Am Beispiel des Reichspfennigmeisters Zacharias Geizkofler untersucht Alexander Sigelen soziale und ökonomische Aufstiegsmechanismen sowie die politische Kultur im Heiligen Römischen Reich um 1600. Die Freiburger Dissertation orientiert sich an Pierre Bourdieus soziologischer Theorie und besonders an dessen Begriffen Habitus, Kapitalsorten und sozialem Feld sowie am Netzwerkkonzept Wolfgang Reinhards. Wie mittlerweile üblich geworden, wendet der Autor mehrere Analyseebenen an: die Mikroebene der Praxis, die Mesoebene der politischen Kultur und die Makroebene des politischen Systems. Entstanden ist eine durchweg spannende Publikation.
Die Arbeit konnte auf einer umfangreichen öffentlichen Überlieferung sowie auf dem reichhaltigen Archiv der Familie Geizkofler in Ludwigsburg aufbauen. Dies ermöglichte es, feinste Mechanismen und Kanäle etwa von Patronagemacht zu rekonstruieren. Das Buch gewährt zahlreiche weiterführende Einblicke nicht nur in einen sozial aufsteigenden Familienverband in einer konfessionalisierten Epoche, sondern ebenso in die Praxis und Praktiken eines öffentlichen Finanzbrokers im Umfeld des „Langen Türkenkrieges“. Die Vorarbeiten waren insofern schwierig, als es für die kaiserliche Hofkammer in dieser Zeit kaum Forschungen gibt.
Sigelen beginnt den Hauptteil seiner Arbeit mit einem Kapitel zur beruflichen Ausgangssituation, zum „Startkapital“ Geizkoflers. Er untersucht weiter Praxis und Normen, nicht zuletzt Verhaltensweisen im Fürstendienst und daraus entstandene Profite in Form von ökonomischem und sozialem Kapital. Der letzte Teil behandelt familiale Strategien, um die gewonnenen Ressourcen generationenübergreifend zu sichern. Aus dem umfangreichen Anhang sind vor allem die Tabellen zu Geizkoflers Finanzierungspraxis sowie ein Soziogramm seines Netzwerkes zu nennen.
Der lutherische Geizkofler wirkte von 1589 bis 1603 als Reichspfennigmeister, in den letzten Jahren zudem als oberster Proviantmeister in Ungarn. Auch nachher blieb er ein gefragter Politik- und Finanzberater vor allem der Habsburger oder: Er mische sich überall ein und würde überal lermen machen, wie es der ihm übel gesinnte Maximilian von Bayern formulierte. Bis zu seinem Lebensende 1617 war er durch eine Korruptionsanklage belastet, wurde jedoch drei Tage vor seinem Tod in Prag von Kaiser Matthias freigesprochen. Geizkofler hatte das Amt des Reichspfennigmeisters auf Empfehlung der Fugger und über die Tiroler Seite mit Erzherzog Ferdinand sowie Hans Trautson übernommen. Er kenne nicht nur die Geldhandlungen, sondern auch das Hofwesen, so die Fugger. In der Tat hatte er nach juristischen Studien in Italien und Frankreich drei Jahre lang die wichtigsten Fürstenhöfe im Reich besichtigt.
Der ursprünglich aus Sterzing stammende Familienverband war bikonfessionell. Einzelne Familienmitglieder waren seit der Mitte des 16. Jahrhunderts nach Augsburg ausgewandert und in Fuggersche Dienste getreten. Geizkofler heiratete dort in die einflussreiche Patrizierfamilie der Rehlinger ein. Für seine Finanzmakelei brachte er daher hervorragende Kontakte zur oberdeutschen Finanzwelt mit. Die Rolle sozialer Vernetzung gerade in diesem Zusammenhang vermag Sigelen sehr überzeugend und akribisch darzustellen.
Geizkofler war ein Meister der politischen Argumentation und guter Kenner vor allem des Reichs, aber auch des politischen Systems Europas. Der Pragmatiker vertrat religiöse Toleranz im Sinne der Friedenswahrung und aus ökonomischen Gründen. Im Reich suchte er unermüdlich zwischen den Konfessionsparteien zu vermitteln, indem er seine guten Kontakte zu Württemberg, der Kurpfalz und Sachsen nutzte. Als rastloser sozialer Aufsteiger suchte er sich neben dem Kaiser alle Erzherzöge zu verpflichten, was angesichts des innerdynastischen Konflikts keineswegs einfach war, ihm aber mit Ausnahme von Erzherzog Leopold erstaunlicherweise gelang. Die Strategie war anscheinend insofern umso praktikabler, als er Kaiser Rudolf II. und den Erzherzögen Geld vermittelte, also deren Kriegs- bzw. Handkassen auffüllte, wobei die Kredite in seinen ordentlichen Rechnungsbüchern nirgends vermerkt waren.
Als Reichspfennigmeister unterstand er der Kontrolle der Hofkammer, seit 1598 zudem den Reichsständen und war faktisch der einzige kaiserliche Finanzbeamte im Reich. Geizkofler erscheint in heutiger Terminologie als ein öffentlicher Manager mit eigenem, ausgegliedertem Verwaltungsapparat. Seinem Wunsch, die Kompetenzen klar abzugrenzen und seinen Mitarbeiterstab zu verbeamten, kam man nicht nach. Seine gesamten Einnahmen als Reichspfennigmeister berechnet der Autor auf rund 14,8 Millionen Gulden. In seinem Wirkungsbereich erhielt bzw. verschaffte sich Geizkofler beträchtliche Vollmachten, indem er in den letzten Jahren nach eigenem Ermessen vorab Darlehen aufnehmen konnte, was ihm später den Vorwurf einbrachte, Reichshilfen unterschlagen zu haben.
Laut Sigelen nahm Geizkofler mindestens Scheinkredite auf. Hier wie auch durch Datierungsmanipulationen bestand theoretisch die Möglichkeit, Zins- und Münzgewinne zu erzielen und für die erwähnten Handkassen Dritter weiterzuverwenden, wobei er die Kreditzinsen ohne Befehl auszahlen konnte. Zur formellen Deckung bediente er sich seiner Verwandten, die Scheinquittungen ausstellten. Umgekehrt erfolgten Zahlungen nicht durchgängig auf Anweisung von oben. Die Anonymität (oder Pseudonymität) einzelner Kredite begründete Geizkofler später damit, dass er die Darlehensgeber vor einem Zugriff der Hofkammer habe schützen müssen.
In diesem Zusammenhang ist natürlich entscheidend, dass der Autor die Vermögensentwicklung des Akteurs mehr oder weniger sehr gut zu rekonstruieren vermag. Geizkoflers Fürstendienst, so eine wichtige These Sigelens, sei offensiv auf ökonomischen und sozialen Profit ausgerichtet gewesen, wobei die Profitmaximierung mit Werten wie treue und affection diskursiv verschleiert wurde. In der Tat lässt sich dies ebenso für das kaiserliche Umfeld belegen. So deutete Obersthofmarschall Paul Sixt Trautson 1598 einem Verwandten gegenüber mehrmals an, sich vom Hof zurückzuziehen, zumal die wirklichen Gnaden weniger würden. Daraufhin erhob ihn Rudolf II. in den Reichsgrafenstand und ließ ihm 12.000 Gulden Schulden nach.1
Geizkofler begann 1589 mit einem relativ kleinen Vermögen – der Anteil aus Erbschaft und Mitgift war gering gewesen – und hinterließ bei seinem Tod ein Kapital von rund 600.000 Gulden. Anders als später der Kriegsfinanzier Hans de Witte, der im Ruin und Suizid endete, brachte Geizkofler sein privates Unternehmen sozusagen gut über die Bühne. Um die ökonomische und soziale Position (Kooptation in die Reichsritterschaft) zu sichern, wählte er konservative Strategien, zog also den Erwerb von Grundbesitz und langfristige Darlehen etwa Wechselgeschäften vor.
Trotz hervorragender Quellenlage sind dem Autor die Mechanismen der Vermögensakkumulation letztlich nicht ganz klar geworden; vermutlich bringen weitere Forschungen etwas mehr Licht in zeitgenössische Finanzgeschäfte und/oder Korruption. Neben den Gnadenlehen und -geldern trugen zur Vermögensbildung wesentlich Geizkoflers besonders hohe Gehälter bei, die er angesichts seiner Qualitäten als Finanzmakler, also der beträchtlichen eingeworbenen Summen, selbstbewusst einforderte – und erhielt. Seine sehr hohen Gagen von jährlich über 30.000 Gulden wurden nicht nur vom Monarchen im Sinn der fürstlichen largesse, der österreichischen milte, sondern auch von der Hofkammer akzeptiert, als Leistungsanreiz, Risikoabsicherung und Erfolgsanteil, anscheinend unausgesprochen auch, um Korruption vorzubeugen. Dennoch war Geizkofler nicht unangreifbar, so wurden er und posthum sein Sohn durch einen ehemaligen Buchhalter (mit relativ geringen Beträgen) erpresst. Sein Hauptgegner, vormals Hofkammersekretär und dann passauischer Kanzler Erzherzog Leopolds, brachte zudem Gemeinwohlinteresse ins Spiel. Freilich hatte Geizkofler die Jahre hindurch Deckung von ganz oben, zuletzt zog Kaiser Ferdinand II. 1627 zugunsten seiner Nachkommen in der Angelegenheit einen Schlussstrich.
Der Autor betont, dass der zeitgenössisch starke Einsatz von persönlichen Beziehungen wie Verwandtschaft, Freundschaft oder Patronage keinesfalls versteckt oder als Korruption gebrandmarkt, sondern im Rahmen der geltenden sozialen Normen ganz offen praktiziert wurde, da institutionelle Bindungen nur schwach entwickelt waren. Hier wäre bezüglich der Patronage vermutlich zu hinterfragen, inwieweit diese Interpretation nicht einen quasi kartellierten Habitus und Diskurs des Obenbleibens wiedergibt, denen sich Aufstiegswillige mehr oder weniger einzufügen hatten, wobei Patronagestrukturen nicht wirklich als Ideal erschienen.
So sind etwa in Beschwerdeartikeln und politischen Programmen des gemeinen Mannes bzw. aufständischer Untertanen oder in zeitgenössischen Gesellschaftsutopien kaum Patronagemechanismen zu finden. Patronage war ebenso mit Pflichten und Zwängen verbunden und galt wohl nur im Verwandtenkreis als üblich und unumgänglich, widersprach hingegen eher dem eigentlichen Selbstbild der städtischen Gesellschaft mit ihrem Freiheits- bzw. Gemeinwohldiskurs. Für ihren Charakter als kleineres Übel spricht auch die Praxis im Familienverband der Geizkofler, wie die Fälle um (erfolglose) soziale Disziplinierung und Heiratsverbote zeigen. Ebenso wenig konnte sich Zacharias, obwohl eindeutiger Familienpatron, mit seinem Fideikommissplan durchsetzen.
In den im Reich diskutierten Korruptionsvorwürfen stand die Ehre der Verwandtschaft auf dem Prüfstand. Der Autor arbeitet das Thema detailliert aus, ist aber in der Gewichtung wohl etwas zu sehr aktuellen Forschungsfragen gefolgt. Immerhin stand eine Beschlagnahmung des Vermögens Geizkoflers ernsthaft bevor. Die genannten Aspekte sollen die Forschungsleistung des Autors, vor allem zur Verflechtung und Finanzierungspraxis, keineswegs mindern. Die Arbeit gewährt facettenreiche Einblicke in die frühneuzeitliche politische Kultur und setzt neue Maßstäbe für die Erforschung der Rechnungskontrolle sowie eines anscheinend gruppenspezifischen Korruptionsverständnisses.
Anmerkung:
1 Vgl. Heinz Noflatscher, Regiment aus der Kammer? Einflussreiche Kleingruppen am Hof Rudolfs II., in: Jan Hirschbiegel / Werner Paravicini (Hrsg.), Der Fall des Günstlings. Hofparteien in Europa vom 13. bis zum 17. Jahrhundert, Ostfildern 2004, S. 209-234, hier 224.