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Titel
Man-Made Future. Planning, Education and Design in Mid-Twentieth-Century Britain


Autor(en)
Whyte, Iain B.
Erschienen
London 2007: Routledge
Anzahl Seiten
272 S.
Preis
$ 45.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
David Kuchenbuch, Institut für Geschichte, Universität Oldenburg

Zur Periodisierung des 20. Jahrhunderts gehört die Feststellung, die Zeit ab der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre sei gekennzeichnet durch den Bedeutungsverlust des expertengestützten Planens als „Handlungsmuster“. 1 Der Konjunktur des Planungsbegriffs in der Zäsurenbildung hin zur Welt „nach dem Boom“ entspricht eine vermehrte Beschäftigung mit Planungs- und Steuerungskonzepten in den 1960er-Jahren, die als Kernzeit einer systemübergreifenden Planungseuphorie ausgemacht worden sind. 2 Und doch sind die Varianten von Planung als im 20. Jahrhundert äußerst folgenschwerer Rationalität noch nicht ausreichend erforscht. Dabei stellt die historiographische Methodenerweiterung der letzten beiden Jahrzehnte Ansätze bereit, die eine Auseinandersetzung mit diesem Phänomen vielversprechend erscheinen lassen.

Das gilt insbesondere für das Verhältnis zwischen der planerischen Designierung der Zukunft und der „Verwissenschaftlichung des Sozialen“ (Lutz Raphael). Das Soziale wird zunehmend als Gegenstand diskursiver Verhandlungsprozesse verstanden, und damit rückt das Interventionsdenken bestimmter, oft transnational agierender Akteure – bürgerlicher Sozialreformer, Sozialingenieure, Politikberater – in den Blick. Deren Zukunftswissen und Gegenwartsdiagnosen entsprangen spezifischen gesellschaftlichen Krisenwahrnehmungen und Ordnungsimperativen. Insbesondere die Zeitsemantik dieser Akteure zwischen Prognosen, utopischen Zielen und konkreten Planungsschritten ist von Interesse. Denn die Untersuchung der Inbezugsetzung von Gegenwart und Zukunft im „Plan“ verspricht Erkenntnisse über die Deutungshorizonte und Erwartungen der Eliten im 20. Jahrhundert. Und sie kann zu einem verbesserten Verständnis der Freisetzungs- wie der Zerstörungspotentiale führen, die die „Verkürzung der Realisierungszeiträume weit ausgreifender Zukunftsentwürfe“ entfesselte. 3 Darüber hinaus bietet sich das Thema Planung für die Untersuchung moderner Regierungsrationalitäten im Dreieck von Politik, Wissenschaft und Öffentlichkeit an. Die Beschäftigung mit Planung schärft das Bewusstsein um den Machtcharakter anwendungsorientierten Expertenwissens. So können die Etablierung der Sprecherposition „Experte“, die Stiftung von Interventionsbedarf und/oder wissenschaftlicher Evidenz beleuchtet und so die zeitweise umfassenden Handlungsspielräume von Planern erklärt werden. Interessant ist hierbei auch die Medialität der Planungswerkzeuge – man denke nur an das Verbundmedium Regionalplan, das aus Prognosen, Karten, Textteilen, Statistiken usw. besteht.

Vor diesem Hintergrund erfreut der Sammelband „Man-Made Future“. Er versammelt Aufsätze, die sich mit einer paradigmatischen Variante von Planung befassen. Nämlich mit der Stadtplanung, genauer: der britischen Stadtplanung der 1930er- bis 1970er-Jahre im transnationalen Kontext. Der Sammelband beinhaltet (überwiegend) Beiträge zu einer Tagung, die 2003 in Edinburgh stattfand, und zwar anlässlich des Vorhabens, umfassende Archivbestände zur britischen Planungsgeschichte zu erschließen, die Percy Johnson-Marshall, Edinburgher Professor für Urban Design and Regional Planning gesammelt hat. 4 Tagung und Sammelband sollten verschiedene Zugänge zum Thema Planung vorstellen. Jules Lubbock gibt gleich zu Beginn die Stoßrichtung vor, wenn er fragt: „Why has the act lasted so long?“ Wie lassen sich die Entstehung und Dauerhaftigkeit einer „de-facto-Nationalisierung“ (S. 1) des Rechts auf Bodennutzung durch den „Town and Country Planning Act“ von 1947 erklären? Tatsächlich befassen sich die interessantesten Beiträge des Bandes mit den Ursachen der Stabilität des „post-war-consensus“ über die Planung.

Ian Boyd Wyhte etwa beleuchtet die Mitwirkung Otto Neuraths bei der Öffentlichkeitsarbeit der Planer in Bilston, einem Vorort von Wolverhampton, in den 1940er-Jahren. Neurath hatte bereits in den 1930er-Jahren im Kontext der CIAM mit Stadtplanern kooperiert und hier seine bildstatistische Methode vorgestellt. 5 Im englischen Exil erstellte er Graphiken zu Sozial- und Wirtschaftsdaten, die auf Ausstellungen gezeigt wurden, um das öffentliche Bewusstsein um den Planungsbedarf zu steigern. Wie Whyte herausarbeitet, war das Dargestellte durchaus nicht „value-neutral“, nicht lediglich als Anregung zur Debatte angelegt, sondern die didaktische Aufbereitung des Materials sollte dazu beitragen, die Bevölkerung überhaupt erst zur Mitsprache zu befähigen – und reproduzierte dabei normativ das Wissen der um Beteiligung bemühten Planer.

Peter Larkham untersucht Broschüren der Regional- und Stadtplanung der 1940er- und 1950er-Jahre und nimmt dabei insbesondere die Gestaltung dieser Publikationen in den Blick. Die perspektivischen Zeichnungen, die die Planungsergebnisse verbildlichen, aber auch die genutzten Typographien schwanken stilistisch zwischen modernistischen und traditionalistischen Idiomen. Eher selten, so zeigt Larkham, kommen dezidiert „moderne“ Visualisierungstechniken wie Axonometrien zur Anwendung. Zwar wird die Notwendigkeit zu planen immer wieder unterstrichen, indem Vorher und Nachher, Alt und Neu einander gegenübergestellt werden. Es überwiegt aber ein kompromisshafter Duktus; oft sind zudem altbekannte städtische Objekte in die Darstellungen integriert. So entstand der Eindruck einer planerisch gebändigten Modernität. Die exemplarische graphische Ausgestaltung der Pläne verdeutlicht also, wie die Planerelite sich die Zukunftsvorstellungen der von Planung Betroffenen vorstellte.

Mit der Popularisierung von Planung befasst sich auch Volker Welter, der den narrativen Zusammenhang von stadthistorischen „Genealogien“ und radikalen Neugestaltungsabsichten in Büchern Arthur Korns, Lewis Mumfords und Ludwig Hilberseimers der 1940er- und 1950er-Jahre untersucht. Schlüssig zeigt er, dass alle drei Veröffentlichungen – Hilberseimers „The Nature of Cities“, Korns „History Builds the Town“ und Mumfords „The Culture of Cities“ – historische Stadtbilder und die antizipierte Zukunftsstadt in einen „evolutionären” Geschichtsverlauf einbetten. Planungsvorhaben werden als „teleological goals” (S. 60) ausgewiesen und so eine Planung, die weitreichende Zerstörungen überkommener Siedlungsgebilde impliziert, als Realisierung eines ohnehin in der Stadtentwicklung angelegten Vorgangs legitimiert.

Auch Michel Dehaenes Aufsatz, das Glanzstück des Sammelbandes, untersucht Beglaubigungsverfahren, und zwar in Patrick Abercrombies und Max Locks Plänen für London respektive Middlesbrough. In beiden Fällen wurde die Einteilung des Stadtgebildes in überschaubare „Nachbarschaftseinheiten“ als Verstärkung bestehender sozialer Entitäten propagiert. Dehaene verdeutlicht, wie bei der Erstellung von Abercrombies „County of London Plan“ (CLP) durch die Samplingtechniken verschiedener „Surveys“ eine Überlagerung der Sozialstruktur um alte Londoner Dorfkerne herum mit der Verteilung von Schulen und der Verkehrsführung „assoziert“ wurde. Im CLP wird als Planungsbeispiel die künftige Nachbarschaft Eltham dargestellt. Ein Diagramm suggeriert eine Ähnlichkeit zwischen dem historischen Dorf und der zu planenden Nachbarschaftseinheit, was den Eindruck hervorruft, Planung verstärke allenfalls ein „organisches“ Wachstum. So wurden im CLP wertbehaftete Planungsziele mittels spezifischer Verfahren der Datenorganisation zu wissenschaftlich erfassbaren Entitäten hypostasiert, die die Planung als im Keim vorhandene Potentiale zu realisieren anhob – und so die „Objektivität“ der Planverfasser ausgewiesen. Die Nachbarschaftseinheit war eine „normative Kalibrierung“ (S. 43) des wissenschaftlich Wahrgenommenen. Die „kodifizierte Sprache“ der Planer formatierte die Praktiken der Erfassung und Darstellung des sozialräumlichen Bestands. Experten fanden „in a mass of empirical data the contours of a set of concepts that have been posited a priori and which guarantee the unity of the narrative.“ (S. 44)

Nicht im Einzelnen dargestellt, aber durchaus zur Lektüre empfohlen werden können weitere Texte des Sammelbandes. So beleuchtet Louise Campell Versuche des Stadtplaners Donald Gibson, mittels „emblematischer“ Verfahren – etwa durch Überhöhung des städtischen Gemeinschaftsgeistes in Wandfriesen – die Identifizierung der Bevölkerung mit dem neuen Stadtzentrum Coventrys zu steigern. Aufschlussreich auch der Problemaufriss Keith D. Lilleys zum Stellenwert der Planung im Bewusstsein der Menschen in Coventry und der Beitrag John McKeans zur Gestaltung der britischen Universitätscampus als demokratische „model communities“. Gelegentlich bleibt in manchem dieser Aufsätze die Historisierung des Rationalitätstyps Planung auf halbem Wege stehen, wenn lediglich dessen Demokratiedefizite aufgezeigt werden. Dennoch: Allein die Vielfalt der untersuchten Quellentypen rechtfertigt ein Lob. Viel wäre allerdings gewonnen worden, wenn anstelle einer knapp zweiseitigen Vorrede Whytes eine längere Einleitung den Versuch unternommen hätte, die fast allen Beiträgen inhärente Perspektive auf das Verhältnis von Planung, Evidenz und Macht zu systematisieren – also den Analysen die Frage voranzustellen, wie umfangreiche Planungsvorhaben in einer demokratischen Gesellschaft wie der britischen durchgesetzt werden konnten. Das Versprechen des Titels, hier werde ein historisches Verhältnis von Gestaltbarkeitsoptimismus und Zukunftsaneigung thematisiert, hätte so stärker eingelöst werden können. Die von Lubbock eingangs gestellte Frage nach der Longue durée des Planungskonsenses ist nicht geklärt – aber Wege zu ihrer Beantwortung sind aufgezeigt worden. Die Untersuchung von Dispositiven zur Implementierung von Zukunftsentwürfen birgt große Potentiale für ein Verständnis der Funktionsweise moderner Gesellschaften.

Anmerkungen:
1 Anselm Doering-Manteuffel, Nach dem Boom: Brüche und Kontinuitäten der Industriemoderne seit 1977, in: Vfzg 44 (2007), S. 559-581, hier S. 566.
2 Vgl. etwa Glen O' Hara, From Dreams to Disillusionment: British Economic and Social Planning in the 1960s, Basingstoke 2006 sowie die Beiträge in Heinz-Gerhard Haupt / Jörg Requate (Hrsg.), Aufbruch in die Zukunft. Die 1960er-Jahre zwischen Planungseuphorie und kulturellem Wandel. DDR, CSSR und Bundesrepublik Deutschland im Vergleich, Weilerswist 2004.
3 Lucien Hölscher, Die Zukunft zerstört die Vergangenheit. Zerstörungspotentiale in den Zukunftsentwürfen des 20. Jahrhunderts, in: Bettina Paust u.a. (Hrsg.), Aufbauen – Zerstören. Phänomene und Prozesse der Kunst, Oberhausen 2007, S. 9-18, hier S. 13.
4 Zur Sammlung: <http://www.johnson-marshall.lib.ed.ac.uk/about/index.html>
5 Vgl. Nader Vossoughian, Mapping the Modern City: Otto Neurath, the International Congress of Modern Architecture (CIAM), and the Politics of Information Design, in: Design Issues 22 (2006) Nr. 3, S. 48-66.

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