K. Paramore: Ideology and Christianity in Japan

Title
Ideology and Christianity in Japan 1600-1900.


Author(s)
Paramore, Kiri
Series
Routledge/Leiden Series in Modern East Asian History and Politics
Published
London 2008: Routledge
Extent
240 S.
Price
$150.00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Reinhard Zöllner, Institut für Orient- und Asienwissenschaften, Abteilung für Japanologie und Koreanistik, Universität Bonn

Im November 2009 kritisierte der Generalsekretär der Demokratischen Partei Japans, die seit demselben Jahr die Regierung stellt, Christentum und Islam als selbstgerecht und exklusionistisch; sie seien daher ungeeignet, um Japans Gesellschaft aus der Krise zu helfen. Der Buddhismus könne dies viel eher.1 Nur auf den ersten Blick klingt eine solche Äußerung erstaunlich; nicht nur, weil sie teilweise mit Blick auf buddhistische Wähler bei einer anstehenden Oberhauswahl getan wurde. Die Stellung des Christentums in Japan ist seit langem umstritten. Gleichzeitig ist Japan das einzige ostasiatische Land, in dem trotz heftiger Bemühungen seit dem 19. Jahrhundert keine durchgreifenden Fortschritte christlicher Missionsarbeit erkennbar sind: In jedem seiner Nachbarstaaten ist der Anteil der Christen an der Bevölkerung deutlich höher als in Japan.

Kiri Paramore bewegt die Frage, ob zwischen dem auffälligen Misserfolg des Christentums in der Gegenwart und der als weltgeschichtliche Tatsache bekannten Verfolgung der Christen im 17. Jahrhundert ein Zusammenhang besteht. Allerdings interessiert ihn dabei nicht die religionshistorische Dimension. Er versteht diese Frage als politisches, als ideologisches Problem: „Was early Tokugawa anti-Christian discourse the forerunner of its modern equivalent? If not, how was it different? If there were similarities, does that mean that early Tokugawa anti-Christian discourse also helped shape modern Japanese ideology?“ (S. 2)

Paramores Leitfrage richtet sich implizit gegen zwei Positionen, die es bislang nicht nahegelegt hatten, so zu fragen. Der erste Angriff gilt Michel Foucault und seinen Anhängern, die in den Worten des von Paramore hier auch zitierten Neomarxisten Terry Eagleton „effectively abandon the concept of ideology altogether, replacing it with the more capacious ‚discourse‘.“2 Paramore teilt Eagletons Standpunkt, dass „the force of the term ideology lies in its capacity to discriminate between those power struggles which are somehow central to a whole form of social life, and those which are not.“ 3 Es geht Paramore in diesem Buch also nicht um einen beliebigen Diskurs über ein für die Gesellschaft nicht weiter bedeutendes Problem, sondern im Gegenteil um ein Schlüsselthema zum Verständnis der politischen (und sozialen) Ordnung in Japan seit dem 17. Jahrhundert.

Zweitens greift Paramore zwei Ansätze aus der Japanforschung vergangener Zeiten an, die einen ähnlichen Erklärungswert in Anspruch nahmen, aber dabei zur Rolle des Christentums nichts zu sagen hatten: Robert N. Bellahs zuerst 1957 erschienene Studie „Tokugawa Religion“4 und Herman Ooms „Tokugawa Ideology“5. Bellahs Werk ist ein an Talcott Parsons orientierter, modernisierungstheoretischer Versuch, im frühmodernen Japan eine der Weberschen protestantischen Ethik entsprechende Dynamik zu finden, die eine Brücke zur erfolgreichen ökonomischen Modernisierung des Landes schlug. Bellah identifizierte bestimmte buddhistische Ansätze als Kandidaten hierfür. Paramore erwähnt Bellah nicht einmal im Literaturverzeichnis, macht jedoch auf einem Nebenschauplatz den in ganz ähnliche Richtung laufenden Ansatz des Buddhologen Nakamura Hajime nieder, der in Gestalt des buddhistischen Mönchs Suzuki Shōsan einen Protagonisten kapitalistischen Denkens gefunden haben wollte.6 Für Paramore ist nämlich Shōsan, einer der ausgesprochensten Kritiker des Christentums im 17. Jahrhundert, nicht der pragmatische Wirtschaftsethiker, sondern „one of the best examples of completely politicized, or perhaps it is more accurate to say politically subservient, Buddhism in the early Tokugawa period“ (S. 93).

Auch Herman Ooms hat Suzuki Shōsan behandelt, allerdings in einem anderen Kontext: Ihm geht es um die Frage, wie nach 1600 „military power, the naked instrument of domination, was transsubstantiated through association with the sacred into political authority of a religious character“.7 Für Ooms wurde dies erreicht, indem man Versatzstücke aus Konfuzianismus, Buddhismus, Shintō und Volksreligion zu einem politischen, eklektizistischen, aber bewusst ahistorischen Diskurs zusammenfügte, der (im Sinne des von ihm zitierten Habermas) als gigantisches Täuschungsmanöver das Volk vergessen lassen sollte, auf welchen Verfälschungen der Wirklichkeit und ihrer Entstehungsgeschichte die Macht der Herrschenden beruhte.

Paramore interessiert sich aber nicht dafür, was ideologisch eingeschlossen wurde, sondern welche Rolle das Ausgeschlossene (nämlich das Christentum) bei der Formierung der japanischen Ideologie spielte. War, wie seit dem 17. Jahrhundert behauptet und seitdem bis in die jüngste Forschung hinein stereotyp wiederholt, die Brandmarkung des Christentums als ausländische und politisch gefährliche Religion für diesen Ausschluss ausschlaggebend?

In den Quellen der verschiedenen Zeiten, die Paramore untersucht, findet er hierfür kaum Belege. Der prominenteste japanische Theologe des 17. Jahrhunderts, (Fukan) Habian (oder Fabian), argumentiert im Gegenteil so sehr auf dem Boden der damals gängigen konfuzianischen und nichtkonfuzianischen Theoreme, dass Paramore die Parallelen zwischen Habian und dem gleichzeitigen Fujiwara Seika, der später als Ahnherr der neokonfuzianischen Tradition in Japan galt, für größer hält als zwischen Seika und Hayashi Razan, dem Bauherrn der konfuzianischen Orthodoxie im Dienst der herrschenden Tokugawa-Familie. Razans antichristliche Schriften, die von ihm entworfenen diplomatischen Korrespondenzen, aber auch seine Äußerungen zur innenpolitischen Lage in Japan machen, wie Paramore überzeugend nachweist, deutlich, wo für ihn der Hauptfeind steht: im autonomen Denken unabhängiger Subjekte, wobei „autonom“ für ihn gleichbedeutend mit „nicht-japanisch“ wird. Der Gott der Christen wie auch jede andere Form von Heterodoxie bedeuten für Razan Unordnung in der Gesellschaft, und so unterstellt er allen seinen ideologischen Gegnern, sie seien wie die Christen: natürlich nicht, was den Inhalt ihrer Überzeugungen angeht, sondern mit Blick auf ihre verheerenden, die mühsam errichtete politische Ordnung destabilisierenden Folgen.

Nach der erfolgreichen Ausrottung des Christentums in den 1640er-Jahren wird es zunächst ein akademisches Problem; man weiß darüber nur, was man chinesischen Quellen entnimmt, und hält es nach deren Analyse nicht für besonders gefährlich. Dies ändert sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts, als man erkennen muss, dass die näher rückenden christlichen Mächte des Westens durchaus in der Lage sind, das Christentum als ordnende Ideologie, ja sogar zur Ausbildung des Volkes als gehorsame Soldaten einzusetzen. Zwar wird ihm weiterhin vorgeworfen, den Individualismus und damit die Illoyalität gegenüber dem Herrscher zu ermutigen. Auf der anderen Seite beginnt jetzt der Versuch, eine eigene, moderne (das heißt: das Volk einbeziehende) Ideologie zu entwerfen. Nach der Meiji-Renovation von 1868 werden Einwände der westlichen Philosophie gegen das Christentum gern aufgegriffen. Inoue Enryō, der sich auf Hegel und Spencer beruft, sieht Buddhismus und Shintō aus einem evolutionären Prozess in Japan als harmonisierende, die Auflösung aller Widersprüche ermöglichende geistige Kräfte hervorgegangen. Inoue Tetsujirō kritisiert den christlichen Universalismus als Verrat am Vaterland; wer alle Menschen gleichermaßen lieben wolle, könne kein Patriot sein. Aus dieser Kritik heraus entsteht das Konzept eines japanischen Staatskörpers (kokutai), das für Paramore mehr als nur eine „invention of tradition“ darstellt (S. 164), nämlich die konsequente Fortsetzung eines Diskurses über Orthodoxie, gesellschaftliche Ordnung und Unterordnung des Religiösen seit den Tagen des 17. Jahrhunderts, als der Diskurs über das Christentum zum Vehikel eines Diskurses über die kontrollierte Gesellschaft wurde.

Paramore hat fleißig und umfassend recherchiert und demonstriert auch noch überzeugend, wie stark sich sogar die heutige wissenschaftliche Forschung von den Paradigmata leiten lässt, die der antichristliche Diskurs selbst gesetzt hat. Die noch heute in Japan anzutreffenden Vorbehalte gegen das Christentum passen gut zu Paramores auf gründliche Textanalysen gestützter Argumentation. Sein Buch ergänzt unser Bild nicht nur der Geistesgeschichte, sondern vor allem der politischen Geschichte des frühmodernen und modernen Japans um eine bislang weit unterschätzte Facette.

Anmerkungen:
1 The Japan Times, 11. November 2009, <http://search.japantimes.co.jp/cgi-bin/nn20091111a2.html> (07.06.2010).
2 Terry Eagleton, Ideology. An Introduction, London 1991, S. 8.
3 Ebd.
4 Robert N. Bellah, Tokugawa Religion. The Values of Pre-Industrial Japan, Glencoe 1957.
5 Herbert Ooms, Tokugawa Ideology. Early Constructs, 1570-1680, Princeton 1985.
6 Hajime Nakamura, Der religionsgeschichtliche Hintergrund der Entwicklung Japans in der Neuzeit, in: Constantin von Barloewen / Kai Werhahn-Mees (Hrsg.), Japan und der Westen. Bd. 1, Frankfurt am Main 1986, S. 56-94.
7 Ooms, Tokugawa Ideology, S. 61.

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