A. Koller (Hrsg.): Außenbeziehungen der römischen Kurie unter Paul V.

Titel
Die Außenbeziehungen der römischen Kurie unter Paul V. Borghese (1605-1621).


Herausgeber
Koller, Alexander
Reihe
Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 115
Erschienen
Tübingen 2008: Max Niemeyer Verlag
Anzahl Seiten
527 S.
Preis
€ 76,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Guido Braun, Institut für Geschichtswissenschaft, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Die Zeit Pauls V. Borghese (1605-1621) gehört seit einigen Jahren unstrittig zu den am besten erforschten Pontifikaten der neuzeitlichen Papstgeschichte. Die Forschungen Wolfgang Reinhards und seiner Schüler zur Verflechtung und zur Mikropolitik bilden ein Kernstück unserer Kenntnisse über den Kirchenstaat unter diesem Papst. An seinem Pontifikat konnte auch die Bedeutung beider Forschungskonzepte für die frühneuzeitliche europäische Geschichte insgesamt illustriert werden. Ihm kommt daher ein paradigmatischer Charakter zu, auch jenseits der chronologischen und territorialen Grenzen des Untersuchungsgegenstandes. Neben der grundlegenden Arbeit von Birgit Emich über „Bürokratie und Nepotismus unter Paul V.“ (2001) und Martin Fabers Monographie zur Mikropolitik des Kardinalprotektors Scipione Borghese (2005) wurden so die mikropolitischen Vernetzungen zwischen Rom und Perugia, Ferrara und Bologna im Kirchenstaat sowie die mikropolitischen Beziehungen Roms zu Spanien, Neapel, Mailand, Genua, Florenz, Savoyen und jüngst auch Frankreich minutiös erforscht. Damit sind nur wichtige seit Ende der 1990er-Jahre publizierte Studien (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) erfasst. Aus dem Jahre 1984 wäre Volker Reinhardts finanz- und sozialgeschichtliche Untersuchung zum Papstnepoten Scipione Borghese zu nennen. Doch ist die exzellente Forschungslage zum Borghese-Pontifikat nicht nur der Reinhard-Schule zu verdanken. Seit 2003 verdient vor allem die gleichermaßen durch Umfang wie Solidität bestechende dreibändige Edition der Hauptinstruktionen dieses Papstes hervorgehoben zu werden, die Silvano Giordano in der Reihe „Instructiones Pontificum Romanorum“ vorlegte. Die Hauptinstruktionen definieren die großen diplomatischen Leitlinien der päpstlichen Gesandtschaften aus kurialer Sicht und bilden eine für die Außenbeziehungen zentrale Quellengruppe der vatikanischen Überlieferung. Sie sind zugleich als „politische und religiöse Grundsatzerklärungen“ (Christian Wieland, S. 263) des Heiligen Stuhls zu lesen. Damit verfügt die Forschung über ein exzellentes Arbeitsinstrument, um vertiefte Aufschlüsse über den Borghese-Pontifikat zu gewinnen.

Auf diesen beiden Pfeilern – den Forschungsergebnissen der Reinhard-Schule und der monumentalen Quellenedition Giordanos – beruhen wesentliche Erkenntnisse des jüngst von Alexander Koller als Herausgeber publizierten Sammelbandes zu den Außenbeziehungen der römischen Kurie von 1605 bis 1621. Es handelt sich um die Ergebnisse eines vom Deutschen Historischen Institut veranstalteten römischen Kolloquiums, das vom 18. bis 20. Mai 2005 anlässlich des 400. Jahrestages der Papstwahl Pauls V. im Mai 1605 ausgerichtet worden war und bei dem selbstverständlich auch Wolfgang Reinhard und einige seiner Schüler vertreten waren. Der Band berücksichtigt sowohl die formellen als auch die informellen Außenbeziehungen der Kurie sowie die Interdependenzen zwischen den makro- und mikropolitischen Kontakten. Der schwierigen Frage nach dem Verhältnis von Makro- und Mikropolitik in den römischen Außenbeziehungen unter Paul V. widmet sich ein grundlegender Beitrag Reinhards, der damit ein nach 39 Jahren Reinhard’scher Studien zur Mikropolitik noch nicht gelöstes Forschungsproblem aufgreift, während Bruno Boute diese Dichotomie grundsätzlich ablehnt (S. 492). Reinhards Aufsatz gehört zu einer ersten Gruppe von vier Beiträgen zu allgemeinen Fragestellungen des Borghese-Pontifikats, in denen ferner die Anwendung der Trienter Konzilsdekrete anhand der päpstlichen Hauptinstruktionen (Maria Teresa Fattori), die päpstliche Jurisdiktion am Beispiel von Jesuiten und venezianischem Interdikt (Anthony D. Wright) sowie die Militärpolitik Pauls V. (Giampiero Brunelli) untersucht werden. Auch die übrigen 19 Beiträge des fünfsprachigen Bandes (mit einem Übergewicht deutscher und italienischer Texte) lassen sich fest umrissenen Themenkomplexen zuordnen. Der Sammelband zeichnet sich daher sowohl durch eine klare Struktur als auch durch eine bei diesem Genre durchaus nicht immer übliche thematische Geschlossenheit aus, welche die Vielfalt nicht ausschließt.

Einen Themenkomplex bilden die politischen und konfessionellen Beziehungen des Heiligen Stuhls zu den europäischen Mächten: Frankreich (Olivier Poncet), Spanien (Bernard J. García García), Portugal (Silvano Giordano), Reich (Jan Paul Niederkorn und Alexander Koller), Böhmen (Václav Bůžek) und Polen (Leszek Jarmiński). Der folgende Themenkomplex, in dem die Beziehungen Roms zu ausgewählten italienischen Staaten beleuchtet werden, hebt sich nicht nur geographisch von der vorangehenden Gruppe ab. Es stehen nun mit Venedig (Stefano Andretta), Savoyen (Toby Osborne), Mailand (Julia Zunckel), Toskana (Christian Wieland), Neapel (Guido Metzler) und Malta bzw. dem Malteserorden (Moritz Trebeljahr) einige italienische Staaten bzw. ein kirchlicher Orden mit Außenbeziehungen zu Rom als „Sonderfall“ der europäischen Geschichte (S. 308) im Mittelpunkt, die in den vergangenen Jahren Gegenstand der mikropolitischen Studien aus der Reinhard-Schule waren. Die Beiträge zu Italien sind daher diesem Ansatz eher verpflichtet als die vorangehende Sektion, in der die europäischen Bezüge vornehmlich makropolitisch analysiert werden. Deutlich wird, welche wichtigen neueren Erkenntnisse die von Giordano edierten Hauptinstruktionen zu bieten vermögen, zumal damit eine Lücke geschlossen wird und nun in Verbindung mit den bereits früher edierten Instruktionen aus den Pontifikaten Clemens’ VIII. (seit 1592) und Gregors XV. (bis 1623) drei Jahrzehnte kurialer Außenbeziehungen unter Berücksichtigung ihrer Kontinuitäten und Brüche in den Blick genommen werden können. Die Mehrzahl der Beiträge rekurriert auf diese Edition. Im Hinblick auf Frankreich und auf die Erneuerung des diplomatischen Personals werden die Instruktionen untersucht von Olivier Poncet, während Guido Metzler sich ihrer für den Fall Neapel bedient. Es zeigt sich, dass sie eher für die „allgemeine“ Geschichte als für die Geschichte der Mikropolitik nutzbar gemacht werden können, weil Familienpolitik und Patronage nicht dort, sondern in den Nuntiaturkorrespondenzen thematisiert wurden.

Mit den Reformnuntiaturen von Köln (Peter Schmidt), Graz (Elisabeth Zingerle), Brüssel (Bruno Boute) und Luzern (Urban Fink) sowie der außereuropäischen Mission (Mario Sanfilippo und Giovanni Pizzorusso) nimmt der Band schließlich zwei weitere für die Geschichte des Pontifikats zentrale Problembereiche auf.

Festhalten wird man nach der Lektüre des Bandes im Hinblick auf die deutsche Geschichte unter anderem die Tatsache, dass der in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts vorübergehend konsolidierte politische Einfluss des Heiligen Stuhls in Europa im Borghese-Pontifikat weiter erodierte und damit auch seine Teilhabe an den Entscheidungsprozessen in Deutschland schwand. Unter anderen Vorzeichen als Urban VIII. im Dreißigjährigen Krieg, habe sich schon Paul V. im Kontext „einer äußerst zurückhaltenden Außenpolitik“ nicht zu einem veritablen Engagement für die katholische Partei im Reich entschlossen und „gegenreformatorischen Zielen“ zumindest phasenweise „nicht mehr die höchste Priorität eingeräumt“ (Niederkorn, S. 99). Die Grazer Nuntiatur wiederum verlor vornehmlich durch die zunehmende räumliche Distanz zwischen dem Nuntius und dem Regenten eine ihrer wichtigsten Grundlagen (Zingerle, S. 406). Die Tendenz war jedoch offenbar nicht eindeutig: Zumindest im Bereich der Kölner Nuntiatur vervielfältigten das Heilige Offizium und namentlich die Indexkongregation sogar ihre Aktivitäten (Schmidt, S. 409f.). Perzeptionsgeschichtlich ist mit Koller zu konstatieren, dass sich die Nuntien zu Beginn des 17. Jahrhunderts „gut informiert über die politischen Probleme im Reich und in den habsburgischen Erblanden sowie über die Vorgänge am Kaiserhof“ zeigten (S. 118). Auch im Brüsseler Fall lässt sich nicht auf römische Ignoranz schließen (Boute, S. 477f.), während nach Fink anhand der Luzerner Nuntiatur der kaum an der Realität gemessene Traditionalismus des kurialen „Verstehenshorizontes“ (S. 448) aufgezeigt werden kann und Metzler für den spanischen Bereich und besonders Neapel bei der Stellenbesetzung einen Rückgang der Bedeutung von juristischer Sachkompetenz gegenüber persönlichen Bindungen zu den Borghese konstatiert (S. 252). Sicherlich standen in der päpstlichen Politik italienpolitische Erwägungen sowie soziale und familiäre Interessen an der Kurie im Vordergrund, so auch bei der Auswahl der Nuntien außerhalb von Neapel (Poncet, S. 146).

Angesichts der eingangs referierten, in den letzten zehn Jahren noch einmal intensivierten Forschungen zum Borghese-Pontifikat lag das römische Kolloquium von der Sache her gewissermaßen in der Luft. Dass das Pontifikats-Jubiläum nicht mehr war als der „äußere Anlaß“ (S. IX) für diese Veranstaltung und die ihr folgende Publikation, wird von Alexander Koller in seiner Einführung überzeugend dargelegt. Der Sammelband gehört daher nicht zur gängigen Jubiläumsliteratur (nur ganz wenige Beiträge wie derjenige zu Polen fallen durch eine gewisse Oberflächlichkeit ab). Er zieht vielmehr eine veritable Bilanz der Erträge der jüngeren Forschung zu wesentlichen Problemen des Pontifikats, die, wie die Grundfrage nach dem Verhältnis von Makro- und Mikropolitik, durchaus auch über die Herrschaft Pauls V. hinausweisen, und ergänzt sie um bisher eher vernachlässigte Bereiche wie die Luzerner Nuntiatur. Auch eine kritische Hinterfragung des Konfessionalisierungs-Paradigmas fehlt nicht (Boute). Diese Bilanz jetzt zu ziehen und damit der künftigen Forschung weitere Anregungen zu bieten, war durchaus angezeigt. Nicht nur die Offenheit der Debatte um die perzeptionsgeschichtlichen Aspekte zeigt, in welchem Maße dieser Band dazu Impulse zu geben vermag. Aber gerade aus diesem Grunde wäre es auch wünschenswert gewesen, die Ergebnisse der doch teilweise recht speziellen Beiträge in einem Fazit zu resümieren und zueinander in Beziehung zu setzen.

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