J. Prostko-Prostyński: A history of the Herules

Cover
Titel
A history of the Herules.


Autor(en)
Prostko-Prostyński, Jan
Erschienen
Anzahl Seiten
222 S.
Preis
zł 35,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Salvatore Liccardo, Institut für Österreichische Geschichtsforschung, Universität Wien

Das 2014 begonnene und 2021 veröffentlichte Buch von Jan Prostko-Prostyński stellt eine gut recherchierte und aufschlussreiche Monografie über die Geschichte eines der rätselhaftesten und am wenigsten erforschten ethnischen Gruppen der Völkerwanderungszeit dar: die Heruler. Das Hauptverdienst Prostko-Prostyńskis besteht darin, dass er die vorhandenen literarischen und epigraphischen Zeugnisse über die Heruler sowie die wichtigsten wissenschaftlichen Argumente in den Forschungsarbeiten zur Geschichte dieses Volkes klar und detailliert zusammengetragen hat. Diese Monographie dürfte künftig eine große Hilfe für alle sein, die sich mit den Herulern beschäftigen wollen.

Die ersten neun Kapitel bieten umfassende Analysen einzelner Momente der Geschichte der Heruler von ihren Ursprüngen bis zu den Taten ihres letzten Anführers Sinduald in den 550er- und 560er-Jahren. Die letzten vier Kapitel vervollständigen das Bild und liefern einen Überblick zur Religion der Heruler, eine Zusammenstellung der Runeninschriften und ihrer Interpretationen, einen Abschnitt zum Nachleben der Heruler und ihre Prosopographie. Diese Abschnitte sind wohl die innovativsten, da sie in einfachen Worten und auf wenigen Seiten Informationen bieten, die sich ansonsten in vielen und oftmals veralteten Veröffentlichungen verstreut finden. Insbesondere die Inschriftensammlung und die Prosopographie der Heruler ermöglichen einen schnellen Zugriff auf die Informationen und erweisen Prostko-Prostyńskis Monografie auch als ein praktisches Nachschlagewerk.

Prostko-Prostyńskis außergewöhnliche Kenntnis der vielfältigen Forschungsliteratur, die in anderen Arbeiten aufgrund sprachlicher Barrieren oder zeitlicher Distanz teilweise übersehen wird, zeigt sich im gesamten Buch, insbesondere im Kapitel über das Nachleben der Heruler. Hier bietet Prostko-Prostyński eine einzigartige Zusammenfassung der frühneuzeitlichen Überlegungen zum Thema und leistet so einen wichtigen Beitrag zur Forschungsgeschichte der Heruler. Darüber hinaus wird die moderne Forschung zur Geschichte der Heruler in der Einleitung kurz umrissen und im weiteren Verlauf des Buches immer wieder thematisiert.

Definiert als „a nest of intractable, probably insoluble but fascinating problems“1 oder, nach dem Geschmack des 19. Jahrhunderts, als „das flüchtigste deutsche Volk“2, bereiten die Heruler den Historikern nach wie vor Kopfzerbrechen. Prostko-Prostyńskis Monographie leistet hier einen Beitrag zur Lösung des Problems, indem die vorhandenen Zeugnisse gewissenhaft zusammengetragen werden. Der Hauptgrund für die Rätselhaftigkeit der Heruler ist das simultane Auftauchen dieser Gruppe im 3. Jahrhundert in zwei sehr weit voneinander entfernten geografischen Gebieten. Laut Dexippus, einem griechischen Historiker aus dem späten 3. Jahrhundert, waren die Heruler eine Gruppe von Barbaren, welche die Region nördlich des Schwarzen Meeres bewohnten. Dem gegenüber geben etwas später datierte lateinische Zeugnisse an, die Heruler hätten am Niederrhein gelebt und seien eine Bedrohung für das römische Gallien gewesen. Das Ethnonym Heruli scheint indes ein Einzelfall gewesen zu sein. Zwischen dem 3. und dem 6. Jahrhundert hat kein anderes Ethnonym eine ähnliche Geschichte. Es ist daher notwendig, die Frage der herulischen Ursprüngen und Identität mit besonderer Vorsicht anzugehen.

In der vieldiskutierten Frage der Herkunft der Heruler ist Prostko-Prostyński ein entschiedener Vertreter der skandinavischen Ursprünge. Während er hinsichtlich der Etymologie des Namens große Vorsicht walten lässt, lassen seiner Meinung nach die Quellen keinen Zweifel daran, dass die Heruler aus Skandinavien gekommen seien (z.B. S. 27). Ebenso sicher – und in diesem Fall weniger umstritten – ist Prostko-Prostyński in seiner Ablehnung der Theorie, dass die Heruler keine ethnische Einheit, sondern eine Gruppe oder eine Reihe von Gruppen von Elitekriegern gewesen seien. Wie er feststellt, werden die Heruler in keiner Quelle anders als andere gentes behandelt und müssen daher als ethnische Gruppe betrachtet werden, auch wenn sie wahrscheinlich nur von geringer Größe war.

Die skandinavischen Ursprünge der Heruler werden durch die Analyse der Quellen, insbesondere der Getica des Jordanes und der Kriegsgeschichten des Prokop, bekräftigt. Prokop und Jordanes sind zweifelsohne unschätzbare Quellen. Prokop ist der erste Autor, der sich explizit mit dem Problem der Herkunft der Heruler befasst, während Jordanes eine Erzählung über die Migration auf dem üblichen Weg von Norden nach Süden bietet, wobei eine militärische Niederlage eine Umsiedlung über weite Entfernungen zur Folge gehabt habe. In seiner akribischen Analyse dieser Texte erweist sich Prostko-Prostyński als ein Historiker, der wenig von dem dekonstruktivistischen Ansatz in der Forschung überzeugt ist, der auf dem so genannten „literary turn“ basiert. Nach seiner Einschätzung sei der „Grad der Fiktionalität“ der Werke Prokops und des Jordanes recht gering, und ihre Erzählungen seien im Wesentlichen glaubwürdig.

Im Anschluss an die Frage nach den Ursprüngen der Heruler konzentriert sich Prostko-Prostyński auf ihre geschichtliche Entwicklung. Er identifiziert zwei verschiedene Gruppen, die „Asowschen“ Heruler am Schwarzen Meer und die „Jütländischen“ Heruler, wobei letztere aus eher losen Verbänden bestanden und kein Königreich westlich des Niederrheins bildeten. Anschließend bietet das Buch einen detaillierten Überblick zu den militärischen Auseinandersetzungen der Heruler im 5. Jahrhunderts und während der Herrschaft Justinians I. Hier bricht die allgemeine Analyse der Geschichte der Heruler ab, um sich in wortreicher Weise auf einzelne Ereignisse des Krieges gegen die Perser, die Vandalen und die Ostgoten zu konzentrieren. Prostko-Prostyński zeigt hier sowohl seine Gelehrsamkeit als auch seine genaue Kenntnis der Quellen, diese Kapitel wirken aber eher langatmig und sind für die Hauptthese des Autors unnötig.

Nach der Prosopographia Herulica, einem Abschnitt, der sowohl für Einsteiger in die Thematik als auch für Experten von großem Nutzen sein dürfte, bietet Prostko-Prostyński in den Schlussfolgerungen einen kurzen und klaren Überblick über seine Thesen. Die Heruler ließen sich im 3. Jahrhundert am Asowschen Meer nieder und nahmen an den Barbareneinfällen in den östlichen Teil des Römischen Reiches teil. Nach der Niederlage der Hunnen erreichte das Königreich der Heruler seinen Höhepunkt, aber ihre Gesellschaft zerfiel schließlich im 6. Jahrhundert. Die Heruler siedelten im heutigen Böhmen oder im heutigen Österreich jenseits der Donau als ihr König Rodulf von den Langobarden vernichtend geschlagen wurde. Die Niederlage hatte zur Folge, dass ein Teil der Heruler sich schließlich auf römischem Gebiet niederließ, während der andere nach Skandinavien zog. Diese Wanderungsbewegung interpretiert Prostko-Prostyński konsequent als Rückkehr in die ursprüngliche Heimat der Heruler, da kein anderer spätantiker oder frühmittelalterlicher Verband jemals Skandinavien als Ziel seiner Migration gewählt habe.

Insgesamt bietet das Buch von Prostko-Prostyński eine gelungene Übersicht zu den historischen Zeugnissen über die Heruler sowie zum komplexen wissenschaftlichen Diskurs über diese Gruppe. Trotz eines manchmal zu polemischen Tons liefert Prostko-Prostyński klare Argumente und eine akribische Analyse von Quellen und Forschungsliteratur. Der Verzicht auf eine gründlichere Untersuchung archäologischer Daten ist ein Manko des Buches, wenngleich er verständlich ist, da es beinahe unmöglich ist oder zumindest enorme Vorsicht erfordert, bestimmte materielle Zeugnisse auf die Heruler zurückzuführen. Man würde sich wünschen, dass die Archäogenetik, trotz ihrer eigenen Herausforderungen und Grenzen 3, neue Forschungswege eröffnen würde und zur Klärung der Bevölkerungsgeschichte des frühmittelalterlichen Europas, insbesondere der Migrations- und Bewegungsmuster von weniger untersuchten Gruppen wie den Herulern, beitragen könnte.

Anmerkungen:
1 Walter Goffart, Barbarian Tides. The Migration Age and the Later Roman Empire, Philadelphia 2006, S. 205.
2 Johann Zeuß, Die Deutschen und die Nachbarstämme, Heidelberg 1837, S. 476.
3 Vgl. Patrick Geary, Herausforderungen und Gefahren der Integration von Genomdaten in die Erforschung der frühmittelalterlichen Geschichte, Göttingen 2021.

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