„Es ist ein Nebel, in den man eintaucht und hinter dem man sich verbirgt. Man hält sich für den Angehörigen einer Elite in der Welt des amerikanischen Staatsapparates, und die Agency tut von dem Augenblick an, in dem man in die Organisation eintritt, alles, um einen in dieser Überzeugung zu bestärken. Sie machen aus dir einen Gläubigen“ (S. 542). So beschreibt Colin Thompson, ehemaliger Agent in Laos, Kambodscha und Vietnam, im Gespräch mit Tim Weiner die CIA.
Die Lektüre von Weiners akribisch zusammengetragener Studie über einen der größten und berüchtigtsten Geheimdienste der Welt, lässt die LeserInnen sprachlos zurück. Tim Weiner hat in seinem Buch brillant aufgezeigt, wofür die drei Buchstaben CIA stehen.
Weiner selbst ist Journalist, der für seine Arbeiten zur CIA bereits mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde. Er gilt als intimer Kenner des amerikanischen Geheimdienstsystems. Als Korrespondent berichtete er aus Afghanistan, Pakistan und unzähligen anderen Ländern, in denen er auch für seine Studie über die CIA recherchierte. Diese persönliche Nähe wird im Buch immer wieder deutlich, wenn er zum Beispiel schildert, dass er Zeuge des verheerenden Bombenanschlags von Nairobi 1998 war (S. 608). Neben den Recherchen vor Ort wertete Weiner über 50.000 Dokumente aus den Archivbeständen des Geheimdienstes, des Weißen Hauses und des State Departments aus, die lange Zeit als geheim eingestuft waren. Zusätzlich führte er zahlreiche Gespräche mit Politikern, ehemaligen CIA-Direktoren und sonstigen Mitarbeitern des Geheimdienstes. Über insgesamt zwanzig Jahre hinweg trug Weiner sein Material zusammen – herausgekommen ist eine beeindruckende Innenansicht der CIA, die viel mehr leistet, als nur eine Geschichte des amerikanischen Geheimdienstes zu sein. Dass diese Studie nicht vollständig sein kann, räumt Weiner dabei selbst ein (S. 24). Er hat aber natürlich Recht, wenn er schreibt, dass niemand jemals eine vollständige Geschichte der CIA wird liefern können, da niemand jemals über alle Kenntnisse verfügen wird. 1
Neben Weiner hat Scott C. Monje 2008 eine Geschichte der CIA vorgelegt, die sich ebenfalls auf jüngst freigegebene Dokumente aus den Archiven des Geheimdienstes stützt. 2 Von großem Interesse sind auch die Publikationen von Melvin A. Goodman und John M. Diamond, die analog zu Tim Weiner ebenfalls das Versagen der CIA in den Blick nehmen. 3
Weiner schildert die Geschichte der CIA von ihren Anfängen, ihrer Entstehung aus dem militärischen Geheimdienst OSS heraus, bis zu ihrer Verstrickung in den aktuellen Irakkrieg. Zwischen diesen beiden Polen entfaltet er das Panorama eines Geheimdienstes, der auf der ständigen Suche nach sich selbst die Probleme erst schuf, die ihm am Ende zum Verhängnis wurden. Die CIA war vieles, hauptsächlich ihr eigener Mythos. „Sie war keine Behörde. Sie hatte eine Mission. Und ihre Mission war ein Kreuzzug“, so beschreibt der ehemalige Abteilungsleiter für das Ressort Sowjetunion, Milt Bearden, das Selbstverständnis der CIA (S. 563). Diese Mission lässt sich einfach umschreiben: Bekämpft das Böse in der Welt, um das Gute zu retten und zu schützen. Das Böse war nach dem Zweiten Weltkrieg klar definiert: der Kommunismus. Wie die Mission aber durchzuführen war, darüber herrschte in den Reihen der CIA zu keiner Zeit Klarheit. Jedoch war in den Augen der Agency die Bedrohung völlig unstrittig. Und so wurde auch eine der „Hauptmissionen“ der CIA definiert: Den Präsidenten und künftige Inhaber des Amtes vor einem Überraschungsangriff, einem zweiten Pearl Habor, zu warnen (S. 20f.). Geschickt verknüpft hier Weiner immer wieder die Vergangenheit der CIA mit ihrer weiteren Geschichte, denn eines wird im Laufe der Lektüre deutlich: Zu keinem Zeitpunkt vermochte es die CIA, diesem Auftrag wirklich gerecht zu werden.
Die Gründe dafür sind vielfältig und für den Leser immer wieder erstaunlich. Die Gründung der CIA war ein politischer Machtkampf, dessen Ergebnis nicht mehr war, als eine „eilig hingeworfene Skizze“ (S. 20). Von Anfang an stand zur Disposition, wie man sich selbst begreifen wollte: Als Nachrichten- oder als Geheimdienst. Ging es um das Sammeln von Informationen oder um die Sabotage und Infiltration ausländischer Ziele? Frühzeitig entschied die CIA, dass Informationserwerb nicht das adäquate Mittel sein konnte, um den Kommunismus auf der Welt zu bekämpfen. Ein fataler Irrtum, der die Geschichte der CIA nachhaltig prägte. In planlosen Geheimaktionen und Kommandounternehmen, die zumeist ohne Kenntnisse des jeweiligen Landes durchgeführt wurden, starben unzählige Agenten und Informanten. Es gab in den Reihen der CIA kaum Agenten, die den Feind, wer immer das auch war, wirklich kannten und etwas über ihn aussagen konnten. Die Bilanz der CIA nach über 60 Jahren ihres Bestehens schätzt Weiner als verheerend ein – niemand wusste zu irgendeinem Zeitpunkt wirklich genau, was er gerade tat und was er damit auslöste. Die CIA selbst versuchte sich ihre Misserfolge immer wieder schönzureden, indem man sie als „Learning by Doing, Lernen durch Fehler“ (S. 21) charakterisierte. Die Präsidenten wurden über den wahren Hergang der Dinge meistens belogen, um die Stellung der CIA in Washington nicht zu gefährden – die im Laufe ihrer Geschichte mehr als nur einmal unter heftigen Beschuss geriet. Seine Herkunft als Journalist mit einem investigativen Anspruch kann Weiner bei diesen Schilderungen nicht verbergen. Die Kritik liest sich bei ihm überaus spannend und fesselnd. Dabei bleibt allerdings zu fragen, ob er nicht manchmal über das Ziel hinausschießt, indem er sich hauptsächlich darauf konzentriert, die Misserfolge der CIA zusammenzutragen.
Ohne Zweifel dominieren nämlich gerade diese seinen Bericht. Zurückzuführen waren sie nicht immer nur auf gescheiterte Unternehmungen im Ausland, sondern zumeist auf den ganz einfachen Umstand, dass die CIA oft genug nicht wusste, was in der Welt vor sich ging. Viele Ereignisse trafen sie völlig unvorbereitet: der erste Test einer sowjetischen Atombombe, der Ausbruch des Koreakrieges, der Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan. Auch den Fall der Berliner Mauer wussten sie nicht wirklich vorauszusagen. Am Abend des 9. November saß Milt Bearden fassungslos vor dem Fernseher und verfolgte die Geschehnisse in Berlin live auf CNN. Die CIA war in die paradoxe Situation geraten, dass ein Nachrichtensender verlässlichere Informationen liefern konnte, als sie selbst. Auf Anfragen aus dem Weißen Haus musste sie deswegen stets ausweichend reagieren.
Dramatisch ist dieses Versagen, welches sich zweifelsfrei belegen lässt, vor allem dahingehend, als dass die Geschichte der CIA auch immer eine Gratwanderung war und sie durch Fehlschläge, Täuschungen und Lügen immer auch ihre Glaubwürdigkeit gegenüber dem Präsidenten aufs Spiel setzte. Denn wenn die Analysten dann doch einmal eine wichtige und im Kern richtige Voraussage machten, glaubte man der CIA nicht. Mit der Schilderung von Kompetenzstreitigkeiten, Fehlentscheidungen, Skandalen und kleinen Erfolgen – die es durchaus gegeben hat – blickt Weiner auch immer wieder tief in die amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik des Kalten Kriegs und der Zeit nach 1990, was das Buch zusätzlich bereichert. Von großem Interesse ist dabei natürlich die Geschichte der CIA unter George Tenet und ihre Verstrickungen in das Problem des Terrorismus sowie in den Angriff auf den Irak. 4 Das Fazit von Tim Weiner ist, dass die CIA, trotz ihrer Bemühungen, ein zweites Pearl Harbor zu verhindern, den 11. September 2001 zwar kommen sah, aber machtlos war, etwas dagegen zu unternehmen.
Weiner hat eine sehr gut lesbare Geschichte der CIA vorgelegt, in der eine stellenweise recht plakativ vorgetragene Kritik dominiert. Es gelingt ihm jedoch, zum Nachdenken über die amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik anzuregen. Bezogen auf das Ende der Sowjetunion hatte Milt Bearden zu Tim Weiner gesagt: „Wir haben keine Geschichte. Wir haben keine Helden. Sogar unsere Auszeichnungen sind geheim. Und nun ist die Mission beendet. Finis.“ Vielleicht charakterisiert dieser Satz ganz treffend die Geschichte der Central Intelligence Agency.
Anmerkungen:
1 Tim Weiners CIA-Studie ist 1997 mit dem National Book Award ausgezeichnet worden.
2 Scott C. Monje, The Central Intelligence Agency. A documentary history, Westport 2008.
3 Melvin A. Goodman, Failure of intelligence. The decline and fall of the CIA, Lanham 2008; John M. Diamond, The CIA and the culture of failure. U.S. intelligence from the end oft the Cold War to the invasion of Iraq, Stanford 2008.
4 Thomas Powers, Im Zentrum des Sturms. Was Tenet wirklich wusste, in: Mittelweg 36. Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung 17 (2008), 1, S. 53-68.