R. Wittmann: 150 Jahre Oldenbourg-Verlag

Titel
Wissen für die Zukunft. 150 Jahre Oldenbourg Verlag


Autor(en)
Wittmann, Reinhard
Erschienen
München 2008: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
383 S.
Preis
€ 64,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias Berg, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Für die Wissenschaftsgeschichte, insbesondere der Geistes- und Kulturwissenschaften, ist die Geschichte von Verlagen fraglos von herausragender Bedeutung. Um so mehr erstaunt die für lange Zeit überwiegend randständige Bearbeitung dieses Geschichtsfeldes. Zwar erschienen immer wieder Verlagsgeschichten 1, doch erhielten dezidiert wissenschaftshistorische Perspektiven insgesamt nicht den der Bedeutung von Verlagen für die „Wissensproduktion“ entsprechenden Rang.2 Erfreulicherweise jedoch scheint in den letzten Jahren in dieser Hinsicht ein Wandel einzusetzen. Verlage und Buchhandel werden als wichtige „Akteure“ auf dem wissenschaftlichen Feld verstärkt in den Blick genommen.3 Zu den Vorreitern der deutschsprachigen Verlags- und Buchhandelsgeschichtsschreibung zählt Reinhard Wittmann, der nun eine Geschichte des Münchner Oldenbourg Verlages vorgelegt hat.4 Die sich 2008 zum 150. Mal jährende Verlagsgründung bot den Anlass für die Darstellung, die auf Anregung und mit Unterstützung des Verlages entstanden ist. Eine von den üblichen Formen wissenschaftlicher Publikationen deutlich abweichende, sehr ansprechende äußere Aufmachung, die zahllosen, oftmals farbigen Abbildungen, auch die enthaltene Aufstellung sämtlicher derzeitiger Verlagsmitarbeiter, all dies unterstreicht die doppelte „Funktion“ des Bandes – zum einen wissenschaftliche Darstellung, zum anderen Festschrift des Verlages. Bereits im Vorwort verweist Wittmann auf eines der häufigsten Hindernisse der Verlagsgeschichtsschreibung, die oftmals unerschlossene, wenn nicht gänzlich verlorene Überlieferung der jeweiligen Verlage. Der Oldenbourg Verlag bildet hier eine glückliche Ausnahme. Die im Bayerischen Wirtschaftsarchiv München aufbewahrten Bestände zur Geschichte Oldenbourgs sind sowohl in qualitativer wie auch quantitativer Hinsicht beeindruckend, jedoch bislang, so Wittmann, nur punktuell ausgewertet worden. Seine Studie ist in zwei Hälften unterteilt. Auf die allgemeiner gefasste Geschichte Oldenbourgs zwischen Gründung und 21. Jahrhundert folgt, in Form dreier Fallstudien, eine Untersuchung der „Wirkungsgeschichte“ des Verlages.

Wittmann beginnt seine Darstellung der Verlagsgeschichte mit den Lehr- und Prägejahren des späteren Verlagsgründers Rudolf Oldenbourg. Dessen besonderes, den Verlag prägendes Wirken findet ihren Ausdruck bereits in der ersten Kapitelüberschrift: „Der Gründervater“ (S. 15). Nach einigen beruflichen Stationen trat Rudolf Oldenbourg 1836 in die Dienste des Stuttgarter Verlagshauses Cotta ein, um dessen schwächelnde Münchner Filiale zu führen. Bald erwarb sich Oldenbourg erheblichen Rang und Einfluss, doch zögerte er bis zur Mitte der 1850er-Jahre mit der Beantragung einer eigenen Verlagskonzession. Wirklichkeit wurde der Oldenbourg Verlag schließlich 1858 mit der Publikation des „Gasjournals“. Die zunehmende Bedeutung des Technik- und Ingenieurwesens erkennend, nutzte Rudolf Oldenbourg das verlegerische Potential des einige Jahrzehnte später durch Werner von Siemens ausgerufenen „naturwissenschaftlichen Zeitalters“ zur Etablierung des eigenen Verlages. Weitere Technikjournale folgten. Doch blieb Rudolf Oldenbourg vorerst weiterhin Geschäftsführer der Münchner Filiale Cottas, und schloss für diese ebenfalls noch im Jahr 1858 mit Heinrich von Sybel den Verlagsvertrag für eine „Historische Zeitschrift“. Auch wenn die „HZ“ erst ab 1870 tatsächlich bei Oldenbourg erscheinen sollte, war es Rudolf Oldenbourg bereits Ende der 1850er-Jahre im Kern gelungen, mit den Technik- bzw. Ingenieurwissenschaften sowie der Geschichtswissenschaft zwei der tragenden Säulen des Verlages zu etablieren. Auf diese, von Wittmann überzeugend und anschaulich dargestellte Konstituierung des Verlages folgte schließlich 1869 die von Rudolf Oldenbourg mit einiger Konsequenz betriebene Trennung von Cotta sowie anschließend eine durchaus atemberaubend zu nennende, wesentlich auch auf dem Schulbuchgeschäft basierende Expansion des Verlages bis zur Jahrhundertwende.

Der familiären Perspektive folgend, stellt Wittmann die ab den 1890er-Jahren den Verlag führende „zweite Generation“ (S.48) in den Mittelpunkt des folgenden Abschnittes. Weiterhin basierte das Geschäft auf den Säulen Schulbuch, Technik und Geschichte. Vor allem die auch nach der Jahrhundertwende ungebremst zunehmende Bedeutung technischen Anwendungswissens resultierte in zahlreichen, sich treuer Abonnenten erfreuender Journale. Sehr überzeugend betont Wittmann diesen Aspekt für die erfolgreiche Verlagsentwicklung, die einen tieferen Einschnitt erst mit dem Weltkrieg und dem Untergang des Kaiserreiches erfuhr. Im Umfang dem Bereich der Technik sicher nachstehend, blieben auch Veröffentlichungen zur Geschichte und Geschichtswissenschaft prägende Markenzeichen des Verlages, insbesondere die „Historische Zeitschrift“. Die Entwicklung der einzelnen Verlagssparten und Geschäftsfelder stellt Wittmann, hier eher dem Genre „Festschrift“ folgend, ausführlich dar. Zu Beginn der 1930er-Jahre präsentierte sich der Oldenbourg Verlag als zugleich wirtschaftlich erfolgreiches wie in der Kooperation mit dem Staat erprobtes Unternehmen.

Eben diese Konstellation prägte das Verhältnis des Verlages zum NS-Staat. Die Versuche, mit Loyalität zur neuen Herrschaft die Geschäfte in gewohnter Form fortsetzen zu können, erfuhren in der Konstituierungsphase des NS-Regimes zwei empfindliche Rückschläge. Der seit 1930 als Erster Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels amtierende Friedrich Oldenbourg wurde zugunsten eines nationalsozialistischen Vertreters abberufen, obwohl der Vorstand des Berufsverbandes, so Wittmann, „ungefragt seine Bereitwilligkeit erklärt“ hatte, „die ‚Judenfrage‘ im Buchhandel regeln zu wollen.“ (S. 84) Überdies war, so führt Wittmann aus, durch den Börsenverein unter dem Vorsitz Oldenbourgs auf die Bücherverbrennungen mit einer im „Börsenblatt“ veröffentlichten Liste von nicht weiter durch den Buchhandel zu verbreitenden Werken reagiert worden. Weshalb Wittmann seine differenzierte Darstellung in diesem Abschnitt mit einem die Rolle Friedrich Oldenbourgs apologetisch verklärenden Zitat enden lässt, bleibt offen. Als für die geschäftlichen Belange des Verlages deutlich schmerzhafter sollte sich die erzwungene Einstellung der „Bayerischen Staatszeitung“ erweisen, deren Rolle als amtliches Veröffentlichungsorgan der „Völkische Beobachter“ ab Juli 1934 übernahm. Den weiteren Weg des Verlags durch den Nationalsozialismus zeichnet Wittmann mit Verständnis nach, benennt jedoch auch die explizit nationalsozialistischen Veröffentlichungen im Schulbuchbereich. Es fällt nicht unter den bemängelten „Tadel der Nachgeborenen“ (S. 108), wenn für diesen Abschnitt eine die Ausrichtung des Verlages analytisch tiefer fassende Betrachtung als wünschenswert bezeichnet wird. Der stete Verweis auf unternehmerische „Zwänge“ allein genügt nicht, um die, der Darstellung Wittmanns sehr wohl zu entnehmende, oftmals bereitwillige Anpassung an die Wünsche des NS-Staates zu erklären. Und wie vielversprechend erscheint zumal eine Darstellung des Verhältnisses der Verlegerfamilie Oldenbourg, herausragende Vertreter des Münchner Wirtschafts- und Bildungsbürgertums, zum Nationalsozialismus? Schließlich, auch dies sei als Desiderat angemerkt, verortet Wittmann die den Verlag so prägenden „technischen und naturwissenschaftlichen Sparten“ kurz und knapp „im politikfernen Raum“ (S. 83f). Es bleibt leider offen, wie sich dieser Verlagsbereich im NS-Staat, der spätestens seit dem „Vierjahresplan“ 1936 in stets steigendem Umfang technisches Anwendungswissen nachfragte, entwickelte.5 Vielsagend vermerkt Wittmann, dass Oldenbourg von den 1943/44 erfolgenden Schließungen deutscher Verlage verschont blieb, „sicher wegen seiner kriegswichtigen technischen und Schulbuchproduktion.“ (S. 111)

Die Bombenangriffe auf München hatten weite Teile des Unternehmens zerstört, und nach 1945 zögerten die Alliierten Besatzungsbehörden lang mit der Erteilung einer Verlagslizenz. Erst ab 1949 konnte unter dem Namen Oldenbourg wieder verlegt werden. Auf die folgende, ausführliche Darstellung der Geschichte des Verlages bis in das 21. Jahrhundert ist in diesem Rahmen nicht einzugehen, die benannten drei Säulen Technik, Geschichte und Schulbuch behielten ihre herausragende Bedeutung für den Verlag. Mittels eben dieser Trias strukturiert Wittmann auch den zweiten Teil seiner Studie, in drei Fallstudien erfährt die „Wirkungsgeschichte“ des Oldenbourg Verlages eine Untersuchung. Im Abschnitt „Der Flug zu den Sternen – Oldenbourg und die Raumfahrt“ wird dies exemplarisch für den Bereich der Technik vollzogen, mit der Nachzeichnung der Entwicklung der „Oldenbourg-Fibeln“ geschieht entsprechendes für den Schulbuchverlag. Beide Abschnitte werden nicht näher besprochen, um sich abschließend dem Kapitel „Corona und Historische Zeitschrift im Dritten Reich“ widmen zu können.

Während die „Historische Zeitschrift“ zu den prominentesten geisteswissenschaftlichen Periodika des Verlags zählte, richtete sich die Kultur- und Literaturzeitschrift „Corona“ an eine deutlich elitärer gefasste Leserschaft. Wittmann skizziert ausführlich ihre Entwicklung – gegründet 1930, herausgegeben und finanziert durch den Schweizer Mäzen Martin Bodmer, orientiert an den „Hausgöttern“ Hofmannsthal und Rilke (S. 205). Durchaus differenziert darstellend, in der Bewertung jedoch etwas ratlos steht Wittmann vor der aus heutiger Sicht sicher erstaunlichen Bandbreite der von Hermann Hesse bis Hans Grimm reichenden Autorenriege. Doch gehörte die „Corona“ bereits vor 1933 der „Konsenszone“ (Wehler) im politischen Spektrum rechts von der Mitte an, ihr vorerst weitgehend unverändertes Erscheinen nach 1933 überrascht kaum. Dies schloss keineswegs Konflikte mit der NS-Kulturbürokratie aus. Zunehmend durch sie ermüdet gab Bodmer 1942 auf. Doch wollte der Verlag das prestigeträchtige Projekt nicht beenden, und gewann nach einigen Mühen als neuen Herausgeber unter anderem den Historiker Karl Alexander von Müller. Dessen Einwerbung durch den Verlag klassifiziert Wittmann fragend als „adressatenkonforme Verstellung“ (S. 249), Müllers Zusage kann Wittmann nur schlussfolgern, nicht belegen. Beides gründet vor allem in der weitgehenden Beschränkung Wittmanns auf die Verlagsüberlieferung, eine Konsultation ergänzender Überlieferungen, so des Nachlasses Müllers, hätte der Darstellung sicher genutzt. Es ist diese Engführung, die auch in der Bewertung teils zu bemängeln ist. So erkennt Wittmann in einem Beitrag des „regimegenehmen“ Historikers Heinrich von Srbik zum „Reichsgedanken“ eine „konservative Reserve gegenüber dem aggressiven NS-Imperialismus“ (S. 256 und 373f., Anm. 76) – die Konjunktur des Reichsgedankens in der nationalsozialistischen Geschichtswissenschaft ist offenbar nicht bekannt. Karl Alexander von Müller war dem Oldenbourg Verlag seit Jahrzehnten eng verbunden, und fungierte bei Übernahme der „Corona“ bereits seit sieben Jahren als Herausgeber einer anderen, bedeutenden Zeitschrift des Verlages – der „Historischen Zeitschrift“. Knapp, aber präzise skizziert Wittmann die wesentlich auf Initiative des Verlags erfolgte Ablösung Friedrich Meineckes 1934/35. Als Mittler zwischen traditionell orientierter und aufstrebender nationalsozialistischer Geschichtswissenschaft führte Müller die „HZ“ bis zur kriegsbedingten Einstellung 1943, die abwägende Beurteilung Wittmanns etwaiger alternativer Entwicklungen überzeugt weitgehend.

Mit seiner Darstellung der 150jährigen Geschichte des Oldenbourg Verlages hat Reinhard Wittmann einen verdienstvollen Beitrag zur Verlagsgeschichtsschreibung in Deutschland vorgelegt. Insbesondere die Teilung der Studie in chronologische Verlagsgeschichte und beispielhaft untersuchte Wirkungsgeschichte erscheint als überzeugender Weg, durch die überbordende Materialfülle aus sehr heterogenen Veröffentlichungsbereichen eine Schneise zu schlagen. Zugleich legen diese „Wirkungsgeschichten“ jedoch auch die besonders hohen Ansprüche an ein solche Studie offen, ein breit gefächerter Verlag wie Oldenbourg bewegte sich auf kaum überschaubaren Feldern der Kultur-, Wissens- und Wissenschaftsgeschichte. So erscheint es fraglich, ob es DIE Geschichte des Oldenbourg Verlages überhaupt geben kann. Die von Reinhard Wittmann angebotenen Varianten lassen die weitere Untersuchung der Verlagsgeschichte jedoch als ausgesprochen vielversprechend erscheinen.

Anmerkungen:
1 Beispielhaft verwiesen sei auf Saul Friedländer u.a., Bertelsmann im Dritten Reich, München 2002.
2 Hingegen in wissenschaftshistorischer Perspektive: Gangolf Hübinger (Hrsg.), Versammlungsort moderner Geister. Der Eugen Diederichs Verlag - Aufbruch ins Jahrhundert der Extreme, München 1996.
3 Olaf Blaschke / Hagen Schulze (Hrsg.), Geschichtswissenschaft und Buchhandel in der Krisenspirale? Eine Inspektion des Feldes in historischer, internationaler und wirtschaftlicher Perspektive, München 2006 (Historische Zeitschrift Beihefte N.F. 42); Dirk Moldenhauer, Geschichte als Ware. Der Verleger Friedrich Christoph Perthes (1772-1843) als Wegbereiter der modernen Geschichtsschreibung, Köln 2009.
4 Aus der Vielzahl der Veröffentlichungen Wittmanns sei verwiesen auf: Geschichte des deutschen Buchhandels, München 1999 (2., durchges. Aufl.); Der Carl Hanser Verlag 1928-2003. Eine Verlagsgeschichte, München 2005.
5 Im Abschnitt zur Raumfahrtforschung (S. 162-201), der weit überwiegend die Entwicklung in den 1920ern behandelt, wird kurz u.a. auf das Scheitern des Hausautoren Hermann Oberth in der NS-Zeit eingegangen. Aufschlussreicher erscheint ein kurzer Hinweis auf das Interesse von „Stellen der Wehrmacht“ an vergriffenen Verlagsveröffentlichungen zur Raketenflugtechnik (S. 199f).