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Title
Hinter der Weltbühne. Hermann Budzislawski und das 20. Jahrhundert


Author(s)
Siemens, Daniel
Published
Berlin 2022: Aufbau Verlag
Extent
413 S.
Price
€ 28,00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Ralph Jessen, Historisches Institut, Universität zu Köln

„Ich war Amerikas berühmteste Frau“ – mit dieser effektvollen Titelzeile im Neuen Deutschland schloss Hermann Budzislawski im Jahr 1948 ein Kapitel seiner Biografie ab und eröffnete ein neues. Und so widersprüchlich wie diese paradoxe Selbstdarstellung verlief auch sein Leben, das Daniel Siemens in seiner gelungenen Biografie schildert. Vom 1901 geborenen Sohn einer biederen jüdischen Handwerkerfamilie in Berlin zum linksradikal gesinnten Schüler in der Novemberrevolution zum Jungakademiker, der mit einer eugenisch inspirierten Schrift zur „Ökonomie der menschlichen Erbanlagen“ zum Dr. rer. pol. promoviert wurde. Kurze berufliche Stationen als kaufmännischer Angestellter mündeten nicht in bürgerlicher Saturiertheit, sondern wurden Mitte der 1920er-Jahre gegen die unsichere, aber abenteuerliche Existenz eines Journalisten im Milieu linker Journale aufgegeben, die ihn rasch in die Kreise linkssozialistischer und kommunistischer Literaten, Redakteure, Künstler und Intellektuellen führte.

Mit der Weltbühne, dem publizistischen Flaggschiff der kritischen linken Intelligenz der Weimarer Republik zuerst unter Kurt Tucholsky, dann unter Carl von Ossietzky, kam er 1932 eher nebenher in Kontakt. Das änderte sich, als Budzislawski ab 1934 die Chefredaktion der zunächst im Prager, später im Pariser Exil erscheinenden Neuen Weltbühne übernahm – nachdem er seinen Vorgänger und Konkurrenten William S. Schlamm mit Chuzpe und spitzen Ellenbogen ausgebootet hatte. Es gelang ihm, der Neuen Weltbühne Anerkennung als Forum der linken literarischen und politischen Emigration zu verschaffen und sie gleichzeitig auf „Volksfront“-Kurs zu bringen, ohne sie offen der Komintern unterzuordnen.

Obwohl die französischen Behörden das Blatt bei Kriegsbeginn verboten und Budzislawski wie viele deutsche Exilanten im Internierungslager einer ungewissen Zukunft entgegensah, prägten die fünf Jahre an der Spitze der Neuen Weltbühne sein Selbstbild als scharfsinniger Intellektueller und politischer Journalist – ein Selbstbild, das er freilich in den folgenden Jahren und Jahrzehnten immer weniger mit seinem realen Leben in Einklang bringen konnte und das auch mit dem Fremdbild seiner politischen Umwelt nur bedingt übereinstimmte.

Sowohl die folgenden Jahre des New Yorker Exils als auch Budzislawskis spätere Karriere als Leipziger Hochschullehrer von Gnaden der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) standen unter dem Signum dieser Spannung zwischen Wollen und Sein. In den USA bewegte sich der „anti Nazi journalist“ mit Verbindungen ins kommunistische Lager zwar im Netzwerk der linken Emigration, verdiente sein Geld aber als Zuarbeiter und Ghostwriter der amerikanischen Starjournalistin Dorothy Thompson, was ihm ein mehr als auskömmliches Leben ermöglichte. Diese „Rolle des Mannes, der im Dunkeln wirkt“, mag seinen Ehrgeiz schon in den USA geschmerzt haben. Nach seiner Rückkehr in die entstehende Deutsche Demokratische Republik (DDR) war sie eine peinliche Bürde, der er sich mit der eingangs zitierten Sottise zu entledigen versuchte: Nicht die berühmte Thompson habe sich seiner Expertise bedient, sondern umgekehrt sei sie sein williges Sprachrohr gewesen.

Der ostentative Bruch mit der amerikanischen Gönnerin war eine Vorbedingung für den Neustart seiner Nachkriegskarriere als Professor für Internationales Pressewesen an der Universität Leipzig. Dort gehörte Budzislawski mit Ernst Bloch, Hans Mayer und anderen zum schillernden Grüppchen jüdischer West-Remigranten, das von der SED platziert worden war, um die Geisteswissenschaften an der entnazifizierten Universität systemkonform aufzubauen. Während Bloch und Mayer den unvermeidlichen Konflikt zwischen intellektueller Eigenständigkeit und politischer Loyalität am Ende durch Flucht in den Westen lösten, fügte sich Budzislawski in die vorgegebene Rolle, nachdem ihm in der Verfolgungswelle der frühen 1950er-Jahre die Instrumente gezeigt worden waren.

Die ersehnte Rückkehr in die Redaktion der 1946 in Ostberlin wiedergegründeten Weltbühne blieb Budzislawski allerdings lange verwehrt. So verdiente er sich seine Meriten als Gründervater der parteifrommen Journalistik in der DDR und als loyaler Publizist, hielt Kontakt ins intellektuelle Milieu der kleinen DDR und zelebrierte zusammen mit seiner Ehefrau Hanna einen dezidiert bürgerlichen Lebensstil. Dass er von 1967 bis 1971 noch einmal als Herausgeber und Chefredakteur der Weltbühne fungierte, war ihm eine „späte Genugtuung“. Aber auch die schmeckte schal, denn hier musste er ebenfalls am Gängelband der Einheitspartei laufen.

So lebte er bis zuletzt im inneren Widerspruch: Als Intellektueller, der einmal einen weiteren Horizont gesehen hatte, sich dann aber in die geistige Enge des SED-Staates fügte. Als Aufsteiger aus kleinbürgerlichen Verhältnissen, der sich mit kostbaren Biedermeiermöbeln ein bürgerliches Refugium in der „arbeiterlichen“ DDR (Wolfgang Engler) schuf. Als politischer Publizist, der Privatleben und Gefühlswelt mit Schweigen abschirmte. Als Jude, der sein Leben in der DDR ohne religiöse Bindung lebte, der aber am Ende den Dämonen des Antisemitismus nicht entkommen konnte: Tage vor seinem Tod im Jahr 1978 war er überzeugt, dass jetzt die Faschisten kämen, ihn zu holen.

Daniel Siemens, Professor für Europäische Geschichte in Newcastle und bekannt geworden durch seine Studien zu „Tod und Verklärung“ des Horst Wessel und zur Geschichte der SA, hat sein jüngstes Buch einem Mann der zweiten oder dritten Reihe gewidmet, den schon seine Zeitgenossen nicht zu den politischen, wissenschaftlichen oder intellektuellen Schwergewichten zählten. Hat sich der biografische Aufwand trotzdem gelohnt? Allemal. In jeder Lebensgeschichte verschränken sich Individuelles und Zeittypisches. Siemens gelingt es in seiner exzellent recherchierten, quellenmäßig breit fundierten, sehr gut lesbaren Biografie des Hermann Budzislawski, den Eigen-Sinn, den Ehrgeiz und die Eitelkeiten seines Protagonisten präzise nachzuzeichnen – soweit das die Quellen eben hergeben – und gleichzeitig immer wieder die engen Grenzen zu zeigen, die einem souveränen Lebensentwurf in seiner Zeit gesetzt waren.

Detailreich und sensibel folgt die Darstellung den Stationen eines Lebens, das bei näherem Hinsehen viele Ähnlichkeiten mit den gebrochenen Biografien anderer kommunistischer Intellektueller dieser Generation hat. Andere haben die Weichen an kritischen Stationen allerdings anders gestellt und 1939 nach dem Hitler-Stalin-Pakt oder 1956 nach dem XX. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) mit dem Kommunismus gebrochen. Budzislawski hat den „Choc des Moskauer Vertrages“ von 1939 letztlich überwunden. Er war ein Mann, der auch unter den extremen Bedingungen von Verfolgung und Exil seine Chancen zu nutzen verstand. Dass diese Chancen nicht umsonst zu haben waren, hat er auch erfahren. Die politisch gebahnte Professoren- und Publizistenkarriere in der DDR hat er mit der Aufgabe intellektueller Eigenständigkeit bezahlt. Er war nicht der einzige.

Daniel Siemens' Buch ergänzt die deutsche Intellektuellengeschichte des 20. Jahrhunderts um eine bemerkenswerte Facette und liefert zugleich zahlreiche neue Details zur Geschichte der Weltbühne, zum politischen Exil, zur ostdeutschen Universitätsgeschichte sowie zur jüdischen Geschichte in der DDR. Auf die Darstellung der traurigen Familienstreitereien um Budzislawskis Erbe hätte der Autor verzichten können. Ansonsten aber: ein durchweg gelungenes Buch.

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