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Titel
Johannes Bugenhagen, Pomerania. Erste Gesamtdarstellung der Geschichte Pommerns. Faksimiledruck und Übersetzung der Handschrift von 1517/18


Herausgeber
Buske, Norbert
Reihe
Beiträge zur pommerschen Landes-, Kirchen- und Kunstgeschichte 11
Erschienen
Schwerin 2008: Thomas Helms Verlag
Anzahl Seiten
304 S.
Preis
€ 48,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ronny Kaiser, Institut für Klassische Philologie, Humboldt-Universität zu Berlin

Die Tätigkeit Johannes Bugenhagens (1485-1558) als Reformator ist in der Forschung bisher bevorzugt thematisiert worden. Dagegen erfuhr sein Erstlingswerk, die Pomerania – ein Auftragswerk des pommerschen Herzogs Bogislaw X., das in den Kontext humanistischer Landesbeschreibungen einzuordnen ist –, nur eine stiefmütterliche Beachtung. Der bisherige Fokus richtete sich vornehmlich auf die Rezeption und die Entstehung, nicht aber auf das ‚Innenleben’ der Pomerania.1 Dies mag dem Fehlen einer vollständigen Übersetzung geschuldet sein. Die erste zusammenhängende Darstellung der Geschichte Pommerns erhält durch Norbert Buske nun auch ihre längst überfällige, erste vollständige Übersetzung.

Zwei kurze Einleitungen von Norbert Buske und Volker Gummelt sind der Übersetzung vorgeschaltet: Neben seinem manifesten Bestreben, das Interesse des heutigen Lesers zu erwecken, weist Norbert Buskes einleitende Charakterisierung der Pomerania eine in manchen Punkten zu ergänzende Einordnung auf. Erstens: Die Idee von der „Vaterlandsliebe“ (S. 9) als Bugenhagens Schreibintention übersieht das Offensichtliche und für den Humanismus durchaus Charakteristische: Dass es sich um ein politisches Auftragswerk handelte, das den politischen Interessen zu folgen hatte.2 Schon Hans-Günther Leder wies partiell nach, dass das Werk humanistische Tendenzen besitzt.3 Zweitens: Die deutliche Tendenz, die Pomerania in einen ‚proto-reformatorischen’ Kontext zu setzen (Vgl. S. 10), und drittens eine thematische Schwerpunktsetzung auf die Zeit nach Entstehung der Pomerania und auf die reformatorischen Anfänge in Pommern insgesamt rücken die Pomerania in ein falsches Licht. Es wirkt schon paradox, dass in der ersten vollständigen Übersetzung der Pomerania, mit deren Hilfe Johannes Bugenhagen nun endlich auch vor seiner reformatorischen Tätigkeit wahrgenommen werden könnte und auch sollte, eben dieser wieder in den Kontext der Reformation gezwängt wird, obwohl in der Pomerania keine Tendenzen dahingehend ausfindig zu machen sind.

Volker Gummelt nähert sich in seiner kurz gehaltenen Einleitung dagegen dem Thema der Pomerania wieder an. Sowohl Biografisches als auch der Entstehungskontext der Pomerania werden skizziert und mit entsprechenden Verweisen auf die Forschungsliteratur unterlegt. In der Wertung der Pomerania bezieht er deutlich Stellung: Er betont vor allem die von Bugenhagen geleistete „Pionierarbeit“ (S. 15) einer ersten pommerschen Geschichtsdarstellung. Es gelingt Grummelt, die Tendenz des Werkes, nämlich die „kirchliche und politische Unabhängigkeit sowie die Einheit Pommerns“ (S. 15), deutlich zu machen, doch weder die konzeptionelle Raffinesse noch der konstruierende sowie konstituierende Charakter der Pomerania werden deutlich. Denn in humanistischer Manier wurde hier eine pommersche Identität erzeugt. Gummelts These, dass es sich bei der Pomerania um „keine im strengen Sinne eigene Darstellung der pommerschen Geschichte“ (S. 15) handelt, wirkt daher nicht plausibel.

Um eine interessante Anregung dagegen handelt es sich, wenn er „Bugenhagens Nähe zur humanistischen Reformintention“ (S. 15) akzentuiert, die er an den moralischen und religiösen Exkursen der Pomerania festmacht. Auf eine thematische Vertiefung dahingehend verzichtet er jedoch. Seine These von der Pomerania als „ein Musterbuch religiös-qualifizierter Lebensführung“ (S. 16) erscheint dagegen weniger überzeugend. Zwar klingt die Konsequenz, dass Bugenhagen potenzielle Adressaten nicht nur in den pommerschen Fürsten sah, „sondern auf eine baldige Veröffentlichung seiner Pomerania hoffte“ (S. 16), nur logisch. Doch die sich daraus ergebende Frage, welchen weiteren, potentiellen Adressatenkreis er mit den moralischen und religiösen Exkursen zu erreichen beabsichtigte, bleibt unbeantwortet.

Die Autoren haben sich für eine möglichst wörtliche Übersetzung entschieden (vgl. S. 12). Da es sich beim vorliegenden Buch um eine „Pionierarbeit“ handelt, wird man die gelegentlich auftretenden Versehen entschuldigen müssen. So heißt es beispielsweise auf S. 45 wohl nicht „Überschreibung des Flusses Peene“, sondern „Überschreitung“. Generell waren die Herausgeber bestrebt, die Zeichensetzung möglichst gering zu halten. Doch wäre für die vereinzelt auftretenden Reden die Verwendung von Anführungsstrichen durchaus hilfreich. Inwiefern die Übersetzung tatsächlich immer angemessen ist, lässt sich anhand des abgebildeten Faksimiledrucks leider kaum überprüfen, da dieser in einer Verkleinerung von 85 Prozent nur schwer lesbar ist und paläografische Kenntnisse voraussetzt. Insgesamt wird eine größtmögliche Übereinstimmung zwischen Faksimiledruck und Übersetzung angestrebt, wobei die Übersetzung sich an dem Druck orientiert und damit nie eine ganze Seite ausfüllt. Bedauerlich ist der Umstand, dass die Marginalien aus dem Faksimiledruck nicht in die Übersetzung übernommen wurden, obwohl ihnen bestimmte Funktionen im Werk zugeschrieben werden können, wie: die Gliederung des Textes, die Orientierung für den Leser und der Wahrheitsanspruch der eigenen Darlegungen, weil sie Transparenz bewirken oder doch zumindest suggerieren. Dies macht sich besonders dann bemerkbar, wenn als Marginalien stehende Kommentare bzw. Korrekturen Bugenhagens – unangekündigt – in die Übersetzung übernommen werden (vgl. S. 32, 43, 63, 72, 90). Die Marginalie auf S. 108 unten wurde offensichtlich nicht als Kommentar Bugenhagens wahrgenommen und daher auch nicht übersetzt.

Der Anmerkungsapparat greift nicht „nur in Ausnahmefällen […] Anmerkungen und Textnachweise von Otto Heinemann“ (S. 12) auf.4 Insgesamt kristallisieren sich drei Kategorien von Anmerkungen aus: 1. Angaben zu Personen aus dem Text; 2. vereinzelte Quellennachweise, die zeigen, welche Vorlagen Bugenhagen wohl benutzte. 3. schließlich Erläuterungen zu bestimmten Formulierungen oder zum besseren Textverständnis: Stellenweise werfen diese jedoch mehr Fragen auf, als dass sie einer Klärung dienlich sind (vgl. beispielsweise Anm. 23 und 119). Auch haben sich Ungenauigkeiten eingeschlichen, von denen die Anmerkung 33 (S. 45) die vielleicht größten Konsequenzen nach sich zieht: Die Autoren schließen sich – implizit – der bisherigen These Otto Heinemanns an und vermuten, dass Bugenhagen sich beim Asinius-Pollio-Zitat auf Suetons Caesarvita stützt und beim Cicero-Zitat schöpferisch tätig gewesen ist. Die durchaus augenscheinliche Variation des bei Bugenhagen verwendeten Cicero-Zitats zu einem Atticus-Brief Ciceros bleibt ebenso verborgen wie die eigentliche Vorlage, die Bugenhagen offensichtlich in Bebels Epitome laudum Suevorum fand und die er fast wörtlich zitiert. 5

Das Register erschließt allein die Übersetzung. Einteilung und Anordnung sind grundsätzlich gelungen; die Orte werden in ansprechender und verständlicher Weise aufgegliedert, die Personennamen weitestgehend mit Lebensdaten und kurzen Erläuterungen versehen, soweit ermittelbar. Als Versehen sind zu beheben: Das Todesjahr von Augustus wird irrig auf 19 n. Chr. datiert, bei Marcus Licinius Crassus Dives wird ein solches ganz vergessen. Unklar ist, nach welcher Richtlinie die Namen antiker Personen geordnet werden: Vornehmlich wird der gesamte Name angegeben; bei Augustus, Phaedrus oder Seneca fehlen jedoch weitere Namenszusätze. Dass die Erstellung eines Registers auch interpretatorische Maßnahmen erforderlich macht, zeigt der Eintrag zu Augustus (S. 291). Ein Irrtum unterlief wohl bei der Annahme, dass Bugenhagen einen gewissen „Augustus Iulius“ (S. 291) als Gründer Wolgasts verstanden wissen wollte, obwohl dieser Name weder im Lateinischen noch in der deutschen Übersetzung auftritt. Die Bearbeiter des Registers identifizieren diesen prompt als Augustus, obwohl die Gesamtargumentation des siebten Kapitels des ersten Buches nicht Augustus, sondern Gaius Iulius Caesar (100-44 v. Chr.) nahe legt.

Die von Norbert Buske vorgelegte Übersetzung der Pomerania war längst überfällig; darin besteht die von den Autoren geleistete Pionierarbeit, auch wenn das Optimum noch nicht erreicht scheint. Bleibt zu hoffen, dass die Forschung Johannes Bugenhagen dank dieser Ausgabe nun auch in seiner Tätigkeit als (humanistischer) Geschichtsschreiber stärker wahrnimmt.

Anmerkungen:
1 Exemplarisch sei hier verwiesen auf: Roderich Schmidt, Die ‚Pomerania’ als Typ territorialer Geschichtsdarstellung und Landesbeschreibung des 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts (Bugenhagen – Kantzow – Lubinus), in: Roderich Schmidt (Hrsg.), Das historische Pommern, Köln 2007, S. 638-662; Hans-Günter Leder, Johannes Bugenhagens Pomerania – Humanistische Einflüsse auf die früher Landesgeschichtsschreibung in Pommern, in: Wilhelm Kühlmann, Horst Langer (Hrsg.), Pommern in der Frühen Neuzeit. Literatur und Kultur in Stadt und Region, Tübingen 2004, S. 77-99; Jürgen Petersohn, Die dritte hochdeutsche Fassung von Kantzows Pommerscher Chronik, in: Baltische Studien NF 59 (1973), S. 27-41.
2 Zur Thematik der Interaktion von literarischem Feld und Feld der der Macht vgl. Albert Schirrmeister, Triumph des Dichters. Gekrönte Intellektuelle im 16. Jahrhundert, Köln 2003.
3 Vgl. Leder, Humanistische Einflüsse (wie Anm. 1), S. 77-99.
4 Die bisher maßgebliche Ausgabe Otto Heinemanns zeichnet sich vor allem durch einen ausgiebigen und zum Teil textkritischen Anmerkungsapparat aus: Vgl. Johannes Bugenhagen, Pomerania, hrsg. v. Otto Heinemann, unveränderter Nachdruck der Ausgabe Stettin 1900, besorgt von Roderich Schmidt, Köln 1986.
5 Vgl. Cic. Att. XIV,13,6 und Bebel, Heinrich, Epitome laudum Suevorum, in: Opera Bebeliana sequentia, Pforzheim (Ansehelm) 1509, fol. a iiiᵛ.

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