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Title
Thinking like an Economist. How Efficiency Replaced Equality in U.S. Public Policy


Author(s)
Berman, Elizabeth Popp
Published
Extent
344 S.
Price
$ 35.00; € 34,60
Reviewed for H-Soz-Kult by
Lukas Held, Forschungsstelle für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Universität Zürich

Die amerikanischen Demokraten stecken in der Krise. Vollmundig ausgegebene Versprechen auf ein inklusiveres, gerechteres und umweltbewussteres Amerika münden allzu oft in Rücknahmen, Verwässerungen und Kompromissvorschläge – in Enttäuschungen für jene, die auf eine progressive Wende gehofft und die Chance dafür gekommen sahen. Joe Biden, dessen „Build Back Better“-Pläne ihm zu Beginn seiner Präsidentschaft noch hochachtungsvolle Vergleiche mit Franklin D. Roosevelt eintrugen, steht heute so schlecht da wie kaum ein anderer Präsident an diesem Punkt seiner Amtszeit. Eine progressive Wende scheint nach den drastischen Kürzungen ferner denn je, und das trotz einer Mehrheit der Demokraten im Kongress, einer enervierten progressiven Bewegung am linken Flügel der Partei und einer buchstäblich brennenden Welt. Wie erklärt sich dieser Mangel an Durchsetzungskraft, dieses nun schon erwartbare Umschlagen von Veränderungswille in Beharrungsdrang?

In ihrem Buch Thinking like an Economist. How Efficiency Replaced Equality in U.S. Public Policy versucht die amerikanische Soziologin Elizabeth Popp Berman diese Frage über die Rekonstruktion eines Denkstils zu beantworten, den sie spezifisch ökonomisch nennt und im Kern als das Streben nach Effizienz definiert. Ihre zentrale These lautet, die Ausbreitung und schrittweise Institutionalisierung dieses Denkstils habe dazu geführt, dass Effizienz in Politikkreisen zum dominierenden Wert aufstieg, an dem seit der Mitte der 1960er-Jahre politische Programme unterschiedlichster Art zunehmend ausgerichtet werden, sei es in der Gesundheits-, Umwelt-, Armuts-, Bildungs-, Wirtschafts- oder Verkehrspolitik. Werte wie Gleichheit, Universalismus, Gerechtigkeit und Fairness, die das Denken der Demokraten bis dahin bestimmt hatten, seien daraufhin in dem Maße in den Hintergrund gerückt und relativ geworden, wie effizienzsteigernde Maßnahmen zum vermeintlich wertneutralen Kriterium guter Politik aufstiegen. Zwar habe die zunehmende Orientierung an Effizienz den Rechtsrutsch der Demokraten nicht direkt verursacht, aber doch begünstigt und auf Dauer gestellt. „This shift made it much harder“, schreibt Popp Berman im ersten Kapitel ihres Buches, „for competing claims, grounded in different values and ways of thinking, to gain political purchase“ (S. 19). Versuche progressiver Demokraten, die USA grundlegend zu verändern, scheiterten seitdem nicht nur am Widerstand der Republikaner, sondern zuvor schon am allzu schnell erhobenen Vorwurf innerhalb der eigenen Partei, das Vorgeschlagene rechne sich nicht und sei schlicht unvernünftig. Die unermüdlich erhobenen Einwände ausgerechnet demokratischer Senatoren wie Joe Manchin und Kyrsten Sinema in der aktuellen Debatte um Bidens „Build Back Better“-Pläne veranschaulichen das auf frustrierende Weise. Wer diesen Zustand ändern wolle, müsse verstehen, wie der ökonomische Denkstil zur vermeintlich alternativlosen Denkweise im Washingtoner Establishment aufsteigen konnte.

Popp Bermans Studie ist für Historiker:innen, die zu den 1960er- bis 1980er-Jahren forschen, insbesondere zur Geschichte des Neoliberalismus, unbedingt lesenswert. Sie erweitert das bisher vorherrschende, überwiegend auf makroökonomische Veränderungen fokussierende Narrativ (Übergang vom Keynesianismus zum Monetarismus) um eine Analyse der Veränderungen im Entscheidungs- und Allokationsverhalten staatlicher Akteure, deren Einfluss nachhaltiger und folgenreicher gewesen zu sein scheint als jene marktradikalen Reformen, die üblicherweise mit den Präsidentschaften von Ronald Reagan, George H. W. Bush und Bill Clinton in Verbindung gebracht werden. Während die Ära des Neoliberalismus erst mit der Finanzkrise von 2008, dann durch Donald Trumps protektionistische Wirtschaftspolitik seit 2017 und schließlich mit der Coronakrise an ein Ende gekommen sein mag1, bestehe die Effizienz-orientierte Denkweise ungebrochen fort, eben weil sie in den Staatsapparat selbst eingedrungen sei. „The style’s ongoing influence and its continued reproduction“, schreibt Popp Berman, „rests significantly on its embeddedness within government bureaucracy.“ (S. 20)

Anders als Daniel T. Rodgers, der in seinem 2011 erschienenen Buch Age of Fracture bereits auf die zentrale Bedeutung mikroökonomischer Konzepte im politischen Diskurs der 1970er- und 1980er-Jahre hinwies, rekonstruiert Popp Berman mit dem ökonomischen Denkstil eine Rationalität, die sich einer klaren ideologischen Zuordnung entzog und eben dadurch Autorität gewann, und zwar zuerst und vor allem unter Demokraten. Popp Bermans Pointe ist, dass es sich bei dieser Rationalität um die bislang weitgehend übersehene Ideologie des demokratisch-technokratischen Zentrismus handelt, die von der marktradikalen Ideologie der Mont Pèlerin Society unterschieden werden müsse. „[T]echnocratic centrism“, schreibt sie, „has its own underlying ideology that is just as important to understand. It should be seen as an independent force, not just a downstream effect.“ (S. 19) Ihre Studie reiht sich in den Kontext jüngerer Forschungen ein, die den Übergang von der Hochphase des amerikanischen Wohlfahrtsstaats der 1950er- und 1960er-Jahre zum sogenannten Neoliberalismus der 1970er- und 1980er-Jahre weniger als Durchbruch von etwas ganz Neuem, nur ideologisch von langer Hand Vorbereitetem interpretieren, sondern vielmehr als fortsetzende Vereinseitigung jener unternehmerischen Elemente, die die mixed economy schon der Eisenhower- , Kennedy- und Johnson-Jahre ausgezeichnet habe.2

Das Buch besteht aus zehn Kapiteln, inhaltlich lassen sich drei Teile unterscheiden. Der erste Teil skizziert die Vorgeschichte des ökonomischen Denkstils seit den 1920er-Jahren, seine theoretische Ausarbeitung durch zwei wirtschaftswissenschaftliche Schulen in den 1950er-Jahren und deren Integration in die Regierungsbürokratie unter John F. Kennedy (Kapitel 2–4). Der zweite Teil untersucht die Auswirkung des ökonomischen Denkstils auf das Regierungshandeln unter Lyndon Johnson, Richard Nixon und Jimmy Carter in den Bereichen „Social Policy“ (Armutsbekämpfung, Krankenversicherung, Wohnungspolitik, Bildungspolitik), „Market Governance“ (Kartellrecht, Deregulierung der Sektoren Energie, Telekommunikation, Verkehr, Banking) und „Social Regulation“ (Umwelt, Gesundheit, Sicherheit am Arbeitsplatz) (Kapitel 5–7). Der dritte Teil analysiert die Effekte des ökonomischen Denkstils auf die Demokraten in der Carter-Ära und die Republikaner in der Reagan-Ära (Kapitel 8–9).

Analytisch fasst Popp Berman den ökonomischen Denkstil mit Verweis auf Ian Hackings „style of reasoning“ als eine lose Sammlung von Konzepten, Denkweisen und methodischen Ansätzen auf (statt als geschlossene Theorie oder wissenschaftliches Paradigma), deren Ausarbeitung sie auf zwei distinkte Wissenschaftler:innen-Gruppen zurückführt: Zum einen auf Ökonom:innen, die sich in den 1950er-Jahren an der RAND Corporation mit Systemanalyse befassten und an der Rationalisierung von Entscheidungsprozessen arbeiteten. Zum anderen auf Wirtschaftswissenschaftler:innen, die an den Universitäten Harvard und Chicago, später auch an Think Tanks wie die Brookings Institution und das American Enterprise Institute an marktregulatorischen Fragen forschten. Popp Berman nennt sie die Industrieökonomen. Bis nach Washington ausgebreitet habe sich das Denken über das sogenannte Planning-Programming-Budgeting System, ein Management-System zur Rationalisierung administrativer Abläufe, das auf Betreiben des RANDianers Charles Hitch unter Kennedy erst am Verteidigungsministerium und unter Johnson dann an vielen weiteren Ministerien Einzug hielt, bevor es unter Nixon schon wieder zurückgenommen wurde. Als nachhaltig wirksam erwiesen sich vor allem die zu diesem System aufgesetzten Trainingsprogramme, aus denen bis heute an vielen Ministerien bestehende Policy Planning Offices hervorgingen samt der zu diesen hinführenden universitären Public Policy Kurse. Demgegenüber fand das Denken der Industrieökonomen vor allem an Law Schools Verbreitung, wo angehende Jurist:innen kartellrechtliche Fragen aus ökonomischer Perspektiven anzusehen lernten, bevor sie in die entsprechenden Abteilungen des Handels-, Justiz- oder Verkehrsministeriums wechselten oder direkt ins Weiße Haus und den Kongress (ins Congressional Budget Office). Immer wieder hebt Popp Berman hervor, wie wenig „natürlich“ der ökonomische Denkstil an all diesen Orten noch Mitte der 1960er-Jahre war. Dass er sich in den 1970er-Jahren in der Demokratischen Partei durchsetzte, sei vor allem dem Bedürfnis geschuldet gewesen, all die neuen Programme, die im Rahmen von Johnsons „Great Society“-Politik auf den Weg gebracht wurden, auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen, um sie so dem Steuerzahler plausibel zu machen. „It was government expansion in the form of Great Society programs and then the growth of social regulation that followed“, schreibt Popp Berman in ihrem Fazit, „that created the conditions for the spread of the economic style.“ (S. 223) Die Vorstellung, die Ökonomisierung des Staates sei diesem von außen, durch Berater und Lobbyisten auferlegt worden, müsse revidiert werden. Das Anliegen der von Popp Berman beschriebenen Ökonomen sei nicht der Rückbau des Staates gewesen, sondern dessen Verbesserung. Es ist vor allem diese Einsicht und ihr akribischer Nachweis an einer Fülle von Beispielen, die Popp Bermans Studie zu einer Bereicherung unseres Bildes von den 1960er-, 70er- und 80er-Jahren macht. Allen, die sich mit diesem Abschnitt der amerikanischen Politikgeschichte beschäftigen, sei das Buch nachdrücklich empfohlen.

Anmerkungen:
1 Siehe dazu Gary Gerstle, The Rise and Fall of the Neoliberal Order. America and the World in the Free Market Era, New York 2022; Alex Hochuli / George Hoare / Philip Cunliffe, Das Ende des Endes der Geschichte. Post-Politik, Anti-Politik und der Zerfall der liberalen Demokratie, Wien 2022.
2 Siehe dazu z.B. Amy C. Offner, Sorting Out the Mixed Economy. The Rise and Fall of Welfare and Developmental States in the Americas, Princeton, Oxford 2019. Zum Konzept des „Neoliberalismus“ in der Geschichtswissenschaft auch Peter-Paul Bänziger / Laura Rischbieter / Monika Wulz, Neoliberalism as a concept of contemporary history: A prolific research tool or an analytic pitfall?, in: Journal of Modern European History 17 (2019), S. 381–383.

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