Einsatz der „Ölwaffe“ durch die Organization of the Petroleum Exporting Countries (OPEC) ermöglichte es, den Westen unter Druck zu setzen, die weitgehenden Reformen der NWWO zumindest zu verhandeln und Zugeständnisse zu machen; gleichzeitig aber trafen die durch den hohen Ölpreis und folgende Einbrüche anderer Rohstoffpreise ausgelösten Krisen gerade die Volkswirtschaften der auf Rohstoffexporte angewiesenen Staaten weit stärker und trieben einen Keil in die Einigkeit der „Dritten Welt“.

Die Geschichte der NWWO beginnt nicht mit den Ölkrisen, sondern mit einer Erkenntnis der ersten Generation antikolonialer Staatschefs: Der politischen Unabhängigkeit wurden durch weiter bestehende wirtschaftliche Abhängigkeiten enge Grenzen gesetzt. Die Dependenztheorie postulierte, dass es die Struktur des globalen Kapitalismus selbst war, in der die „Entwicklung“ der industrialisierten Länder die „Unterentwicklung“ des globalen Südens bedingte. Die stetige Verschlechterung der Terms of Trade, des Austauschverhältnisses zwischen Exporten und Importen, basierte auf der Tatsache, dass die ehemals kolonisierten Staaten vor allem Rohstoffe exportierten, aber die daraus gefertigten Produkte importieren mussten. Dies machte sie zudem anfälliger für Konjunkturkrisen.

Während die Staaten der „Dritten Welt“ (ein Begriff, den Kreienbaum, als Eigenbezeichnung historisch kontextualisiert, begründet verwendet) als Konsequenz daraus intern die relativ hohen Rohstoffpreise in den 1960er- und zu Beginn der 1970er-Jahre zu nutzen versuchten, um durch importsubstituierende Industrialisierung (ISI) heimische produzierende Branchen aufzubauen, nahmen sie sich zunehmend im Kontext der Konferenz im indonesischen Bandung im Jahr 1955 und der daraus schließlich entstandenen „Blockfreien Bewegung“ auch außenpolitisch die ungleiche Struktur des globalen Kapitalismus vor. Dies gipfelte bereits kurz vor der ersten Ölkrise 1973 auf dem vierten Treffen der Blockfreien in Algier in dem Ruf nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung.

Kreienbaum erzählt diese Geschichte als die einer zunehmenden Radikalisierung, von der Gründung der Welthandelskonferenz (UNCTAD) im Rahmen der Vereinten Nationen im Jahr 1964, über den Gipfel der „Blockfreien“ in Lusaka 1970 (auf dem, unter dem Einfluss des Gastgebers Kenneth Kaunda, relativ moderate Forderungen formuliert wurden), und einer folgenden Radikalisierung unter den linkeren Staatschefs Allende (auf der dritten UNCTAD-Konferenz 1972 in Santiago de Chile) und schließlich dem algerischen Houari Boumedienne. Die Algerier schlugen dazu auch konzertierte Aktionen vor, die Bildung von Rohstoffkartellen und vor allem den Einsatz (im Kontext der heraufziehenden Ölkrise) der „Ölwaffe“. Diesem Höhepunkt folgend setzten sich die „Moderaten“ innerhalb des Staatenbündnisses zunehmend durch, während es in der veränderten weltpolitischen Konstellation nach der zweiten Ölkrise immer schwieriger wurde, die radikalen Forderungen der ersten Phase durchzusetzen.

Die politisch-organisatorische Geschichte der NWWO und anderer zentraler Projekte der „Dritten Welt“, wie der Bewegung der „Blockfreien“, ist seit einigen Jahren ein wichtiges, aber noch lange nicht auserforschtes Thema; auch einige einzelne Beispiele wie Tansania oder Algerien sind dabei thematisiert worden.2 Kreienbaum unterfüttert die in diesem Bereich noch dominante politische und Ideengeschichte mit einer Wirtschaftsgeschichte der „Dritten Welt“ und verschaltet globale und lokale Analyseebenen mit einer Fallstudie; so gelingt ihm eine verdichtete Analyse des wirtschaftspolitischen Projekts der NWWO und der Gründe seines Scheiterns.

Bereits während der ersten Ölkrise zeigten sich die etwas verschoben übereinander gelagerten Spannungen innerhalb der Gruppe der „Blockfreien“, einerseits politischer Art – zwischen „Moderaten“ und „Radikalen“ –, andererseits wirtschaftlich, nämlich der Interessenkonflikt zwischen den OPEC-Staaten, die den Ölpreis hochtrieben, und ihren Abnehmern aus der „Dritten Welt“, die noch mehr unter dem Preis litten als westliche Industrieländer – vor allem die USA, die ihre eigene Produktion hochfahren konnte. Während die OPEC sich weigerte, den Preis für die „Entwicklungsländer“ zu reduzieren, blieb dennoch die politische Solidarität insofern geschlossen, als die „Ölwaffe“ explizit genutzt wurde, um die NWWO auf die Tagesordnung internationaler Konferenzen zu setzen und Zugeständnisse zu erreichen. Für die „NoPECs“ war klar, dass OPEC nicht der Grund für ihre wirtschaftlichen Probleme und die NWWO der richtige Weg zu ihrer Lösung war. Im Verlauf der Dekade allerdings zeigte sich, dass der Block der „Dritten Welt“ weniger einheitlich war als die ihm angehörenden Staaten annahmen. Nicht nur gab es innerhalb der OPEC Konflikte um die weitere Vorgehensweise, sondern auch der wirtschaftliche Aufstieg größerer Schwellenländer wie Indien oder Brasilien führte zu einer Divergenz der Interessen, und dementsprechend unterschiedlichen Forderungen in globalen Diskussionen.

Diese Konflikte brachen in der zweiten Ölkrise endgültig auf und splitterten die Einheit; gleichzeitig sorgte eine Mischung aus tatsächlich durch die NWWO angeregten (wenn auch letztlich unzureichenden) Reformen, der einsetzenden Schuldenkrise und der Diversifizierung der Energiequellen westlicher Länder dafür, dass die Position des Südens in der Folge wesentlich geschwächt war. Kreienbaum betont „endogene“ Faktoren, ohne „exogene“ zu vernachlässigen.

Dies gelingt ihm vor allem durch den Einbezug einer Fallstudie, die aus Sicht des Rezensenten kaum besser gewählt sein könnte. Sambia, zu Beginn der 1970er-Jahre einer der größten Hoffnungsträger der „Dritten Welt“, gehört mit Sicherheit zu den Ländern, die von den Öl- und folgenden Schuldenkrisen am schlimmsten getroffen wurden. Die spezifische Mischung aus externen Faktoren – die drastische Erhöhung des Ölpreises bei gleichzeitigem tiefem Fall der Kupferpreise in der von der Ölkrise ausgelösten Rezession – und intern zunehmend schwerfällig agierender, autoritärer Politik zeigt deutlich und in wahrscheinlich stärkerem Kontrast als andere Fälle die existenziellen Schwierigkeiten, denen sich „Entwicklungsländer“ in dieser Zeit ausgesetzt sahen, und die sich in einer Abwärtsspirale gegenseitig beschleunigten, um schließlich in den 1980er-Jahren zu Hungeraufständen und zum Sturz der Regierung Kaunda beizutragen. Dem Fallbeispiel hätte Kreienbaum mehr Platz einräumen können, aber auch so dient es immer wieder als Schlaglicht, um die lokalen Auswirkungen der Krisen und wirtschaftspolitischen Konflikte eines ungleichen globalen Kapitalismus deutlich zu machen. Auch die Auswirkungen in anderen Ländern macht Kreienbaum zum Thema, aber für das Fallbeispiel Sambia sind sie durch wichtige Archivrecherchen vor Ort, besonders im Archiv der sambischen United National Independence Party (UNIP), substantiell und detailreich unterfüttert.

Eine etwas schwerer wiegende Kritik ist, dass zwischen dem Globalen und dem Lokalen wenig Raum für den regionalen Faktor bleibt. Insbesondere die in dem Fächer zwischen globalen Institutionen, internationalen Konferenzen auf verschiedenen Ebenen, arabischen OPEC-Ländern und dem NoPEC-Land Sambia entscheidenden zwei Konflikte der 1970er-Jahre, nämlich die arabisch-israelischen Kriege und die (Bürger-)Kriege um die portugiesischen Kolonien und Apartheidstaaten im südlichen Afrika, spielen nur eine geringe Rolle im Buch. Zwar erwähnt Kreienbaum, dass die für das Binnenland Sambia entscheidende Straßenverbindung von Lusaka zum Hafen von Durban zeitweise durch den Boykott der Apartheidregime gesperrt war und sich massiv auf seine bereits gebeutelte Wirtschaft auswirkte; ebenso ist richtig, dass die alternative Verbindung durch die Eisenbahnlinie nach Dar es Salaam (TAZARA) und die parallel verlaufende Ölpipeline nie ausreichend in Betrieb genommen wurde. Doch bleibt die TAZARA eines der wichtigsten Süd-Süd-Kooperationsprojekte, und vor allem die materielle Unterstützung der antikolonialen und Anti-Apartheid-Bewegungen durch die sambische Regierung wirkte sich auch ökonomisch stark aus. Ebenso bleibt der arabisch-israelische Konflikt, in dem wichtige OPEC-Staaten die „Ölwaffe“ ebenso zum Zweck der Durchsetzung ihrer politischen Ziele einsetzen wollten, unterbelichtet. Dabei wäre durchaus wichtig, zu erfahren, inwiefern dieses Thema für andere blockfreie Staaten ein Thema blieb – der sambische Präsident Kenneth Kaunda zum Beispiel hatte sich bereits im Sechs-Tage-Krieg von Israel abgewandt und seine Solidarität mit den Palästinensern erklärt und damit – wie andere, afrikanische Staaten auch – das abrupte Ende der entwicklungspolitischen Kooperation mit Israel ausgelöst. Auch die Rolle der sozialistischen Staaten bleibt blass. War es tatsächlich so, dass sie wenig an dem Konflikt um die NWWO interessiert waren? Insbesondere die verstärkte Kooperation Chinas mit afrikanischen Staaten scheint dagegen zu sprechen.

Die Bedeutung von Jonas Kreienbaums Studie wird dadurch allerdings nicht geschmälert; mit ihr liegt erstmals eine umfassende wirtschaftshistorische Darstellung des Projekts der NWWO vor, die durch konsequente Einnahme der Perspektive der „Dritten Welt“ zeigen kann, dass ihr Scheitern nicht allein durch die Unnachgiebigkeit des Westens, sondern auch durch zunehmende Divergenz politischer und ökonomischer Interessen innerhalb des Blocks der „Entwicklungsländer“ zu erklären ist. Damit wird die Diskussion um die Globalgeschichte der 1970er-Jahre wesentlich bereichert.

Anmerkungen:
1 Vgl. für ein – eher ideengeschichtlich orientiertes – Gegenbeispiel Quinn Slobodian / Dieter Plehwe (Hrsg.), Market Civilizations: Neoliberals East and South, New York 2022. Für die Geschichte der wirtschaftspolitischen Entscheidungen und Experten vgl. Patrick Neveling, Export Processing Zones, Special Economic Zones and the Long March of Capitalist Development Policies during the Cold War, in: Leslie James / Elizabeth Leake (Hrsg.), Decolonization and the Cold War: Negotiating Independence, London 2015, S. 63–83.
2 Vgl. die Sonderausgabe der Zeitschrift Humanity zur NWWO: Humanity 6,1 (2015); Jürgen Dinkel, Die Bewegung Bündnisfreier Staaten, Berlin 2015.