Cover
Titel
Schools and Screens. A Watchful History


Autor(en)
Cain, Victoria
Erschienen
Cambridge 2021: MIT Press
Anzahl Seiten
272 S.
Preis
€ 28,94
Rezensiert für die Historische Bildungsforschung Online bei H-Soz-Kult von:
Michael Geiss, Pädagogische Hochschule Zürich

Dieses Buch wartet mit einer interessanten These auf: Anhand des Verhältnisses von Schule und „Screens“ – gemeint sind sowohl Leinwände als auch Bildschirme – ließen sich die entscheidenden sozialen, politischen, kulturellen, ökonomischen und pädagogischen Konfliktlinien der Bildungsgeschichte bestimmen und aufeinander beziehen. In der Geschichte der visuellen Bildungsmedien kämen also die zentralen Momente einer Bildungsgeschichte des 20. Jahrhunderts zusammen. Entlang der Entwicklung des Schulfilms, des Bildungsfernsehens und des Computers im Klassenzimmer ließe sich so eine umfassende Bildungsgeschichte schreiben, die Kulturkämpfe, privatwirtschaftliche Interessen und soziale Antagonismen ebenso berücksichtigt wie Erwartungen an Lehrkräfte oder den Wandel pädagogischer Konzepte.

Victoria Cains Untersuchung ist 2021 bei der MIT Press erschienen und kommt nun auch als Paperback heraus. Die Darstellung umfasst gerade einmal 188 Seiten und gliedert sich in insgesamt fünf inhaltliche Kapitel, die von einer Einleitung und einem Resümee gerahmt werden. Die einzelnen Kapitel behandeln jeweils einen bestimmten Zeitraum und sind chronologisch geordnet, wobei einige Jahre unberücksichtigt bleiben und es an anderer Stelle zu Überschneidungen kommt. Cain hat sich trotz der chronologischen Anlage des Buches gegen eine streng lineare Erzählung entschieden. Stattdessen stehen jeweils unterschiedliche Phänomene im Mittelpunkt, die in einem bestimmten historischen Zeitraum Konjunktur hatten. Diese Vorgehensweise hat den Vorteil, dass keine Kontinuitäten behauptet werden, wo keine sind. Der Nachteil besteht darin, dass viele der Argumentationsstränge abrupt abbrechen und auch nicht immer wieder aufgenommen werden.

In der Einleitung skizziert Cain ihr ambitioniertes Programm anhand von vier Spannungsfeldern, die für eine Bildungsmediengeschichte des 20. Jahrhunderts zwingend zu berücksichtigen seien: „citizenship“, „race“, „private money“ und „teachers“ (S. 5). Diese sollen die historische Untersuchung anleiten. Wie die meisten Medieninnovationen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts weckten auch die „Screens“ Ängste und völlig entgrenzte Erwartungen an das, was sie leisten und bewirken könnten. Cain zeichnet das Engagement enthusiastischer Lehrkräfte und anderer überzeugter Interessengruppen in der Zwischenkriegszeit nach, mehr kritische Filmbildung und Bildung durch Film in der Schule und über das Klassenzimmer hinaus möglich zu machen. Die Möglichkeiten schienen immens, die Gefahren groß. Es bildete sich ein Markt mit einigen wenigen Anbietern und etablierten Vertriebswegen heraus. Die Inhalte sollten aus der Wissenschaft kommen, die Filmindustrie sorgte für eine zeitgemäße Produktion. Mit dem Kriegseintritt der USA änderte sich die Diskussion schlagartig. Nun ging es darum, mithilfe des Films möglichst schnell eine patriotische Haltung zu erzeugen.

In den 1950er- und 1960er-Jahren waren dann die Technokraten am Ruder, die gemeinsam mit der Ford Foundation an möglichst effizienten und effektiven Bildungstechnologien interessiert waren. Über den Bildschirm versuchten die Reformer, mit standardisierten Angeboten ins Klassenzimmer zu gelangen – und scheiterten an den massiven Widerständen der Bildungspraxis und lokalen Behörden. Zumindest diskursiv erfolgreicher war die progressive Filmbewegung, wiederum im Verbund mit privaten Stiftungen, die vor allem die emotionale Komponente in der Filmbildung betonte und kritische Sehgewohnheiten vermitteln helfen wollte. Dass sich das Schulfernsehen dann aber nicht in der Breite durchsetzte und der Bildschirm in den Klassenzimmern kaum zum Einsatz kam, hatte eher praktische Gründe. Es passte schlicht nicht zu den Bedürfnissen und Arbeitsroutinen der Lehrkräfte. Diese Erfahrungen hielten die Reformerinnen und Reformer in den Stiftungen und Behörden jedoch nicht davon ab, weiterhin an das pädagogische Potenzial des Fernsehens zu glauben, das dann mit der ab Ende der 1960er-Jahre erstmals ausgestrahlten „Sesame Street“ sowie anderen vor- und außerschulischen filmischen Bildungsangeboten eine lange und weit über die USA hinausreichende Karriere machen sollte.

Die 1980er- und 1990er-Jahre stehen für Cain ganz im Zeichen der Privatisierung und Kommerzialisierung, die sich auch im Schulfernsehen sowie in der Einführung von Computern und dem Ausbau von Internetanschlüssen niedergeschlagen hätten. Cain zeichnet also über das gesamte Buch einen gesellschaftlichen Wandel nach, der sich am Umgang mit den „Screens“ ablesen lasse. Vom filmischen Gruppenerlebnis in Echtzeit vor der Leinwand über die technokratische Standardisierung des Bildungsfernsehens und die Eroberung außer- beziehungsweise vorschulischer Lernorte durch das Bildungsfernsehen bis hin zum individuellen und „personalisierten“ (S. 143) Lernen am Computer.

Ihre Geschichte, so schreibt Victoria Cain einleitend, sei viel umfassender („bigger“, S. 4) als die Geschichte der Entwicklung von Unterrichtstechnologien. Und sie ist, so muss ich leider nach Lektüre dieses informativen und durchaus anregenden Buches sagen, auch viel umfassender als das, was in diesem Buch geleistet wird, wahrscheinlich geleistet werden kann. Dafür bietet Cains Darstellung eine Reihe an interessanten Überlegungen und historischen Schlaglichtern, die sich aber nicht zu einem kohärenten Bild zusammenfügen. Vielmehr stehen die einzelnen Kapitel etwas unvermittelt nebeneinander, auch wenn Cain immer wieder versucht, Querverbindungen zu ziehen. Vor allem überzeugt aber der Versuch nicht, die – selbst schon ambitionierte – Geschichte der Bildungsmedien im 20. Jahrhundert allein anhand der „Screens“ zu erzählen, da viele der beschriebenen, mitunter auch schon gut untersuchten Neuerungen nicht nur den Sehnerv ansprechen sollten, sondern explizit als multimediale Angebote konzipiert worden waren. Darüber hinaus war der Computer im Klassenzimmer nicht nur ein weiterer Schritt in der Einführung neuer Bildungsmedien und -technologien, sondern stand im Kontext einer gesellschaftlichen und – insbesondere – wirtschaftlichen Umwälzung, die weit darüber hinausging.

Die von Cain einleitend angeführten vier Zugänge stellen allesamt wichtige Perspektiven einer umfassenden und gesellschaftstheoretisch angelegten Bildungsmediengeschichte dar, auch wenn sie mitunter auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelt oder nicht trennscharf sein mögen. Jede der genannten Perspektiven hätte für sich genommen ein Buch verdient, wobei zur pädagogischen Mediengeschichte des „citizenship“ in den USA Katie Day Good oder Joy Lisi Rankin bereits wichtige Untersuchungen vorgelegt haben und die Lehrkräfte in den noch immer lesenswerten Arbeiten von Larry Cuban die Hauptrolle spielen.1 Ärgerlich ist, dass Cain das Thema „race“ zwar immer wieder prominent aufgreift, dann aber den historischen Entwicklungen nicht bis in die Verästelungen folgt. Dabei hätte gerade hier sehr viel Potenzial für eine Bildungsmediengeschichte als Geschichte gesellschaftlicher Konflikte gelegen.

Bleibt also noch die Bedeutung privaten Kapitals, das bei Cain vor allem in Form des tatsächlich beeindruckenden Engagements privater Stiftungen für den Einsatz visueller Bildungsmedien oder der Produktion der entsprechenden Film- und Fernsehbeiträge greifbar wird. Finanzen sind eine in der Geschichte von Bildungsmedien und -technologien sowohl für das 19. als auch für das 20. Jahrhundert bisher vernachlässigte Dimension. Um aber die Bedeutung privaten Geldes wirklich ermessen zu können, hätte Cain die steuerfinanzierten Ausgaben für Filmprojektoren und Filmrollen, für Fernsehgeräte, Computer und Software, für Wartung, Kabel- und Internetanschluss ebenfalls untersuchen müssen. Das hätte aber bedeutet, sich in einem großen Land wie den USA mit seinem ausgeprägten Föderalismus von einem nationalen Narrativ zu verabschieden und sich stattdessen in Fallstudien einzelnen Gemeinden oder Regionen anzunehmen.

Cain nennt an verschiedenen Stellen ihres Buches die Schwierigkeiten der öffentlichen Hand, für eine angemessene Infrastruktur in den Schulen zu sorgen. Sie zeigt, wie dies privaten Anbietern mit gar werbefinanzierten Angeboten die Tür zu sozial wie wirtschaftlich schlechter gestellten Regionen, Gemeinden oder Stadtteilen öffnete, in denen besonders viele schwarze Familien wohnten. Dies sind alles wichtige Beobachtungen – über die zugrundeliegenden Entwicklungen, die Interessenpolitik, Entscheidungswege, Erfahrungen und Kämpfe erfährt man aber zu wenig.

Anmerkung:
1 Katie Day Good, Bring the World to the Child. Technologies of Global Citizenship in American Education, Cambridge 2020; Joy Lisi Rankin, A People’s History of Computing in the United States, Cambridge 2018; Larry Cuban, Teachers and Machines. The Classroom Use of Technology since 1920, New York 1986.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit der Historischen Bildungsforschung Online. (Redaktionelle Betreuung: Philipp Eigenmann, Michael Geiss und Elija Horn). https://bildungsgeschichte.de/
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