J. Vogel: Wissensgeschichte des Salzes

Titel
Ein schillerndes Kristall. Eine Wissensgeschichte des Salzes zwischen Früher Neuzeit und Moderne


Autor(en)
Vogel, Jakob
Reihe
Industrielle Welt 72
Erschienen
Köln 2007: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
522 S.
Preis
€ 64,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ines Prodöhl, Deutsches Historisches Institut, Washington, DC

In den letzten Jahren sind zwischen der Wirtschafts- und der Kulturgeschichte zahlreiche Synergien entstanden, die sich unter anderem in der aktuellen Beliebtheit von Untersuchungen zum Konsum niederschlagen.1 Die „Wissensgeschichte des Salzes“ des Kölner Historikers Jakob Vogel fügt sich teilweise in diese Schnittstelle ein, indem sie nach der Produktion und dem Konsum von Salz zwischen Früher Neuzeit und Moderne fragt. Der Autor schreibt darüber hinausgehend allerdings eine Wissensgeschichte zur spezifisch stofflichen Natur, und damit zum Objekt Salz. Er fragt nach dem Wandel der maßgeblich von Experten wie etwa Salinisten, Bergbauwissenschaftlern, Medizinern und Chemikern geprägten Bedeutungszuschreibungen von Salz, und er thematisiert, wie diese die Produktion und den Konsum von Salz beeinflussten. Jakob Vogel möchte am Beispiel des Kochsalzes die „kulturprägende Bedeutung der Wissenschaften“ in den Blick nehmen, die neben dem Bereich von Wirtschaft und Politik „Sichtweisen und Umgangsformen der vergangenen Akteure auf ihre Lebensumwelt bestimmten“ (S. 31).

Für diese Fragestellung werden insbesondere das preußische und das österreichische Salzwesen zwischen 1750 und 1870 untersucht; am Rande des Blicks bleibt der Bereich des Seesalzes. Der Verfasser geht weitestgehend chronologisch und dabei vergleichend vor, er stellt aber das österreichische und preußische Salzwesen nicht in einem systematischen Vergleich gegenüber, sondern er arbeitet dynamisch. Die daraus resultierende unterschiedliche Tiefenschärfe beim Blick auf Preußen und Österreich begründet er damit, dass ein systematischer Vergleich zu sehr die Unterschiede zwischen beiden Staaten im Bereich des Salzwesens herausgestrichen hätte. Aus diesem Grund lehnt er sich an neuere methodische Ansätze an, die zum einen aus der Mikrohistorie und zum anderen aus der Transferforschung stammen.2 Sie sollen es ihm erlauben, die verschiedenen und sich überlagernden Konfigurationen der Wissensordnung beim Thema Salz herauszuarbeiten.

Das erste Kapitel widmet sich dem so genannten „Karlsbader Sprudelsalzstreit“ der 1760er- bis 1780er-Jahre, an dem das Spannungsfeld zwischen chemischem Expertenwissen und populären alchemistischen Anschauungen am Wissensgebiet Salz verdeutlicht wird. Diese Studie ist aufschlussreich für die Schwierigkeiten, mit denen sich die etablierenden naturwissenschaftlichen Experten in der Zeit der Aufklärung konfrontiert sahen, um ihr Wissen gegenüber Behörden und Kollegen geltend zu machen. Auch wenn dieser detailreiche Einstieg mit der mikrohistorischen Perspektive zunächst episodenhaft erscheinen mag, so schafft es der Autor damit jedoch, den Facettenreichtum bei der Aushandlung gesellschaftlichen Wissens in der Zeit der Aufklärung sichtbar zu machen.

Das zweite Kapitel thematisiert die Herausbildung neuer Experten im Bereich des Salzwesens am Beginn des 19. Jahrhunderts. Der Fokus liegt auf der besonderen Konkurrenzsituation zwischen den technologisch orientierten Salinisten, den eher finanzpolitisch ausgerichteten Kameralisten und den sich zunehmend profilierenden Bergbauwissenschaftlern. Diese Konkurrenz, die sowohl für Preußen als auch für Österreich zutrifft, entstand in einer Übergangsphase, als die zunächst verpachteten Salinen allmählich in staatlichen Besitz und damit in eine staatliche Verwaltung übergingen. Erstaunlicherweise setzten sich für die Kontrolle des Salzwesens im Rahmen der neuen Verwaltungen allerdings nicht die Salinisten durch, sondern die Bergbauwissenschaftler. Jakob Vogel thematisiert Gründe und Folgen dieser Verschiebungen. So konnten die Bergbauwissenschaftler bereits um 1800 das weitgehend professionalisierte Modell eines Bergbeamten anbieten, das als geeigneter für die Kontrolle des Salzwesens erschien. Demgegenüber beanspruchten die Bergbeamten zwar eine starke wissenschaftliche Expertise über das Salzwesen, diese entsprach jedoch in keiner Weise der Realität. Dass die Bergbeamten dennoch den maßgeblichen Einfluss auf das Salzwesen übernahmen, erklärt der Verfasser vor allem mit allgemeinen Wissensdiskursen in der Gesellschaft, wonach die Mineralienkunde und die so genannte „Geognosie“ gegenüber dem technischen Wissen von Ingenieuren bevorzugt wurden. Zudem verfügten die Bergbeamten als Angehörige einer aufgeklärten, bürgerlich-adligen Elite über ein wesentlich höheres soziales Kapital. Damit wird die Rolle von Experten in der modernen Gesellschaft hier als kontrast- und konfliktreich beschrieben. Es wird deutlich, dass die moderne Wissensordnung von zahlreichen Statuskämpfen gekennzeichnet war und sogar zu einem Feld der sozialen Absicherung werden konnte.

Das dritte Kapitel fragt nach der Rolle der Ärzte in der Auseinandersetzung zwischen den Salinisten und den Bergbauwissenschaftlern um die Kontrolle des Salzwesens. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts lässt sich eine zurückgehende Beschäftigung der Mediziner mit der Produktion von Salz beobachten. Sie beanspruchten allerdings nach wie vor eine zentrale Rolle bei der Bewertung des Stoffes. Sie waren es, die über die Wirkungsweise des Salzes auf den menschlichen Körper Auskunft gaben und eine Mittlerfunktion zwischen den Produzenten und den Konsumenten von Salz einnahmen. Im Kontext einer neuen bürgerlichen Reinheitskultur propagierten sie die heilende Wirkung des Bades in der Sole. Tatsächlich handelte es sich hier jedoch nicht um eine von aufgeklärten Medizinern entwickelte, innovative Heilpraxis wie von ihnen behauptet. Vielmehr griffen die akademisch gebildeten Ärzte auf das traditionelle Wissen der handwerklichen Bader zurück und deuteten dieses um. Damit wird die vermeintliche Entdeckung des Solebades als ein Mythos des 19. Jahrhunderts entlarvt, der in erster Linie von den Ärzten selbst geschaffen wurde.

Welche Rolle wiederum die sich etablierenden Chemiker in diesem Aushandlungsprozess zum Wissen über Salz vor allem in Preußen einnahmen, ist Gegenstand des vierten Kapitels. Die chemische Seite der Salzherstellung bildete am Ende des 18. Jahrhunderts kein klar umrissenes Wissensfeld mit einer eindeutigen akademischen Expertise. So gelang es der Chemie erst im Zuge ihrer generellen Etablierung als Disziplin eine diskursive Hoheit über die verschiedenen Produkte im Kontext der Salzherstellung durchzusetzen. Nichtsdestoweniger blieben für die Herstellung und Anwendung der verschiedenen Salzprodukte aber weiterhin das experimentelle praktische Wissen sowie die Interessen der Wirtschaft zentral, was der Autor zum einen für die Fabrikation chemisch-pharmazeutischer Produkte und zum anderen an Hand der chemischen Verarbeitung von bergmännisch gewonnenem Steinsalz zu Kalidünger beschreibt. Dieses Kapitel verdeutlicht die Grenzen der Verwissenschaftlichung, indem es am Beispiel der Chemie zeigt, dass eine zunehmende Zahl von Akademikern und eine verstärkte Institutionalisierung der Forschung keineswegs eine Rationalisierung im Sinne eines Fortschritts nach sich zog.

Das fünfte Kapitel beschreibt abschließend, welche Auswirkungen die wissenschaftliche Analyse von Salz und somit die chemische Trennung in die beiden Bestandteile Chlor und Natrium, für die Gesellschaft hatte und wie sie das Konsumverhalten im 19. Jahrhundert beeinflusste.

Damit hat Jakob Vogel eine Arbeit vorgelegt, die wissenshistorisch angelegt ist, dabei aber die klassischen Kategorien der Wirtschaftsgeschichte kritisch überprüft. So führt die „Wissensgeschichte des Salzes” eindrucksvoll vor Augen, dass die Industrialisierung des 18. und 19. Jahrhunderts im Bereich des Salzwesens nicht als eine direkte Umsetzung naturwissenschaftlichen Wissens hin zu einer vermeintlich fortschrittlichen Rationalisierung beschrieben werden kann.3 Allerdings, so unterstreicht die Arbeit, ist den modernen Wissenschaften bei der Bewertung des Industrialisierungsprozesses eine erhebliche kulturelle Bedeutung zuzuschreiben. Den etablierten Experten gelang es aufgrund ihrer kulturellen Deutungshoheit, die eigenen Vorstellungen über den Verlauf des Innovationsprozesses der Industrialisierung und über ihre eigene Rolle dabei in den Geschichtserzählungen zu verankern.

Jakob Vogel, so lässt sich abschließend feststellen, beschreibt Salz als ein Objekt in seinen Wissensbezügen. Die kulturgeschichtliche Fragestellung nach den Kontexten des Wissens über Salz zwischen Früher Neuzeit und Moderne lässt Rückschlüsse darauf zu, wie vielschichtig und vor allem wandelbar die Aushandlung von Wissen generell ist. Insofern gibt der Verfasser zahlreiche Anknüpfungspunkte dazu, wie sich die Beziehungen des Menschen zu seiner Umwelt historisch beschreiben lassen. Dieses Spannungsfeld am Beispiel des Salzes ist wohl durchdacht, aber es erschließt sich dem Leser aus zwei Gründen nur mühsam: Zum einen verstellen die zahlreichen Mikrostudien mitunter den Blick auf den gesamten Zusammenhalt der Arbeit, zum anderen mindert ein schwerfälliger Satzbau oftmals die Freude an der Erkenntnis.

Anmerkungen:
1 Mit methodisch schärfendem Blick vgl. etwa den Autor der vorliegenden Publikation selbst: Hartmut Berghoff / Jakob Vogel (Hrsg.), Wirtschaftsgeschichte als Kulturgeschichte. Dimensionen eines Perspektivenwechsels, Frankfurt/Main 2004.
2 Insbesondere in Anlehnung an Jacques Revel (Hrsg.), Jeux d‘échelles. La micro-analyse à l‘expérience, Paris 1996.
3 Wie etwa bei Margaret C. Jacob, Scientific Culture and the Making of the Industrial West, New York 1997.