Leffler, Melvin; Odd Arne Westad (Hrsg.): The Cambridge History of the Cold War. Volume I: Origins, 1945-1962. Cambridge 2010 : Cambridge University Press, ISBN 9780521837194 XVIII, 643 S. £ 100.-

Leffler, Melvin; Odd Arne Westad (Hrsg.): Cambridge History of the Cold War. Volume II, Conflicts and Crises, 1962-1975. Cambridge 2010 : Cambridge University Press, ISBN 9780521837200 XVIII, 662 S. £ 100

Leffler, Melvin; Odd Arne Westad (Hrsg.): Cambridge History of the Cold War. Volume III, Endings, 1975-1991. Cambridge 2010 : Cambridge University Press, ISBN 978052183721-7 XVIII, 694 S. £ 100.-

Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Jost Dülffer, Historisches Seminar, Universität zu Köln

Eine solche Geschichte des Kalten Krieges hat es noch nicht gegeben, monumental ist fast alles an ihr. Insgesamt haben 73 Autoren aus 18 Staaten hierzu beigetragen. Jeder Aufsatz umfasst zwischen 20 und 23 Seiten, offenbar gab es streng eingehaltene Vorgaben. Beide Herausgeber der gesamten Serie sind hervorragend ausgewiesene Autoritäten auf dem Feld: Melvyn Leffler lehrt an der University of Virginia und hat neben einer Maßstäbe setzenden Geschichte des Konflikts von 1945 bis Anfang der 1950er-Jahre erst 2007 eine profunde knappe Gesamtdarstellung vorgelegt. Odd Arne Westad von der London School of Economics ist ein Spezialist für China, hat immer wieder methodisch anregend publiziert und die derzeit maßgebliche Geschichte des „Global Cold War“ mit einem Schwerpunkt auf der Zeit seit den 1960er-Jahren vorgelegt.

Das Team der Beiträger ist erfreulicherweise gleichfalls bestens ausgewiesen. Auch wenn ihr überwiegender Anteil aus Großbritannien und den USA stammt, so ist doch ein bemerkenswert breites Spektrum auch an regionaler Verteilung der Autoren zu konstatieren. Oft stammen sie aus den Regionen, die sie abhandeln, ohne dass daraus ein Zwang spezifisch nationaler oder regionaler Sicht entstünde. So sind hier zum Beispiel vier Deutsche vertreten: Hans-Peter Schwarz schreibt über den Weg zur deutschen Teilung 1945-1949, Jessica Gienow-Hecht handelt über „Culture and the Cold War in Europe“ – mit einem Schwerpunkt auf den ersten beiden Jahrzehnten und zumal auf Deutschland. Wilfried Loth bekam den Part übertragen, den Kalten Krieg in die Wirtschafts- und Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts einzuordnen und schließlich behandelt Helga Haftendorn „the Unification of Germany 1985-1991“. Im Übrigen ist kein weiterer Beitrag speziell der deutschen Frage gewidmet, die jedoch insgesamt in viele Aufsätze angemessen integriert wird.

Die drei Bände sind, grob gesagt, chronologisch aufgebaut, I, „Origins“, reicht bis Anfang der 1960er-Jahre, II, „Crises and Détente“, bis ca. Mitte der 1970er-Jahre und III, „Endings“, erfasst die Jahre bis 1990/91. Doch auch das stimmt nur bedingt: jeder Band enthält eingangs oder am Ende jeweils einen oder mehrere zeitlich übergreifende sektorale Bände – der genannte von Loth ist der letzte von Band II. Insgesamt stellt das Werk einen geglückten Versuch dar, netzwerkartig den ganzen „Cold War“ abzubilden. Das heißt, es kommen alle Weltregionen je nach Bedeutung mehrfach und in unterschiedlichen Kontexten vor, denn die Perspektiven wechseln laufend und ferner entsteht so insgesamt auch ein pluralistisches Geflecht an kontroversen Forschungsmeinungen. Jeder Aufsatz hat ein eigenes Narrativ, aber gerade wenn die Autoren umstrittene Ansichten begründen, geben sie selbst abweichende Deutungen an. Wenn bei manchen, dankenswerterweise aufgenommenen Themen der Bezug zum „Cold War“ eher indirekt gegeben ist, wird dieser auf wenigen Seiten zum Schluss der Beiträge ausdrücklich kontextualisiert. Fast alle Autoren schreiben einen wenig mit Theorien befrachteten Stil, stützen sich auf intensive Quellenkenntnis und natürlich die vorausgegangene Forschung. Eine Ausnahme macht da nur der renommierte Politikwissenschaftlers Robert Jervis, wenn er nationale oder regionale „Identitäten“ von Staaten oder Gesellschaften insgesamt im Wandel zeigen will und dabei letztlich zwar eine geistreiche, aber doch recht beliebige Konstruktion liefert.

Herausgeber Westad referiert einleitend bemerkenswerte Grundzüge dieser Sammlung. Man wolle keine gültige Fortschrittsgeschichte in der Tradition etwa von Lord Acton liefern, der vor hundert Jahren eine Cambridge Modern History mit diesem Anspruch einleitete, sondern eine skeptische Geschichte, die offen für neue Erkenntnisse sei und daher nur vorläufig bündeln könne. Cold War History sei einzubetten in die „main axes“: „political and economic history, the history of science and technology, and intellectual and cultural history“ (I, S. 2). In der Forschung sei der frühe antistalinistische, dann antikommunistische Konsens seit den 1960er-Jahren von einem “realist approach“ abgelöst worden, der mit „balance of power“-Ansätzen operiert habe. Seit 1991 habe sich ein „conceptualism“ (I, S. 6) durchgesetzt. Das bedeute, dass jede Gesellschaft oder Region „sets of concepts or ideas“ entwickelt, welche sie konstituierte.

Damit werde ein sehr viel breiterer Ansatz menschlichen Handelns einbezogen, die sich in dem Grundkonflikt gemischt hätten. Dazu gehörten auch innenpolitische Entwicklungen, Generationenerfahrungen sowie gelegentlich „imagined communities“. Gerade außerhalb der europäisch-nordamerikanischen Perspektive hätten sich andere Blickwinkel ausgebildet. In China etwa sehe man den Cold War als Teil einer Europäisierung, in Afrika oder in Teilen des Nahen Osten gebe es Tendenzen, die Popularität von Marxismus und sowjetischem Einfluss damit zu erklären, dass man damit die traditionelle Eigenart gegenüber den Ideen und wirtschaftlichen Praktiken des Westen zu bewahren trachtete. In einigen Weltregionen – etwa im Nahen Osten, im Fall Indien-Pakistan und in Lateinamerika – träten ganz andere definitorische Auseinandersetzungen auf, unter denen gegenüber Cold-War-Deutungen „fluidity and hybridity“ hervor stechen würden. Der Staat sei aus den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts gestärkt hervorgegangen, so dass die USA und die Sowjetunion danach „symbolized two modern extremes in the way politics was conducted domestically“ (I, S. 9). Kapitalische Krisen und die Weltkriege hätten die Kolonialreiche destabilisiert, so dass sich die USA und die Sowjetunion beide um den politischen und wirtschaftlichen Einfluss in jenen Regionen bemüht hätten, erstere jedoch immer mit den weit überlegenen Ressourcen. Wissenschaft und Technologie hätten die Ausweitung des Konfliktes verstärkt.

„The global market revolution of the late twentieth century, which did much to end the Cold War, would have been impossible without these advances“ (I, S. 12). In ideologischen Herausforderungen, die mit den Namen Marx und Darwin (er habe die Analogie von Natur und menschlicher Entwicklung postuliert) pointiert zusammengefasst sind, hätten die beiden wichtigsten Protagonisten unterschiedliche Erfolge gehabt. Während die Sowjetunion und die USA mit den daraus entwickelten Ideologien innerhalb ihrer jeweiligen Gesellschaften neue Eliten integrieren konnten, hätten im Weltmaßstab nur die USA auf demokratischem Wege transnationale Institutionen von Japan bis Europa bilden können, während die Sowjetunion mit ihren Methoden von Deutschland bis China auf der ganzen Linie gescheitert sei.

Beide Hauptgegner im Wettbewerb hätten Alternativen von Anfang an als engen Nationalismus oder unvernünftige Religion abgelehnt und damit „their support for the steamroller of modernization in the Third World (capitalist or socialist) never faltered as the number of enemies increased“, was zu Kriegen geführt habe (I, S. 16). Der Fortschritt, den die jeweiligen Modernisierungsprojekte gemeint hätten, hätte letztlich Expertenherrschaft bedeutet und sich damit in Teilen demokratischer Kontrolle – nach den je unterschiedlichen Deutungen des Begriffs in Ost und West – entzogen. In einem umfassenden Sinne bedeute die Verortung des Cold War im 20. Jahrhundert zugleich, den globalen Wandel insgesamt zu verstehen. Das gelte für Ursprünge wie für die Folgen. Letztlich sei mit ihm und durch ihn ein fundamentaler Wandel auf drei Sektoren durchgesetzt worden: Stimmrecht, kapitalistischer Markt und Ende des Kolonialismus.

So weit seien einige von Westads vorsichtigen Formulierungen für den Rahmen der drei Bände wiedergegeben. Man kann in der Tat das ganze Werk von einem solchen breiten Ansatz inspiriert sehen, einlösen lässt sich das jedoch nicht immer. Die Grenzen zu einer allgemeinen Geschichte der Zeit würden verschwimmen, was sie hier auch gelegentlich tun. Gerade die überblickenden großen Essays tun das jedoch zumeist ausgezeichnet. Exemplarisch sei der Sektor Wirtschaft hervorgehoben: Im Band I rekonstruiert Charles Maier die Weltwirtschaft und deren Wettbewerbszenarien in den Jahren unmittelbar nach dem Weltkrieg, während David Painter die Rolle des Öls und damit auch den weltweiten Umgang für die beiden Jahrzehnten untersucht. In II ist es Richard N. Cooper, der vor allem, aber nicht nur aus US-amerikanischer Sicht die Wirtschaftsleistungen untersucht. Daran anschließend legt Giovanni Arrighi in III dar, wie sehr das amerikanische Modell der Weltwirtschaft durch „‚catching-up‘ of latecomers“ und die neoliberale Konterrevolution in Schwierigkeiten geraten sei. Am Ende dieses Bandes steht ein profunder Beitrag von Emily Rosenberg, der den Verbraucherkapitalismus zum Thema hat.

Was bei diesen Beiträgen jedoch zu wenig diskutiert wird, ist die Frage, inwieweit grundlegender weltwirtschaftlicher Wandel, anderswo auch gelegentlich mit dem Begriff einer (neuen) Globalisierung gefasst, eine Rolle für den historischen Wandel, möglicherweise sogar für den ganzen Kalten Krieg spielte. Das ist gewiss eine aktuelle Forschungsfrage, und die relevanten Daten hierfür stehen auch in den Bänden. Dieser Einschnitt wird ja oft auch an den Ölpreiskrisen von 1973/79 festgemacht. Diese wiederum findet in Beiträgen über den Nahen Osten Platz (vor allem Douglas Little, der den Cold War von Suez 1956 bis zu den Camp-David-Abmachungen von 1978 thematisiert; Ennio di Nolfo, der den ganzen Mittelmeerraum von 1960-1975 abhandelt, tut dies auch am Rande), aber auch das wird doch nicht pointiert zum Thema gemacht, wie auch die Tiefe der Zäsur in den 1970er-Jahren nicht erörtert wird.

Andere, durchweg wohl gelungene Aufsätze haben Geheimdienste, die Medienrevolution als solche, Wissenschaft und Technologie, die ganze Biosphäre und so fort zum Thema. Die meisten Aufsätze sind staatszentriert und hier wieder von den führenden Personen her angelegt, aber gerade die (neuen) sozialen Bewegungen finden einige Beachtung und zeigen somit auch die Bedeutung transnationaler Geschichte. Eurokommunismus lässt sich nur bedingt unter ersteres fassen (Silvio Pons), aber die Rebellion gegen die Ordnung des Kalten Krieges ist bei Jeremi Suri ebenso gut aufgehoben, wie Matthew Evangelista mit anderem Ansatz die transnationalen Organisationen in einem sehr weiten Überblick abhandelt. Besonders informativ ist der Beitrag zur wachsenden Bedeutung der Menschenrechte (Rosemarie Foot). Aber gerade hier hätte man sich doch einen stärkeren Fokus auf das zentrale und globale Ereignis „1968“ gewünscht oder aber auch den Einfluss der Bürgerrechtsbewegungen insgesamt erörtert gesehen. Die KSZE wird zwar in ihrer Entstehung und Folgekonferenzen ausgebreitet, hätte aber auch einen eigenen Artikel verdient gehabt. Besonders wichtig sind die Themen von Matthew Connelly, der in langer Sicht „global migration, public health and population control“ abhandelt. Jedes dieser Themen hätte einen gesonderten Aufsatz verdient.

Gewiss, Einzelereignisse haben die Herausgeber in der Regel nicht zum Thema gemacht, nur die Kubakrise als solche macht dabei als wohl gefährlichste Krise des gesamten Zeitraums eine Ausnahme. Überraschend wenig Platz ist den unterschiedlichen Dimensionen von Wettrüsten als solchem gewidmet (Nuclear Weapons and the Escalation of the Cold War – David Holloway; Nuclear competition 1963-1975 – William Burr / Emily Rosenberg; Nuclear proliferation and non-proliferation – Francis J. Gavin). War aber nicht die Erkenntnis des Atomaren Patts um 1962 („MAD“) ein fundamentaler Einschnitt für die Bedrohungsperspektiven des gesamten Cold War? Weiter: ein Beitrag über das konventionelle Wettrüsten in Bezug zum atomaren, die zunehmende Verlagerung auf die Meere oder den Weltraum wäre erwünscht gewesen. Oder aus einem anderen Blickwinkel: die Betonung liegt sehr auf der Diplomatiegeschichte der „hardware“. Die Bedrohungs- oder Angstdiskurse, welche die Gesellschaften zumindest in Schlüsselregionen entscheidend prägten, hätten eine gesonderte Behandlung verdient, auch wenn sie in den Kapiteln über „cold war culture“ vorkommen.

Das Aufkommen von Islamismus wird in einem Beitrag thematisiert, doch hat Amin Saikal damit zugleich die iranische Revolution und den sowjetischen Afghanistankrieg im diachronen Durchgang abzuhandeln. Wäre es nicht wichtiger – im Sinne der Kriterien von Westad – gewesen, diese neue Rolle von Religion, gleichsam quer zu den „Fronten“ liegend - seit den 1960er-Jahren gesondert zu behandeln und nicht allein in den Mittleren Osten gleichsam zu „verbannen“?

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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