P. Nordloh: Kölner Zunftprozesse vor dem Reichskammergericht

Titel
Kölner Zunftprozesse vor dem Reichskammergericht.


Autor(en)
Nordloh, Philipp
Reihe
Rechtshistorische Reihe 370
Erschienen
Frankfurt am Main 2008: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
271 S.
Preis
€ 45,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sabine von Heusinger, Historisches Institut, Universität Mannheim

Wenn Historiker/innen am gleichen Thema wie Juristen/innen arbeiten, so birgt eine Rezension immer die Gefahr, dem Gegenüber nicht ganz gerecht zu werden: Aus dem Blickwinkel des eigenen Faches kann es passieren, dass ein Mangel des zu besprechenden Bandes zu sehr betont und eine Stärke zu wenig hervorgehoben wird. Dieser Problematik ist sich die Rezensentin bewusst – sie gilt übrigens auch für den umgekehrten Fall, wenn Juristen/innen Beiträge von Historiker/innen besprechen.1 Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um eine rechtshistorische Arbeit, die an der juristischen Fakultät der Universität Münster im Jahr 2007 angenommen wurde. Eingerahmt von Einleitung und Fazit besteht sie aus drei sehr ungleichgewichtigen Teilen: Der 1. Teil gibt auf genau zehn Seiten einen sehr kurzen Überblick über Kölns Wirtschaft und spannt sich über mehrere Jahrhunderte vom 12. bis zum 18. Jahrhundert. Hier wird der Zunftbegriff definiert, Kölns Verfassung nach dem Verbundbrief vorgestellt und äußerst summarisch der Horizont der „politischen Wirklichkeit“ (S. 47) bis zum Ende des Ancien Régime skizziert.

Der 2. Teil ordnet auf zwölf Seiten das Reichskammergericht in das Rechtsgefüge des Alten Reiches ein und bietet dem Leser und der Leserin eine kompakte Einführung in die komplexe Materie. Hier wird zuerst ein kurzer Überblick über den Forschungsstand zum Reichskammergericht geboten, dann die Problematik des Kameralprozesses vorgestellt (der zu langen Verfahrensdauern und rasch anwachsenden Aktenbergen führte) und ein Seitenblick auf die zunehmend professionellen Sachwalter geworfen, da es an diesem Gericht keinen Anwaltszwang im engeren Wortsinn gab. Zudem werden mit dem Appellationsverfahren und dem Mandatsprozess die wichtigsten Rechtsmittel am Reichskammergericht vorgestellt, mit denen sich die Kläger an das Gericht wenden konnten.

Darauf folgt der 3. Teil, der mit über 180 Seiten das „Kernstück“ der Arbeit bildet und in eine Unzahl von Unterabschnitten aufgeteilt ist. Er behandelt drei große Themenkomplexe: Konkurrentenklagen zwischen verschiedenen Zünften, zunftinterne Konkurrenzausschaltung und (deutlich knapper) die Bekämpfung unzünftiger Konkurrenz. Hier zeigt die Arbeit ihre Stärken: Aus dem gesamten Bestand der reichskammergerichtlichen Zunftprozesse im Historischen Archiv der Stadt Köln wurden einzelne Prozesse ausgewählt, die exemplarisch Einblick in die Rechtsprechung des Gerichts gewähren. Diesem Abschnitt liegen umfassende Archivrecherchen zugrunde und eine umfassende Auswertung von ungedruckten Quellen. Damit gelingt es dem Autor, neues Material zu erschließen, der Forschung zugänglich zu machen und einen wichtigen Beitrag zur Erforschung von Zunftprozessen zu leisten und darüber hinaus auch die Forschung zum Reichskammergericht zu bereichern.

Bei den Konkurrentenklagen werden insgesamt drei Fälle umfassend vorgestellt. Die Auswahl erfolgte nach zwei Gesichtspunkten: Zum einen wurden nur Prozesse ausgewertet, die nach dem Kölner Appellationsprivileg von 1576 geführt wurden, als Appellationen an das Reichskammergericht in Zunftsachen (zumindest theoretisch) nicht mehr möglich waren. Zum anderen wurden Prozesse mit bekanntem Ausgang bevorzugt, da überlieferte reichskammergerichtliche Mandate Rückschlüsse auf die Rechtsauffassung des Gerichts zulassen. Der erste Prozess behandelt den Streit zwischen der Schmiedezunft und der Gürtelmacherzunft im Jahr 1771. Obwohl es sich nur um geringfügige Übertretungen der Arbeitsbereiche zwischen den Zünften handelte, kam es dennoch zur Klage am höchsten Reichsgericht in Wetzlar. Das Fazit von Nordloh lautet: „Der Gang nach Wetzlar sollte hier womöglich ein Exempel statuieren. (...) Der Kölner Rechtsspruch (...) vermittelt den Eindruck eines wohl abgewogenen Urteils“ (S. 79). Zudem zeigt der Prozess eindrücklich, dass seit dem 16. Jahrhundert in der Kölner Verwaltung zunehmend Juristen die Führungspositionen einnahmen. Im zweiten untersuchten Prozess aus den Jahren 1645-1651 geht es um einen Konflikt zwischen Weiß- und Lohgerbern, vor allem um das so genannte „Wollpflücken“, das heißt um das Recht, „vor dem Gerbvorgang die Wolle von den Schaffellen zu entfernen und zu verwerten“ (S. 82). Die Wolle war ein kostbares Gut, das weiterverkauft werden konnte, und so spezialisierten sich zahlreiche Meistersöhne ganz auf das Wollpflücken und erwarben das Meisterrecht nicht mehr. Nach widersprüchlicher Rechtsprechung von Ratsseite wurde letztendlich das Urteil des Reichskammergerichts vom Kölner Rat akzeptiert. Der dritte Prozess behandelt den Streit zwischen dem Lohgerberamt und dem Lederzurichter Jost Rath in den Jahren 1650 bis 1656. Rath wurde angeklagt, ohne Erlaubnis des Lohgerberamtes einen eigenen Lohhof eingerichtet und dort sogar weitere Lohmeister beschäftigt zu haben. Dieser Fall zeigt noch deutlicher als der zweite vorgestellte Prozess, dass der Kölner Rat über einen längeren Zeitraum keine einheitliche Rechtsprechung verfolgte. „Dies dürfte die Konfliktparteien immer wieder ermuntert haben, sich erneut supplizierend an den Kölner Rat zu wenden. (...) (Es) wird deutlich, dass der Kölner Rat stets um einen gerechten Interessenausgleich der Konfliktparteien bemüht war und jeder Partei einen Arbeitsbereich zugestehen wollte, der eine auskömmliche ‚Nahrung‘ sicherte“ (S. 148f.).

Der zweite große Themenblock beschäftigt sich mit Konkurrenzausschaltung, also mit Streitfällen innerhalb einer Zunft. Insgesamt sind für Köln fünf solcher Fälle überliefert; die Auswertung durch Nordloh bestätigt Altbekanntes zu den Zünften, etwa „wie die Zünfte ihr Recht des Zunftzwangs dazu einsetzten, missliebige Konkurrenz von Meisterschaftsanwärtern zu verringern“ (S. 188). Und schließlich: „Dem Appellationsprivileg in Zunftsachen zugunsten des Magistrats aus dem Jahr 1576, das eine Appellation an die Reichsgerichte grundsätzlich ausschließen sollte, wurde von den Parteien offenbar keine große rechtliche Relevanz beigemessen“ (S. 231). Der dritte Themenblock behandelt unzünftige Konkurrenz; hier sind allerdings nur zwei Fälle vor dem Reichskammergericht überliefert. „Generalisierende Aussagen können zu dieser Frage daher nicht getroffen werden“ (S. 231). Dennoch wird die Rolle der Gerichtsbarkeit auf Zunftseite in der Abwendung von auswärtigen Konkurrenten deutlich. Nach einem Fazit endet der Band mit einem sehr überschaubaren, auf deutschsprachige Beiträge begrenzten Literaturverzeichnis, das sich auf die Themenkreise Köln und Reichskammergericht beschränkt – einschlägige Beiträge zur Zunftgeschichte, die über diese eng gefasste Problematik hinausgehen, sucht man leider vergebens.2

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Appellationsprivileg von 1576 in der Rechtspraxis sehr unterschiedlich angewendet wurde. Den involvierten Advokaten und Prokuratoren war die Rechtsprechung des Reichskammergerichts nicht bekannt, da sie nicht publiziert wurde, dennoch kannten sie die einschlägige neueste Literatur, vor allem die Entscheidungsliteratur. Auf Seiten des Kölner Rates kann im Untersuchungszeitraum ein zunehmendes Maß an Professionalisierung in juristischen Fragen festgestellt werden. Deutlich wird auch, dass „der Problemkreis von Polizei- und Justizsachen noch weiteren Forschungsbedarf auf(weist). (...) Hatte bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts stets das rechtliche Verhältnis der Fürsten zum Kaiser im Zentrum des rechtlichen Interesses gestanden, so rückte nunmehr das Verhältnis der Fürsten zum Volk ins Blickfeld“ (S. 252). Leider erwähnt Nordloh nicht, dass der Streit zwischen den Zünften um die Exklusivität von Produkten weit ins Mittelalter zurückreicht – ebenso wie der Versuch, auswärtige Konkurrenten in der Ausübung ihres Handwerks oder Gewerbes zu behindern oder dies ganz zu unterbinden. Ebenso fehlt bei ihm die Überlegung, dass die fortwährenden Streitigkeiten auch ein deutlicher Hinweis darauf sind, dass der Zunftzwang immer nur partiell, nie aber allumfassend durchgesetzt werden konnte. Zu diesen über seine enge Fragestellung hinausweisenden Ergebnissen wäre er aber nur gelangt, wenn er auch die städtische Gerichtsbarkeit mit einbezogen hätte – die selbst gewählte Konzentration auf das Reichskammergericht ließ leider diese weiterführenden Beobachtungen nicht zu. So ist diesem Band eine Rezeption durch die Zunftforschung zu wünschen, die die gewonnenen Ergebnisse in einen größeren Rahmen einordnet.

Anmerkungen:
1 Vgl. hierzu beispielsweise Eva Schumann, Rezension zu: Frank Rexroth, Das Milieu der Nacht. Obrigkeit und Randgruppen im mittelalterlichen London, Göttingen 1999, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germ. Abt. 118 (2001), S. 530-532, online abrufbar unter <http://www.koeblergerhard.de/ZRG118Internetrezensionen/SchumannRexroth20000914.htm> (26.02.2010).
2 So fehlt z.B. jede Auseinandersetzung mit der Forschungen von Otto Gerhard Oexle, Knut Schulz oder Stephen R. Epstein; ebenfalls nicht wahrgenommen wurde die jüngere Literatur, vor allem der (Früh-)Neuzeit-Forschung, die innovative Ansätze zur Zunftgeschichte verfolgt, z.B. Thomas Buchner, Möglichkeiten von Zunft. Wiener und Amsterdamer Zünfte im Vergleich (17.-18. Jahrhundert), Wien 2004; Friedrich Lenger (Hrsg.), Handwerk, Hausindustrie und die historische Schule der Nationalökonomie. Wissenschafts- und gewerbegeschichtliche Perspektiven, Bielefeld 1998; Maarten Prak u.a. (Hrsg.), Craft Guilds in the Early Modern Low Countries. Work, Power, and Representation, Aldershot 2006.

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