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Titel
Die Kultur von Weimar. Durchbruch der Moderne


Autor(en)
Hoeres, Peter
Reihe
Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert, Bd. 5
Erschienen
Berlin 2008: be.bra Verlag
Anzahl Seiten
192 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Oliver Groß, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Im fünften Band der neuen Reihe „Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert“ widmet sich der Gießener Historiker Peter Hoeres der „Kultur von Weimar“, die nicht von 1933, also vom Ende der Republik, sondern von der Jahrhundertwende aus in Augenschein genommen werden soll. Ziel der Herausgeber Manfred Görtemaker, Frank-Lothar Kroll und Sönke Neitzel ist, den neuesten Stand der historischen Forschung verständlich, kompakt und anschaulich zu vermitteln. Die auf 16 Bände angelegte Reihe kann in ihrer Konzeption, ihrer Intention, ihrer Zielgruppe sowie ihrem Gehalt sicher erst nach ihrem vollständigen Erscheinen gewürdigt werden.

Hoeres kündigt im Prolog zwei weitere konzeptionelle Perspektiven an: Die „Sozialgeschichte der Ideen und der Kultur“ wie auch die „Amerikanisierung“ der deutschen Kultur von Weimar sollen in seinem Buch besondere Beachtung finden. Als Synonym für den erstgenannten Ansatz bietet er die „historische Medienwirkungsforschung“ (S. 9) an. Genau betrachtet lassen sich zwei unterschiedlich gewichtete Hauptteile ausmachen. Der erste und umfangreichste schildert kompetent politische, ideologische und vor allem philosophische Gegebenheiten der 1920er-Jahre. Im zweiten Teil stehen die Lebenswelten der „Weimarianer“ im Mittelpunkt. Dieser wiederholt verwendete Begriff hätte freilich näher bestimmt werden müssen, denn es ist fraglich, ob es in Anbetracht der multiplen Fragmentierungen der deutschen Gesellschaft in der „Weimarer Zeit“ sinnvoll ist, solch einen homogenisierenden Begriff zu verwenden.

In Unterkapiteln versucht Hoeres eine Vielzahl von Themen zu behandeln. Neben populären Medienereignissen, deren Auswirkungen und der Entwicklung jener Medien schildert er die zeitgenössischen Auseinandersetzungen um den vermeintlichen und tatsächlichen Einfluss der amerikanischen Massenkultur auf die deutsche Kulturlandschaft. Sowohl neue als auch tradierte Sichtweisen verfolgt er in seinen Ausführungen zu den Transformationen der Berufswelten und der Lebensweisen, etwa der Frauen und ihrer Sexualität. Der Untertitel des Buches „Durchbruch der Moderne“ kommt in den Kapiteln über Architektur und Kunst zum Tragen. Hoeres führt hier ein „Dreiphasenschema der Weimarer Kultur“ (S. 140) an, welches auf einer Abfolge von Expressionismus, Neuer Sachlichkeit und Politisierung beruhe.

Zu Beginn seiner Darstellung skizziert Hoeres den Topos „Berlin“ als eine moderne und pulsierende Weltmetropole der 1920er-Jahre. Obwohl er dieses „leuchtende Bild“ für ergänzungsbedürftig hält und daher knapp auf die politischen und sozialen Krisen der Zeit verweist, korrigiert er es nicht entschieden genug. So zeichnet sich bereits nach zwei Seiten eine Schimäre ab. Das angeführte Beispiel Berlin hätte zumindest einer Gegenüberstellung mit dem Berlin Heinrich Zilles bedurft. Dessen „Milljöh“ hätte – trotz einer Patina berlinischen Lokalkolorits – das Elend der städtischen Massen aufgezeigt, das im Gegensatz zum kulturellen Glanz der Kapitale bezeichnender für die Verhältnisse in den meisten deutschen Großstädten war. Erst gegen Ende des Bandes und eher beiläufig wird zudem auf eines der wesentlichen Charakteristika der Weimarer Republik hingewiesen: das der Mangelgesellschaft.

Unter der Überschrift „Symbole“ führt Hoeres elegant in die ideologischen und politischen Wirrnisse der „Weimarer Zeit“ ein. Die Auseinandersetzungen um die Nationalflagge und den Nationalfeiertag bieten eine spannende Sicht auf die hinlänglich bekannte politische Fragmentierung der Weimarer Republik. Im Kapitel „Sinnstiftung“ und in späteren thematischen Bezugnahmen darauf spiegelt sich der eigentliche Schwerpunkt des Werkes wider. Auch hier zeichnet sich jedoch ein deutliches Missverhältnis ab. Die sehr kenntnisreichen Ausführungen zur „Konservativen Revolution“ umfassen 21, die eher etwas hölzernen zu den „Linksintellektuellen“ lediglich sieben Seiten. Und besonders bei der Behandlung der „nationalsozialistischen Bewegung“ zeigt sich eine deutliche Ametrie, denn sie taucht zwar hier und dort, wenn auch eher aus dem Nichts, auf, schien jedoch der Darstellung von Hoeres zufolge dem kulturellen Leben wie entrückt zu sein. Erst im Epilog und im Zusammenhang mit dem „Tag von Potsdam“ am 21. März 1933 tritt dieses originäre und ‚erfolgreichste Kind‘ der Weimarer Republik wirklich in Erscheinung. Doch war der Nationalsozialismus eine kulturferne Entwicklung, die die politische Kulturgeschichte und die „Sozialgeschichte der Ideen“ nicht tangiert?

Neben der inhaltlichen drängt sich beim vorliegenden Werk die konzeptionelle Frage nach der Periodisierung auf. Zwar dient das Jahr 1933 innenpolitischen Betrachtungen zweifelsohne als Zäsur, wenn auch vielleicht schon nicht mehr nach den Mustern einer modernen „Meistererzählung“. Im Hinblick auf eine deutsche Kulturgeschichte jedoch verliert dieses „Epochenjahr“ seinen Zäsur-Charakter zusehends. Einzelne kulturelle Entwicklungen waren originärer Teil des politischen Wandels, der Systemveränderung und damit ureigenstes kulturelles Erbe der Weimarer Zeit. Der Großteil des kulturellen Lebens passte sich sowohl freiwillig als auch aufgrund obrigkeitsstaatlichen Drucks den Veränderungen nach 1933 an. Der kleinere Teil verlor mittels Verboten und Diffamierung vorübergehend oder endgültig an Bedeutung. Diese Wandlungen geschahen jedoch schubweise und in unterschiedlicher Intensität. Ferner vollzogen sie sich eben nicht in einem urplötzlich kulturlos gewordenen Raum, sondern in einem föderal geprägten Land, dessen regionale und nationale Kontinuitäten auch in der Zeit des Nationalsozialismus weiter wirkten. Die kulturellen Gemeinsamkeiten der Jahre vor und nach 1933 wiegen deutlich stärker als die Unterschiede. Daher erscheint dem Rezensenten insbesondere für kulturgeschichtliche Betrachtungen die Zwischenkriegszeit von 1918 bis 1939 als die vielversprechendere Periodisierung.

Neue Erkenntnisse im Detail zu bieten beansprucht die Darstellung von vornherein nicht, was zweifellos legitim ist. Hoeres‘ Fazit ruht auf zwei Feststellungen. Zum einen habe die Weimarer Kultur „sich nicht nur in einem von Gewalt und Krisen bestimmten Gehäuse entwickelt, sondern [barg] durchaus eigene Tendenzen zur Gewalt und Radikalität in sich“, zum anderen erweise sich die „hell leuchtende Moderne als ambivalent – faszinierend ambivalent“ (S. 159). Ähnlich blutleer schildert oder unterschlägt Hoeres Kontroversen zur Weimarer Republik, die Generationen von Geschichts-, Rechts-, Politik- und Sozialwissenschaftler ausgefochten haben und noch fechten. Sein eigenes Erkenntnisziel bleibt vage. Die im Prolog aufgeworfenen Fragen beantwortet er nur bedingt. Hermeneutische und analytische Ansätze klingen zwar an, versanden aber meist unmittelbar. Charakteristika der Weimarer Zeit wie etwa die folgenreiche Erschütterung der Institutionen sowie den Verfall der politischen Kultur greift Hoeres entweder gar nicht auf oder behandelt sie wie die „Mangelgesellschaft“ (S. 112) und die „Zerrissenheit der deutschen Gesellschaft“ (S. 138) eher en passant. Trotz der angesprochenen Disproportionalitäten ist die Darstellung dennoch verständlich und kompakt gehalten. Ein Großteil der hier geäußerten Beanstandungen ist sicherlich vornehmlich dem konzeptionellen Korsett der Reihe geschuldet.

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