Der Mangel an mediengeschichtlichen Studien aus einer genuin historischen Perspektive, das heißt jenseits der eher technisch orientierten oder stark modellhaften kommunikationstheoretischen Schule, ist oft beklagt worden. Nach einer ganzen Reihe einschlägiger Studien der letzten Jahre ist das Manko zwar noch nicht überwunden, aber weniger drängend. Allerdings fehlt weiterhin eine Synthese, die den neuesten Kenntnisstand, aber auch neue Ansätze und Perspektiven reflektiert und aufbereitet.
Mit Corey Ross‘ „Media and the Making of Modern Germany“ liegt jetzt eine gelungene, sehr lesenswerte Studie vor, die weit mehr als eine Übersicht bietet. Wie der Titel bereits suggeriert, ist der Anspruch eine Neuinterpretation wesentlicher Entwicklungen der deutschen Kultur, Wirtschafts- und Sozialgeschichte durch das Prisma der Massenmedien. Ross geht davon aus, dass insbesondere das Aufkommen neuer visueller Medien wie des Films erhebliche soziale und kulturelle Implikationen hatte und diese aufgrund der ausgeprägten sozialen und kulturellen Polarisierungen und politischen Einschnitte in Deutschland besonders prägnant waren.
Dies ist ein gewaltiges Thema und wenn eine solche Darstellung mehr sein soll als eine oberflächliche Besichtigung der wesentlichen Trends, ist eine Schwerpunktsetzung nötig. Die nationalsozialistische Medienpolitik und die Medienentwicklung im Nationalsozialismus sind der Fluchtpunkt der Studie und entsprechend übergewichtet. Unter den Medienformaten stehen die neueren, das heißt Radio und Film, im Mittelpunkt. Das Phänomen Reklame, mit all seinen visuellen Innovationen, nimmt erheblichen Raum ein. Hier bewährt sich in besonderem Maße der soziale, technische, politische und kulturelle Aspekte integrierende Ansatz der Studie.
Ross folgt keineswegs einem simplen Schema, in dem technische Neuerungen quasi automatisch bestimmte Veränderungen nach sich ziehen, sondern betont vielmehr vielfältige Wechselwirkungen. Dies spiegelt sich in der chronologisch-thematisch strukturierten Gliederung. Ross beleuchtet zunächst die wirtschaftlichen und technischen Vorbedingungen für die Konstitution wirklicher Massenauditorien. Hier gilt sein Augenmerk insbesondere dem Aufstieg des Konsumenten als aktivem Rezipienten. Zwar betont Ross die atemberaubende Durchsetzungsgeschwindigkeit vor allem des Kinos bzw. Films. Gleichzeitig weist er zu Recht darauf hin, dass Deutschland keineswegs Vorreiter bei der Ausbreitung der Populärkultur war und die glamourösen Berliner Beispiele nicht über das erhebliche und dauerhafte regionale Gefälle hinwegtäuschen dürfen, das keinesfalls immer einem simplen Stadt-Land-Schema folgte.
Die Studie stellt die komplexe Wirkung der Medien heraus, die zwar generell einen demokratisierenden – im Sinne einer hohen Partizipationsrate – Effekt hatten, aber nicht notwendig standardisierend und soziale Unterschiede einebnend wirkten. Vielmehr lassen sich zahlreiche Beispiele finden, in denen neue Medien, zumindest vorläufig, soziale Segregation verstärkten. Dies hatte zum Teil auch inhaltliche Gründe, da sie, wie das Grammophon bzw. die aufkommende Schallplattenindustrie, sich zunächst in erheblichem Maße an traditionellen Formen wie der Konzertkultur orientierten.
Dem Aufstieg neuer Medienformate entgegen stellt Ross die vielfältigen Versuche, das Neue zu kontrollieren, zu reglementieren oder ganz zu unterbinden. Diese wiederum lassen sich nicht trennen von den Versuchen, die neuen Medien zu reformieren und für die jeweils für gut gehaltene Sache einzusetzen. Ross ergänzt das bekannte Bild der ‚Schmutz-und-Schund‘ Bewegung um die Bemühungen einer Reform des Kinos und anderer neuer Medien innerhalb eines „paternalistic modernism“, der die ab 1890 massiv aufkommende Populärkultur als Teil der sozialen Frage begriff. Allerdings gelang es dieser Bewegung nur selten, die Spannung zwischen Didaktik und Unterhaltung zu überwinden. Der Bezug zur Heimat war solch ein Brückenthema, das sowohl inhaltlich den Intentionen der Reformbewegung entsprach als auch eine große Breitenwirkung zu entfalten vermochte.
Während die großen gesetzgeberischen Erfolge der ‚Schmutz und Schund‘-Bekämpfung national ausblieben, gelangen auf der lokalen Ebene durchaus einschneidende Maßnahmen. In der Weimarer Republik kamen dann auch zentralstaatliche Gesetze zu Stande, die viel mit der von der Rechten betriebenen Politisierung der Massenmedien und deren als problematisch empfundenen Seiten zu tun hatten, bzw. deren Bemühungen, negative Begleiterscheinungen der Medien der Republik anzulasten.
Insgesamt, hier bestätigt Ross das bekannte Bild, blieb die Medienpolitik der Weimarer Republik Stückwerk bzw. stand sich durch eine oft moralisch bedingte Zurückhaltung selbst im Wege. Ansätze, die modernen Reklametechniken und die Werbung für die Republik zu integrieren – wie etwa von Hans Domizlaff – blieben Randphänomene. Für radikale Parteien war es bedeutend leichter, sich das durch die neue Bedeutung visueller Massenmedien gestiegene Bedürfnis nach einfachen Schlagworten und -bildern zunutze zu machen. Die rationale, nüchterne Argumentation der republiktragenden Kräfte befand sich auf dem Rückzug und als sich erste Abnutzungserscheinungen der nicht endlos wiederholbaren grellen Nazi-Propaganda zeigten, begruben die deutschnationalen Republikgegner um Hindenburg die Chancen einer aufgeklärt-staatstragenden Medienpolitik.
Die Abschnitte, die sich im engeren Sinne mit dem Verhältnis von Politik und Massenmedien beschäftigen, konzentrieren sich stark, mitunter etwas zu stark, auf Propaganda. Die Bedeutung der Propaganda in Deutschland sieht Ross vor allem in der, in der Weimarer Republik verbreiteten Vorstellung, dass Deutschland hier massiven Nachholbedarf habe und nicht zuletzt aufgrund dieser Mängel der Erste Weltkrieg nicht gewonnen werden konnte. Während hierfür durchaus eine reale Basis – die späte und defizitäre Entwicklung zentraler staatlicher Pressearbeit und offensichtliche Fehlleistungen im Weltkrieg – existierte, habe sich die Diagnose gewissermaßen verselbständigt.
Ross schildert die Entstehung neuer Wahrnehmungsformen von Politik durch die Massenmedien, insbesondere neue Vorstellungen von Authentizität und Realität. Politik im engeren Sinne verlor zunehmend an Bedeutung gegenüber verschiedensten Formen des „human interest“, die sich nicht mehr von Unterhaltung abgrenzen ließen. Diese umfassende Sicht auf das Politische ist generell überzeugend, bedeutet aber auch, dass wesentliche Stränge der deutschen Ausformung des massenmedialen Ensembles – und dessen Prägewirkung, um die es Ross ja gerade geht – unterbelichtet bleiben. Dies gilt etwa für die Eigenlogik des politischen Journalismus – so kommt beispielsweise eine herausragende Figur wie Maximilian Harden nicht vor. Aber auch die in Deutschland besonders ausgeprägte Vermischung von Massenmedien und politischen Kulten jenseits des Parlaments um Bismarck, Hindenburg und in Ansätzen Wilhelm II. findet so kaum Berücksichtigung.
Auch im abschließenden Kapitel zum ‚Dritten Reich‘ steht weniger der Führerkult im Mittelpunkt als die Goebbelsche Propagandamaschinerie. Hier bewährt sich erneut der umfassende Blick auf Unterhaltung und Politik in ihren Wechselwirkungen mit technischen Neuerungen. Ross konstatiert für die Zeit des ‚Dritten Reichs‘ den ultimativen Durchbruch der neuen Massenmedien. Im Nationalsozialismus, argumentiert er, verstärkten sich im Vergleich zur vorangegangenen Periode die integrativen Faktoren – allerdings von Beginn an unter der Voraussetzung massiver Repression.
Inhaltlich sieht Ross in der nationalsozialistischen Medienpolitik kaum wirkliche Innovationen sondern vielmehr ein Nutzbarmachen von vorhandenen Institutionen wie der staatlichen Rundfunkkontrolle, Bewegungen wie den Anti-Schmutz-und-Schund-Kampagnen – oder ein Profitieren von Trends wie der kommerziellen Rationalisierung oder technischen Innovationen. Beides begünstigte die integrierende Funktion von Massenmedien. Neu war die Radikalität, mit der diese Möglichkeiten genutzt wurden. Schließlich war das kulturelle Feld von extremer Bedeutung für das NS-Selbstverständnis und galt als Bereich, in dem einschneidende Veränderungen des Wertgefüges durchgesetzt werden konnten.
Ross betont die massive, ohne jegliche Rücksichtnahmen vollzogene Entfernung bzw. Liquidierung oppositioneller und jüdischer Journalisten ebenso wie den taktischen Gebrauch der Medien durch Joseph Goebbels. Hier sieht Ross „pionieers of politainment“ am Werk, für die Politik der Repräsentation wichtiger als die Repräsentation der Politik gewesen sei. So lasse sich der frappierend hohe Anteil ausländischer Stars im nationalsozialistischen Kino oder die weiterhin große Zahl im Reich gezeigter ausländischer Filme erklären. Bereits vor Ausbruch des Krieges ist zu beobachten, dass oft gerade die vermeintlich unpolitische, unterhaltende Funktion der Medien als wirkungsvollstes Mittel zur Umsetzung radikaler politischer Maßnahmen eingesetzt wurde.
Insgesamt ist Ross eine hervorragende, durchweg auf der Höhe der Forschung und gleichzeitig immer originell argumentierende Studie gelungen, deren Ergebnisse weit über Mediengeschichte im engen Sinne hinausreichen. Darüber hinaus, insbesondere in den Abschnitten zu Radio, Kino und zur Reklame, bietet Ross auch in den Detailfragen zahlreiche neue Ergebnisse und Einsichten. Zweifellos wird sich Ross‘ Mediengeschichte als Standardwerk etablieren.