In seinem für eine breite Leserschaft geschriebenen Buch zeichnet Jeremy Morris die Geschichte der Church of England von ihren Anfängen im 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart nach. Der Ansatz ist chronologisch, durchbrochen von vereinzelten Themenkapiteln, in denen Gottesdienstpraxis, das Priestertum, Musik oder Verwaltungsreformen besprochen werden. Morris‘ erklärtes Ziel ist, eine Geschichte der Church of England zu schreiben, in der die Menschen im Vordergrund stehen.
Vor allem im ersten Teil des Buches liegt der Schwerpunkt jedoch zunächst auf der politischen Geschichte: Nach einem kurzen Prolog über die mittelalterliche Kirche beginnt Morris seine Erzählung damit, dass die katholische Kirche in England, die ihre Autorität von Rom abhängig machte, zur Kirche von England wurde, die ihre Lehnstreue unter Gott der Krone und dem Parlament schuldete. Theologische Diskussionen beiseite, folgt die Darstellung daher stark dem Verhältnis von Kirche und Staat. Morris sieht darin drei formative Phasen: Die Reformation, die Krise des 17. Jahrhunderts, sowie die 1820er- und 1830er-Jahre. Folgt man seiner Darstellung, war die erste Phase durch die zentrale Figur des Monarchen sowohl in Staat als auch in Kirche geprägt. Morris beschreibt die Reformations-, Gegenreformations-, Bürgerkriegs- und Restaurationsperiode mit sicherem Blick auf die zentralen Ereignisse und Entwicklungen. Obgleich das Narrativ der Buchs durch die politischen Ereignisse getragen wird, geht es ihm immer auch darum zu erläutern, wie sich der Anglikanismus theologisch, rituell und glaubenspraktisch entwickelte, ebenso wie um die Ausbildung und Fortentwicklung institutioneller Strukturen.
In der zweiten Phase habe die Monarchie im 17. Jahrhundert ihre herausgehobene Stellung verloren. Der Weg in den Bürgerkrieg sei durch Fehler monarchischer Governance bedingt gewesen: Sei James I. ein kirchenpolitisch versierter Monarch gewesen, habe sein Sohn Charles I. den Anspruch eines absoluten Monarchen mit der Parteinahme für die konformistische Minderheit in der Church of England verbunden, mit desaströsen Konsequenzen für die Monarchie. Denn in dieser Zeit seien die Puritaner innerhalb der Kirche in der Mehrheit gewesen; die Kontroversen der Zeit seien daher auch Auseinandersetzungen darüber gewesen, was den „Anglikanismus“ theologisch ausmache. Zwar habe sich die konformistische Position durch die Nähe zum König letzten Endes durchgesetzt, jedoch mit einschneidenden kirchenpolitischen Konsequenzen im Zuge der „Glorious Revolution“ von 1688/1689. Durch die Bill of Rights seien der Macht des Königs Schranken gesetzt und Katholiken aus der Thronfolge ausgeschlossen worden. Obwohl die königliche Vorherrschaft unangefochten blieb, habe sich die Church of England von diesem Zeitpunkt an von einer monarchischen zu einer privilegierten und „etablierten“ Kirche einer konstitutionellen Monarchie entwickelt, für die die religiösen Ansichten des Monarchen an Bedeutung verloren. Das 18. Jahrhundert sei hingegen, wie der Autor betont, weder eine Zeit religiöser Trägheit noch eine Zeit der Selbstzufriedenheit gewesen. Die Kirche von England sah sich mit Herausforderungen durch den Katholizismus und durch nonkonformistische Sekten konfrontiert: durch Unitarier, Presbyterianer und vor allem durch den Methodismus.
In den späten 1820er-Jahren habe sich die dritte große Krise nach der Reformation und der Phase von Bürgerkrieg bis „Glorious Revolution“ ereignet, in der das Verhältnis zwischen Kirche und Staat neu ausgehandelt worden sei. Zwischen den Jahren 1828 und 1829 wurden im Zuge der Katholikenemanzipation auch die Einschränkungen für Angehörige anderer protestantischer Kirchen, sogenannte „Dissenters“, aufgehoben. Damit sei jedoch auch die anglikanische Kirche „partially disestablished“ worden (S. 217). Es folgt die Darstellung einer Kirche, die durch drohende und reale Veränderungen im Stellenwert zum britischen Staat bedroht und in sich in die religiösen Fraktionen von High Church, Low Church und Liberals gespalten war. Morris, der sich selbst dem anglo-katholischen Flügel zuordnet, stellt die einzelnen Fraktionen innerhalb der anglikanischen Kirche in England anschaulich vor und diskutiert ihre theologische Haltung und kirchenpolitische Stellung sachlich. Besonderen Raum erhalten die Verwaltungsreformen der viktorianischen und edwardianischen Ära, die die Kirche von einer vom britischen Parlament abhängigen Einheit in eine weitgehend selbstverwaltete verwandelten.
Wer nach dem Titel „A People’s Church“ eine reine Sozialgeschichte der Church of England erwartet, wird durch die inhaltliche Führung entlang des Verhältnisses von Kirche und Staat zunächst enttäuscht werden. An unterschiedlichen Stellen im Buch webt Morris jedoch gekonnt ein, welche Auswirkungen die Veränderungen in der Church of England auf unterschiedliche Bevölkerungsgruppen hatten. Das Narrativ wird dabei von thematischen Kapiteln durchbrochen, die die stark politikhistorisch geprägte erste Hälfte des Buches durch kultur- und sozialhistorische Aspekte ergänzt. So erfährt die Leser:in in diesen diachronen Kapiteln Details zur Gottesdienstpraxis, zum Priestertum, zur Musik oder auch zu den Kathedralen der Church of England. Dieser sozial- und kulturhistorische Blick unterscheidet das Buch von jüngeren Darstellungen wie Hervé Pictons „A short history of the Church of England“1: Legt letzterer in seiner Studie explizit den Fokus auf das Verhältnis von Kirche und Staat, sind es gerade die thematischen Querschnitte, die die von Morris dargestellte Church of England als politische, aber eben auch als sozial und kulturell geprägte Institution lebendig werden lassen.
Jeremy Morris hat sich der Herausforderung gestellt, die Geschichte der Church of England in einem Band mit 382 Seiten Text zu schreiben – erfolgreich, sollte man hinzufügen. Dass sich bei einer solchen Syntheseleistung kleinere Fehler im Detail einschleichen, ist zu erwarten. So war beispielsweise nicht Benjamin Jowett der Herausgeber des kontroversen Sammelbands „Essays and Reviews“ (1860), sondern John William Parker. Jedoch ist ein solches, von einem Theologen verfasstes Werk auch ein hybrides, das sich an unterschiedliche Leserschaften richtet. Index und bibliographisches Essay richten sich deutlich an das akademische Publikum, die zugängliche Sprache verspricht, eine breite Leserschaft anzusprechen. Der Theologe Morris kommt jedoch nicht umhin, sich zu aktuellen Kontroversen zu positionieren. Das zeigt sich besonders im Teil zum 20. Jahrhundert. Geht es zunächst noch um die Bilanz der Kirche während der beiden Weltkriege, befassen sich vor allem die letzten beiden Kapitel, die die Geschichte seit den 1960er-Jahren behandeln, mit aktuellen Themen wie dem Mitgliederschwund, der Frauenordination und Kontroversen über Sexualität. Den neuen Herausforderungen zum Trotz wird die Kirche im Buch durchgehend als eine ständig evolvierende, reformorientierte, und um den „richtigen“ Weg streitende dargestellt.
Dass dabei die imperialen Verflechtungen der Church of England weitgehend ausgeblendet werden, spricht der Autor selbst als bewusste konzeptionelle Entscheidung an und verweist auf die entsprechenden Kapitel der unter anderem von ihm selbst herausgegebenen und 2017 bei Oxford University Press erschienenen „Oxford History of Anglicanism“2. Das ist angesichts der Fülle des Materials eine nachvollziehbare Entscheidung. Trotzdem ist sie zu bedauern, denn gerade ein so zugänglich geschriebenes Buch hätte eine gute Gelegenheit geboten, die internationale und imperiale Rolle der Church of England breitenwirksam aufzuarbeiten. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass Jeremy Morris ein souveränes und zugängliches Überblickswerk verfasst hat, dem ein breite Leserschaft zu wünschen ist.
Anmerkungen:
1 Hervé Picton, A short history of the Church of England. From the Reformation to the present day, Newcastle upon Tyne 2015.
2 Jeremy Morris (Hrsg.), The Oxford History of Anglicanism, Vol. IV, Global Western Anglicanism, Oxford 2017.