Titel
Askari und Fitafita. "Farbige" Söldner in den deutschen Kolonien


Autor(en)
Morlang, Thomas
Erschienen
Anzahl Seiten
204 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christoph Kamissek, European University Institute, Florenz

"Kolonialkriege" erfahren derzeit eine ungeahnte Aufmerksamkeit, sowohl als Objekt historiographischen Interesses wie auch als politisches Anschauungsmaterial für die Analyse militärischer Operationen im Irak oder in Afghanistan. Dabei hat – wie Thomas Morlang, Mitarbeiter am Projekt "Digitale Bilddatenbank" im Fotoarchiv des Ruhr Museums in Essen, feststellt – in der britischen, französischen oder italienischen Forschung bereits seit den 1970er-Jahren Beachtung gefunden, dass koloniale Eroberung und Beherrschung ohne den Einsatz einheimischer Soldaten in europäischen Diensten kaum möglich gewesen wären. Die militärischen Aspekte der kurzen Phase deutscher kolonialer Herrschaft werden aber weitgehend aus der Perspektive der Eroberer betrachtet. Umfassende Darstellungen zu den schätzungsweise 40.000 bis 50.000 Afrikanern, Asiaten und Ozeaniern, die zwischen 1884 und 1918 in den Kolonialtruppen des Deutschen Reiches dienten, fehlen dagegen bisher. Morlangs Studie hilft diesem Umstand ab und sucht eine Annäherung an Geschichte und Lebenswelten dieser heterogenen Gruppe, deren Verhältnis zur Kolonialmacht sich, wie er festhält, mit den Etiketten "Kollaboration" oder "Widerstand" nur unzureichend erfassen lässt.

Nach einer zusammenfassenden Einführung zur "Experimentierphase" zwischen 1885 und 1891, in der die anfänglich privat unterhaltenen Truppen der "Schutzbriefgesellschaften" sukzessive in eine staatliche Kolonialarmee umgewandelt wurden, erfolgt eine getrennte Darstellung der Entwicklungen in den Kolonien Togo, Kamerun, Deutsch-Südwestafrika, Deutsch-Ostafrika, den Südseegebieten und dem "Pachtgebiet" Kiautschou, die Vergleiche zwischen den verschiedenen Territorien ermöglichen soll. Dieser Überblick wird ergänzt durch Einschübe zur Beförderungs- und Auszeichnungspraxis, zu Meutereien afrikanischer Truppen, sowie zu Überlebensstrategien ehemaliger Soldaten nach dem Ende der Kolonialherrschaft. Da die vorhandenen Quellen fast ausschließlich die Perspektive der Kolonialmacht wiedergeben und nur bruchstückhafte Hinterlassenschaften der einheimischen Soldaten existieren, sind insbesondere die in die Darstellung eingestreuten Kurzbiographien verdienstvoll, die trotzdem einige individuelle Lebensläufe exemplarisch vorzustellen versuchen.

Als begrifflichen Zugang zur Kennzeichnung der von ihm untersuchten Personengruppe wählt Morlang die Bezeichnung "Kolonialsöldner". Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass das beherrschende Motiv für den Eintritt in den Dienst der Kolonialmacht ein ökonomisches war. Die ersten umfangreichen Anwerbeaktionen in den "Schutzgebieten" setzten 1888 ein, als Aufstände in Deutsch-Ostafrika und Deutsch-Südwestafrika das bisher verfolgte Konzept der Herrschaftsausübung durch private Handelskompanien zum Scheitern brachten und das Reich widerwillig staatliche Hoheitsrechte in den Kolonien übernahm. Die Soldaten mussten daher unter Zeitdruck angeworben werden und befanden sich, wie die in Ägypten für den Dienst in Ostafrika rekrutierten Sudanesen, bisweilen in einer starken Verhandlungsposition, da von den deutschen Offizieren ausschließlich landesfremde Soldaten als zuverlässig genug angesehen wurden, die allerdings nur begrenzt zur Verfügung standen. Dieses Misstrauen in die Einsatzfähigkeit von Einheimischen im eigenen Land bestimmte auch nach der Niederschlagung der ersten großen Kolonialerhebungen die deutsche Anwerbungspraxis und verband sich mit dem auch unter den anderen Kolonialmächten kursierenden Diskurs der "kriegerischen Rassen", der etwa den sudanesischen Askari oder den Zulu besondere "Kriegslust" und militärische Verwendbarkeit zuschrieb. Da allerdings grenzüberschreitende Rekrutierungen wegen des Widerstandes der anderen Kolonialmächte immer schwieriger wurden, erhöhte sich zum Beispiel in Kamerun der Anteil einheimischer Soldaten bis 1909 auf etwa zwei Drittel der gesamten Truppen. Ähnliche Entwicklungen lassen sich auch in den anderen deutschen Kolonien beobachten. Einzig in Deutsch-Südwestafrika blieben afrikanische Soldaten eine deutliche Minderheit, da das relativ milde Klima die Stationierung deutscher Einheiten in größerem Umfang erlaubte. Obwohl Gouverneur Leutwein 1895 den Einsatz von Afrikanern für politisch wünschenswert erklärte, um eine höhere Akzeptanz der Kolonialmacht bei der Bevölkerung zu erreichen, blieb das Misstrauen der Militärs gegenüber einheimischen Rekruten hier besonders stark ausgeprägt.

Mit der zunehmenden Verschiebung hin zu Anwerbungen im eigenen Land änderte sich auch das Motivationsgefüge unter den Soldaten. Zwar blieb die vergleichsweise hohe Entlohnung, die in allen "Schutzgebieten" außer den Südseeinseln deutlich über dem Verdienst eines Arbeiters lag, bestimmend. Daneben waren Zwangsrekrutierungen oder sogar die Einstellung ehemaliger Sklaven nicht unüblich. Allerdings stellte der Militärdienst auch häufig ein höheres Sozialprestige in Aussicht oder ermöglichte es lokalen Machthabern, ihre Stellung gegenüber der Kolonialmacht zu stärken. So befanden sich unter den 1902 angeworbenen Malaien auch Söhne und andere nahe Angehörige verschiedener "Oberhäuptlinge", die künftig als Vermittler zwischen Kolonialbehörden und Bevölkerung dienen sollten. Dieses Potential, aber auch die von unversorgten ehemaligen Söldnern ausgehende Gefahr, erkannten die deutschen Kolonialbeamten erst spät. Insgesamt zeigte die Kolonialmacht wenig Interesse an einer weitergehenden Verwendung oder "Zivilisierung" ihrer indigenen Soldaten, die über Disziplinierung und militärischen Drill hinausgegangen wäre. Auch auf die Vermittlung der deutschen Sprache wurde weitgehend verzichtet. Das Verhältnis zwischen europäischen Offizieren und einheimischen Truppen blieb von Distanz und Rassismus geprägt, obwohl es bis zu den großen Kriegen in Südwest- und Ostafrika ab 1904 nur zu einem Fall kam, in dem eine Meuterei unter den Kolonialtruppen mit Waffengewalt niedergeschlagen werden musste, als 1893 in Kamerun die sogenannten Dahomey-Soldaten gegen ihre schlechte Behandlung und unzureichende Entlohnung rebellierten.

Thomas Morlang hat auf der Grundlage des vorhandenen offiziellen Quellenmaterials einen Überblick über die Geschichte der deutschen "Kolonialsöldner" vorgelegt, der weiteren Forschungen eine erste solide Basis geben kann. Seine eigene Studie unternimmt allerdings nicht den Versuch, einen weitgehend organisationsgeschichtlich angelegten und chronologisch gegliederten Rahmen zu überschreiten. Gezwungenermaßen bleibt auch er an die Perspektive der Kolonialmacht gebunden, da über Selbstverständnis und Erfahrungen der indigenen Soldaten auf der Grundlage der überlieferten Informationen nur wenige Aussagen möglich sind. Dieser Umstand lädt jedoch dazu ein, explizit weiterreichenden Fragen nachzugehen, wie etwa den Rückwirkungen der Erfahrungen mit außereuropäischen Truppen auf Selbstverständnis, Fremdwahrnehmungen oder taktische Vorstellungen der deutschen Offiziere. Gleiches gilt für das inzwischen in der Forschung verbreitete Interesse an Männlichkeitsbildern, der Imagination der sogenannten "martial races" und generell den kulturellen Wechselwirkungen zwischen Kolonien und europäischen Metropolen.1 In der Konzentration auf Fragen der Rekrutierung, Versorgung, Unterbringung oder den Arbeitsalltag der Soldaten bleiben Situationen ausgeblendet, in denen, etwa auf "Strafexpeditionen" oder in größeren Kriegseinsätzen, die Interaktionen zwischen europäischen Offizieren und "farbigen" Soldaten eine andere Dynamik annahmen, als in der Routine des Kasernenhofs. Mit den zahlreichen überlieferten Lebenserinnerungen und Einsatzberichten deutscher Offiziere zu solchen Unternehmungen hätte zudem ein weiterer Quellenbestand erschlossen werden können, der in kritischer Analyse durchaus Rückschlüsse auf die Erfahrungen der indigenen Truppen erlauben könnte und es zudem ermöglichen würde, Gerüchte etwa über deren angeblich besondere Grausamkeit zu hinterfragen und als Teil eines zeitgenössischen Diskurses zu identifizieren, der die Wahrnehmung der deutschen Beamten und Militärs maßgeblich bestimmte. Gleiches gilt für den verbreiteten Topos von der mangelnden Eignung verschiedener einheimischer Gruppen zum Militärdienst und die Frustration der deutschen Offiziere über die angebliche Disziplinlosigkeit der Soldaten, der interessante Parallelen zum Mythos vom "faulen Neger" aufweist und auch als Verweigerungsstrategie der häufig zwangsrekrutierten Kolonialsoldaten und damit als Beleg für deren Eigensinn und Handlungsmächtigkeit gelesen werden könnte.2 Der leider kaum einlösbare Anspruch, "die Perspektive der nichtweißen Soldaten" (S. 9) angemessen zu berücksichtigen, verstellt Morlang bisweilen die systematische Analyse der von der Kolonialmacht gesetzten Rahmenbedingungen für deren Einsatz und Lebensalltag. Der Frage etwa, warum gerade die deutschen Kolonialbehörden der Loyalität ihrer Kolonialbevölkerung so gründlich misstrauten und die Erfahrungen anderer Kolonialmächte hier nur selektiv rezipierten, wird nicht weiter nachgegangen. Gerade der Umstand, dass Soldaten auch über die Grenzen der eigenen Kolonialgebiete hinweg rekrutiert oder von einer Kolonie in die nächste versetzt wurden, ließe die "Kolonialsöldner" zudem zu einem interessanten Ausgangspunkt für die Analyse des inter-imperialen Austausches zwischen den Kolonialmächten werden. Zugleich könnte die Einordnung dieser besonderen Form der Arbeitsmigration in die inzwischen umfangreichen Forschungen etwa zu innerafrikanischen Wanderungsbewegungen und dem Einfluss kolonialer Interventionen auf regionale Ökonomien weitere Zugänge zu den Lebenswelten der indigenen Soldaten und ihrer Heimatgesellschaften ermöglichen.3 Es ist Morlangs Verdienst, solchen möglichen und notwendigen Erweiterungen mit seiner Studie zur weitgehend vergessenen Gruppe der deutschen "Kolonialsöldner" einen ersten empirischen Ausgangspunkt gegeben zu haben.

Anmerkungen:
1 Vgl. etwa für das britische Empire die brillante Studie von Heather Streets, Martial races. The military, race and masculinity in British imperial culture, 1857-1914, Manchester 2004. Für Deutschland vgl. Sandra Maß, Weiße Helden, schwarze Krieger: Zur Geschichte kolonialer Männlichkeit in Deutschland 1918-1964, Köln 2006.
2 Vgl. Reimer Gronemeyer (Hrsg.), Der faule Neger. Vom weißen Kreuzzug gegen der schwarzen Müßiggang, Reinbek bei Hamburg 1991.
3 Vgl. Sharon Stichter, Migrant Laborers, Cambridge 1985.

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