Interessiert sich eigentlich noch jemand für den Absolutismus? Selten ist ein geschichtswissenschaftlicher Begriff so einhellig aus der legitimen analytischen Sprache des Faches verbannt worden wie der des „Absolutismus“. Wenn selbst ein Vertreter harter Macht- und Staatsgeschichtsschreibung wie Wolfgang Reinhard meint, der Begriff sei „in nicht-rekonstruierbarer Weise dekonstruiert“ 1 und damit verzichtbar, dann scheint hier eine beinahe endgültige Verbannung vorzuliegen. Dabei ist dies erst das Ergebnis einer kurzen, aber heftigen Debatte um den Wirklichkeitsgehalt und deskriptiven Wert des Absolutismus-Begriffs in den 1990er-Jahren. Ausgehend von Nicholas Henshalls ätzender Kritik haben sich fast alle deutsch- und englischsprachigen und inzwischen auch einige französische Historikerinnen und Historiker der Frühen Neuzeit darauf verständigen können, den Begriff als ungeeignet fallen zu lassen.2 Die Debatte ist vorbei, von einer wirklichen Kontroverse um die Geschichte kann nicht mehr die Rede sein. So widmet Dagmar Freist der eigentlichen Absolutismus-Debatte kaum mehr als zehn Seiten ihres Buches, auf denen sie knapp und präzise die Positionen und Begriffe der Kritik sowie die wenigen Rückzugsgefechte der Verteidiger referiert. Es ist der Autorin anzumerken, dass sie den mutmaßlichen Verlagsauftrag, eine der wenigen echten Debatten der frühneuzeitlichen Geschichtswissenschaft als solche zu schildern, unbefriedigend fand. Und so erweitert sie die Darstellung: „Staat, Staatsbildung und politische Herrschaft in der Frühen Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung monarchischer Systeme“ könnte der angemessenere Titel des Buches lauten. Und hier bestehen in der Tat noch einige Kontroversen.
Dagmar Freist thematisiert das Verhältnis zwischen Monarchie und (Land-)Ständen im frühneuzeitlichen Europa. Sie geht dabei nicht nur auf die alte und leicht anachronistische Frage nach der ständischen Repräsentation als Vorläufer des modernen Parlamentarismus ein, sondern vor allem auch auf die Verschiebung von einem quasi naturgegebenen Antagonismus zwischen Ständen und Königtum hin zu einer differenzierten Analyse von Kooperation und partiellem Konflikt im Sinne der Systemstabilisierung. Ähnliche Kontroversen bestehen auch hinsichtlich der Rolle des Adels in frühneuzeitlichen Monarchien. Die Debatte um Norbert Elias' These der höfischen Gesellschaft als goldenem Käfig zur Disziplinierung und Zivilisierung des Adels kommt dabei ebenso zur Sprache wie die vor allem englische Diskussion um eine „crisis of the aristocracy“ (Lawrence Stone) seit dem 16. Jahrhundert. Ob Disziplin als „Epochenmerkmal“ (S. 60) gelten kann, ob mithin Staatsbildung, Konfessionalisierung und Sozialdisziplinierung einander bedingen und im Absolutismus konvergieren, war und ist Gegenstand einer vielschichtigen Debatte, die Dagmar Freist kenntnisreich, konzise und mit Blick für die entscheidenden Wendungen im Diskurs nachzeichnet. Schließlich widmet sie zwei etwas blassere Abschnitte der Problematik von absoluter Monarchie und Öffentlichkeit und der Frage nach der Existenz eines aufgeklärten Absolutismus. Dagmar Freist bietet eine solide und abgewogene Darstellung, die sich vor allem an der deutschen und englischen Geschichte und Forschung orientiert und die französische dabei ein wenig zu kurz kommen lässt. Als Einführung für Studierende ist der Band auch wegen seines umfänglichen bibliographischen Teils sehr geeignet und erfüllt damit die Ansprüche der Reihe „Kontroversen um die Geschichte“ vollauf.
Insgesamt lässt sich aus der Gesamtschau der verschiedenen Kontroversen um die Geschichte des frühmodernen Staates ein gemeinsames Strukturprinzip erkennen, dass ganz allgemein für historische Debatten gelten mag. Auf eine anregende, provokative und notwendig reduktionistische These (der Absolutismusbegriff selbst oder Schillings und Reinhards Konfessionalisierungsmodell können als Paradebeispiele dienen) folgt eine differenzierende und relativierende Kritik, die die Ausgangsthese schließlich als wirklichkeitsunangemessen und unhistorisch verwirft. Im Ergebnis ist alles stets viel komplexer, heterogener und widersprüchlicher als angenommen. Dies gilt auch für frühneuzeitliche politische Herrschaft. So fragt Dagmar Freist, die sich beim Referat der verschiedenen Debatten (zu) oft eines eigenen Urteils enthält, schließlich, ob es „erkenntnistheoretisch Sinn [macht], die Vielschichtigkeit des frühneuzeitlichen Staatsbildungsprozesses und den Facettenreichtum der Epoche mit einer Begriffsprägung des 19. Jahrhunderts – i.e. Absolutismus – umschreiben zu wollen“ (S. 110). Überzeugend, aber nicht weiter überraschend argumentiert sie dafür, sich vom Absolutismus als analytischem Paradigma frühneuzeitlicher Herrschaft zu lösen, „um nicht ständig das ‚Nicht-Absolutistische’ im Staatsbildungsprozess betonen – oder rechtfertigen – zu müssen.“ (S. 113) Dies ist zweifellos richtig, nur geraten einer Forschung, die auf analytische Großbegriffe programmatisch verzichtet, längerfristige Trends und Entwicklungen möglicherweise aus dem Blick. Gerade der Absolutismus ist dafür ein gutes Beispiel. Die revisionistische Kritik argumentiert hier stets mit einer Antithese von Theorie und Praxis oder – mit Nicholas Henshall – zwischen „political reality and propaganda“.3 Die absolutistische politische Theorie wird so als tendenziell irrelevant präsentiert und der harten politischen Wirklichkeit untergeordnet. Vernachlässigt werden dabei einerseits die Frage nach der konkreten Wechselwirkung von Theorie und Praxis und andererseits diejenige nach Gründen für die Persistenz und den erstaunlichen diskursiven Erfolg absolutistischer Theorien in der Frühen Neuzeit – gerade in der Konfrontation mit einer komplexeren und widersprüchlichen Praxis. Die Herausforderung bestünde dann nicht darin, ein weiteres Mal nachzuweisen, dass die französischen Intendanten in keiner Weise als Agenten einer umfassenden zentralistischen Steuerung fungierten, sondern zu fragen, in welcher Weise sich das Innovationspotential der Theorie absoluter Monarchie auf die politische Kultur der französischen Monarchie auswirkte. Dagmar Freist, die in ihrem Buch die Theorien des Absolutismus ebenfalls den eigentlichen Kontroversen unverbunden vorgeschaltet hat, plädiert in ihren Schlussbemerkungen zu möglichen Forschungsperspektiven für eine stärkere Berücksichtigung der politischen Ideengeschichte. Hier kann es in der Tat darum gehen, eine wirkliche Synthese von Theorie und Herrschaftswirklichkeit im Zeichen einer politischen Kulturforschung frühneuzeitlicher Herrschaft zu versuchen und nicht immer wieder vom praktischen Scheitern eines absolutistischen Selbstanspruches zu erzählen. Und in diesem Sinne könnte man sich bald wieder ernsthaft für den Absolutismus interessieren.
Anmerkungen:
1 Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 1999, S. 42.
2 Vgl. Nicholas Henshall, The Myth of Absolutism Change and Continuity in Early Modern European Monarchy, London 1992; Ronald Asch / Heinz Duchhardt (Hrsg.), Der Absolutismus – ein Mythos? Strukturwandel monarchischer Herrschaft in West- und Mitteleuropa (ca. 1550-1700), Köln 1996; Fanny Cosandey / Robert Descimon, L’absolutisme en France. Histoire et historiographie, Paris 2002; Lothar Schilling (Hrsg.), Absolutismus, ein unersetzliches Forschungskonzept? Eine deutsch-französische Bilanz, München 2008.
3 Nicholas Henshall, Early Modern Absolutism – Reality or Propaganda?, in: Asch / Duchhardt (Hrsg.), Absolutismus – ein Mythos?, S. 25.