Title
Zawodowe dziewczyny. Prostytucja i praca seksualna w PRL


Author(s)
Dobrowolska, Anna
Extent
240 S.
Price
39,90 zł
Reviewed for H-Soz-Kult by
Alicja Golańska, Osteuropaabteilung der Bayerischen Staatsbibliothek München

„Prostitution“ wird gemeinhin als körperliche Dienstleistung definiert, welche freiwillig und mit dem Ziel der materiellen Gewinnerzielung ausgeübt wird. In Polen entdecken Historiker:innen in der „Sexarbeit“ – so der alternative Begriff – zunehmend neue Möglichkeiten der Geschichts- und Frauenforschung. In ihrer 2020 publizierten Forschungsarbeit hat sich die Historikerin Anna Dobrowolska vorgenommen, die Umstände der Sexarbeit während des Sozialismus zu beleuchten.

Dobrowolskas Analyse ist Ausdruck einer jüngeren, liberalen Sichtweise auf das Phänomen. Der sog. „sexpositiven“ Perspektive folgend, nimmt sie Sexarbeit als bewusstes Tauschgeschäft in den Blick und gesteht Sexarbeiter:innen somit Selbstbestimmung und Entscheidungsfreiheit zu. Ihr Ziel ist es, „eine neue Geschichte der Sexarbeit vorzuschlagen, welche stärker auf die Erfahrung der Arbeiterinnen eingeht“ (S. 22). Damit grenzt sie sich sowohl von einem pejorativen Verständnis ab, das Prostitution als eine Tätigkeit am Rande der Gesellschaft sieht, als auch von der Haltung der zweiten feministischen Welle, die Sexarbeiter:innen als prinzipiell unfrei ansah.1 Indem sie einen „polymorphen“ Ansatz abseits der feministischen Fronten wählt (S. 13), gelingt es ihr, Fragen der agency zu fokussieren, ohne soziale Faktoren wie Herkunft, Migrationsgeschichte oder einen Mangel an Berufsaussichten aus dem Blick zu verlieren, die – wie der „sex negative feminism“ betont – zur Ergreifung des Berufs beitragen. Die polnischen Begriffe „prostytucja“ und „praca seksualna“ verwendet die Autorin analog zu den anglo-amerikanischen Definitionen, wobei der Begriff „Prostitution“ nur als Quellenbegriff auftaucht.

Ohne die Gender Studies mit ihrer Definition des vielfältigen sozialen Geschlechts zu ignorieren, konzentriert sich Anna Dobrowolska in ihrer Arbeit auf weibliche Prostitution und nennt hierfür auch überzeugende Gründe. So seien die Kategorien weibliche und homosexuelle (hier: von Männern ausgeübte) Prostitution die behördlichen Kategorien der Zeit, was eine tiefergehende Differenzierung ausschließe (S. 9).

Das Hauptthema der Monographie stellt der politisch-behördliche Umgang mit „Prostitution“ in der direkten Nachkriegszeit und der Volksrepublik Polen von 1946 bis 1989 dar. Damit schafft Dobrowolska eine thematische Fortsetzung zu Werken wie Maren Rögers „Kriegsbeziehungen“, welche Prostitution in Kriegszeiten beleuchten2, und wählt doch eine ganz andere Perspektive. Im Kern schreibt die Autorin eine polnische Diskursgeschichte über einen ganzen Berufsstand zwischen gesellschaftlicher Ausgrenzung und Faszination, politischen Ambitionen und behördlichem Versagen.

Im Einklang mit ihrem Anliegen, die agency der Sexarbeiterinnen sichtbar zu machen, lässt sie diese selbst zu Wort kommen. Die Stimmen der Frauen fließen in Form von Interview-Auszügen, mündlichen Erzählungen und Verhörprotokollen in das Buch ein. So beginnt jedes Kapitel mit dem persönlichen Bericht einer anderen Protagonistin, um ein Gegengewicht zum Narrativ der polnischen Miliz und der Regierungsbehörden zu schaffen. Diese Strategie hat allerdings einen Schwachpunkt, wie die Autorin selbst einräumt: Die Quellen sind keine echten Ego-Dokumente, vielmehr wurden sie von behördlichen oder medialen Akteuren gesammelt und aufbereitet (S. 17–19).

Dobrowolska unterteilt ihr Buch recht klassisch entlang politischer Zäsuren. Sie beginnt mit der Zwischenkriegszeit, deren politische Strategien zur „Bekämpfung der Prostitution“ bis weit in die 1950er-Jahre ausstrahlten. Der repressive Stalinismus mündete im politischen Tauwetter und schließlich in der allmählichen Öffnung gen Westen. Ihre Ausführungen enden schließlich mit einem knappen Ausblick auf die Auswirkungen der Transformation ab 1989. Im Wesentlichen arbeitet die Verfasserin den Umgang mit „Prostitution“ heraus, welcher von der wieder aufgegriffenen Reglementierung der Zwischenkriegszeit bis hin zu Versuchen der Abschaffung im Stalinismus und darüber hinaus reicht. Dobrowolska dokumentiert dabei akribisch die behördlichen und gesellschaftlichen Kategorisierungen der „Prostitution“. So unterzeichnete die sozialistische Regierung 1952 die UN-Konvention gegen Menschenhandel und Prostitution.3 Sie verpflichtete sich zur Bekämpfung, womit das Problem von offizieller Seite aus als gelöst galt.

Während „Prostitution“ anfangs als Ausweg aus der Armut pathologisiert worden sei, habe sie mit den Jahren allmählich an gesellschaftlichem Status gewonnen. Wie Dobrowolska vorführt, trugen dazu nicht zuletzt finanzielle Aspekte bei. Als Ende der 1970er-Jahre die Anwerbung von westlichen Kunden möglich wurde, avancierte die „Prostitution“ teilweise zu einem lukrativen Geschäft. Der Titel des Buches Professionelle Mädchen spielt darauf an. So bezeichneten in den späteren Jahren Angehörige der Miliz die Sexarbeiterinnen und erkannten damit ihre zunehmende Professionalisierung an. Diese äußerte sich etwa in der Etablierung von Geschäftsstrukturen wie dem Arbeiten in eigens angemieteten Hotelzimmern und einer internen Hierarchie, in welcher die Frauen je nach Möglichkeit auf- und absteigen konnten. Die Sexarbeiterinnen verstanden sich demnach zunehmend als Dienstleisterinnen und trugen, beispielsweise durch die Beschaffung von Devisen, zur sozialistischen Wirtschaft bei.

Dobrowolska erzählt die Geschichte aus der Sicht von drei Hauptakteuren bzw. Akteursgruppen: Den Sexarbeiterinnen, den Behörden (hauptsächlich der Polizeibehörde, die die Sexarbeit überwachte) und den Medien als Spiegel gesellschaftlicher Vorurteile und Fantasien. In den zeitgenössischen Medienproduktionen arbeitet sie eine versteckte Neugier der Bevölkerung heraus, die moralistische Aussagen mehr oder weniger verhüllten. Fakt ist, dass Sexarbeiterinnen mit der Etablierung der Luxusprostitution Anfang der 1980er-Jahre Zugang zu Privilegien bekamen, von denen die meisten Arbeiter:innen nur träumen konnten. Auch wenn der Beruf weiterhin als unmoralisch galt, wurden Prostituierte zur Projektionsfläche materieller Träume der Gesellschaft. Viele Sexarbeiterinnen seien sich ihrer privilegierten Position bewusst gewesen und hätten ein entsprechendes Selbstbewusstsein entwickelt.

Ein weiteres zentrales Thema des Buches betrifft die sexuelle Gesundheit der Bevölkerung. Da Sexarbeiterinnen als potenzielle Überträgerinnen galten, standen sie wiederholt im Zentrum von staatlich initiierten Kampagnen gegen die Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten. Eindrucksvoll beschreibt die Verfasserin die umfangreichen Maßnahmen zur Aufklärung und Behandlung der Bevölkerung, welche sogar Filmvorführungen in Betrieben beinhalteten. Sexarbeiterinnen wurden im Zuge behördlicher Aktionen in großen Zahlen registriert, ihre Tätigkeit stark reglementiert.

Anna Dobrowolska erzählt mit ihrem Buch die facettenreiche Geschichte der weiblichen Prostitution in der Volksrepublik Polen. Durch den konsequenten Einbezug der Frauenstimmen demystifiziert sie die gesellschaftliche Vorstellung von „der Prostituierten“. Die Protagonistinnen werden, wie von der Autorin beabsichtigt, als Menschen mit erzählenswerten Lebensgeschichten sichtbar. Sie zeigt außerdem, wie persönliche Motive oftmals mit politischen Zielen Hand in Hand gingen, und enthüllt auf diese Weise gekonnt eine Doppelmoral, welche den/die Leser:in stellenweise schmunzeln lässt. Eine effektive Bekämpfung der Sexarbeit, dies macht die Lektüre deutlich, geschah trotz vielfältiger Deklarationen der Regierung nicht; vielmehr wurde die Miliz mit der Aufgabe allein gelassen. Trotz der strengen politischen Linie wurden ausgewählte Sexarbeiterinnen sogar beschützt, um Informationen über westliche Kunden zu beschaffen. Auf gelungene Weise führt die Verfasserin so die große Diskrepanz zwischen dem Bild, das nach innen und außen transportiert werden sollte, und der Realität in der Volksrepublik vor Augen.

Anmerkungen:
1 Vgl. Anja Schmidt, Pornographie, Prostitution und sexuelle Kultur, in: Susanne Baer / Ute Sacksofsky (Hrsg.), Autonomie im Recht – Geschlechtertheoretisch vermessen, Baden-Baden 2018, S. 305–318.
2 Maren Röger, Kriegsbeziehungen. Gewalt und Prostitution im besetzten Polen 1939 bis 1945, Frankfurt am Main 2015.
3 Convention for the Suppression of the Traffic in Persons and of the Exploitation of the Prostitution of Others, Approved by General Assembly resolution 317 (IV) of 2 December 1949, Entry into force: 25 July 1951, in accordance with article 24 / https://www.ohchr.org/en/instruments-mechanisms/instruments/convention-suppression-traffic-persons-and-exploitation (24.02.2023).

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