Berichte über sexualisierte und häusliche Gewalt gegen Frauen sind in den Medien schon seit einiger Zeit in hohem Maße präsent. Die zeithistorische Forschung hat sich diesem Thema allerdings bislang noch erstaunlich wenig angenommen. In einschlägigen Überblicksdarstellungen fehlt es bisweilen völlig.1 Die Historikerin Jane Freeland legt nun mit ihrer Dissertation eine der ersten umfassenden geschichtswissenschaftlichen Studien zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland vor.2
Freeland fragt in einem deutsch-deutschen Vergleich nach langfristigen Auswirkungen des feministischen Aktivismus nach „1968“. Im Zentrum steht der Einsatz gegen häusliche Gewalt. Dieser sei, so eines ihrer zentralen Argumente, der nachhaltigste Erfolg feministischen Engagements gegen die Ungleichheit von Frauen nach „1968“. Freeland merkt zurecht an, dass Erfolg an dieser Stelle nicht meinen kann, dass das Phänomen verschwunden sei, sondern dass es einerseits überhaupt nachhaltig Einzug erhalten hat in den öffentlichen Diskurs. Anderseits besteht heute ein gesellschaftlich anerkanntes Netzwerk von Schutzräumen und Anlaufstellen für von Gewalt betroffene Frauen in der Bundesrepublik. Dabei geht es Freeland keinesfalls um eine lineare Erzählung. Zum einen interessiert sie, wie die feministischen Projekte die Gesellschaft in beiden Ländern verändert haben. Zum anderen geht es ihr aber auch darum, die Veränderungen des Feminismus durch das Zusammenspiel mit anderen Akteur:innen, hier besonders mit Politiker:innen und Medien, aufzuzeigen. Mit dem geteilten Berlin steht in ihrer Studie ein wichtiger Ort im Zentrum: Der West-Berliner Aktivismus war nicht nur Vorreiter, sondern auch in der Folge Orientierungspunkt für westdeutsche feministische Initiativen insgesamt. Obwohl konkretere Ausführungen darüber fehlen, warum der deutsch-deutsche Vergleich – insbesondere unter der Frageperspektive nach Wirkungen von „1968“ – trägt, macht Freeland einen entscheidenden Punkt: Während Historiker:innen den Einsatz für Frauenrechte nach 1945 vermehrt in die Erzählung einer Liberalisierung einordnen, kann sie mit ihrer Studie zeigen, dass auch ostdeutsche Feministinnen einen Beitrag für den nachhaltigen Erfolg des Aktivismus gegen häusliche Gewalt geleistet haben.
Die ersten drei Kapitel nehmen die westdeutsche Entwicklung in den Blick. Kapitel eins ist dem feministischen Engagement für eine Legalisierung von Abtreibungen gewidmet. In dieser langen Tradition verortet Freeland den verstärkt in den 1970er-Jahren einsetzenden Einsatz gegen häusliche Gewalt. Freeland misst der Abtreibungskampagne, wie bereits Kristina Schulz, eine entscheidende Rolle bei der Konstituierung der feministischen Bewegungen bei.3 Nachdem diese ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht hatte, veränderte sich die Organisationsform der Bewegungen: Es wurde nun verstärkt in themenspezifischen Projekten und Initiativen gearbeitet, wie etwa den Frauenhausinitiativen. Beide Themen stünden darüber hinaus stellvertretend für die Ungleichheit der Frau und für den Kampf um Autonomie.
Kapitel 2 und 3 können sodann als Herzstück der Publikation begriffen werden, in dem die Dynamik zwischen Feministinnen, Politiker:innen und Medien in den Blick gerückt wird. In Kapitel 2 beschäftigt sich Freeland mit der Entstehung des Aktivismus gegen häusliche Gewalt, konkret mit der West-Berliner Frauenhausinitiative und ihrem Weg zur Eröffnung des ersten westdeutschen Frauenhauses 1976. Freeland argumentiert, dass sowohl Politiker:innen als auch Medien maßgeblich zur De-Radikalisierung des feministischen Anliegens – der Abschaffung des Patriarchats – beitrugen. Gleichzeitig argumentiert Freeland überzeugend, dass das Vorgehen seitens der Akteur:innen notwendig war, um das Thema einer gegenüber Feministinnen misstrauischen Gesellschaft nahe zu bringen. In Kapitel 3 nimmt sie sich dann den Veränderungen des Feminismus an, besonders im Laufe der 1980er-Jahre. Freeland skizziert damit den Weg der Feministinnen von der Entstehungs- und Ursprungsidee eines Frauenhauses hin zu ihrer Auseinandersetzung mit der tatsächlichen Praxis. So waren von Gewalt betroffene Frauen weniger an theoretischen Auseinandersetzungen und Diskussionen über die Emanzipation der Frau interessiert. Stattdessen bemerkten Feministinnen, dass eine schrittweise Professionalisierung der zumeist ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen von Nöten war.
Die zweite Hälfte des Buches ist der Entwicklung in der DDR beziehungsweise der wiedervereinigten Bundesrepublik gewidmet. Kapitel 4 fragt nach der Thematisierung von häuslicher Gewalt in der DDR. Hierfür betrachtet Freeland zum einen Akten des Familiengerichts, konkret Scheidungsanträge. Entgegen dem anders lautenden Narrativ der SED-Regierung kann sie damit aufzeigen, dass es sehr wohl auch häusliche Gewalt gegen Frauen in der DDR gab. Zahlreiche Scheidungsanträge wurden jedoch abgelehnt. Hintergrund dieser Ablehnungen war, so Freeland, dass der Ehe beziehungsweise deren Fortbestand eine Bedeutung für die sozialistische Gesellschaft insgesamt beigemessen wurde. Familiengerichte entschieden sich also bewusst gegen den Schutz von gewaltbetroffenen Frauen. Zum anderen analysiert Freeland die Thematisierung von häuslicher Gewalt auch in den Medien der DDR. Sie betrachtet vor allem Filmbeiträge und diverse Publikationen und kann dabei aufzeigen, dass im kulturellen Bereich auch in der DDR häusliche Gewalt verhandelt wurde.
Kapitel 5 betrachtet die Rolle der Ostdeutschen im feministischen Aktivismus vor und nach der Wiedervereinigung. Freeland kann in diesem Kapitel belegen, dass es auch in der DDR Foren und Möglichkeiten des feministischen Austausches über häusliche Gewalt gegeben hat. Auch bot hier die Caritas einen Schutzraum für von Gewalt betroffene Frauen.
Kapitel 6 bildet schließlich eine Klammer zum ersten Kapitel. Freeland fragt mit gutem Grund danach, warum Initiativen gegen häusliche Gewalt nach der Wiedervereinigung weiterhin insofern erfolgreich sein konnten, als es zur prominenten Strafrechtsreform 1997 sowie zum Inkrafttreten des Gewaltschutzgesetzes 2002 kommen konnte. Die Gesetzgebung zum Umgang mit Abtreibungen hatte hingegen erneut einen Rückschritt zu verzeichnen – insbesondere aus ostdeutscher Perspektive. Freeland benennt an dieser Stelle zurecht die Mehrheitsfähigkeiten innerhalb der Regierungen als wichtigen Faktor und argumentiert, dass sich die Unterstützung der Initiativen gegen häusliche Gewalt reibungsloser in die dominierende heteropatriarchale Vorstellung einer „stay-at-home-mother“ (S. 191) einfüge als die einer weiteren Liberalisierung des Paragraphen 218.
Jane Freeland wählt mit dem Feminismus eine ebenso innovative wie wichtige Perspektive auf die Geschichte des Nachkriegsdeutschlands. Anhand ihrer umfangreichen Quellen zeigt sie nachdrücklich, wie die Erfolge und Rückschläge der Feministinnen den Blick auf die Ungleichheit von Frauen über die Zeit verändert haben. An dieser Stelle bleibt die Arbeit jedoch nicht stehen. Sie zeigt ebenfalls, dass es sich bei dieser Entwicklung sowohl innerhalb der Gruppe der Feministinnen selbst als auch zwischen Feministinnen und Medien beziehungsweise Politiker:innen um eine Geschichte des regen Austausches und des Konflikts, oder wie Freeland sagt, um „a difficult one“ handelte (S. 26). Dies liegt sicherlich nicht zuletzt auch an der Heterogenität der Akteur:innen.
Freelands Publikation leistet dabei nicht nur wichtige Pionierarbeit, sondern bietet gleichzeitig eine Reihe interessanter Anknüpfungspunkte für weitere Studien: Erstens wird der Stellenwert der lokalen Ebene unterstrichen. Der Wert dieser Studie liegt besonders darin, dass nun der Vorreiter und Orientierungspunkt für westdeutsche feministische Initiativen dezidiert untersucht wurde.4 Auf dieser Basis könnten weitere Untersuchungen danach fragen, ob und inwiefern sich die Erkenntnisse über die Erfahrungen der West-Berliner Feministinnen auch auf weitere (west-)deutsche Städte übertragen lassen. Die Studie zeigt zweitens, dass eine mediale Analyse höchst produktiv ist, um auf die gesellschaftliche Wahrnehmung von Gewalt gegen Frauen zu schließen. Nicht zuletzt kommt Medien, wie Freeland eindrücklich darlegen kann, eine entscheidende Rolle beim Erfolg des feministischen Aktivismus zu. Schließlich unterstreicht die Arbeit auch den transnationalen Zugang zur Thematik. Jane Freeland war mit der besonderen Konstellation zweier unterschiedlicher politischer Systeme konfrontiert. Dieser Umstand führte nicht zuletzt zu einem asynchron anmutenden Quellenkorpus. Spannend wäre darüber hinaus, auch weitere demokratisch regierte Länder in den Blick zu nehmen, um die Frage nach der Existenz und Form eines transnationalen Feminismus beantworten zu können.
Anmerkungen:
1 Christopher Neumaier widmet der „‚Entdeckung‘ der Gewalt in der Familie in Westdeutschland“ immerhin zwölf Seiten in seiner Habilitationsschrift: Christopher Neumaier, Familie im 20. Jahrhundert. Konflikte um Ideale, Politiken und Praktiken, Berlin 2019.
2 Inzwischen entstehen einige geschichtswissenschaftliche Arbeiten in diesem Feld. Catherine Davies, Universität Zürich, arbeitet derzeit etwa an ihrer Habilitationsschrift, einer Geschichte sexueller Gewalt in (West-)Deutschland, 1969–1997; Julia Spohr, Universität Kassel, beschäftigt sich in ihrer Dissertation mit der gesellschaftlichen Wahrnehmung von und institutioneller Hilfe bei Gewalt gegen Frauen im deutsch-französischen Vergleich, 1970er- bis 1990er-Jahre.
3 Kristina Schulz, Der lange Atem der Provokation. Die Frauenbewegung in der Bundesrepublik und in Frankreich 1968–1976, Frankfurt am Main 2002.
4 Die freie Historikerin Franziska Benkel legte ebenso eine quellengesättigte Studie zur Geschichte des West-Berliner Frauenhauses vor: Franziska Benkel, „Wir haben nichts mehr zu verlieren … nur die Angst!“ Die Geschichte der Frauenhäuser in Deutschland, Berlin 2021.