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Titel
Spiel-Räume der Demokratie. Theaterbau in der Bundesrepublik Deutschland 1949–1975


Autor(en)
Schmitz, Frank
Erschienen
Anzahl Seiten
383 S., 221 Abb.
Preis
€ 49,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Benedikt Wintgens, Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Berlin

Die Geschichte der Bonner Republik ist auch eine Geschichte ihrer Theater und Theaterbauten. Fast jede größere westdeutsche Stadt verfügt bis heute über ein Schauspielhaus für Sprechtheater, Oper und Tanz, dessen Betrieb zu wesentlichen Teilen öffentlich finanziert wird. In kaum einem anderen Land gibt es auch so viele so groß dimensionierte Theatergebäude, die nur für ihren speziellen Zweck entworfen wurden. Die meisten dieser Stadt-, Landes-, Staats- oder Nationaltheater der Bundesrepublik stammen aus den 1950er- und 1960er-Jahren; je nach Zählweise kommt man auf bis zu 180 Neubauten aus dem sogenannten Wiederaufbau. Nach dem Zweiten Weltkrieg war der „große Boom“ infolge des „Wirtschaftswunders“ daher auch eine Glanzzeit der Theaterarchitektur.

Als „Medium einer kulturellen und letztlich politischen Selbstdefinition der Bundesrepublik“ (S. 27) interpretiert diese Geschichte der Baugattung Theater nun der Architekturhistoriker Frank Schmitz in seiner Habilitationsschrift, die von der Freien Universität Berlin angenommen wurde. Schmitz fragt nach dem Verhältnis von Architektur, Gemeinschaftsbildung und Demokratisierung nach dem Nationalsozialismus. Bei diesem Ansatz einer politischen Architekturgeschichte geht es explizit nicht um Theaterinstitutionen und Bühnenpraxis, weder um Spielpläne noch Inszenierungen, sondern um die Formensprache der öffentlichen Kulturbauten, außerdem um die Planungsphase, in der diese Formfindung verhandelt und entschieden wurde. Damit endet die Darstellung zeitlich, bevor sich im Theater der Vorhang zum ersten Mal hob. Besonders hervorgehoben sei aber der Auftritt der Publikation: Das im Gebr. Mann Verlag erschienene Buch ist mit 221 Fotografien und Bauzeichnungen ausgesprochen schön gestaltet, zumal Schmitz seine Argumentation auf Text und Bild gleichermaßen stützt. Die Studie gliedert sich in einen ausführlichen Analyseteil, ergänzt durch einen Katalog, der 38 ausgewählte Theaterbauten von Bad Godesberg bis Würzburg, von Lünen bis Schweinfurt steckbriefartig vorstellt. Auf dem Buchcover ist der 1961 eingeweihte Neubau der Deutschen Oper in West-Berlin zu sehen.

Ausgangspunkt der Untersuchung ist der hohe Stellenwert, den das Theater als Kunstform und soziales Ereignis in der Nachkriegszeit genoss. Zwar war die räumliche Dichte der Spielstätten ein historisches Erbe der deutschen Kleinstaaterei, in der es seit dem 18. Jahrhundert eine Vielzahl höfischer Theater gegeben hatte. Auch deren Zerstörung war eine unmittelbare Folge des Zweiten Weltkriegs. Spezifisch bundesdeutsch war aber die Frage, welche (neue?) Gestalt Theaterbauten in einer Demokratie bekommen sollten. Zur Konstellation der Nachkriegszeit gehörte zudem eine starke Nachfrage – ein Publikumsinteresse, das zu einer fast vollständigen Auslastung der Vorstellungen führte und keinen Zweifel daran ließ, dass dem Theaterbau Priorität gebühre. Zum breiten Konsens nach 1945 zählte darüber hinaus, dass Schauspielhäuser nicht nur zum identitätsstiftenden Straßenbild gehörten, sondern eine Kommune eigentlich erst als Stadt definierten – nicht zuletzt historisch junge Orte wie Ludwigshafen oder Wolfsburg. Daraus wiederum folgte weitgehend unhinterfragt, dass Bau und Unterhalt der Spielstätten, trotz der Kosten, eine hoheitliche Aufgabe seien. Gerade die Konkurrenz der Städte um das Prestige, das ein neues Theater einspielte, war laut Schmitz ein Motiv für ihre große Bautätigkeit. Einen beträchtlichen Dezentralisierungsschub des Kulturlebens erlebte die föderal geprägte Bundesrepublik schließlich infolge der Berliner Teilung und des Bedeutungsverlusts der einstigen Metropole, die in der Weimarer Republik auch die Theaterhauptstadt gewesen war.

Obwohl westdeutsche Schauspielhäuser bisher kaum zu den innovativen Schlüsselwerken im Kanon der Architekturgeschichte zählten, entwickelt Schmitz seine überzeugende These, dass der Theaterbau in der frühen Bundesrepublik eine herausragende Rolle dabei spielte, eine demokratische Architektur und Baupraxis zu entwerfen. Das gilt schon für die Entscheidungsverfahren, bei denen sich die Zahl der Beteiligten im Zeitverlauf kontinuierlich vergrößerte. Insofern versteht Schmitz Theaterbauten nicht allein als symbolischen Ausdruck eines bestimmten Demokratieverständnisses, sondern zugleich materiell als Ergebnis von Aushandlungs- und Entscheidungsverfahren zwischen Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit – als Resultat von Prozessen, die an demokratischen Ansprüchen gemessen wurden und sich immer weiterer Mitsprache öffneten. Akteure in dieser Arena waren neben freien Architekten und Hochbauämtern vor allem Kommunalpolitiker, Preisjurys und Fördervereine, zudem regionale und überregionale Medien sowie die städtische Öffentlichkeit. Als gängiges Verfahren kristallisierte sich in den 1950er-Jahren der Gestaltungswettbewerb heraus, der seit den 1970er-Jahren durch andere Formen der Partizipation ergänzt worden ist, auch wenn alle Beteiligten weiterhin um möglichst großen Einfluss ringen.

Infolge dieser (aus heutiger Sicht: zügigen) Planungsprozesse war das typische Theater der Bonner Republik ein Kompromiss: Architekten und Gestalter (damals fast nur Männer) fühlten sich dem Stil der Nachkriegsmoderne verpflichtet, während kommunale Entscheidungsträger großen Wert auf ein Theater am gewohnten zentrumsnahen Standort legten. Zugleich gingen beide Seiten davon aus, dass das bildungsbürgerliche Publikum mehrheitlich eine Rekonstruktion des Vorkriegsgebäudes, vor allem aber ein festlich-repräsentatives Schauspielambiente favorisierte. Während zu einzelnen Wettbewerben international bekannte Architekten wie Alvar Aalto eingeladen wurden, um Aufmerksamkeit und Qualität zu steigern, neigten die Stadtverwaltungen eher dazu, ortsansässige Architekten oder auf den Theaterbau spezialisierte Büros zu beauftragen. So wurde Gerhard Graubner der „meistbeschäftigte Theaterentwerfer der Bundesrepublik“ (S. 68). Binnen weniger Jahre plante er sieben große Spielstätten – darunter Bochum und Krefeld –, obwohl er für keines der Projekte einen Wettbewerb gewonnen hatte und obwohl seine Berufstätigkeit als Architekt und Hochschullehrer während des „Dritten Reiches“ nicht als unbelastet galt. Auf solche Aspekte der NS-Personalkontinuität geht die Studie leider zu wenig ein. Dem Überbegriff „Wiederaufbau“ zum Trotz war das Ergebnis dieser „Expertokratie“ (S. 88) meist ein neues Gebäude am alten Standort, ein Theater mit modernen, großen Fensterflächen und einer gediegenen, betont nicht-nüchternen Innengestaltung, wenn auch ohne historisierende Dekors.

Das typische bundesdeutsche Theatergebäude gliederte sich räumlich in drei Teile, die – dem funktionalistischen Ideal entsprechend – meist von außen deutlich zu unterscheiden waren. Zu diesem typischen Theater gehörten erstens ein Vorderhaus mit Eingangs- und Pausenbereichen sowie Verkehrsflächen; hinzu kam zweitens der Publikumssaal sowie drittens der Bühnenbereich, der meist klar durch einen Turm hervorgehoben wurde. Vor allem der Eingangsbereich öffnete sich zum Stadtraum hin; viele Foyers waren durch große Fenster und gläserne Türen charakterisiert, sodass am Theaterabend der Innenraum weithin leuchtete und das in vielen kleinen Gesprächsgruppen versammelte, festlich gekleidete Publikum von außen deutlich sichtbar war. Die Verwendung von Glas und der fließende, schwellenlos scheinende (allerdings aus heutiger Sicht meist nicht barrierefreie) Übergang zwischen Außen und Innen galten als besonders demokratisch, ebenso wie die Praxis eines einzigen allgemeinen Zugangs als egalitär verstanden wurde.

Eine besondere Herausforderung für die Entwicklung einer demokratisch konnotierten Theaterarchitektur war im Innern die Gestaltung des Zuschauersaals, vor allem der Sitzordnung. Anders als bei den gläsernen Foyers handelte es sich hierbei um hermetisch geschlossene Räume, bei denen symbolische Transparenz nicht in Frage kam. Als einer demokratischen Gesellschaft unangemessen galt allerdings die traditionelle Gliederung des Saales in unterschiedliche Ränge oder Logen, noch dazu wenn diese vertikal übereinander angeordnet werden sollten. Gesucht wurde ein „Gegenbild zum Typus des höfischen Rangtheaters“ (S. 116f.) – ein Ideal war dabei die auf die Bühne ausgerichtete, die antiken Ursprünge von Theater und Demokratie gleichermaßen aufnehmende amphitheatralische Sitzordnung in einem großen Zuschauersaal. Allerdings hatte diese Raumlösung praktische Nachteile, besonders was die Hör- und Sichtverhältnisse in den hinteren Reihen sowie die Publikumskapazität betraf. In den meisten Fällen entschied man sich daher für eine modernisierte Form des Rangtheaters, wobei die Gestalter viel Mühe darauf verwandten, alle elitären Konnotationen zu vermeiden und die räumliche Differenzierung optisch aufzulösen oder zu verflüssigen, etwa durch Spiegel, abgedunkelte Decken, Vorhänge oder Wandpaneele.

Frank Schmitz' präzise argumentierende Studie endet Mitte der 1970er-Jahre, als nicht nur der ökonomische Nachkriegsboom vorüber war, sondern auch der Bedarf an großen Theaterbauten gedeckt erschien. Der betont bildungsbürgerliche und stark konventionalisierte Theaterbesuch geriet vermehrt in die Kritik. Künstlerisch wurden ebenfalls neue, flexiblere Formen für ein zeitgemäßes Schauspiel gefordert.1 Anstelle der monofunktionalen Gebäude entstanden nun häufiger Mehrzweckhallen, wie sie in der DDR schon seit langem bevorzugt wurden. Denn Schmitz zufolge war der Theaterboom der Nachkriegszeit ein spezifisch westdeutsches Phänomen. Allenfalls zwischen dem Ost- und dem Westteil Berlins wurde der Systemwettbewerb auch im Medium von Schauspielhäusern ausgetragen. Im Rest der DDR wurde demgegenüber wegen der geringeren Wirtschaftskraft nicht nur weniger gebaut; hier entstanden vor allem Kulturhäuser, die für Theater, Film und Konzert sowie politische Versammlungen gleichermaßen genutzt werden konnten. Diese Gebäude bezieht Schmitz explizit nicht in seine Untersuchung ein, da sie gestalterisch und typologisch zu verschieden seien. Mehrere der bundesdeutschen Theaterbauten der Nachkriegszeit sind heute in einem sanierungsbedürftigen Zustand und unter veränderten Publikumsgewohnheiten Gegenstand der Kontroverse, beispielsweise in Köln oder Frankfurt am Main: Lohnt sich ihr Erhalt, nicht zuletzt als Baudenkmal, selbst wenn die Maßnahmen langwierig und teuer sind? Auch für diese aktuelle Diskussion bietet Schmitz' analytische Rekonstruktion des Theaterbaus der alten Bundesrepublik ein tragfähiges Fundament.

Anmerkung:
1 Vgl. Dorothea Kraus, Theater-Proteste. Zur Politisierung von Straße und Bühne in den 1960er Jahren, Frankfurt am Main 2007.

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