R. Rosenberger: Experten für Humankapital

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Titel
Experten für Humankapital. Die Entdeckung des Personalmanagements in der Bundesrepublik Deutschland


Autor(en)
Rosenberger, Ruth
Reihe
Ordnungssysteme - Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit 26
Erschienen
München 2008: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
482 S.
Preis
€ 64,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gertraude Krell, Universitätsprofessorin (a.D.) für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Personalpolitik

„Experten für Humankapital“ ist Ruth Rosenbergers an der Universität Trier entstandene und von Lutz Raphael betreute Dissertation, hervorgegangen aus dem DFG-Projekt „Intelligenzmessung und Prognose. Psychologische Eignungsdiagnostik in westdeutschen Großunternehmen, 1950–1980“. Basierend auf den Arbeiten Pierre Bourdieus wird die Konstitution des personalpolitischen Feldes als „Schauplatz von Auseinandersetzungen und Kämpfen“ nachgezeichnet (S. 32).

Im Mittelpunkt stehen die „Experten für Humankapital“ bzw. „betrieblichen Humanexperten“. Unter diese Kategorie rubriziert werden zum einen „Betriebspsychologen“ (eine Schwerpunktsetzung, die auch dem genannten DFG-Projekt geschuldet sein dürfte) und zum anderen „Praktiker aus betrieblichen Personal- und Sozialabteilungen“ als so genannte „Personalexperten“ (S. 17f., S. 115). Untersucht werden deren Beziehungen untereinander sowie zu „konkreten benachbarten Akteuren und Feldern“ (S. 36), insbesondere zu den „technisch orientierten Rationalisierungsingenieuren“ (zum Beispiel S. 43), aber auch zu akademischen Vertretern anderer Fächer wie Betriebswirtschaftslehre und Soziologie, zu Arbeitgebern und deren Verbänden, zu Gewerkschaften sowie diversen Forschungs- und Ausbildungsinstitutionen. Zwar kann man über die Kategorisierung der zentralen Akteure streiten: Warum zum Beispiel fällt der Betriebswirt Guido Fischer als eine „Zentralfigur der Konstituierungsphase des personalpolitischen Felds“ (S. 123) per definitionem nicht unter „Personalexperten“? Aber auf ihrer Basis zeichnet Rosenberger ein hoch informatives und sehr lebendiges Bild dieser Gruppen und ihrer (Inter-)Aktionen, insbesondere ihrer Profilierungs- und Positionierungsstrategien in dem entstehenden Personal-Feld – inklusive der dafür genutzten Ressourcen.

Schwerpunktmäßig wird der Zeitraum von 1945 bis 1955 untersucht, in dem zahlreiche Weichenstellungen stattfanden. Darüber hinaus verfolgt werden aber auch die Vorgeschichte ab Beginn des 20. Jahrhunderts und Entwicklungslinien bis in die 1970er-Jahre. Als Quellen verwendet Rosenberger vor allem die zeitgenössische Fach- und Expertenliteratur (unter anderem wurden 14 Fachzeitschriften ausgewertet). Für die sechs betrieblichen Fallbeispiele (davon zwei zu zwei verschiedenen Zeitpunkten) wurden zudem Unterlagen aus den Unternehmensarchiven benutzt und sieben Interviews mit ehemaligen Betriebspsychologen und Personalexperten geführt. Auch wenn diese Fallbeispiele vertiefende Einblicke ermöglichen und deshalb sehr bereichernd sind, so scheint doch diskussionsbedürftig, dass die Autorin hier verallgemeinernd von der „Rekonstruktion der betrieblichen Praxis“ spricht (S. 38).

Rosenberger zeigt material- und facettenreich, welche Akteursgruppen mit welchen Mitteln um die Definitions- und Positionsmacht in dem entstehenden Feld gerungen haben. Über die klassischen Diskurspositionen „Rationalisierungsingenieure“ versus „Humanexperten“ und Arbeitgeberverbände versus Gewerkschaften hinaus werden zahlreiche Positionierungsbemühungen und -kämpfe nachgezeichnet. Ebenso spannend wie aufschlussreich sind zum Beispiel die Analysen der Abgrenzungs- und Profilierungsstrategien der Akteure aus den unterschiedlichen Fachdisziplinen. Gleiches gilt für die Analysen der Verteilungskämpfe um „Zuständigkeiten“ für Segmente bzw. (Teil-)Felder innerhalb des gesamten Personal-Feldes. So wird etwa herausgearbeitet, wie der Düsseldorfer Studienkreis „Der Neue Betrieb“ (DNB), aus dem später die „Deutsche Gesellschaft für Personalführung“ (DGfP) hervorgegangen ist, als sein Betätigungsfeld die Aus- und Weiterbildung der Personalleiter entdeckte und definierte – und „damit ein Feld [erschloss], das die Unternehmer und Arbeitgeber übersehen oder ignoriert hatten“ (S. 342). Diese hatten sich zwar eine dominante Stellung verschafft, aber auf die Aus- und Weiterbildung von Führungskräften konzentriert. Zwei weitere Beispiele, die mich besonders beeindruckt und beschäftigt haben, möchte ich etwas ausführlicher erwähnen.

Im ersten Beispiel geht es um das von Rosenberger an vielen Stellen analysierte „Gendering“ des Personal-Feldes. Es wird verdeutlicht, dass es sich um ein Feld handelte, das von – überwiegend militärisch oder auch kameradschaftlich orientierten – Männern und deren Netzwerken sowie von deren „Männlichkeits“-Vorstellungen dominiert war. Angesichts dessen bestand die Positionierungsstrategie der wenigen Betriebspsychologinnen (Erika Hantel, Irmgard Berghaus und Liselotte Cauer-Klingelhöffer) darin, eine – ergänzende – „weibliche“ Perspektive zu formulieren und zu fordern sowie auf weibliche Arbeits- bzw. Führungskräfte als ihre spezielle Zielgruppe zu fokussieren – eine Positionierung um den Preis einer „signifikanten Selbstbeschränkung“ in mehrfacher Hinsicht (S. 317). Diese Befunde passen nicht nur zu ähnlichen Ergebnissen über die Rolle von CDU-Politikerinnen der 1950er-Jahre, auf die Rosenberger selbst verweist (S. 318), sondern auch zu den Arbeiten von Christiane Eifert über Unternehmerinnen1 und von Birgit Althans über „Frauen zwischen Sozialarbeit und Management“.2

Bei dem zweiten Beispiel handelt es sich um die Strategie verschiedener Akteure, ihre eigenen Vorstellungen und Konzepte „im Namen der ‚Human Relations’ zu verbreiten“ (S. 197), um von der Reputation der USA in Sachen fortschrittliches (Personal-)Management zu profitieren. In dem 1952 erschienenen Buch „Unternehmer gehen zur Schule“ von Ludwig Vaubel geschah das laut Rosenberger beispielsweise „durchsetzt mit englischsprachigen Zitaten, die den Eindruck der Authentizität erhöhen sollten“. Autorität signalisieren sollte der zitierte, „namentlich nicht identifizierte ‚Professor aus Harvard’“ (S. 297). An diesem zweiten Beispiel möchte ich noch etwas verdeutlichen, das mir an Rosenbergers Buch besonders gut gefallen hat: die Liebe zum Detail – mit der hier zum Beispiel die rhetorischen Strategien derer analysiert werden, die ein Thema bzw. eine Idee „vermarkten“ wollten.3 Als besonders bedeutsam für die „Positionierung des neuen Feldes“ (S. 36) – und der Akteure und ihrer Vorstellungen innerhalb dessen – werden durchgängig auch Leitbilder wie „Der Mensch im Mittelpunkt“, „soziale Betriebsgestaltung“, „Rationalisierung“ oder „Partnerschaft“ betrachtet.

Das Buch „Experten für Humankapital“ sollten alle lesen, die an der Geschichte der Personallehren und der Personalpraxis interessiert sind. Mir war bislang keine derart umfassende Vorstellung von Personen und Institutionen bekannt, die für die Entstehung des personalpolitischen Feldes relevant waren. Insofern ist das Buch eine wahre Fundgrube. Die Analyse der diskursiven Kämpfe der verschiedenen Akteursgruppen, die in diesem Feld Geltung beanspruchten, erweist sich als eine überzeugende Rahmung. In Verbindung mit Ruth Rosenbergers ansprechendem Stil bewirkt sie, dass die Lektüre der Arbeit nicht nur gewinnbringend, sondern auch ausgesprochen angenehm ist.

Anmerkungen:
1 Christiane Eifert, Deutsche Unternehmerinnen und die Rhetorik vom „weiblichen Führungsstil“ nach 1945, in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 50 (2005), S. 17-35. Eine Buchveröffentlichung ist unter dem Arbeitstitel „Deutsche Unternehmerinnen im 20. Jahrhundert“ in Vorbereitung.
2 Birgit Althans, Das maskierte Begehren. Frauen zwischen Sozialarbeit und Management, Frankfurt am Main 2005.
3 Vgl. dazu auch Alfred Kieser, Moden & Mythen des Organisierens, in: Die Betriebswirtschaft 56 (1996), S. 21-39, der statt des Feld-Konzeptes das ‚nah verwandte’ Konzept der „politischen Arena“ verwendet.

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