C. Felbeck u.a. (Hrsg.): Troubadourdichtung

Cover
Titel
Troubadourdichtung. Eine dreisprachige Anthologie mit Einführung, Kommentar und Kurzgrammatik


Autor(en)
Felbeck, Christine; Kramer, Johannes
Reihe
Narr Studienbücher
Erschienen
Anzahl Seiten
LVIII, 363 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan Rüdiger, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main

Romanistik - das war einmal die Gesamtheit der romanischen Philologien. Heute meint das Wort in der Praxis die Sprachen der vier südwesteuropäischen Nationalstaaten und ihre postkolonialen Weiterungen. Für die übrigen romanischen Idiome reichte das Studium schon in den Jahren vor der Modularisierung meist nicht einmal ansatzweise aus.

Keines davon war aus größerer kanonischer Höhe gestürzt als das Provenzalische (= Okzitanische), wissenschaftsgeschichtlich die erste und lange Zeit vornehmste Subdisziplin der Romanistik. Die hochmittelalterliche Trobador-Dichtung geriet zum Eröffnungskapitel der literaturhistorischen Meistererzählung europäischer Volkssprachlichkeit (denn die Straßburger Eide oder die Merseburger Zaubersprüche machen, ehrlich gesagt, ja nicht allzu viel her), und diese nominell als Liebeslyrik daherkommende, in ihrer Stilisierung und Sublimierung so befremdlich unerotisch anmutende Dichtung wurde in allen philosophischen Fakultäten gelesen. Heute stehen immer noch ein paar einschlägige Zeilen im Lehrbuch, aber gelesen wird allenfalls Altfranzösisch. Das Altprovenzalische – und auch seine moderne Form, das als Regionalsprache von einigen Millionen Südfranzosen gebrauchte Okzitanische – findet nur mehr an wenigen deutschsprachigen Universitäten (allen voran Wien) statt, häufig genug an allen Standardcurricula vorbei im enger werdenden Freiraum der Dozenten.

In dieser Situation die Modularisierung und die neuen Kurzstudiengängen einmal nicht nur, wie es die Obrigkeit dauernd verlangt, „als Chance zu begreifen“, sondern diese auch zu nutzen – das haben sich zwei Trierer Romanisten vorgenommen. Ermutigt durch Interesse und Engagement der Studierenden in ihren Lehrveranstaltungen, konzipierten Christine Felbeck und Johannes Kramer ein Studienbuch, mit dem sie dazu beitragen wollen, der Trobadorlyrik einen Platz in den neuen komparatistischen und interdisziplinären Mittelalter-Studiengängen zu sichern.

Das ist aus geschichtswissenschaftlicher Sicht ein ungemein begrüßenswertes Unterfangen. Allzu oft überlassen wir die volkssprachlichen Quellen, unsere methodische Inkompetenz vorschützend, bereitwillig den Philologen und verzichten damit auf Aspekte, die etwa die französische Mediävistik – man denke an Georges Duby1 – ungemein bereichert haben. Zunächst braucht es dazu aber handhabbarer Übersetzungen. Die Trobadors werden seit der Romantik immer wieder ins Deutsche übersetzt2, zumeist allerdings mit poetischem Anspruch, der sie als Phänomen der deutschen Lyrikgeschichte interessant, als Werkzeug des Historikers hingegen untauglich macht. Felbeck/Kramer liefern denn auch eine „einigermaßen wörtlich[e]“ (S. VI) Interlinearübersetzung. Mit ähnlichem Anspruch hat Dietmar Rieger 1980 bereits ein Reclam-Bändchen erstellt.3 Das neue Studienbuch muss sich mit diesem vergleichen lassen.

Erstens: Felbeck/Kramer bieten, didaktischen Erwägungen der Romanistik folgend, neben ihren eigenen deutschen auch (meist aus anderen Veröffentlichungen übernommene) französische Übersetzungen. Zweitens: Das neue Studienbuch ist dreimal so groß, dreimal so schwer und viermal so teuer wie der alte Reclam-Band. Für ein „Studienbuch“ sind das keineswegs banale Faktoren, denn der Verlag hat mit starkem Papier, großen Leerflächen (meist mehr als die Hälfte des Satzspiegels) und ziemlich großer Schrift eine Ausstattung gewählt, die eher zum Scannen/Fotokopieren als zum Kaufen einlädt und damit die durchdachte Anlage des Buches gewissermaßen sabotiert.

Drittens nämlich liefern Felbeck/Kramer mehrere wichtige Beigaben: eine thematische Einführung in die Trobadordichtung, eine Kurzgrammatik der altokzitanischen Sprache, eine Auswahl altrömischer Liebesdichtung sowie (zum Thema Wirkungsgeschichte) anderssprachiger mittelalterlicher Lyrik in trobadoresker Tradition. Mit einem solchen Kompendium lässt sich in der Tat eine Lehrveranstaltung bestreiten – umso erstaunlicher, dass Felbeck/Kramer (wiederum anders als der Reclam-Band) außer einigen knappen Anmerkungen auf Kommentare zu den einzelnen Liedern verzichten. Deren Deutung soll wohl dem Seminarverlauf überlassen bleiben; das mindert allerdings bereits die Chancen zu adäquater Nutzung in der Lehre – auf jeden Fall durch nichtspezialisierte Lehrende – erheblich.

Geboten werden 35 Trobadorlieder, genauso viele wie im Reclam-Band, und hier wie dort spannt sich das Feld vom „ersten Trobador“, Wilhelm VII./X., Grafen von Poitou und Herzog von Aquitanien (1071–1127), bis zum „letzten Trobador“, Guiraut Riquier (1230–1292): Der Kanon ist so etabliert und so gut begründet, dass es auch unsinnig wäre, davon abzuweichen. Auch im Verlauf der bei Felbeck/Kramer chronologisch in sieben „Generationen“ gegliederten Anthologie gibt es keine Überraschungen: Alle namhaften Dichter und alle Hits sind vertreten. Gegenüber anderen Sammlungen bemerkt man allenfalls eine etwas stärkere Berücksichtigung der Dichterinnen (Trobairitz), was den Interessen der Studierenden zweifellos entgegenkommt, sowie eine gewisse Vorliebe der Herausgeber für sprachgeschichtlich einschlägige Lieder.4 Die Beigabe der kurzen Viten und Liedkommentare (razós) aus den Liederhandschriften des 13. Jahrhunderts, ein wenig bekanntes Genre der Kurznarrativik, ist willkommen.

Die Texte enthalten das heute übliche Maß an Druck-(Tipp-)fehlern, insbesondere in den französischen Passagen. Heikel wird dies in der Grammatik und dort, wo im Originaltext ganze Wörter fehlen.5 Eigentliche Übersetzungsfehler sind selten6; die meisten diskutablen Stellen sind für alle praktischen Zwecke unerheblich.7 Kurzum, man kann mit diesem Buch recht gut im Seminar arbeiten.

Es war ein guter Einfall, die thematische Einleitung mit einem Vortragstext über „Was ist Liebe?“ (Hermann Kleber, im Rahmen einer Trierer Ringvorlesung von 2005) zu eröffnen, der einige Elemente des mittelalterlichen Liebesdiskurses anspricht und den Sinn der Studierenden für die Historizität eines scheinbar universal-menschlichen Phänomens schärft. Die eigentliche Einleitung bietet, was sie bieten soll, hätte aber stellenweise klarer ausfallen und dazu etwa die Möglichkeiten des Computersatzes (Kleindruck) nutzen können.8 Den Trobadortexten in komparatistischer Absicht eine Auswahl aus der lateinischen Liebesdichtung voranzuschicken, ist ausgesprochen hilfreich, und die Wahl von Catull ist wohlbegründet: Gerade weil er den Trobadors unbekannt war, ist mit Interferenzen nicht zu rechnen. Aber so schön sie auch sind: Statt gleich neun Catull-Gedichte zu bringen, wären einige Beispiele der poetischen Traditionen, auf die in der Forschung (teilweise kontrovers) die Trobadors zurückgeführt werden, nämlich die frühmittelalterlich-lateinische und die spanisch-arabische, hier ebenfalls am Platze gewesen, zumal sie schwerer zu greifen sind als die lateinischen Klassiker. Andererseits kann man ein solches Studienbuch auch nicht überfrachten.

Eher bedenklich ist unter dem Gesichtspunkt des Gebrauchs in der Lehre, dass überwiegend ältere, teilweise veraltete Literatur genannt wird. Es wäre beckmesserisch, dem hier im einzelnen nachzugehen, und eine Beschränkung auf wenige Titel ist in einem Studienbuch auch sinnvoll; immerhin mutet es befremdlich an, dass – um nur einen Fall zu nennen – als Literatur zu Marcabru, einem der gegenwärtig meistdiskutierten Dichter, nur die Edition von Déjeanne (1909, überholt durch die kritische Edition von Gaunt/Harvey/Paterson 2000) und zwei Aufsätze von 1913 und 1923 sowie eine annotierte Bibliografie von 1967 empfohlen werden.

Dem einleitenden Plädoyer für eine erneuerte Lehre mittelalterlicher Sprachstufen ist nur beizupflichten: „Das Erlernen vom Latein aus, mit Lautregeln, die die Verwandlung eines bestimmten lateinischen Wortes in ein bestimmtes altfranzösisches [oder altokzitanisches, J.R.] Wort erklären, hat wenig Sinn, wenn man gleichzeitig in einem Latein-Intensivkurs sitzt.“ (S. Vf.) Leider entspricht die an den Klassikern der deutschen Provenzalistik orientierte Kurzgrammatik am Ende des Buches dieser Forderung gerade nicht, sondern kompliziert das morphologisch recht einfache Altokzitanische durch den steten Bezug auf lateinische Deklination und Konjugation unnötig. Für die begrenzten Zwecke dieses Studienbuches wäre eine komparative, von bekannteren romanischen Sprachformen (etwa modernem Spanisch oder Französisch) ausgehende Darstellung geeigneter gewesen, bei Studierenden die erwünschten Aha-Erlebnisse auszulösen.

Aus historischer Sicht kann zudem nicht voll befriedigen, was zum soziohistorischen Kontext der Trobadordichtung gesagt wird (S. XLIIIff.). Die Ausführungen bleiben der in den 1960er-Jahren bekannt gewordenen „literatursoziologischen Interpretation“ Erich Köhlers9 verhaftet, wonach die Trobadors eine Art Sprachrohr des nichtetablierten, nachrangigen ‚niederen Adels’ gewesen seien. Abgesehen davon, dass dieses Gesellschaftsmodell auf die okzitanischen Verhältnisse im 11.–13. Jahrhundert nicht passen will10, ist die in ihr angelegte Geringachtung der sozialen Bedeutung kultureller Praktiken nach den diversen kulturwissenschaftlichen ,Wenden’ auch nicht mehr ohne erhebliche Modifikationen vertretbar. Die hier replizierte Form führt zu dem Versuch, die „soziale Herkunft der Troubadours“ (S. XLIII) zu thematisieren, gar ein Berufsbild der „von Hof zu Hof ziehenden Dichter-Sänger“ zu entwerfen, von denen manch einer, wenn er Glück hatte, „an einem Hof fest angestellt war“ (S. 282; XLIV) – eine Karikatur, die völlig verkennt, dass ‚der Trobador’ nicht einen Sozialtypus darstellt, sondern dass die höfischen sozialen Praktiken, darunter das Dichten und Singen, zum Habitus der meritokratisch konstituierten Machtelite gehörten, innerhalb derer wie selbstverständlich sowohl ein König (Alfons II. von Aragon) als auch Stadtbürger und Kastellane regelmäßig die entsprechenden intellektuellen Fertigkeiten unter Beweis stellen mussten. Man hat es nicht mit einzelnen Literatur- und Gesangspezialisten zu tun, sondern mit einer uneinheitlichen, mobilen Oberschicht agonaler Kulturproduzenten und -konsumenten.

Diese Einzeleinwände können aber den Wert des Studienbuches nicht wesentlich schmälern. Es ist gut, dass wir dieses Buch nun haben, und es ist zu hoffen, dass es in der mediävistischen Lehre viel benutzt werden wird. Die Liebeskunst der Trobadors zu entdecken macht das Mittelalter spannender – auch für Geschichtsstudierende.

Anmerkungen:
1 Etwa in: Georges Duby, Mâle moyen âge. De l’amour et autres essais, Paris 1988 (deutsch in Auszügen unter dem Titel: Die Frau ohne Stimme. Liebe und Ehe im Mittelalter, Berlin 1989).
2 Vgl. Michael Heintze / Udo Schöning / Frank Seemann, Troubadourlyrik in deutscher Übersetzung. Ein bibliographisches Repertorium (1749–2001), Tübingen 2004.
3 Dietmar Rieger (Hrsg.), Mittelalterliche Lyrik Frankreichs I: Lieder der Trobadors, Stuttgart 1980, letzte Neuauflage 2001; dazu ders.: Die altprovenzalische Lyrik, in: Heinz Bergner (Hrsg.), Lyrik des Mittelalters. Probleme und Interpretationen, Stuttgart 1982, Bd. I, S. 197–390.
4 Von Raimbaut de Vaqueiràs sind allein zwei Stücke vertreten, in denen der provenzalische Trobador sich im Genuesischen, Französischen, Gaskonischen und Galizischen versucht; von den 119 Liedern des Cerverí de Girona erscheint allein ein dialektal-katalanisch gefärbtes Scherzliedchen; für den deutschen Minnesang steht allein eine siebensprachige Übung des späten Oswald von Wolkenstein (1377–1445). – Textgrundlage für die Trobadors ist die maßgebliche Sammlung von Martín de Riquer, Los trovadores. Historia literaria y textos, Barcelona 1975.
5 Grammatik: „per“ statt „pel“ für die Kontraktion von „per lo“ (S. 333); weithin inkonsequente Akzentsetzung in den Verbtafeln (S. 346ff.), was bis zur Fehlerhaftigkeit führt (S. 348: 1./2. Pers. Pl. Ind. Imp. partíam, floríam/partiátz, floriátz); fehlende Wörter: S. 78 Z. 28; S. 80 Z. 50.
6 S. 140, Z. 42 (Bernart de Ventadorn): „ab sol qu’aya tan d’ardit“ (Konjunktiv!) ist nicht: „und so hat sie so viel Kühnheit“, sondern: „[man kann von ihr nur Gutes sagen], wenn sie nur so viel Kühnheit hätte, [dass sie mich sie nackt sehen ließe]“ – der Liebende rechnet gerade nicht mit dieser Möglichkeit, sondern wünscht sie sich wider alle Wahrscheinlichkeit. – S. 182 Z. 24f. (Comtessa de Dia): „c’una non sai loindana ni vezina / si vol amar, vas vos non si’ aclina“ heißt nicht: „weil eine, ich weiß nicht, ob von nahe oder von ferne, wenn sie lieben will, zu euch sich neigen könnte“, sondern: „[ich habe Angst], weil ich keine weiß, fern oder nah, die, wenn sie lieben will, nicht zu euch sich neigen würde“: die Liebende fürchtet nicht eine (hypothetische), sondern alle anderen Frauen. – S. 335 „maire“ (Beispielwort) ist nicht (wie im Französischen) „Meister“, sondern „Mutter“. – Die auf S. XXXVI nachgedruckte Karte (mit korrektem Beleg: Pierre Bec, La langue occitane, Collection Que sais-je, Paris 1963) zeigt keineswegs die „Sprachen und Dialekte zur Troubadourzeit“, sondern den heutigen okzitanischen Sprachraum, wodurch u. a. das für die frühen Trobadors zentrale, später französisierte Poitou hier wegfällt.
7 S. 26 Z. 27 (wohl an die frz. Fassung angelehnt) „et a son cor en amar leyalmens“: nicht romantisch „ihr Herz ist voll von aufrichtiger Liebe“, sondern „und es entspricht ihrem Wesen, loyal/aufrichtig zu lieben“; S. 86 Z. 7 „Jovens faill e fraing e brisa“: nicht „ein Jüngling“, sondern die personifizierte „Jugend“ stolpert und zerbricht in Marcabrus Moralpastoral; S. 136 Z. 17 „Si m’a jois pres e sazit“: Es ist wohl nicht an „Wenn mich die Freude ergriffen hat...“ zu denken, sondern an das homografe emphatische „So sehr hat mich...“; S. 188 die Bemerkung in der Vita des Giraut de Bornelh: „savis hom fo de letras“ zielt nicht bloß auf „Literatur“, sondern auf lateinische Bildung überhaupt – nur so gewinnt die typisch trobadoreske Antithese zum „sen natural“ (hier richtig: dem natürlichen Verstand) ihre Pointe; S. 198ff.: Wenn Folquet de Marselha zweimal die Wendung „ab bel semblan“ (eine höfische Standardvokabel: das tadellos-emotionslose Benehmen) gebraucht, sollte sie nicht kommentarlos einmal als „schöne Vorspiegelung“ und einmal als „attraktive Erscheinungsform“ (der hübschen Frau) übersetzt werden.
8 Die fünf Seiten [XXXVII–XLI] zur Sprachbezeichnung zum Beispiel sind zwar untadelig, für Anfänger aber nicht in ihrer ganzen Differenzierungsfülle belangreich, so interessant die semantischen Karrieren von romans, provençal und occitan auch sind.
9 Vgl. Erich Köhler, Trobadorlyrik und höfischer Roman. Aufsätze zur französischen und provenzalischen Literatur des Mittelalters, Berlin 1962; ders., Sens et fonction du terme ‚jeunesse’ dans la poésie des troubadours, in: Pierre Gallais / Yves-Jean Riou (Hrsg.), Mélanges offerts à René Crozet, Poitiers 1966, Bd. I, S. 569–583.
10 Eine gute, für Romanisten aufbereitete und an der literaturhistorischen Perspektive ausgerichtete Zusammenfassung der einschlägigen historischen Forschung der 1960er- bis 1980er-Jahre bietet Linda Paterson, The world of the troubadours. Medieval Occitan society, c.1100–c.1300, Cambridge 1993.