C. Rauh: Schweizer Aluminium für Hitlers Krieg?

Cover
Titel
Schweizer Aluminium für Hitlers Krieg?. Zur Geschichte der 'Alusuisse' 1918-1950


Autor(en)
Rauh, Cornelia
Reihe
Schriftenreihe zur Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 19
Erschienen
München 2009: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
384 S.
Preis
€ 58,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Max Bank, Seminar für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Universität zu Köln

Cornelia Rauhs Habilitationsschrift liefert eine detaillierte und umfassende Darstellung der Unternehmensgeschichte der Aluminium-Industrie-Aktien-Gesellschaft Neuhausen, kurz AIAG oder "Alusuisse", zwischen 1918 und 1950. Sie widmet sich dabei der immer wieder zu Recht gestellten Frage nach der Mitverantwortung der Schweiz für die Verbrechen des NS-Regimes während des Dritten Reiches. Dabei liegt der Schwerpunkt der Analyse auf den Vorgängen in den deutschen Werken der AIAG zwischen 1933 und 1945. Die Untersuchung stellt die Auswirkungen der nationalsozialistischen Autarkiepolitik auf die Unternehmenspolitik des Schweizer Konzerns dar. Rauh richtet dabei einen besonderen Fokus auf die Handlungsspielräume des AIAG-Managements vor allem während der Kriegsjahre, unter anderem im Hinblick auf den Einsatz von Zwangsarbeitern in den deutschen Werken des Konzerns.

Das Buch widmet sich also eingehend der Frage nach der Verantwortung für das Geschehen in den deutschen Werken der AIAG und ordnet sich damit in die Debatte um die Infragestellung der so oft beschworenen Schweizer Neutralität während der zwei Weltkriege des 20. Jahrhunderts ein. Dieser Diskurs, angeregt durch diverse internationale Klagen, genießt seit Beginn der 1990er-Jahre wachsende Aufmerksamkeit seitens der Schweizer Öffentlichkeit und hatte zahlreiche Untersuchungen der internationalen Expertenkommission "Schweiz – Zweiter Weltkrieg" zu Schweizer Unternehmen zur Folge. Im Kontext dieser Untersuchungen ist auch Rauhs Arbeit anzusiedeln, und sie leistet einen konstruktiven und wissenschaftlich fundierten Beitrag zu diesem Diskurs.

Der inhaltliche Ausgangspunkt der gesamten Untersuchung ist die Entwicklung der Schweizer Aluminiumindustrie von 1888 bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. Dabei werden Marktlage und Unternehmensstrategien genauer beleuchtet. Kernbereich des Unternehmens war von Anfang an der Abbau von Bauxiterzen sowie die Gewinnung von Aluminium. Dabei spielten die deutschen Werke insbesondere in der Weiterverarbeitung von Aluminium eine Rolle. Nach Anzahl der Beschäftigten war das Deutsche Reich der zweitwichtigste Standort mit insgesamt 4.784 Beschäftigten im Jahr 1938. Andere Schwerpunkte des Auslandsengagements lagen insbesondere in Italien. Dort konnte die AIAG aufgrund des Rückzugs anderer internationaler Konzerne sogar eine marktführende Dominanz entfalten. Die Zwischenkriegszeit war außerdem durch eine Strategie internationaler Kartellisierung gekennzeichnet, die von Seiten der AIAG besonders massiv vorangetrieben wurde. Dies geschah, um der amerikanischen Konkurrenz standhalten zu können, die aggressiv auf den europäischen Markt drängte.

Nach einem Fokus auf Unternehmensstrategien folgt eine Analyse der NS-Wirtschafts- und Betriebspolitik zwischen 1933 und 1939, welche die Rahmenbedingungen und den begrenzten Handlungsspielraum der AIAG unter totalitärer Herrschaft deutlich macht. Insbesondere die Autarkiepolitik des Deutschen Reiches beeinträchtigte die Investitionspolitik und die Rohstoffverteilung auf die einzelnen AIAG-Werke beträchtlich. Umfang und Tempo des Unternehmenswachstums waren nicht mehr umfassend unter der Kontrolle der Unternehmensleitung. Eine weitere Untersuchung der Unternehmensentwicklung zwischen 1940 und 1945 schließt sich an. Sie macht deutlich, dass die AIAG mit fortschreitendem Kriegsverlauf zunehmend in den deutschen Rüstungsapparat integriert wurde. Wenn sich dies auch nicht in ausgeprägten Direktinvestitionen von Schweizer Geldern in die deutschen Werke bemerkbar machte, so avancierte doch beispielsweise das Reichsluftfahrtministerium zum Hauptkunden der Schweizer Werke des AIAG-Konzerns. Es lässt sich ferner durchaus ein fortschreitender Kontrollverlust der Schweizer Unternehmensleitung über die deutschen Werke feststellen. Wenn man in der Konzernzentrale auch wusste, was sich dort vollzog – dies galt vermutlich auch für den Einsatz von Zwangsarbeitern – so verlor man dennoch spätestens zu Beginn der 1940er-Jahre den unmittelbaren Zugriff auf sie und musste sich dem zunehmend politisch gesetzten Rahmen für die Produktion fügen.

Insgesamt lässt sich während der Kriegszeit ein vorsichtiges, auf Neutralität bedachtes Auslandsengagement der AIAG feststellen. Dies galt sowohl für die Märkte der Achsenmächte als auch für die der Alliierten, was unter anderem strategisch wichtige Investitionen in den USA in dieser Zeit verhinderte. Die in den deutschen Werken bewusst gewählte Strategie, Gewinne zu reinvestieren, um den staatlichen Zugriff darauf zu erschweren, war letztlich erfolgreich. Denn die "Reinvestition der in den geschlossenen Märkten erzielten Gewinne in rasch amortisierbare Anlagen" (S. 250) stellte nicht zuletzt eine der Grundlagen für eine erfolgreiche Entwicklung des Unternehmens nach dem Krieg dar. Die Nachkriegszeit bis 1955 wird schließlich in einem kurzen Kapitel skizziert, das die damaligen Zukunftsaussichten des Konzerns in einem sich wandelnden makroökonomischen und gesellschaftspolitischen Umfeld andeutet.

Cornelia Rauh hat primär ein politisch-gesellschaftliches Interesse an ökonomischen Handlungen. Mikroökonomische Betrachtungen und betriebsorganisatorische Fragen stehen daher nicht im Vordergrund der Untersuchung. Im Gegenteil, Rauh übt durchaus Kritik an Ansätzen der Neuen Institutionenökonomie und distanziert sich von dem von Toni Pierenkemper und Peter Borscheid formulierten Verständnis einer Unternehmensgeschichte, die sich vor allem auf den "ökonomischen Kern" des Unternehmens konzentrieren sollte. Ihr Begriff von Unternehmensgeschichte ist ein weiterer, der eher den Vorstellungen Hartmut Berghoffs von einer Unternehmensgeschichte als Gesellschaftsgeschichte entspricht. Zu Recht nennt sie ihren Ansatz eine "politische Unternehmensgeschichte", angesichts ihrer Fragestellung erscheint dies auch adäquat. Denn aufgrund der staatlichen Durchdringung der Wirtschaft durch das NS-Regime ist eine politische Unternehmensgeschichtsschreibung der einzig sinnvolle Ansatz in diesem historischen Kontext. Abschließend ist zu konstatieren, dass Rauh einen wichtigen Beitrag zur in der Schweiz selbst institutionell doch eher schwach verankerten Unternehmensgeschichtsschreibung leistet.

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