M. Hoffmann: Ordnung, Familie, Vaterland

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Titel
Ordnung, Familie, Vaterland. Wahrnehmung und Wirkung des Ersten Weltkriegs auf die parlamentarische Rechte im Frankreich der 1920er Jahre


Autor(en)
Hoffmann, Michael
Erschienen
München 2008: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
545 S.
Preis
€ 74,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Gerber, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Michael Hoffmanns Studie zur „Droite modérée“ der 1920er-Jahre geht von der These aus, dass sich in Frankreich im Gefolge des Ersten Weltkrieges und der „Union sacrée“ eine spezifische politische Kultur der liberal-konservativen Sammlung entfaltete, die eine Integration bürgerlich-nationalliberaler und katholisch-konservativer Strömungen zu einer „systemtreuen parlamentarischen Rechten“ (S. 12) ermöglichte. Sie formte die vor dem Krieg marginalisierte „Fédération républicaine“ (FR) als lose organisiertes Sammelbecken der Rechten und ihren parlamentarischen Arm, die „Entente républicaine démocratique“ (EDR; 1924 „Union républicaine démocratique“, UDR) ab 1923/24 zu einer bürgerlichen Sammelpartei um. Diese auf komplementärer Kompromissbereitschaft des politischen Katholizismus gegenüber der laizistischen Republik und des bürgerlich-republikanischen Liberalismus gegenüber katholischen Forderungen in der Gesellschafts-, Kirchen- und Schulpolitik beruhende Sammlung wurde – so Hoffmanns breit und einleuchtend belegter Schluss – zwischen 1918 und dem Beginn der 1930er-Jahre zu einer tragenden Säule der Dritten Republik. Dies markiert einen entscheidenden, im Hintergrund der Studie stets präsenten Unterschied zur Weimarer Republik, wo die „deutschen Tories“ in den Jahren des rasanten Aufstiegs der NS-Bewegung keinen politischen Einfluß mehr erlangen konnten und auch die Integrationskraft des Zentrums im Rechtskatholizismus wie bei der christlichen Arbeiterschaft abnahm.

Grundlegend für die liberal-konservative Sammlung war in Frankreich die Akzeptanz der republikanischen Ordnung durch das konservativ-katholische Lager, das sogenannte „zweite Ralliement“. Es setzte eine erste Annäherung fort, die nach der Anerkennung der französischen Republik durch Papst Leo XIII. in Gang gekommen war. Der Haushalt an konvergierenden Weltsichten und Interessen, auf den das „second ralliement“ zurückgreifen konnte, war, wie Hoffman zeigt, breit. Eine bedeutsame Rolle spielte die Desavouierung des traditionellen Ultramontanismus während des Krieges. Die Sorge Papst Benedikt XV. um strikte Neutralität war mit dem Selbstverständnis Frankreichs als eine im Existenzkampf gegen barbarische Aggressoren stehende Nation nicht zu vereinbaren. Hoffmann zeigt, dass gerade diese Entfremdung eine Basis für das zweite Ralliement darstellte, weil sie es der Mehrheit des politischen Katholizismus ermöglichte, vom Boden der im Krieg gewonnenen Unterstützung der Republik ein neues, vom Ultramontanismus der Vorkriegszeit deutlich unterschiedenes Loyalitätsverhältnis zum Heiligen Stuhl aufzubauen.

Die Abkehr vom traditionellen Ultramontanismus ordnete sich in den „neuen Nationalismus“ ein, der sich während des Krieges herausformte. Der Krieg avancierte zum neuen „Gründungsmythos“ der Nation, der die Gräben, die in der französischen Politik seit 1789 aufgerissen worden waren, überwölben konnte. Eine stärkere Ethnisierung des Nationskonzepts verband sich mit der Beglaubigung des „Franzosentums“ durch den Kampf. Diese „Ethnisierung“ war nicht mit einer „völkischen Rassenideologie“ (S. 114), wohl aber mit einer Wiederentdeckung der ethnischen Komponente in der Abgrenzung vom äußeren Feind verbunden.

Auch die Figur der Jeanne d’Arc bildete einen „Kristallisationspunkt der liberal-konservativen Sammlung“ (S. 140). In Erweiterung der rezeptionsgeschichtlichen Forschungen Gerd Krumeichs, die vor allem auf das trotz aller Einheitsrhetorik letztlich „disjunktive“ des Kultes abheben 1, betont Hoffmann, dass die „konvergierende Kraft“ der Jeanne d’Arc-Verehrung für die Annäherung von Gauche und Droite und die liberal-konservative Sammlung „nicht zu unterschätzen“ (S. 142) seien. Gleichwohl – das zeigen die vorsichtigen Formulierungen und Hinweise des Autors – dürfen sie auch nicht überschätzt werden. Manfred Kittel hat in seiner vergleichenden Studie zu den politischen Mentalitäten in der republikanisch-laizistisch geprägten Corrèze und in Westmittelfranken in den 1920er- und 1930er-Jahren sowohl für den Jeanne d’Arc-Kult als auch für das gesamte „second ralliement“ auf die Notwendigkeit regionaler Differenzierung aufmerksam gemacht.2 Wie prekär die liberal-konservative Sammlung angesichts der „religiösen Frage“ (S. 293) blieb, macht auch Hoffmann an konkreten Problemen der Kirchen- und Schulpolitik nach 1918 deutlich. Die Auslegungen der Kompromissformel einer „liberalen Laizität“ divergierten zwischen einer stillen und sukzessiven Zurückführung der Laïcité einerseits und einer liberalen Praxis der prinzipiell-normativ unangetasteten Laizitätsgesetzgebung andererseits. Im politisch-legislativen Alltag konnte die Kompromissformel aufgrund dieser Divergenzen nur mühsam mit konkreten Inhalten gefüllt werden und erwies sich wiederholt als Zerreißprobe für die „Droite modérée“.

Integraler Bestandteil einer politischen Kultur der liberal-konservativen Sammlung war ein aus der Weltkriegserfahrung generiertes politisches Ethos, das die Idee der Zivilisation von ihren rationalistisch-aufklärerischen Ursprüngen abzusetzen und mit „ideellen“ Werten wie Tapferkeit oder Leidens- und Opferbereitschaft zu einer „Zivilisation der Seele“ umzuformen suchte. Gegen ein mit der Kantischen Philosophie als rationalistisch gebrandmarktes Deutschland konnte es ebenso gewendet werden, wie es der Integration einer allgemein-humanistisch aufgefassten, ihrer dogmatischen Form entkleideten christlichen Moral in die politische Kultur dienen und schließlich für eine Annäherung an die Veteranenverbände nutzbar gemacht werden konnte. Bildete das antideutsche Element die Basis für die Identifizierung des äußeren Feindes, so machte der Antikommunismus den inneren Feind kenntlich. Dabei konnten beide Feindbilder durchaus miteinander verschmelzen, wenn der Marxismus als „deutsche“ Ideologie herausgestellt und Deutschland als Brutstätte des Kommunismus ausgemacht wurde. Den Verweis auf die zunehmende Implementierung eines agonalen Freund-Feind-Schemas in die politische Auseinandersetzung auch in Frankreich, die Hoffmann z.B. am Wandel der politische Sprache festmachen kann, verbindet er mit aufschlussreichen vergleichenden Hinweisen: Das Freund-Feind-Denken führte die liberal-konservative Sammlung, anders als die Rechte der Weimarer Republik, nicht an die Grenzen des Systems und darüber hinaus, sondern blieb auf konstitutionell-legale Mittel, besonders auf die parlamentarischen Möglichkeiten politischer Restriktion gegenüber dem Kommunismus orientiert. Erst die mit der Wirtschaftskrise, dem Ende der deutschen Reparationen und der Machtübertragung an die Nationalsozialisten in Deutschland herandrängenden neuen Herausforderungen führten zum Akzeptanzverlust der parlamentarisch-demokratischen Ordnung und zu einer stärkeren Bereitschaft, sich auf außer- bzw. antiparlamentarische Politikmodelle einzulassen. Diese „Dynamik der 1930er Jahre“ (S. 479) ist dem Autor vor dem Hintergrund der Frage, warum konservative politische Eliten im Europa der Zwischenkriegszeit bereit waren, auf faschistische Bewegungen zu setzen bzw. selbst den Weg in die autoritär-faschistische Zuspitzung zu gehen, zentral für seine Deutung der „Droite modérée“. Eine Interpretation der in den 1930er-Jahren zunehmenden Affinitäten von Teilen des französischen Konservativismus zu autoritär-antirepublikanischen Mustern als „folgerichtige“ und paradigmatische Ausformungen einer dominierenden Tendenz verbaut, so Hoffmann, den Blick auf den Integrationsprozess, der seit 1918 zur Entstehung einer integrierenden, im anerkannten Rahmen der Republik agierenden Rechten geführt hatte. Ähnliches konstatiert der Verfasser für Antimodernismus und Agrarromantik, die in Deutschland – z.B. bei Autoren der Konservativen Revolution mit ihren „Entstädterungs-“ und Reagrarisierungs-Ideen – in der Regel als Elemente einer fundamentalen Systemkritik in Erscheinung traten. Im Frankreich der 1920er-Jahre waren sie eher konstruktiv auf das Leitbild einer „anderen Moderne“ (S. 191) ausgerichtet.

Auf der Grundlage dieser Grundpfeiler einer politischen Kultur der liberal-konservativen Sammlung untersucht Hoffmann die Konvergenz bürgerlich-liberaler und konservativ-katholischer Interessen auf entscheidenden Politikfeldern. Er macht deutlich, dass sich in der Wirtschaftspolitik, in der Frage der Staats- und Verwaltungsreform oder in der Sozial- und Familienpolitik die aus verschiedenen politischen Konflikttraditionen herstammenden konstitutionellen, antietatisch-antizentralistischen und gesellschaftspolitischen Positionierungen oftmals annäherten und ergänzten. Auch in der parteiorganisatorischen Formierung wurden die direkten Auswirkungen einer eigenständigen politischen Kultur der parlamentarischen Rechten sichtbar. Sie konnten die „Entente républicaine démocratique“ im Parlament trotz weltanschaulicher Brüche und unterschiedlicher politischer Prioritätensetzungen zwischen nationaler Sammlung und gemäßigt-katholischer Gesellschaftspolitik zusammenhalten. Der Wahlsieg und die Regierung des Kartells der Linken im Jahr 1924 unterstützten diese Integration und eröffneten der FR mit der erneuten Mobilisierung des katholischen Frankreich an seiner Basis neue Chancen. Allerdings zeigte die eigenständige Organisation sozialkatholischer Kräfte im „Parti démocrate populaire“ 1924, dass einer umfassenden Sammlung gerade im Blick auf die katholische Arbeiterschaft Grenzen gesetzt waren und dass ein christdemokratischer Politikansatz, der sich von der über das Nationale integrierenden Strategie der FR abhob, mittel- und langfristig gute Chancen in der französischen Politik hatte.

Michael Hoffmanns überzeugende und gut lesbare Studie gibt einen detaillierten, aber stets konzis an die Fragestellung zurückgebundenen Einblick in Formierung und Politik der parlamentarischen Rechten in Frankreich nach dem Ersten Weltkrieg. Theoretisch durch den Rückgriff auf das Konzept der politischen Kultur im Sinne Karl Rohes und Glenda Patricks fundiert, klar und präzise in der Beantwortung der sich aus diesem Zugriff ergebenden Fragen auf der Grundlage eines aus zeitgenössischer Publizistik und den Nachlässen wichtiger Akteure gebildeten Quellenkorpus ist das Buch ein eindrückliches Beispiel für das produktive Bestreben, an einem „klar bestimmten“ Thema „alte und neue, hermeneutische und kulturalistische Zugänge konkurrierend und kooperativ in Beziehung zu setzen.“3 Nicht nur derjenige, der sich für die politischen Landschaft der Dritten Republik interessiert, die Selbstverständnis, Strukturen und Traditionen der französischen Politik bis heute prägt, sondern vor allem auch derjenige, den die Frage politischer Integration und Desintegration während der europäischen Zwischenkriegszeit umtreibt, wird es mit großem Gewinn lesen.

Anmerkungen:
1 Vgl. Gerd Krumeich, Jeanne d'Arc in der Geschichte. Historiographie – Politik – Kultur, Sigmaringen 1989.
2 Vgl. Manfred Kittel, Provinz zwischen Reich und Republik. Politische Mentalitäten in Deutschland und Frankreich 1918-1933/36, München 2000, besonders S. 207-235.
3 Andreas Rödder, Klios neue Kleider. Theoriedebatten um eine Kulturgeschichte der Politik in der Moderne, in: Historische Zeitschrift 283 (2006), S. 657- 688, hier S. 688.

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