Der von den Päpsten in den vier Jahrhunderten zwischen dem Trienter und dem II. Vatikanischen Konzil in -zig aktualisierten Auflagen herausgegebene „Index der verbotenen Bücher“ ist im kollektiven Gedächtnis als Chiffre eines rückständigen, despotischen Katholizismus tief verankert. Die italienische Historiografie sieht in ihm gar einen Hauptgrund für die kulturelle Stagnation, in die das Land nach dem Höhenkamm der Renaissance fiel. Die 1998 erfolgte Öffnung der Archive von Römischer Inquisition und Indexkongregation, jenen Dikasterien also, deren Zensuren den Index belieferten, hat bislang zu keiner Korrektur dieser in der protestantischen und Index-kritischen Polemik des 17. und 18. Jahrhunderts entwickelten „Meistererzählung“ geführt. Vielmehr droht die Forschung, wie der Autor des hier anzuzeigenden Buchs in seiner Einleitung warnt, in einer Hochkonjunktur der Spezialstudien sogar jegliche Orientierung zu verlieren. Die Herbeiführung eines Paradigmenwechsels ist denn auch das erklärte Ziel der Monografie Vittorio Frajeses über die Entstehung der römischen Buchzensur (S. 5-10).
Im kurzen ersten Teil zeichnet Frajese, Professor für neuzeitliche Geschichte an der Universität Tor Vergata (Rom) und Autor einer Reihe von Aufsätzen zur Index-Geschichte, die frühe Haltung des Papsttums zum Buchdruck bis in die Zeit des V. Laterankonzils (1512-1517) nach. Repräsentativ für den kurialen Diskurs, den die neue Technik auslöste, ist demnach die Bulle Inter multiplices Innozenz’ VIII. von 1487, die die Ambivalenz des Buchdrucks als Mittel zur Verbreitung guter wie schädlicher Schriften herausstreicht und die Aufsicht über den Buchmarkt den Ortsbischöfen als Inhabern des pastorale officium, in der Stadt Rom dem Magister Sacri Palatii als dem päpstlichen „Cheftheologen“ überträgt. Die begrenzte Wirkung der frühen pontifikalen Gesetzgebung zeigt Frajese am Beispiel des ebenfalls von der Bulle vorgeschriebenen bischöflichen imprimatur auf, das in Italien nur sporadisch Anwendung fand (S. 15-35).
Der zweite Teil ist der institutionellen Entwicklung der frühneuzeitlichen Zensurorgane sowie der Genese der Gattung „Index“ gewidmet (S. 40-220). Ausgehend vom venezianischen Index, der 1549 als erster italienischer Verbotskatalog als Gemeinschaftsarbeit der weltlichen Obrigkeit, des Lokalinquisitors und des päpstlichen Nuntius in den Druck ging, werden die nur kurzlebigen römischen Indizes von 1552/1553 („Index Foscarari-Muzzarelli“) und 1557/1559 („Index Pauls IV.“) vorgestellt. Der Weg führt weiter über den 1564 unter Pius IV. publizierten Index des Konzils von Trient und den unmittelbar nach dem Tod des Papstes von der Inquisition eingezogenen Index Sixtus’ V. Den sinnvoll gesetzten Schlusspunkt bildet der Katalog Clemens’ VIII. von 1596, mit dem der römische Index seine vorläufig endgültige Form fand.
Kennzeichen der Index-Geschichte bis 1596 ist die dichte Abfolge von Publikation, Rückzug und Neuausgabe, die nicht nur Folge eines stetig wachsenden Buchmarkts war: Das offenkundige Fehlen einer klaren Linie ist vielmehr Resultat inhaltlicher Differenzen – etwa über den Umgang mit volkssprachlichen Bibeln, astrologischen Schriften und dem Talmud – sowie der Kompetenzstreitigkeiten zwischen den Akteuren der Zensur, also den Päpsten, der Inquisition, der Indexkongregation und den Magistri Sacri Palatii. Beiden Aspekten gilt das besondere Augenmerk Frajeses.
Dagegen fällt die Darstellung der Entstehung der beiden Zensurbehörden, der 1542 von Paul III. als kuriale Behörde gegründeten „Hl. Römischen und universalen Inquisition“ und der 1571 als Fortsetzung der Trienter Index-Kommission ins Leben gerufenen Indexkongregation, sehr knapp aus. Bei der Betrachtung dieser Dikasterien setzt Frajese den Schwerpunkt auf die Aufgabenteilung. Diese sei im Untersuchungszeitraum noch recht eindeutig gewesen: War die Inquisition für das Aufspüren und die Verdammung häretischen Schrifttums zuständig, beschäftigte sich die „kleine Schwester“ nahezu ausschließlich mit der Expurgation, also der Säuberung von Büchern, die im Kern zwar für nützlich, in einzelnen Aspekten aber als anstößig eingestuft wurden. Wie Frajese deutlich macht, kam es auf diese Weise zur Ausbildung zweier vollkommen unterschiedlicher Verfahrensweisen: Stützte sich die Inquisition auf das pyramidal auf die Zentrale ausgerichtete System der Lokalinquisitoren, arbeitete die Indexkongregation dezentral. So fand die Expurgation, ganz im Sinne der Zensur-Regeln des Konzils von Trient, unter der Ägide der Ortsbischöfe statt, die zu diesem Zweck eigene Fachgutachter (Konsultoren) beschäftigten. Dieses Verfahren musste zwangsläufig zu einer unerwünschten Differenzierung der kulturellen Landkarte – die Verbote der Ortsbischöfe galten schließlich nur in der eigenen Diözese – und zur Stärkung des „Episkopalismus“ führen. Erst als die Indexkongregation die Expurgation mehr und mehr an die Zentrale band, stellte auch sie sich wie die Inquisition in den Dienst des Ausbaus der päpstlichen Suprematie, allerdings mit dem Resultat einer chronischen Überlastung der Kongregation.
Im dritten Teil wendet sich Frajese dem Vollzug der im Index angedrohten Strafen bei Verbreitung, Besitz und Lektüre verbotener Schriften zu. Wann darf der Pfarrer oder Bischof den Delinquenten in foro interno absolvieren? Wann leitet der Inquisitor ein Kriminalverfahren ein? Wie strikt ist die excommunicatio Papae reservata zu verstehen? Hier verliert der Leser wohl nicht ganz zufällig den Überblick, schließlich ist die Widersprüchlichkeit der „Strafverfolgung“ ein landläufig bekanntes Charakteristikum der römischen Buchzensur. Besondere Beachtung schenkt Frajese darüber hinaus der bis in die Terminologie hinein reichenden Analogie zwischen römischer Buchzensur und kirchlichem Strafsystem. So sei das Verbot häretischer Schriften das Äquivalent zur Exkommunikation, die Expurgation sei mit Läuterung in der Buße gleichzusetzen. Etwas unvermittelt fügt der Autor am Ende dieses Teils ein Kapitel zu den durch die Zensurorgane erteilten Ausnahmegenehmigungen für die Lektüre indizierter Schriften an, das jedoch ohne Frage einen Glanzpunkt der Arbeit markiert: Hier erhält der Leser Einblick in die noch kaum erforschte geografische und soziale Landkarte der Index-Obödienz, denn schließlich wandten sich nur diejenigen an Rom mit der Bitte um Leselizenzen, die sich an den Index auch gebunden fühlten. Dabei überrascht der hohe Anteil von nobiles aus dem Kreis der Petenten, die vor allem um Erlaubnis zur Lektüre von Duell-Traktaten, Romanen und Historikern baten.
Der abgesehen vom Fehlen eines Fazits luzide Aufbau der Monografie in Kombination mit dem Titel suggeriert auf den ersten Blick eine handbuchartige Darstellung der formativen Phase der römischen Buchzensur. Tatsächlich aber dient der ereignis- und institutionengeschichtliche Rahmen nur als Gerüst für die einleitend als Paradigmenwechsel angekündigte Hauptthese des Autors. Demnach nämlich sei der Index nicht als ein destruktives, auf das Einströmen reformatorischen Schrifttums nur reagierendes Instrument, sondern als Werkzeug eines innerkatholischen Reformbestrebens aufzufassen. Die Protagonisten der Zensur, wie z.B. Paul IV. Carafa oder Pius V. Ghislieri, die allzu oft als Dunkelmänner dargestellt würden, hätten nur fortgeführt, was bei einzelnen Päpsten der vorangegangenen Epoche – etwa bei Hadrian VI. – vorgezeichnet gewesen sei: Eine Abkehr von einem in den Paganismus abgleitenden Humanismus und der Laszivität der Renaissancekultur, keineswegs jedoch in dumpfer anti-intellektueller Absicht, sondern mit dem Ziel einer umfassenden Reform der Sitten im Sinne der simplicitas christiana, die wiederum Grundlage einer Reform des Klerus und der kirchlichen Institutionen sein sollte. Das konnte wiederum nur durch eine Stärkung der päpstlichen Macht gelingen, welcher der Index als Instrument der Sozialdisziplinierung, aber auch mithilfe der durch ihn bedingten Verfahren der „Strafverfolgung“ zuarbeiten sollte. Inwiefern sich diese Sicht auf den Index als autogenes katholisches Produkt im „Geist von Trient“ (sinngemäß S. 279) durchsetzen wird, ist fraglich, zumal Frajese durch eine Reihe von Beispielen für die Luther-Rezeption jenseits der Alpen den Verfechtern einer Geburt des Index unter negativen Vorzeichen selbst Argumente liefert (z.B. S. 42-44).
In der Summe erweist sich das Buch aufgrund der Vermischung von Darstellung und bisweilen abschweifender Interpretation für den Einstieg in das Thema als ungeeignet. Als Florilegium kluger Beobachtungen und anschlussfähiger Thesen bietet es jedoch eine wertvolle Diskussionsgrundlage für zukünftige Forschungen. An deren Notwendigkeit jedenfalls lässt das Buch keinen Zweifel, da Frajese nicht den Anschein erwecken kann, die einschlägigen Akten der Römischen Inquisition und Indexkongregation aus dem Archiv der Glaubenskongregation erschöpfend ausgewertet zu haben.