Das preisgekrönte Buch von Stefan J. Link ist überaus lesenswert. Es bietet einen vorzüglichen Überblick zur globalen Ausbreitung des Fordismus von Ende der 1920er-Jahre bis 1945. Darüber hinaus enthält es eine ganze Reihe innovativer Thesen, die auch die in die Jahre gekommene soziologische und wirtschaftswissenschaftliche Forschung zum Thema Fordismus über eine dezidiert historisch-empirische Argumentation neu beleben sollten.
Eingangs bietet Link eine Definition des Begriffs „Fordismus“ ab 1923, der nicht von Ford selbst stammt, sondern vor allem durch den „weißen Sozialisten“ Gottl-Ottlilienfeld geprägt wurde. Nach Gottl-Ottlilienfeld (und in den Worten Links) war Fordismus „not just a system of production but a historical shift in the relationship between economy and society, the promise of a reconciliation between industrial efficiency and social community“ (S. 4). Das Fließband führte, so der von Link ebenfalls ausführlicher vorgestellte Antonio Gramsci, zu einer „wide-ranging transformation of the social, cultural, and psychological constitution of the working class“ (S. 4). Es folgt ein Überblick zur Anwendung des Fordismus-Begriffs sowohl durch Soziologen als auch durch Historiker, einschließlich einer präzisen Kritik der „Regulationstheoretiker“, die den durch den Kalten Krieg geprägten „Sozial-Keynesianismus“ sowie die korporatistisch-gesamtökonomische Einbindung der Gewerkschaften in den 1950er-, 1960er- und 1970er-Jahren irreführenderweise als „fordistische Akkumulationsphase“ kennzeichneten. Tatsächlich war Ford ein ausgewiesener Gewerkschaftsfeind und lehnte jede staatliche „Einmischung“ entschieden ab. Acht-Stunden-Tag und Fünf-Dollar-Lohn (Zentralelemente der propagandistischen Selbstvermarktung Fords) führte er in sein Unternehmen vor allem zur Kompensation der extrem monotonen Arbeitsbedingungen an den Fließbändern ein und auch, um überhaupt Arbeitskräfte zu rekrutieren. Link spitzt damit eine ältere Kritik an kategorialen Verzerrungen weiter zu.1 Ebenfalls nicht neu, aber erfrischend deutlich ist seine Kritik an einer Zeitgeschichte, die die moderne – durch den Kalten Krieg erzwungene und politisch im Schlagwort „Pax Americana“ zusammengefasste – Wohlstands- und Konsumgesellschaft nach 1945 oft und gern auch als „fordistisch“ kennzeichnet. Er nimmt dem „Wirtschaftswunder“ damit einen guten Teil seines positiven Images, indem er auf dessen Vorgeschichte verweist: „Like a palace built on the rocks and sediments of an earlier age, the postwar order rose on the foundations of the antiliberal era that preceded it.“ (S. 18)
Kapitel 1 widmet sich Detroit als dem „center of a new American Growth regime“ Anfang des 20. Jahrhunderts sowie der globalen Ausstrahlung des nicht nur extrem antisemitischen, sondern auch sonst in vielerlei Hinsicht skurrilen „zany folk hero“ Henry Ford und seines Unternehmens während der 1920er- und der 1930er-Jahre. Die Eigenheiten und Spezifika des Produktionsregimes und der autokratischen Unternehmensherrschaft von Ford arbeitet Link heraus, indem er diese mit dem Konkurrenten General Motors kontrastiert. Zwar erschütterte der tiefe Einschnitt der Weltwirtschaftskrise Fords Selbstverständnis. Dem neuen ökonomischen System in den USA, das sich danach ausbildete, stand er, so zeigt Link, gleichwohl ablehnend gegenüber. Von seiner extremen Gewerkschaftsfeindlichkeit mochte er bis 1941 nicht ablassen. Eine effiziente Vernetzung mit den politischen Funktionsträgern war ihm zuwider, von einer gerade in Krisen funktionalen Verflechtung mit den Spitzen der staatlichen Administrationen ganz abgesehen. Wie stark Ford ideologisch borniert blieb, zeigte sich auch daran, dass er weiterhin enge Kontakte zu isolationistischen US-Rechten hielt. Gleichwohl blieb Ford mit seinem riesigen hochmodernen Werk am River Rouge als „produktivistisches“ Vorbild global attraktiv, nicht zuletzt für die stalinistische Sowjetunion sowie für die Nazis und deutsche Manager und Techniker im Dienste des NS-Regimes.
Die enorme Ausstrahlungskraft Fords, so zeigt Link in Kapitel 2, basierte wesentlich auf seiner in zahllose Sprachen übersetzten (vorgeblichen) Autobiographie „My Life and Work“, in der er seine ökonomischen Prinzipien mit seiner politischen „Mission“ verband – und die einen vom Verfasser pointiert skizzierten, alle politisch-gesellschaftlichen Strömungen einschließenden globalen Diskurs auslöste. Nicht zuletzt schon früh in der Sowjetunion: Für die radikalen stalinistischen Modernisierer wurden der Fordismus und die uneingeschränkte Unterstützung, die man aus Detroit erhielt, so führt Link in Kapitel 3 aus, zum Schlüssel, um aus dem Dilemma eines rückständigen, noch weitgehend agrarischen Landes herauszukommen und im Galopp vom Nachzügler der Industrialisierung zur modernen, „durchindustrialisierten“ Weltmacht aufzusteigen. Wie das praktisch umgesetzt wurde und welche konkreten Probleme auftraten, veranschaulicht Link exemplarisch für das im Rahmen des Fünfjahresplans 1928 bis 1932 in enger Kooperation mit der Ford Motor Company seit 1930 errichtete Gorkier Automobilwerk.
Die Nazis wiederum hatten aus ihrer (vor der deutschen Öffentlichkeit freilich oft versteckten) Bewunderung für die US-amerikanische Rationalisierungsbewegung von Anfang an keinen Hehl gemacht, wie bereits in der älteren Forschung herausgearbeitet wurde und auch von Link in Kapitel 4 betont wird. An die Macht gelangt, dekorierten sie nicht nur Henry Ford, sondern auch James Mooney von GM 1938 mit dem höchsten Orden, den das Deutsche Reich an Ausländer zu vergeben hatte; bereits ein Jahr vorher hatten sie auch den Generaldirektor von IBM ausgezeichnet. Ausführlich geht Link darauf ein, wie der „Rückgriff“ auf US-amerikanische Technologie und eine enge Kooperation mit Opel (GM) und Ford den rasanten Aufstieg der deutschen Automobilindustrie zusätzlich beschleunigten. Dabei bestätigt er den inzwischen weitgehenden Konsens in der Forschung, dass das NS-System kapitalistisch ausgerichtet, von Anfang an freilich kriegswirtschaftlich überwölbt war.
Kapitel 5 handelt vergleichend vom „War of the Factories“. Für die Einführung und Ausweitung eines elaborierten betrieblichen Fordismus waren Gesellschaften mit mindestens partiell unfreier Arbeit prädestiniert, nicht nur in Deutschland: „The Soviet advantage [...] lay not so much in the ‚planned’ character of its economy than its ‚command’ character: not in the regime’s capacity to efficiently allocate resource but rather in its capacity to ruthlessly mobilize them“ (S. 205). Links Feststellung, dass die SU „decisively outmatched Germany in the war of the factories in every weapons category“ (mit Ausnahme des Schiff- und U-Bootbaus, S. 196), verweist darauf, dass trotz überaus engagierter Manager und Techniker wie dem von Link exemplarisch vorgestellten William Werner, einem Maschinenbau-Ingenieur und seit 1927 führenden Manager in der deutschen Automobilindustrie, die NS-Kriegswirtschaft selbst in der Ära Speer nicht so konsequent „durch-fordisiert“ wurde wie die stalinistische Rüstungsindustrie während des Krieges. Gleichwohl wollte der „Ford-Fan“ Hitler, so belegt Link durch Zitate, nach dem „Endsieg“ eine Konsumgesellschaft für die „arische Volksgemeinschaft“, die auf fordistischer Massenfertigung basierte.
Die Conclusio ist weniger eine Zusammenfassung der Ergebnisse als vielmehr ein Ausblick auf die Nachkriegszeit. Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges und der US-Hegemonie kam es, so Links überzeugende These, zu einer Umwertung des „Fordismus“ und der mit diesem Begriff zuvor verknüpften Bedeutungsinhalte: „Mass production received an ideological reformulation in the core vocabulary of American hegemony: democracy, prosperity, consumerism, and economic internationalism. The political architecture, economic organization, and liberal ideological inflection of the US-orchestred global order determined how automotive mass production would draw on and transform the legacy of the Thirties and Forties.“ (S. 207) Wie schon während der Weltwirtschaftskrise verschwand auch nach 1945 der Begriff „Fordismus“ zunächst aus den Medien. Nur allmählich wurde er im wissenschaftlichen Diskurs re-etabliert, nun allerdings mit kalkuliert veränderten Bedeutungen. Dafür, dass dies gelang, waren ausgerechnet der Tod des alten Henry Ford und die „Machtübernahme“ seines Enkels Henry Ford II von erheblicher Bedeutung. Die von Letzterem ausgehende „new dispensation took root with astonishing rapidity at the Ford Motor Company“. Der neue Chef und seine „enlightened managerial elite“ reorganisierten nicht nur die Fertigung nach – nun – moderneren Grundsätzen und verlegten „the company’s center of gravity from the shop floor to the board room“. Sie waren zudem maßgeblich dafür verantwortlich, dass eine neue Sprache in das Unternehmen und damit auch eine nach außen gerichtete „moderne“ Imagepolitik Einzug hielten, mit seit 1945 positiv konnotierten Kernbegriffen wie „human relations“ und „free enterprise“ (S. 209).
Dieser Paradigmenwechsel im Selbstverständnis und in der Selbstdarstellung des nun von Henry Ford II geführten Unternehmens und im daran anknüpfenden breiten gesellschaftlichen Diskurs hatte, so Link, weitreichende Folgen: Sie verliehen auch der westlichen Modernisierungstheorie Rostow’scher Couleur Plausibilität.
Meine Kritik beschränkt sich auf eher untergeordnete Aspekte: Es ist verkürzt, das 19. Jahrhundert schlicht als „Ära des Liberalismus“ und „Individualismus“ sowie das 20. Jahrhundert als „Ära des Postliberalismus“ zu bezeichnen. Dem Diktum Links von der „Ära des Liberalismus“ liegt nicht nur ein grobschlächtiger Liberalismus-Begriff zugrunde (der bereits zwischen den ökonomischen und politischen Dimensionen des Liberalismus nicht wirklich systematisch unterscheidet). Zudem war gerade das „lange“ 19. Jahrhundert keineswegs durchgängig bürgerlich-liberal geprägt, sondern – auch mit Blick auf wirtschaftspolitischen Interventionen von staatlicher Seite – ausgesprochen komplex. Wenn man wiederum die Jahrzehnte ab 1918 überhaupt klassifizieren will, wäre es angemessener, von einer Epoche des ökonomischen und „Social Engineering“2 zu sprechen – also der Illusion der Lenkbarkeit kapitalistischer Ökonomie und moderner Gesellschaften. Es ist vermutlich nicht zufällig, dass diese Epoche in den 1970er-Jahren endete, also dem Jahrzehnt, in dem es auch üblich zu werden begann, von „Postfordismus“ zu sprechen.
Eng damit verknüpft ist ein zweiter Kritikpunkt: Link fokussiert sich (mit interessanten neuen Details) allzu sehr auf den Fordismus unter der NS-Diktatur und in der stalinistischen Sowjetunion. Auch wenn Link die grundsätzlich globale Dimension des Fordismus keineswegs ausblendet und wiederholt insbesondere Italien und Japan anspricht, geht dabei doch ein wenig unter, dass sich das fordistische Produktionsregime weltweit verbreitete. Der starke Fokus auf den Faschismus und Stalinismus, den Link legt, läuft Gefahr, einer strukturellen Affinität des Ford’schen Systems zu einem ökonomischen wie politischen „Totalitarismus“ das Wort zu reden. Dem war und ist jedoch nicht so. Der Fordismus ließ sich in unterschiedlichste „Systeme“ einpassen, genauso elastisch auch in Demokratien.
Diese beiden Kritikpunkte werden durch die bereits vorgestellten Ergebnisse Links mehr als aufgewogen. Hinzu treten zwei weitere zentrale Thesen, die die meines Erachtens herausragende Bedeutung des Buches markieren. Erstens lenkt Link den Blick auf die 1930er-Jahre und den Zweiten Weltkrieg. Die 1920er-Jahre waren – das zeigen auch viele andere historisch-empirische Forschungen – in der Tat die Inkubationszeit des Fordismus, das anschließende Jahrzehnt dann die Epoche seiner Verwurzelung in Europa und, in allerdings stärkeren Grenzen, auch zum Beispiel in Japan – erzwungen und begünstigt durch Aufrüstung und Kriegswirtschaft. Die Zwischenkriegszeit ist, so pointiert Link, „not as an aberration, but as the century’s very fulcrum“ zu werten, nachdem „the vision of an integrated world based on liberal-imperial principles imploded and made way for an era of strategic, competitive industrial upgrading orchestrated by activist states“ (S. 18). Das ist sowohl gegen die Regulationstheoretiker mit ihrem problematischen Begriff der „fordistischen Akkumulationsphase“ als auch gegen die liberalkonservativ-westliche Historiografie gewendet, die gleichfalls „Fordismus“ und überhaupt „Amerikanismus“ auf die Jahrzehnte ab 1950 begrenzt. Beide historisch-soziologischen Narrative saßen der Wirkmächtigkeit der „Imagewende“ nach 1945 auf. Link hebt das in seiner Conclusio zu Recht hervor. Die Neuordnung und die Neuformulierung fordistischer Kategorien nach 1945 überblendeten die Verheerungen des Kriegsfordismus, deren verbrecherische Dimensionen mit Blick auf den Umgang mit den Arbeitskräften wie auch die Massenfertigung von Waffen und deren Anwendung kaum zu überschätzen sind. Die positiv-normativen Semantiken nach dem Ende des Faschismus gingen so weit, dass zahlreiche Soziologen und Historiker schlicht „vergaßen“, dass das fordistische Produktionsregime bereits seit den 1920er-Jahre auch auf dem europäischen Kontinent die industrielle Fertigung zu dominieren begonnen hatte. Die Zwanziger-Jahre-Ideologie eines Gottl-Ottlilienfelds, mit dem Fordismus würde der „Klassenkampf“ abgeschafft und eine Art kapitalistisches Perpetuum Mobile ohne Krisen mit sozialen Segnungen für alle möglich, feierte nach 1945 in neuem Gewand fröhliche Urständ.
Das zweite große Verdienst Links ist eng damit verknüpft. Es besteht darin, den Fordismus vom „Konsumismus“ sowie von einer modernen Konsumgesellschaft zu entkoppeln und das fordistische Produktionsregime als eine „intrinsic ‚Dual use’ technology“ zu begreifen. Durch seine Ausführungen gerät der „Kriegsfordismus“ in den Blick, die Massenfertigung für den „militärischen Konsum“.3 Bedenkt man, dass der Fordismus als Produktionsregime – trotz des Diktums vom „Postfordismus“ – in globaler Perspektive keineswegs aus der industriellen Gegenwart verschwunden ist, wird deutlich, dass der „Konsum-Fordismus“ lediglich eine Spielart war und der „Kriegsfordismus“, so zeigt sich auch heute wieder, die andere Seite der Medaille ist, ihre Schattenseite. Das gut lesbare Buch Stefan Links – zudem mit einem Register ausgestattet, das den selektiven Zugriff leicht macht – bietet daneben zahllose weitere Anregungen. Sie sollten die Diskussion über die prägende Rolle Fords und des auf ihn zurückgehenden „Fordismus“ für das 20. Jahrhundert befeuern.
Anmerkungen:
1 Vgl. als Überblick Rüdiger Hachtmann, Fordismus. Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 27.10.2011, https://docupedia.de/zg/Fordismus (19.07.2023).
2 Vgl. zu diesem Begriff als Überblick Thomas Etzemüller, Sozial Engineering. Version 2.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 04.10.2017, https://docupedia.de/zg/Etzemueller_social_engineering_v2_de_2017 (19.07.2023).
3 Vgl. auch Rüdiger Hachtmann, The war of the cities. Industrial laboring forces, in: Michael Geyer / Adam Tooze (Hrsg.), Cambridge Handbook of World War II, Vol. 3, Cambridge 2015, S. 298–328.