W. Sennebogen: Zwischen Kommerz und Ideologie

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Titel
Zwischen Kommerz und Ideologie. Berührungspunkte von Wirtschaftswerbung und Propaganda im Nationalsozialismus


Autor(en)
Sennebogen, Waltraud
Reihe
Forum Deutsche Geschichte, Bd. 17
Erschienen
München 2008: Martin Meidenbauer
Anzahl Seiten
448 S.
Preis
€ 59,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gerulf Hirt, DFG-Graduiertenkolleg 1083 „Generationengeschichte. Generationelle Dynamik und historischer Wandel im 19. und 20. Jahrhundert“, Universität Göttingen

Das Verhältnis von Wirtschaftswerbung und politischer Propaganda im Nationalsozialismus erfreut sich seit einiger Zeit des zunehmenden Interesses von Wirtschafts-, Sozial- und Kulturhistorikern. Hartmut Berghoff hat darauf hingewiesen, dass sich keine andere Partei so stark an den Strategien der kommerziellen Reklame orientiert habe wie die NSDAP.1 Gerhard Voigt wiederum näherte sich dem „Markentechniker“ Joseph Goebbels.2 Umfangreichere Arbeiten zu diesem wichtigen Forschungssujet an der Schnittstelle von Ökonomie und Politik existieren bisher jedoch kaum. Erste Ansätze finden sich nur in der eher journalistischen Arbeit Uwe Westphals 3 sowie in Gestalt der zentralen wirtschaftshistorischen Forschungsleistung Dirk Reinhardts.4 Hinzu kommen Untersuchungen zu einzelnen Teilgebieten, von denen der durch Matthias Rücker vorgenommene rechtshistorische Untersuchungsansatz besonders hervorzuheben ist.5

Waltraud Sennebogen hat sich nun die Aufgabe gestellt, „den Grenzbereich von Werbung und Propaganda im ‚Dritten Reich‘ eingehender zu betrachten“ (S. 26) und somit die erste ausführlichere Abhandlung über das komplexe Interaktionsverhältnis von ökonomischer und politischer Werbung im Nationalsozialismus vorzulegen. Dieses leitende Erkenntnisziel erfährt in zweifacher Weise thematische Einschränkungen: Erstens konzentriert sich die vorliegende Studie explizit auf die „Propaganda von unten“, worunter Sennebogen die im Alltag ansetzende NS-Propaganda versteht. Zweitens liegt der Untersuchungsfokus auf dem Zugriff des NS-Regimes auf die Werbebranche. Allerdings wird diese zweite Forschungspräzisierung in gewisser Weise wieder relativiert, da zugleich auch der Frage nach den Folgen für die Werbebranche nachgegangen werden soll.

Zur Erreichung des Forschungsziels gliedert sich die Arbeit in vier inhaltliche Hauptabschnitte. Im ersten Abschnitt wird die Genese von Werbung und Propaganda vom „Kaiserreich“ bis in die Weimarer Republik rekonstruiert. Dies schließt eine etymologische Untersuchung der zentralen Termini, eine kursorische Betrachtung der Professionalisierung der Werbebranche, einen Überblick über die Veränderungen der Werbemittel, erste Ansätze zur Verwissenschaftlichung der Werbung sowie Perspektiven auf Werbekritiken und -kritiker vor dem Hintergrund gesetzlicher Regelungen mit ein. Der erste Abschnitt endet mit einem Abriss der symbiotischen Beziehung politischer Propaganda und Reklame anhand des Beispiels der nationalistischen Propaganda vom Wilhelminismus bis in die Weimarer Republik. Der zweite Abschnitt behandelt die Expansion des Einflusses nationalsozialistischer Propaganda auf das Gebiet der Wirtschaftswerbung seit 1933. Neben der Untersuchung der organisatorischen „Gleichschaltung“ des Werbewesens, unter dem Diktat eines einheitlichen „Gesetzes über Wirtschaftswerbung“, wird auch die propagandistische Konstruktion des Epithetons einer genuin „deutschen“ Werbung gegenüber der, nunmehr antinomischen, „jüdischen Reklame“ erforscht.

Daran anschließend widmet sich der dritte Abschnitt den Auswirkungen des NS-Propagandamonopols auf die Werbung sowie insbesondere auf die Werbeträger und -mittel anhand des Beispiels der Rundfunkpolitik. Der Umfang des Kapitels reicht von der Transformation von Sammelbildern des „Cigaretten-Bilderdienstes Altona-Bahrenfeld“ der Firma Reemtsma zu Propagandamitteln bis hin zum Verhältnis von politischen und ökonomischen Interessen in Gemeinschaftswerbungs-Strategien und zur Einbindung von Wirtschaftswerbung in die Verbrauchslenkungs-Kampagnen während des Zweiten Vierjahresplans. Im letzten Abschnitt versucht Sennebogen anhand einer Fallstudie zum „Gesetz zum Schutz der nationalen Symbole“ vom 19. Mai 1933 die Verbindung von NS-Symboliken und Wirtschaftswerbungsinteressen aufzuzeigen und empirisch zu untermauern.

Die einleitend vorangestellte begriffsgeschichtliche Auseinandersetzung mit den Termini „Reklame“, „Propaganda“ und „Werbung“ fällt sehr differenziert aus. Hier wird erkennbar, dass an frühere Forschungen angeknüpft werden konnte.6 Überhaupt wird in der gesamten Arbeit sehr deutlich, dass der sprachlichen Regulierung eine zentrale Bedeutung beigemessen wird, weshalb später mit einem Kapitel über „Die sprachlichen Folgen des Propagandamonopols“ ein erneuter sehr detaillierter Abschnitt zu dieser Thematik folgt.

Schon im ersten inhaltlichen Kapitel ist ersichtlich, dass hinsichtlich der Professionalisierung der Werbebranche sehr stark auf die Studie Christiane Lambertys rekurriert wird.7 Wie leider schon Lamberty, so bietet auch Waltraud Sennebogen keine grundlegende reflektierte Auseinandersetzung mit professionstheoretischen Ansätzen. Dabei lautet sogar der Titel eines entsprechenden Kapitels „Professionalisierung und Institutionalisierung des Werbewesens“. Es macht jedoch wenig Sinn, von einer irgendwie gearteten „Professionalisierung“ der Werbeberufe respektive der Werbeindustrie zu sprechen, wenn dabei das eigene Professionalisierungsverständnis intransparent und damit beliebig bleibt.

Durch die starke Anlehnung an Christiane Lamberty wird ex post versucht, eine allgemeine werbefachliche „Professionalisierung“ bis zum Ersten Weltkrieg zu konstruieren. Diese Intention führt zu Widersprüchen: „Eine wirklich berufsspezifische Ausbildung war jedoch auch am Anfang des Ersten Weltkrieges nicht erreicht. Bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges war somit die Professionalisierung des Werbewesens in Deutschland in ihren Grundzügen abgeschlossen“ (S. 48). Hier hätten mindestens die einschlägigen professionstheoretischen Arbeiten rezipiert werden müssen.8 Diese mangelnde Reflektionsleistung bleibt ein Manko der gesamten Arbeit.

Hinsichtlich der Werbebranche liegt der Fokus zudem allzu stark auf den Annoncen-Expeditionen (den Werbemittlern) und weniger auf den strategisch planenden Werbungschaffenden (Werbeberatern und Werbeleitern) als Akteure. Zwar werden – neben den Pionieren wie Johannes Weidenmüller – einige zentrale Werbeberater genannt (etwa Egon Juda oder Hanns W. Brose), doch diese erfahren keine nähere Erörterung. Ferner übernahmen sie – konträr zu Waltraud Sennebogens Annahme – keineswegs seit den 1920er-Jahren im Sinne einer „one way“-Adaptation fachliche Impulse aus den USA, sondern adaptierten sehr selektiv. Für die Weimarer Republik wird in Kapitel 2.3. zutreffender Weise die deutliche visuelle Überlegenheit der NSDAP-Wahlplakate gegenüber dem demokratischen Parteienspektrum konstatiert, wobei auch einzelne antifaschistische Graphiker mit ihren gelungenen Gegenkonzepten (wie John Heartfield) hervorzuheben gewesen wären.

Es folgt der Übergang zum Kernbereich der Untersuchung mit der Analyse der politpropagandistischen Einflussnahme auf die deutsche Werbeindustrie. Die Folgen der „Gleichschaltung“ der deutschen Werbebranche werden jedoch primär nur als Maßnahmen auf die werbefachlichen Akteure dargestellt, wohingegen deren eigene Wahrnehmung weitaus weniger gewichtet wird. Es gelingt Waltraud Sennebogen aber überzeugend, die nationalsozialistisch propagierten Charakteristika einer neuen und genuin „deutschen“ Wirtschaftswerbung wie „Achtung vor der Volksgemeinschaft, Takt gegenüber den Wettbewerbern, Wahrheit und Klarheit gegenüber den Verbrauchern“ (S. 125) als Scheindefinitionen zu entlarven.

Hinsichtlich der organisatorischen Eingliederung des Werbewesens wird die „Selbstgleichschaltung“ des „Deutschen Reklame-Verbandes“ (DRV) erläutert. Der DRV wurde in der Folge in die neue „Nationalsozialistische Reichsfachschaft Deutscher Werbefachleute“ (NSRDW) als berufsständische Zwangsorganisation integriert. Es erstaunt im nur knapp zwei Seiten umfassenden Kapitel zur NSRDW, dass keine Erläuterung ihrer organisatorischen Verankerung erfolgt. Ebenso fehlt eine Grunddifferenzierung zwischen den neudefinierten Berufsgruppen der Betriebs-, Gebrauchs-, Verlags- und Verkehrswerber. Die nachfolgenden Kapitel zum „Gesetz über Wirtschaftswerbung“ hätten ebenfalls detaillierter ausfallen können. Sehr interessant sind dagegen die Ausführungen zur personellen Ebene der „Verflechtungen von Propaganda und Wirtschaftswerbung“, welche sich erstmals biographisch ausführlich Heinrich Hunke, Hugo Fischer (NSRDW-Reichsfachschaftsleiter) und Richard Künzler (stellvertretender NSRDW-Reichsfachschaftsleiter) widmen.

Die abschließende Fallstudie zum „Antikitschgesetz“ vom 19. Mai 1933 „um den Zusammenprall des nationalsozialistischen Propagandamonopols mit wirtschaftlichen Interessen zu analysieren“ (S. 275) fällt etwas vom Himmel. Allerdings ist die empirische Analyse der im „Reichsanzeiger“ regelmäßig veröffentlichten Entscheidungen informativ und schließt eine Forschungslücke. Dies gilt insbesondere für die Untersuchung der Reaktionen und Strategien der unternehmerischen Werbungtreibenden auf die Maßregelungen des „Gesetzes zum Schutz der nationalen Symbole“.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass es Waltraud Sennebogen überzeugend gelingt, die „Propaganda von unten“ kritisch-reflektiert darzustellen. Dagegen mangelt es der Arbeit an einer stärkeren Einbeziehung der Perspektive der werbefachlichen Akteure. So finden sich einige sehr weitgehende Aussagen über deren angebliches Selbstempfinden. Die Kühnheit diesbezüglicher Thesen ist schon am verwendeten Quellenkonvolut ersichtlich, welches mit nur zwei Werbefachzeitschriften weit davon entfernt ist, die individuellen oder „kollektiven“ Wahrnehmungen der Werbefachleute erfassen zu können. Hier fehlt es an einer – in einer einzigen Dissertation aber auch nicht zu leistenden – ergänzenden Perspektive der „Wirtschaftswerbung von unten“.9

Anmerkungen:
1 Hartmut Berghoff, Von der „Reklame“ zur Verbrauchslenkung. Werbung im nationalsozialistischen Deutschland, in: Ders. (Hrsg.), Konsumpolitik. Die Regulierung des privaten Verbrauchs im 20. Jahrhundert, Göttingen 1999, S. 77-112, hier S. 81.
2 Gerhard Voigt, Goebbels als Markentechniker, in: Fritz Haug u.a. (Hrsg.), Warenästhetik. Beiträge zur Diskussion, Weiterentwicklung und Vermittlung ihrer Kritik, Stuttgart 1975, S. 231-260.
3 Uwe Westphal, Werbung im Dritten Reich, Berlin 1989.
4 Dirk Reinhardt, Von der Reklame zum Marketing. Geschichte der Wirtschaftswerbung in Deutschland, Berlin 1993.
5 Matthias Rücker, Wirtschaftswerbung unter dem Nationalsozialismus. Rechtliche Ausgestaltung der Werbung und Tätigkeit des Werberats der deutschen Wirtschaft, Frankfurt am Main 2000.
6 Waltraud Sennebogen, Von jüdischer Reklame zu deutscher Werbung. Sprachregelung in der nationalsozialistischen Wirtschaftswerbung, in: Dies. / Albrecht Greule (Hrsg.), Tarnung – Leistung – Werbung. Untersuchungen zur Sprache im Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 2004, S. 173-219.
7 Christiane Lamberty, Reklame in Deutschland 1890-1914. Wahrnehmung, Professionalisierung und Kritik der Wirtschaftswerbung, Berlin 2000.
8 Werner Conze / Jürgen Kocka, Einleitung, in: Dies. (Hrsg.), Bildungsbürgertum und Professionalisierung in internationalen Vergleichen, Stuttgart 1985, S. 9-26 und Hannes Siegrist, Bürgerliche Berufe. Die Professionen und das Bürgertum, in: Ders. (Hrsg.), Bürgerliche Berufe. Zur Sozialgeschichte der freien und akademischen Berufe im internationalen Vergleich, Göttingen 1988, S. 11-48.
9 Einer solchen und darüber hinausgehenden Forschungszielsetzung widmet sich der Rezensent aktuell in seinem Promotionsprojekt: „Eine „angepasste“ Generation? Werbefachleute im Nationalsozialismus und ihre Wege in die Bonner Republik der 1950er und 1960er Jahre.“

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