S. v. Schnurbein (Hrsg.): Atlas der Vorgeschichte

Titel
Atlas der Vorgeschichte. Europa von den ersten Menschen bis Christi Geburt


Herausgeber
Schnurbein, Siegmar von
Erschienen
Stuttgart 2009: Theiss Verlag
Anzahl Seiten
240 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für Clio-online und H-Soz-Kult von:
Peter Trebsche, Niederösterreichisches Museum für Urgeschichte, Asparn an der Zaya

Mit dem „Atlas der Vorgeschichte“ knüpft der Theiss-Verlag an den Bestseller „Spuren der Jahrtausende“ aus dem Jahr 2002 an. Der Herausgeber Siegmar von Schnurbein hat sechs renommierte Fachleute versammelt, denen eine spannende Gesamtdarstellung der europäischen Vorgeschichte und eine originelle Synthese räumlicher Fragestellungen von der Altsteinzeit bis zur Eisenzeit gelungen sind.

In dem Werk sind die – größtenteils neu erstellten – Karten, der begleitende Text und die Bilder ungefähr gleich gewichtet und ergänzen einander. Jedem der vier Hauptkapitel liegen unterschiedliche Gliederungsprinzipien zugrunde, was auf die Forschungsschwerpunkte der Autorinnen und Autoren zurückzuführen ist.

Im ersten Hauptkapitel zur Alt- und Mittelsteinzeit (1,3 Millionen Jahre – 4000 v. Chr.) geht Thomas Terberger vor allem Fragen nach der Ausbreitung des Menschen, der Verbreitung von Gerätekulturen und der Wechselwirkung zwischen Klima, Landschaft und Mensch nach. Die Schwerpunkte liegen auf den Nachweisen früher Bestattungen und früher Kunst sowie auf weiträumigen Tauschnetzwerken. Für das Eiszeitalter mussten die Schwankungen des Meeresspiegels und der Gletscherstände im Kartenbild berücksichtigt werden. Was die Landschaft und Umwelt betrifft, wäre auch eine Darstellung der Faunen- und Florengebiete interessant gewesen.

Besonders instruktiv ist die Verknüpfung unterschiedlicher Analyseebenen – gesamteuropäischer Raum (z.B. Ausbreitung früher Moderner Menschen), Mitteleuropa (z.B. Wiederbesiedlung nach dem Kältemaximum), regionale Ebene (z.B. Hamburger Kultur) und lokale Studien (z.B. Laacher See). Dadurch erfahren Leserinnen und Leser auch einiges über die Methodik archäologischer Analysen. Karten und Text sind ideal aufeinander abgestimmt, wobei der Text auch auf Sachverhalte eingeht, die auf den Karten nicht darstellbar sind (z.B. warum Nachweise für den Neanderthaler in der Türkei fehlen).

Der Übergang zur produzierenden Wirtschaftsweise (die sogenannte Neolithische Revolution) ist differenziert dargestellt. Der Autor betont, dass mesolithische und neolithische Wirtschaftsweisen jahrtausendelang nebeneinander existierten. Auf diesem Gebiet besteht noch beträchtlicher Forschungsbedarf, wie die frühen Getreidenachweise aus der Zeit um 6700–5500 v.Chr. aus inneralpinen Pollenprofilen zeigen (Abb. 53), die in den Übersichtskarten zur frühen Landwirtschaft (Abb. 56 und 59) allerdings nicht berücksichtigt wurden.

Das zweite Hauptkapitel über die Jungsteinzeit (6000–2000 v.Chr.) gliedert Johannes Müller in „Zeitscheiben“ von je 500 Jahren. Neun systematisch gestaltete Verbreitungskarten stellen die Entwicklung neolithischer Kulturen übersichtlich dar. In der schematischen Isolinienkarte zur Neolithisierung Europas (Abb. 59) kommt der komplexe Prozess der Ausbreitung der Agrarwirtschaft, der auch mit Rückschritten verbunden sein kann, optisch allerdings nicht so gut zum Ausdruck wie im begleitenden Text oder in der inhaltlich ähnlichen Abbildung 56.

Die thematischen Schwerpunkte dieses Kapitels liegen in den Siedlungsstrukturen und der Architektur (Hausformen, Kreisgrabenanlagen, Monumentalarchitektur im Grabbau) sowie in der Sozialgeschichte. Hier entwirft der Autor ein facettenreiches Bild einer Zeit, die nicht mehr als „goldenes Zeitalter“ egalitärer Gesellschaften gesehen werden kann. Vielmehr drückte sich im Neolithikum (individualisierende bis kollektive) Macht höchst unterschiedlich aus, und mit der Sesshaftigkeit entstanden erstmals politische Systeme und Machtzentren.

Im dritten Hauptkapitel über die Bronzezeit (2200–800 v.Chr.) lenkt Bernhard Hänsel das Augenmerk auf großräumige Phänomene, die mit der Ausbreitung von Kupfer- und Bronzemetallurgie in Zusammenhang stehen. Beispielsweise belegt die Verbreitung bronzener Ösenhalsringe während der frühen Bronzezeit einen Wirtschaftsraum, in dem diese Barrenform als Zahlungsmittel akzeptiert wurde. So genannte „Brotlaibidole“ belegen in derselben Zeit enge Wirtschaftsbeziehungen zwischen Norditalien und dem Donauraum. In der mittleren Bronzezeit erstreckt sich ein dichtes Netz von Handels- und Reiserouten quer durch Europa, wobei auch der Seefahrt immer größere Bedeutung beizumessen ist (Abb. 134). Neben den Handelsnetzwerken bilden die Siedlungsstrukturen einen weiteren Schwerpunkt. Die Übersichtskarten der archäologischen Kulturen sind nicht so systematisch angelegt wie im Kapitel zum Neolithikum. Nach der Darstellung frühbronzezeitlicher Kulturen (Abb. 119) vermisst man eine Karte zur mittleren Bronzezeit, und bei den Kulturen der Spätbronzezeit (Abb. 150) dürften die Namen der Regionalgruppen im Druck leider entfallen sein (jedenfalls sind es die Umlaute bei der Beschriftung von München und Brüssel).

Das vierte Hauptkapitel zur Eisenzeit (800 v.Chr. – Christi Geburt) wurde von Carola Metzner-Nebelsick, Rosemarie Müller und Susanne Sievers bearbeitet. Zu Beginn wird der „Siegeszug des Eisens“ geschildert, mitsamt den technologischen Aspekten der Gewinnung und Verarbeitung des neuen Metalls. Für besonders gelungen halte ich das Kapitel über „Kulturen und Völker“ – trotz der Kürze des historischen Überblicks wird auch auf die Quellenlage und Problematik ethnischer Deutung (Skythen, Kelten und Germanen) eingegangen.

Die Eisenzeit ist als systematische Kulturgeschichte konzipiert und geht ausführlich auf Mobilität (Fahren und Reiten), das Kriegswesen und die Bewaffnung, Tracht und Schmuck, die Kontakte zu Hochkulturen, Kult und Religion sowie das Siedlungswesen ein – nur die Kunst ist vergleichsweise kurz geraten. Die Auswirkungen der griechischen Kolonisation auf die „barbarischen“ Völker zählen zu den spannendsten Fragen der europäischen Vorgeschichte. Im vorliegenden Atlas ist es hervorragend gelungen, die zahlreichen Aspekte dieser Kulturbeziehungen darzustellen: die Handelsrouten, erkennbar an der Verbreitung mediterraner Importfunde, die Prunkgrabsitte, die Übernahme griechischer Trink- und Speisesitten, angezeigt durch Herdgerät und Geschirrsätze, die Verbreitung der Münzprägung bei den Kelten.

Ein Glossar, ein Ortsregister und das Literaturverzeichnis erleichtern die Benutzung des Bandes. Besonders hervorzuheben sind die am Ende abgedruckten Chronologietabellen, die angesichts der großen geographischen Spannbreite und der regional unterschiedlichen Chronologien einen äußerst nützlichen Überblick bieten.

Einige ärgerliche Tippfehler hätten beim Lektorat auffallen müssen (z.B. liest man statt richtig Karpatenbecken „Karpartenbecken“ auf S. 79 und 87, „Kapartenbecken“ auf S. 79 und Abb. 90). Vielleicht können sie in der zweiten Auflage korrigiert werden, die dem Buch jedenfalls sehr zu wünschen ist, denn es bietet Archäologie-Interessierten, Studierenden und Fachleuten eine ganz ausgezeichnete, aktuelle Gesamtdarstellung der europäischen Vorgeschichte mit höchst qualitätvollen Karten, weshalb es als Nachschlagewerk unentbehrlich ist.

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