S. Wank: Count Alois Lexa von Aehrenthal (1854-1912)

Cover
Titel
In the Twilight of Empire. Count Alois Lexa von Aehrenthal (1854-1912). Imperial Habsburg Patriot and Statesman


Autor(en)
Wank, Solomon
Reihe
The Making of an Imperial Habsburg Patriot and Statesman, Vol. 1
Erschienen
Anzahl Seiten
IV, 292 S.
Preis
€ 39,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lothar Höbelt, Institut für Geschichte, Universität Wien

Solomon Wank hat sich über ein halbes Jahrhundert mit Alois Lexa Graf von Aehrenthal beschäftigt; neben seiner Dissertation über Aehrenthals ersten beiden Jahre als Außenminister der Habsburgermonarchie (er übte die Funktion von 1906 bis 1912 aus) aus dem Jahre 1961 dürfen zwei Bände von Akteneditionen (und zwei weitere mit Familienbriefen, herausgegeben zusammen mit Franz Adlgasser) als stolze Frucht dieser Bemühungen gelten, die nun durch eine auf zwei Bände angelegte englischsprachige Biographie ihre Krönung findet.

Dem Charakter einer Biographie – und nicht etwa einer rein diplomatiegeschichtlichen Studie – entsprechend widmet Wank der Herkunft der Familie Lexa einen interessanten einleitenden Abschnitt: Eine tschechische Bauernfamilie aus der Gegend von Přibram, die im Zeitalter der Revolutionskriege einen raschen sozialen Aufstieg durchmachte (der Urgroßvater wurde 1790 geadelt, sein Sohn war 1828 bereits Freiherr, kaufte dazwischen mehrere Herrschaften) – ein sozialer Aufstieg, der jedoch mit der Germanisierung einherging. Einfühlsam beschrieben wird auch das Schicksal Alois‘, der als zweiter Sohn im Gegensatz zum leichtlebigen Erben eine „bürgerliche“ – und dabei eben nicht allzu bürgerliche – Karriere einschlagen musste, aber auch besonders um das Urteil seiner Eltern besorgt war, ernsthaft und pflichtbewusst.

Als Diplomat war Aehrenthal geprägt von seinem Chef, Außenminister Gustav von Kálnoky (1881-95), ebenso wie von seinen Differenzen mit Kálnokys Nachfolger Agenor von Gołuchowski d. J. (1895-1906); inhaltlich von seinen Missionen in St. Petersburg (als Legationsrat 1879-83 und 1888-94, als Botschafter 1898-1906). Wank verweist bei aller Sympathie zu Recht auf die beiden Grundwidersprüche, die sich wie ein roter Faden durch Aehrenthals Karriere ziehen: Zum einen sein ehrliches Bemühen um eine Aussöhnung mit Russland, das jedoch Hand in Hand gehen sollte mit einer „aktivistischen“ Politik am Balkan. Doch die Teilung der Interessenssphären, wie sie Aehrenthal schon Mitte der 1890er-Jahre vorschwebte, nämlich die Meerengen für Russland, der „Westbalkan“ für Österreich, mit Bulgarien und Rumänien als einer neutralen Zone, war für Petersburg kaum allzu attraktiv. Vielleicht wollte Aehrenthal mit seinem Aktivismus auch gerade das „window of opportunity“ nützen, das sich um die Jahrhundertwende mit Russlands Fernostengagement auftat, was sich z.B. in der Bemerkung niederschlug, Wien solle den Zerfall des Osmanischen Reiches nicht aufhalten, sondern ausnützen (S. 215). Immerhin führte der „russophile“ Ansatz dazu, dass Aehrenthal sich 1895/96 deutlich als Befürworter einer Abkehr vom Kurs der Mittelmeerentente und des Vertrauens auf England „outete“.

Der zweite Widerspruch lag im Bereich der Innenpolitik: Aehrenthals Familie zählte politisch zum verfassungstreuen Großgrundbesitz, der deutsch-zentralistischen Adelspartei (auf Englisch meist „faction of the Great Landowners Party“ genannt, was als Übersetzung von „Kurie“ vielleicht eher irreführend ist). Alois verfocht demgegenüber eine irenische Linie gegenüber den Ansprüchen der Nationalitäten, hielt dafür aber umso zäher an der zentralistischen Linie, an der Reichseinheit, fest. Ausdruck dieser Haltung waren Vermittlungsversuche im deutsch-tschechischen Streit ebenso wie seine Opposition gegen Gołuchowskis Nachgiebigkeit ungarischen staatsrechtlichen Ansprüchen gegenüber. Wank verteidigt Aehrenthal gegen den Vorwurf, den Verhältnissen in seiner Heimat durch lange Auslandsaufenthalte entfremdet worden zu sein. Dennoch fügen sich beide Initiativen, die vermittelnde Haltung im Nationalitätenkonflikt wie die Opposition gegen die Aufweichung der Doppelmonarchie, gut ein in die politische Haltung eines Gros der k.u.k. Diplomatie: So war z.B. auch die mährische Mittelpartei, die ähnliche Ziele verfocht, ganz überwiegend von Diplomaten aus der Taufe gehoben worden.

Wanks Studie ist von einer ganz außergewöhnlich intensiven Beschäftigung mit ihrem Gegenstand getragen und vermag sich auf eine hervorragende Quellenlage zu stützen; der Autor hat sich dabei für einen analytischen, nicht chronologischen Zugang entschieden. Gerade diese Vorgangsweise lässt jedoch den Kontext oft zurücktreten: Meinungen und Stellungnahmen Aehrenthals erscheinen so als Haltung und Überzeugungen, weniger als Reaktionen auf äußere Umstände. Ein Beispiel dafür ist Aehrenthals „liberale“ Kritik an MacMahon 1877 und seine „reaktionäre“ Kritik an der russischen Verfassungsbewegung 1905/06 (die auch reichsdeutschen Kollegen überzogen schien!). Man mag resümieren: Aehrenthal wurde konservativer; man könnte aber auch folgern, seine Vorlieben trafen sich in beiden Fällen mit den Optionen, die für Österreich-Ungarn einfach günstiger waren (in beiden Fällen übrigens auch mit den Präferenzen Bismarcks!).

Wanks Biographie, auf deren zweiten Teil man gespannt sein darf, stellt zweifellos eine achtungsgebietende Leistung dar. Kritikwürdig erscheinen dem Rezensenten abschließend allenfalls zwei unterschwellige Tendenzen, denen selbst ein so umsichtiger Autor sich nicht ganz zu entziehen vermochte: Zum einen, die oftmalige Andeutung, irgendwelche – nicht näher spezifizierten – Reformen hätten die Habsburgermonarchie (oder auch das Zarenreich) „retten“ können; dazu die Gewohnheit vieler „austrophiler“ Autoren des angelsächsischen Sprachraumes, mit besonderer Freude alle „anti-deutschen“ (oder vielleicht besser: antipreußischen) Ressentiments ihres Helden zu begrüßen, selbst wenn sie in der Lage der Habsburgermonarchie, die nun einmal mehr auf Berlin angewiesen war als umgekehrt, offenkundig kontraproduktiv waren. Wissenschaftlich erwächst daraus die Gefahr, derlei Irritationen – wie sie ja nur zwischen Verbündeten entstehen können – vielleicht über Gebühr zu betonen, so z.B. wenn Wank das Urteil entschlüpft: „Perhaps no two ruling elites bound together by alliance before 1914 liked each other less than the men in Berlin and Vienna.“ (S. 222) Wo bleibt hier das tertium comparationis? Richtig ist vielmehr, von Hohenlohe bis Hoyos, keine von beiden waren so eng verwandt und verschwägert. Daraus mag sich eine ganz besondere Qualität der Auseinandersetzungen ergeben, wie sie eben auch in den besten Familien vorkommen, aber doch eine, die ganz anders geartet war als sie das Zitat suggeriert.

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