E. Leistenschneider: Die französische Königsgrablege Saint-Denis

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Titel
Die französische Königsgrablege Saint-Denis. Strategien monarchischer Repräsentation 1223 bis 1461


Autor(en)
Leistenschneider, Eva
Anzahl Seiten
362 S., 121 s/w Abb.
Preis
€ 68,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Julian Führer, Historisches Seminar, Universität Zürich

Noch ein Buch über Grablegen in Saint-Denis? Ja, und zwar zu Recht! Sicherlich ist die historische und kunsthistorische Literatur seit den frühneuzeitlichen Summen von Jacques Doublet (1625) und Michel Félibien (1706) längst unüberschaubar geworden, gleichwohl schließt diese Bonner Dissertation von 2004 eine Lücke. Die Grablegetradition bis ins 13. Jahrhundert wurde vor über drei Jahrzehnten monographisch bearbeitet1, für das 16. Jahrhundert liegt ebenfalls eine gründliche Studie vor2, die spätmittelalterlichen Bestattungen sind hingegen bislang noch nicht in dieser Breite untersucht worden. Während der Erarbeitung dieses Buches (vgl. S. 14) erschien eine beeindruckende Synthese von Elizabeth A.R. Brown3, die einen Schwerpunkt im 14. Jahrhundert setzt, dennoch aber den Charakter eines Überblickswerkes trägt und obendrein aus verlegerischen Zwängen heraus ohne Belege auskommen muss. Eva Leistenschneider kann also an viel Bekanntes anknüpfen, wenn sie ihr Thema angeht. Anders als es der Eindruck bei einer touristischen Visite in Saint-Denis mit der Vielzahl von dort ausgestellten Grabmälern glauben machen könnte, ist der Zugang zu den Quellen nicht immer einfach. Heute werden in Saint-Denis diverse Grabmäler präsentiert, die teilweise erst im 19. Jahrhundert dorthin verbracht wurden, teilweise nicht mehr an ihrem ursprünglichen Platz stehen, teilweise schließlich in den Religionskriegen des 16. Jahrhunderts und der Revolution stark beschädigt wurden. Die Metallplatten, mit denen einige Grablegen markiert waren (von Karl dem Kahlen, Philipp II., Ludwig VIII. und anderen), wurden bereits 1792 eingeschmolzen. Für die angestammte Anordnung muss also auf Schrift- und Bildquellen zurückgegriffen werden. Besonders die Sammlung Gaignières liefert hier reiches Material, das jedoch nicht immer als zuverlässig gelten kann.

Die Vorgehensweise ist grundsätzlich chronologisch; zunächst geht es nach einem Prolog zur Geschichte der Abtei und ihrer Grablegen bis ins 13. Jahrhundert um den Umbau des Kirchenbaus unter Abt Eudes Clément und das politische Programm der Grabmäler von 1263/1264, die als "commande de saint Louis" bekannt geworden sind (Kapitel 1: Saint-Denis bis 1270: Die Anfänge eines dynastischen Grabmalprogramms). Eva Leistenschneider gibt hierbei zu bedenken, dass König Ludwig IX. nicht ohne weiteres als Auftraggeber oder Spiritus rector dieser Form der Grabmalspräsentation angesprochen werden sollte. Das nach Dynastien unterscheidende Aufstellungsprinzip mit Merowingern und Karolingern auf der einen Seite, Kapetingern auf der anderen Seite sowie Philipp II. und Ludwig VIII. in der Mitte illustrierte die als Reditus-Theorie bekannte Vorstellung, dass mit der Thronbesteigung Ludwigs VIII. aufgrund der karolingischen Herkunft seiner Mutter wieder die alte Königsfamilie regiere und es letztlich nur eine Herrscherdynastie gebe. Grundsätzlich wurde bereits zu diesem Zeitpunkt anscheinend zwischen regierenden Königen und weiteren Bestattungen unterschieden: Hugo Magnus und ein Sohn Philipps II. aus der unkanonischen Ehe mit Agnes von Andechs-Meranien wurden nicht mit einer Liegefigur bedacht. Philipp, ein zu Lebzeiten Ludwigs VI. umgekommener Königssohn, erhielt hingegen eine solche Figur, da er bereits gekrönt war. Karl Martell (sehr unglücklich auf S. 20 als "Stammvater der Karolinger" bezeichnet) wurde allerdings als König in Szene gesetzt. Die augenfällig präsentierte Reditus-Theorie war indes in dieser Form nicht ausbaufähig; die Bestattung weiterer Könige führte zwangsläufig zu Umbettungen, die die dynastische Gruppierung letztlich wieder undeutlich werden ließen.

Die beiden umfangreichsten Kapitel behandeln die Grablegepraxis und ihre Inszenierung einmal bis 1328, dem Todesjahr des letzten männlichen Kapetingers in direkter Linie, und einmal unter den Valois seit dem Herrschaftsantritt König Philipps V. 1328 bis zur Bestattung König Karls VII. 1461 und seiner Gemahlin, der Königin Maria von Anjou, zwei Jahre später; Ludwig XI. als nächster regierender Herrscher wählte für seine Bestattung Cléry bei Tours, Tod und Grablege der folgenden Könige werden in der bereits angesprochenen Studie von Giesey behandelt.

Unter den direkten Kapetingern (Kapitel 2: Die königliche Grablege vom Tod Ludwigs IX. bis 1328) blieb die Bestattung in Saint-Denis prinzipiell den Königen vorbehalten, die regelmäßig in der Vierung und damit möglichst nahe bei den Gebeinen des 1297 heiliggesprochenen Ludwig IX. zu liegen kamen. In Einzelfällen erhielten auch Königinnen (Isabella von Aragon als Witwe des die Bestattung verfügenden Königs Philipp III. und Margarete von Provence als Witwe des hl. Ludwig) das Privileg einer Grablege bei den Königen. Bei der Lokalisierung des einzelnen Grabmals sorgte die Nähe zum Heiligen für Distinktion (S. 104). Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass die Vierung für Pilger und andere Besucher grundsätzlich nicht zugänglich war.

Unter den Valois-Königen bahnte sich ein veränderter Bestattungsbrauch an (Kapitel 3: Saint-Denis unter den Valois bis 1461 – die Grabkapellen). Der bereits zuvor vereinzelt belegte Brauch, Herz und Eingeweide an unterschiedlichen Orten bestatten zu lassen (beispielsweise bei den Pariser Dominikanern, in Maubuisson oder in Poissy), wurde regelmäßiger gepflegt, so dass zusammen mit dem Körpergrab oft drei Memorialstätten geschaffen wurden. Anstelle der stark belegten Vierung kamen nun Kapellen im Querhaus der Abteikirche in Gebrauch, in denen die letzten Kapetingerinnen aus direkter Linie bestattet wurden. König Karl V. (1364-1380) stiftete eine Johannes dem Täufer gewidmete Kapelle, in der fortan die Könige gemeinsam mit ihren Gemahlinnen in Doppeltumben zur Ruhe gebettet wurden. Obwohl König Johann II. 1362 betont hatte, dass das Privileg einer Bestattung in Saint-Denis den Königen vorbehalten sei (S. 190), wurden nun auch Mitglieder des königlichen Umfelds mit Genehmigung des Herrschers in seiner Nähe, meist zu seinen Füßen, bestattet. Am bekanntesten dürfte das Beispiel des Konnetabels Bertrand Du Guesclin sein. Die Studie beschreibt nicht nur Architektur und Belegung der Kapellen, sondern weist ihnen auch den jeweiligen Kontext im sakralen Raum zu. Wo es die Quellenlage erlaubt, werden auch der finanzielle Aufwand und der Herstellungszeitpunkt der Grabmäler beleuchtet. Üblicherweise kümmerte sich der Nachfolger um die Inszenierung der Grablege seines Vorgängers; eine Regelung zu Lebzeiten ist für Karl V. sicher, sonst nicht belegt.

Dies alles wird quellennah und unprätentiös, dafür präzise dargelegt. Eva Leistenschneider zitiert ihre Quellen oft ausführlich im Haupttext oder in den Fußnoten, so dass man ihre Arbeit auch als Quellensammlung benutzen kann. Dies hieße allerdings den Wert ihrer Zusammenstellung zu gering schätzen. Der überaus positive Eindruck vom Inhalt des Buches wird durch die sorgfältige Formulierung und Lektorierung des Textes unterstrichen; selbst genealogische Verzweigungen sind klar nachvollziehbar und werden nie um ihrer selbst willen ausgebreitet, sondern stets auf ihre inhaltliche Relevanz beschränkt. Bedauerlicherweise sind lateinische Passagen verballhornt (S. 102, 111, 117), mitunter auch offensichtlich falsch verstanden worden; französische Zitate sind in allen Sprachstufen seit dem 14. Jahrhundert leider zu oft das Opfer von Verschreibungen geworden. Auch im Literaturverzeichnis haben gerade die fremdsprachigen Titelaufnahmen nicht nur unter formalen Inkonsistenzen wie unsystematisch angeführten Reihen, sondern auch unter massiven Defiziten wie falsch geschriebenen Verfassernamen zu leiden (Delise statt Delisle, S. 265; Deshaisne statt Dehaisnes, S. 275), die das Auffinden der maßgeblichen Literatur erschweren. Für Erstaunen sorgt die längst außer Gebrauch geratene Herrscherbezeichnung "Pippin der Kurze", für Schmunzeln die wiederholte Bezeichnung "reditus carolingus" (S. 56, 113). Der Band enthält genealogische Tafeln, umfangreiche Literaturangaben, drei Quellenauszüge (eine Passage aus den Grandes Chroniques de France, eine Aufstellung über die Aufwendungen anlässlich der Umsetzung des Testaments König Karls VI. und eine Urkunde des Abtes von Saint-Denis von 1432) und ein Register der Personen und Orte. Über hundert Schwarz-Weiß-Abbildungen schwankender Qualität illustrieren das Dargelegte und unterstreichen den hohen Gebrauchswert dieses überaus nützlichen Buches, dem einzig ein letzter Korrekturgang in den Fremdsprachen fehlt und dessen vielfältige Ergebnisse im Detail im Rahmen dieser Besprechung nur angedeutet werden konnten.

Anmerkungen:
1 Alain Erlande-Brandenburg, Le roi est mort. Étude sur les funérailles, les sépultures et les tombeaux des rois de France jusqu’à la fin du XIIIe siècle, Genève 1975.
2 Ralph E. Giesey, The royal funeral ceremony in Renaissance France, Genève 1960.
3 Elizabeth A.R. Brown, Saint-Denis. La basilique, [Saint-Léger-Vauban] 2001.