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Titel
Erwin Hartsch (1890–1948). Lehrer – Abgeordneter – Minister. Eine sächische Karriere


Autor(en)
Schmeitzner, Mike
Erschienen
Markkleeberg 2022: Sax-Verlag
Anzahl Seiten
210 S.
Preis
€ 14,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gert Geißler, Berlin

Minister für Kultus, Unterricht oder Volksbildung, unter ihnen 1918/19 in Braunschweig eine erste Amtsinhaberin, gab es viele, doch biografische Darstellungen zu ihnen gibt es nur wenige. Und in diesen Fällen motivierte die offenkundige zeitgeschichtliche Bedeutung der jeweiligen Protagonisten dazu, ihr Lebensbild zu zeichnen und ihr Tun wie auch immer zu würdigen.

Aber wer war Erwin Hartsch? Von Dezember 1946 bis April 1948 Volksbildungsminister in Sachsen, konnte er „kaum eigene Akzente setzen“ (S. 179). Und für einen Zeitgenossen wie Victor Klemperer war der neue Minister zunächst ein „unbekannter Schulrat“, ein „Schulmann“ (S. 139), nicht mehr.

Wenn auch spät, zunächst mit einem kaum beachteten Aufsatz in einer Hochschulzeitschrift, zuletzt mit einem kleinen Sammelbandbeitrag, ging Hartsch dann doch in die Schulgeschichtsschreibung der DDR ein. Zugeordnet wurde der frühere linke Sozialdemokrat dabei „Wegbereitern der neuen Schule“ (S. 5), die in der Spannweite vom bürgerlich-humanistischen Pädagogen Hans Ahrbeck bis zur ersten DDR-Volksbildungsministerin Else Zaisser „die Breite des Bündnisses im Ringen um die Neugestaltung des Bildungswesens unter Führung der SED“1 verdeutlichen sollten. Was aber ist „dran an dem Idealtypus Hartsch, wie ihn die Geschichtsschreibung der DDR“ präsentierte (S. 6f.)? Welche Fehlstellen zeigen sich in einer biografischen Konstruktion, die nach 1989 dazu führte, dass vor allem Schulen (S. 175) den Namen des „Wegbereiters“ ablegten? Die Sache beginnt interessant zu werden.

Um dieser nachzugehen, zieht Mike Schmeitzner in seiner Studie vielfältige archivarische Überlieferungen heran. Kernstück ist dabei der trotz einiger Verluste noch immer ergiebige Nachlass mit seinen autobiografischen Aufzeichnungen und Korrespondenzen. Deren Inhalte werden anhand ungedruckter Quellen aus insgesamt 14 Archiven kritisch verarbeitet und durch weitere Befunde angereichert. Hinzu kommt der sich durch Kennerschaft ausweisende Umgang mit einschlägigen gedruckten Quellen und einer umfangreichen Sekundärliteratur. Einige Abbildungen belegen und veranschaulichen die angesprochenen Sachverhalte. Auf solcher Grundlage gelingt dem Verfasser eine gut lesbare Darstellung, die über drei politische Systemumbrüche führt.

Noch vor Beginn des Weltkriegs ergreift Hartsch wie schon der Vater einen der wenigen Berufe, die Leuten mit wenig Geld und ohne Abitur einen gesicherten sozialen Aufstieg ermöglichen. Er wird Volksschullehrer, und sein Biograf trägt zusammen, was den diskussionsfreudigen jungen Mann schulpolitisch in der sozialliberalen Volksschullehrerschaft sächsischer Prägung verorten lässt (S. 20). Für die Zeit der frühen Jahre der Weimarer Republik wird dieser von Schmeitzner überzeugend als linker Sozialdemokrat vorgestellt. Kirchenaustritt, Vereinstätigkeit und reformpädagogisches Engagement gehören für einen solchen dazu. Hartsch tritt als Redner auf, wird 1926 Landtags-, im Sommer 1932 Reichstagsabgeordneter. Er positioniert sich im politischen Kampf gegen die Nationalsozialisten und in Abgrenzung von den seit 1930 auf ein „Sowjetdeutschland“ hoffenden Kommunisten. In seiner parlamentarischen und kommunalen Arbeit, inzwischen Berufspolitiker geworden, hat der künftige SED-Minister jedoch aufgehört, der „linke, kämpferische Flügelmann der SPD“ (S. 60) zu sein.

Der Autor stellt in diesen Abschnitten (S. 41–65) seiner Studie die politischen Zeitereignisse als Handlungsbedingungen seines Protagonisten ebenso lebendig wie kundig konzentriert dar. Das kann nicht weniger für die Schilderungen gelten, die das physische und soziale Überleben im Nationalsozialismus betreffen, mithin die Zeit der Verfolgung, der Haft, danach „am Rande“ der damaligen deutschen Gesellschaft (S. 66–98).

Ganz anders dann die Existenzbedingungen während des „Neuanfangs unter sowjetischer Besatzung“ (99–168), mit dem er in Sachsen wieder in das Zentrum politischer Aktivitäten tritt. Als bekannter Antifaschist von Weggefährten nicht vergessen, wird Hartsch im Sommer 1945 kurzzeitig Schulleiter, dann Schulrat in Plauen. Er beteiligt sich maßgeblich am organisatorischen Neuaufbau der SPD in Sachsen. Doch nach dem aufgenötigten, hingenommenen oder in Sachsen auch gewollten Zusammenschluss seiner Partei mit der KPD gehört er Mitte 1946 dem Landesvorstand der Einheitspartei an (S. 119). Ein halbes Jahr später ist er Minister.

Diese Nachkriegskarriere mag in Anbetracht von Hartschs Positionen in der Weimarer Zeit irritieren, aber Schmeitzner macht sie mit kritischer Distanz zu seiner Zentralgestalt und mit Spürsinn für dessen Individualität weitmöglichst nachvollziehbar und verständlich. Das geschieht insbesondere durch sorgfältige Bezugnahmen auf die politischen Konstellationen im Land Sachsen und das Ausloten damit gegebener politischer Handlungsspielräume. Hinzu kommen Betrachtungen zu Motivationen, wie sie die Lebensgeschichte des Handlungsträgers insbesondere hinsichtlich der 1946 im Sinne früherer sozialdemokratischer Einheitsschulideen begonnenen Schulreform nahelegt. Dass Hartsch in der SBZ als einer der Wegbereiter der achtjährigen Pflichtschule (S. 159) nicht zugleich ein solcher von Pädagogik und Erziehung in der DDR war, macht am Ende des Bandes (S. 184–195) nochmals seine dort dokumentierte Ministerrede vom Mai 1947 deutlich.

Insgesamt führt Schmeitzners Analyse zu fundierten Urteilen. Er legt eine Lebenswegbeschreibung vor, mit der sich Geschehnisse in einem halben Jahrhundert deutscher Zeitgeschichte ertragreich „sondieren“ (S. 181) lassen. Das betrifft hauptsächlich Verläufe und Momente sächsischer, punktuell vogtländischer Geschichte einschließlich zahlreicher ihrer Akteure. Immerhin weist das Personenregister des kleinen Bandes 175 Namen auf. Raum für Biogramme gibt das Publikationsformat nicht her, aber wer solche an anderer Stelle zu finden weiß, sondiert weiter.

Anmerkung:
1 Gerd Hohendorf / Helmut König / Eberhard Meumann (Hrsg.), Wegbereiter der neuen Schule, Berlin 1989, S. 12.

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