D. Goldstein: The Kingdom of Rye

Cover
Titel
The Kingdom of Rye. A Brief History of Russian Food


Autor(en)
Goldstein, Darra
Reihe
California Studies in Food and Culture
Erschienen
Anzahl Seiten
XVII, 171 S.
Preis
$ 24.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Friedrich Asschenfeldt, Department of History, Princeton University

Mit diesem schmalen Band legt die amerikanische Literaturwissenschaftlerin Darra Goldstein eine Einführung in die Kulturgeschichte des Essens in Russland vor. Das Buch besteht aus drei historischen Skizzen, beginnend mit den wichtigsten Zutaten und Zubereitungstechniken („The Land and Its Flavors“), gefolgt von einer Darstellung von Lebensmittelknappheit („Hardship and Hunger“) und einer Geschichte der Gastlichkeit („Hospitality and Excess“). Die Schlussbetrachtung ist der Esskultur Russlands nach 1991 gewidmet. Eine zentrale These wird in den einzelnen Kapiteln nicht verfolgt. Vielmehr fasst die Autorin im Wesentlichen die einschlägige Literatur zusammen, ohne in der Synthese Neues oder Grundsätzliches zu bieten. Die wichtigsten Titel der Sekundärliteratur führt Goldstein am Ende in einer zweiseitigen Literaturliste auf, kennzeichnet im Fließtext jedoch nicht einmal die wörtlichen Zitate durch Fußnoten. Eine anregend kuratierte Auswahl von Bildquellen, vor allem aus den Beständen des Moskauer Multimedia Museums, ergänzt die Darstellung.

Der Fokus liegt dabei ganz auf den Speisen und den Praktiken des Essens, garniert von Anekdoten aus der Feder zeitgenössischer Beobachter wie dem Petersburger Journalisten Michail Pylaev, der 1892 die Exzesse aristokratischer Esskultur beschrieb. Die Autorin verzichtet weitgehend auf eine Diskussion von Ernährungspolitik, wie sie zum Beispiel von Tamara Kondrat‘eva oder Elena Osokina beschrieben worden ist.1 Während Kapitel 2 (über Knappheit) und 3 (über das gemeinsame Speisen) SpezialistInnen kaum etwas Neues bieten dürften, enthält das erste Kapitel einen interessanten Überblick über Zubereitungstechniken der traditionellen, d.h. bäuerlichen und vorpetrinischen, russischen Küche. Hier zeigt sich Goldsteins intime Kenntnis der Materie. Der vorliegende Band versteht sich, so das Vorwort, als kulturhistorische Ergänzung zu ihren seit den 1980er-Jahren in vielen Auflagen erschienenen Kochbüchern zur russischen Küche (S. xviii).2 Zurecht weist die Autorin durchgehend auf die transnationale Dimension einer Kulturgeschichte des Essens hin, etwa der Einführung französischer Tischsitten in der Elite des Zarenreiches seit dem 17. Jahrhundert, dem Konsum von im 19. Jahrhundert zur Massenware avancierten Tee, sowie den Einfluss amerikanischer Ketten seit Beginn der 1990er-Jahre. „McDonalds was good for Russia” (S. 127), resümiert die Autorin mit Verweis auf das gestiegene Servicebewusstsein der Gastronomie. Während Frankreich die Hauptinspirationsquelle kulinarischer Innovation für die vorrevolutionäre Elite war, wurden zur Sowjetzeit Gerichte aus der nicht-russischen Peripherie Teil des Alltags von Millionen Russen, man denke etwa an Gerichte wie Plov oder Čebureki.

Goldsteins geografischer Fokus liegt ganz auf Zentralrussland. Sie scheitert allerdings an dem Anspruch, allgemeine Aussagen über die Beziehung „der Russen“ zum Essen zu treffen. Wohl geht es ihr um nichts Geringeres als die Lokalisierung der „russischen Seele“. Dabei spart die Autorin nicht an Allgemeinplätzen. “Russians”, lernen wir, “are deeply social, and their historical isolation, due to extreme weather and often impassable roads, made them all the more eager for company. […] The urge to share one’s table, no matter how meager, is a national trait that endures despite wars and political upheavals that demarcate desperate shortage.” (S. 123) Während Goldstein durchaus zwischen der höfischen und bäuerlichen Esskultur „der Russen“ zu unterscheiden weiß, regionale und ethnische Variationen jedoch nicht thematisiert, sucht sie nach einer Esskultur, die „alle Russen“ verbinde. Sie findet diese im „desire for traditional foods. These were simply the flavors that all Russians craved: Like the peasant who could not live without their lacto-fermented rye bread, the elite could not do without wild mushrooms that smelled of forest and field, brined berries that hinted of summer’s sweetness and herring that bore the sea’s mineral tang-” (S. 114) Dieses Motiv findet sie heute in der gastronomischen Szene Moskaus wieder, in der „young Russians have been actively working to uncover and revive the old ways [….] keen to recover a culture that was stolen during the Soviet era.“ (S. 142)

Dass die chimärische Suche nach einer „alle Russen“ verbindenden Esskultur in derlei nationalkonservativem Kitsch endet, wundert nicht. Statt der Reproduktion nationaler Stereotype wäre die weit interessantere (und herausforderndere) Frage gewesen, wie sich eine russische Nationalküche (analog zu einem literarischen und musikalischen Kanon) in den letzten zwei Jahrhunderten konstituiert hat.3

Niemand würde heute wohl bestreiten, dass Esskultur wichtiger Bestandteil einer russischen (wie jeder anderen) Kulturgeschichte ist; das Thema ist keineswegs mehr so „subversiv“ (S. xvi), wie die Autorin es noch zu Beginn ihrer Beschäftigung damit in den 1980er-Jahren wahrgenommen hat. Doch leider taugt Goldsteins klischeebeladene Darstellung als intellektuelle Annährung an das Thema nicht. Interessierten seien die Standardwerke von Robert E. Smith und Alison Smith empfohlen.4

Anmerkungen:
1 T.S. Kondrat‘eva, Kormit‘ i pravit‘. o vlasti v Rossii XVI–XX vv, Moskva 2006; Elena Osokina, Our Daily Bread. Socialist Distribution and the Art of Survival in Stalin’s Russia, 1927–1941, Armonk, NY 2001.
2 Darra Goldstein, A Taste of Russia. A Cookbook of Russian Hospitality, 3. überarb. Aufl., Montpelier, Vt 2012 (1. Aufl. 1983); dies., Beyond the North Wind. Russia in Recipes and Lore, New York 2020.
3 Dieser Versuch findet sich, zumindest in Bezug auf den georgischen Einfluss in der sowjetischen Küche, bei Erik Scott, Edible Ethnicity. How Georgian Cuisine Conquered the Soviet Table, in: Kritika. Explorations in Russian & Eurasian History 13,4 (2012), S. 831–858.
4 R.E.F. Smith / David Christian, Bread and Salt. A Social and Economic History of Food and Drink in Russia, Cambridge 1984; Alison K Smith, Cabbage and Caviar. A History of Food in Russia, London 2021.

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