S. Weiss: Kindheit und Jugend im Haus Habsburg

Cover
Titel
Zur Herrschaft geboren. Kindheit und Jugend im Haus Habsburg von Kaiser Maximilian bis Kronprinz Rudolf


Autor(en)
Weiss, Sabine
Erschienen
Innsbruck 2008: Tyrolia Verlag
Anzahl Seiten
327 S.
Preis
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Brigitte Meier, Europa-Universität Viadrina

Die Habsburger sind kulturhistorisch in den letzten Jahrzehnten intensiv erforscht worden. Davon zeugen nicht nur „Die Lebenswelt der Habsburger“ (Vocelka/ Heller)1, die Dynastiegeschichte von Michael Erbe2 oder die kurzweilige Familienhistorie aus der Feder von Dorothey McGuigan3, sondern auch die sehr erfolgreichen Bücher über die verkauften Habsburger Töchter und die skandalträchtigen Frauenschicksale4 sowie die Frauenporträts von Irma Hildebrandt.5 All diese Arbeiten gewähren mehr oder weniger tiefe Einblicke in die besondere Lebenswelt der mächtigsten Dynastie Europas.

Die Kinder der Habsburger wurden als das wichtigste Kapital der Zukunftsgestaltung angesehen. Die amerikanische Historikerin Dorothy Gies McGuigan resümierte die Entwicklung der Habsburger Dynastie seit dem Mittelalter daher wie folgt: „Sie (die Habsburger – B. M.) würden Glück und Macht auf heiratsfähige Kinder aufbauen und es – wie Friedrich (III. – B. M.) – verstehen, abzuwarten. ... Valois, Orléans, Bourbon, Tudor und Stuart kamen und gingen. Die Habsburger blieben.“6 Sie überlebten, weil sie den Spott des ungarischen Königs Matthias Corvinus ins Gegenteil verkehrten: „Bella gerant fortes; tu, felix Austria, nube: Nam quae Mars aliis, dat tibi regna Venus.“ (Lass die Mächtigen Kriege ausfechten; du, glückliches Österreich, heirate: Was Mars den anderen gibt, dir schenkt es Venus.)7 Sicherlich benutzten alle Herrscherhäuser ihre Kinder als politisches Kapital, aber keines der großen Fürstenhäuser agierte dabei so klug, diplomatisch geschickt und erfolgreich wie die Habsburger.

Eiskaltes Kalkül und eine stringente Hausmachtpolitik schlossen jedoch Liebe und Zuneigung zu den Kindern nicht aus. Die Habsburger Kinder des 15. bis 19. Jahrhunderts, also jener Zeit, in der die Kindheit als solche erst „entdeckt“ wurde und besondere Beachtung fand8, wuchsen zumeist sehr liebevoll und gut behütet auf. Das schloss aber auch traurige Kinderschicksale und wahre Tragödien mit ein. Einem solchen Schicksal widmet Sabine Weiss ihr Werk: „Dem Andenken an Kronprinz Rudolf zur 150. Wiederkehr seines Geburtstags am 21. August 2008“.

In ihrem Buch beschreibt sie die Kindheit und Jugend der in standesgemäßen Ehen geborenen Hoffnungsträger des österreichischen Parts der Dynastie. Diese Habsburger Kinder wuchsen im Kreise von sorgfältig ausgewählten Ajas und Ajos, mehr oder weniger begabten Gelehrten und Akademikern sowie der anderen Familienmitglieder und hoffähiger Adelsfamilien auf. „Was war für ihre Persönlichkeitsentwicklung bestimmend: die Gene, die Erziehung oder die Umwelt?“ (S. 9) Natürlich ging die Autorin davon aus, dass alle drei Faktoren die Entwicklung der Kinder beeinflussten. Doch angesichts der sehr unterschiedlichen Ausprägung von Fähigkeiten und Fertigkeiten, Denk- und Verhaltensweisen der einzelnen Kinder schlussfolgert die Verfasserin, dass der genetischen Veranlagung ein höherer Stellenwert zukam als der Erziehung und der Umwelt (S. 9). Theoretische Überlegungen dazu stellt die Verfasserin allerdings nicht an. Ein Blick in die Forschungsansätze beispielsweise von Otto Brunner oder Pierre Bourdieu hätte diese zentrale Frage stärker und anders gewichten können. Gerade der von ihr angestrebte Längsschnitt vom 15. bis zum 19. Jahrhundert hätte Entwicklungstrends, Brüche oder Kontinuitätslinien an Lichts bringen können. Doch darum ging es der Verfasserin leider nicht.

Weiss entschloss sich, die in akribischer Arbeit gesammelten zahlreichen Details aus dem Leben der Kinder thematisch geordnet darzulegen und den Text mit gut gewählten Bildern zu illustrieren. Theoretische Diskurse zur Kindheit, Bildung oder zu gesellschaftlichen Veränderungen sucht der Leser ebenso vergeblich wie ein Resümee der vielen, sehr unterschiedlich zu gewichtenden Informationen.

Immerhin erfährt man nach den ersten beiden Kapiteln, dem kurzen dynastischen Überblick „Die Familie Habsburg“ und dem sachlich geordneten und umfangreichsten Kapitel „Kindheit und Jugend im Herrscherhaus“, wie viele Kinder die Verfasserin im Blick hatte, als sie sich mit der Geburt, den Taufen, den Krankheiten, der Ernährung, dem Windeln, der Wiege, der Körperpflege, den Kinderspielen, den Tieren, der Erziehung usw. kenntnisreich und sehr detailliert befasste. Von den 152 Kindern der österreichischen Habsburger Linie, die lebensfähig und standesgemäß von der Mitte des 15. Jahrhunderts bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts geboren wurden, verstarb gut ein Drittel in der Kindheit und Jugend (S. 150). Die Geißel der frühneuzeitlichen Menschen machten auch vor den Kinderzimmern der Habsburger nicht halt. Zwar wird dem Leser eine Vielzahl interessanter und auch neuer Details aus der Habsburger Kinderstube geboten, doch allzu oft verliert sich die Verfasserin in der Beschreibung von Einzelheiten oder sie wiederholt schon Bekanntes aus dem Leben einzelner Kinder. Vergleiche mit den Lebensumständen anderer Fürstenkinder nahm die Verfasserin nicht vor, so dass sich der eingeweihte Leser das Besondere und Allgemeine der Habsburger Kindheit selbst erschließen muss. Aufgrund des engen Blickwinkels der Verfasserin konnten Fehlinterpretationen von Fakten nicht ausbleiben. Die Habsburger Kinder erlernten beispielsweise traditionell ein Handwerk. Die Auswahl wurde ihnen überlassen. Ein Fürstensohn, der sich in die Niederungen der handwerklichen Arbeit begab, diese Tatsache erschien der Verfasserin fragwürdig (S. 119). Doch dahinter steckte natürlich eine erzieherische Maßnahme, die sehr gut in das sich allmählich wandelnde Erziehungskonzept der Habsburger passte. Die Persönlichkeit der Knaben sollte möglichst vielseitig und umfassend gebildet werden. Dazu gehörten in Wien eben nicht nur die schönen Künste, die Wissenschaften, Kultur im Allgemeinen, sondern auch ein Handwerk. Das unterschied das Erziehungskonzept der Habsburger von denen anderer Fürstenhäuser.

Den beiden Überblickdarstellungen folgen dann sieben kleinere Kapitel, die sich mit Sonderfällen und Einzelschicksalen der Habsburger Kinder beschäftigen. Kaiser Maximilian I. wird eine idealisierte Kinderzeit bescheinigt, was immer damit auch gemeint sein soll. Eine zeitliche Verortung gerade der ersten Lebensjahre dieses Kaisers im Sinne Ariès' nimmt die Verfasserin nicht vor. Die Kindheit Kaisers Ferdinand II. wird unter der Prämisse, dass er ein frommer Jesuitenzögling gewesen sei, beschrieben. Einige Schicksale jener Fürstenkinder, die aus den unterschiedlichsten Gründen nicht heiraten durften, schildert die Verfasserin dann im sechsten Kapitel. Ganz im Kontrast dazu steht die Thronerbin Maria Theresia, die eine glückliche Kindheit hatte. Innig geliebt von ihren Eltern wächst sie unbeschwert heran und darf dann noch den Mann heiraten, den sie wirklich liebt. Dieses Schicksal teilte sie nur mit ganz wenigen Fürstenkindern ihrer Zeit. Dass Maria Theresia ihrem eigenen Sohn und Thronerben dieses Glück nicht zubilligen konnte, stimmte sie oft traurig. Doch der Erhalt der Dynastie hatte auch am Ende des 18. Jahrhunderts Vorrang. Vom unglücklichen und radikalen Aufklärer Joseph II., dessen vielschichtige Persönlichkeit eben nicht in seiner schwierigen Zeit verankert wurde, wagt die Verfasserin abschießend den Sprung zum tragischen Schicksal des Kronprinzen Rudolf. Hier hätte sich nun die Gelegenheit geboten, die Ausgangsthese abschließend zu diskutieren. Auch ein Vergleich der Entwicklungen von Joseph II. und seinem so anders agierenden, erfolgreichen Bruder Leopold, der das Großherzogtum Toskana modernisierte, hätte sich bestens geeignet, ihre These zu hinterfragen.

Ein Anhang beendet diesen durchaus lesenswerten Bildband, der sehr anschaulich und beispielhaft den Alltag der Habsburger Kinder über vier Jahrhunderte erhellt.

Anmerkungen:
1 Karl Vocelka / Lynne Heller, Die Lebenswelt der Habsburger. Kultur- und Mentalitätsgeschichte einer Familie, Graz 1997.
2 Michael Erbe, Die Habsburger 1493-1918. Eine Dynastie im Reich und in Europa, Stuttgart 2000.
3 Dorothy Gies McGuigan, Familie Habsburg 1273 bis 1918. Glanz und Elend des Herrscherhauses, Berlin 1994.
4 Thea Leitner, Schicksale im Haus Habsburg. Habsburgs verkaufte Töchter. Habsburg vergessene Kinder, Wien 1994; dies., Skandal bei Hof. Habsburgs Goldene Bräute. Frauenschicksale an Europas Fürstenhöfe, 3. Aufl., München 2006.
5 Irma Hildebrandt, Hab meine Rolle nie gelernt. 15 Wiener Frauenporträts, München 1996.
6 McGuigan, Familie, S. 62.
7 Ebd.
8 Philippe Ariès, Geschichte der Kindheit, München 1978, S. 10.

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