Lange Zeit herrschte in der Geschichtswissenschaft ein Bild vor, das Friedrich den Großen und mit ihm das friderizianische Preußen als kulturell ausschließlich im Banne Frankreichs stehend sah. Im Zuge der neueren Forschung, die Kulturtransfers betonte, gerieten andere Verbindungen in den Blick; so haben die Italiener an Friedrichs Hof kürzlich eine umfassende Darstellung in einer Ausstellung erfahren, aus der ein Sammelband hervorgegangen ist.1 Ullrich Sachse richtet in seiner Dissertation den Blick auf das Verhältnis Friedrichs des Großen zu einer weiteren Kultur, diesmal zu einer, die für ihn selbst nur historische Erinnerung war: Die Rede ist von der klassischen Antike. Die Rezeption der Antike durch den frühneuzeitlichen Adel war, wie Gerrit Walther in seinem grundlegenden Beitrag über Adel und Antike gezeigt hat2, zum einen intensiv, zum anderen deutlich verschieden von der gleichzeitigen Rezeption durch die frühneuzeitlichen Gelehrten. Viel stärker als den Humanisten und ihren gelehrten Nachfolgern im 17. und 18. Jahrhundert kam es den Adligen auf die Anwendbarkeit antiker Elemente auf die eigene Lebenswelt an. Für sie bot die Antike Material zur klassizistischen Selbststilisierung und zur politischen und militärischen Anwendung antiker „Erfolgsrezepte“ im Sinne der Konzeption von der Geschichte als Lehrmeisterin des Lebens. Dies, so kann Sachse zeigen, gilt auch für Friedrich den Großen. Dem König kam es bei seiner intensiven Beschäftigung mit der Antike nicht auf die Rekonstruktion einer untergegangenen Epoche um ihrer selbst willen an, sondern darauf, politisches Wissen zu gewinnen, das auf das Preußen seiner Gegenwart anwendbar sein sollte. Nicht eine antike Lebenswelt in ihrer Gesamtheit interessierte ihn, vielmehr wählte er einzelne Personen und Ereignisse als Exempel aus, um sie mit seinen Zeitgenossen und den Vorgängen seiner Gegenwart zu parallelisieren.
Friedrich II. sah wie viele Denker der Frühen Neuzeit die klassische Antike als einen unübertrefflichen Höhepunkt der menschlichen Geschichte an. Was damals erreicht worden sei, sei im Mittelalter verloren gegangen; letzteres erschien dem religionsskeptischen Friedrich als Zeitalter des Fanatismus und des Aberglaubens (S. 51). Es galt für ihn daher, durch Orientierung an der Antike ihre Erfolge in der eigenen Zeit aufs Neue zu erzielen – nicht aber, sie zu übertreffen. Damit stellte sich Friedrich gegen viele französische Aufklärer seiner Zeit auf die Position der „Anciens“ im Unterschied zu den „Modernes“, lehnte also den Fortschrittsgedanken ab. Sachse stellt die konservative Seite Friedrichs heraus, der dem Fortschrittsoptimismus der französischen Aufklärer die Rückbesinnung auf die Römer entgegensetzt.
Staatswesen entwickelten sich für Friedrich nach einem feststehenden Schema: Ein Staat entsteht, wird aufgrund seiner Tugend mächtig und dehnt sich aus; zum Großreich aufgestiegen, wird er mit der Zeit immer reicher und dadurch dekadent, was den Niedergang mit sich bringt. Allerdings beharrte Friedrich darauf, dass der einzelne Staatsmann durch geschicktes Agieren den Aufstieg seines Staates beschleunigen respektive seinen Niedergang verzögern könne. Friedrich entwickelte ein komplexes Gedankengebäude, in dem neben den universellen Gesetzen, denen die Staaten unterworfen sind, auch nationalkulturelle Eigenheiten eine Rolle spielen; durch die starke Betonung der Rolle des einzelnen Herrschers, so Sachse, unterscheide er sich aber dennoch deutlich von Montesquieu und dessen Lehre vom Gemeingeist als bestimmendem Faktor der politischen Entwicklung eines Volkes (S. 86).
Gemäß der antiken Idee vom zyklischen Aufstieg und Niedergang der Staaten sah Friedrich Schweden, Frankreich und Österreich als Imperien, die ihren Zenit bereits überschritten hätten und in die Phase der Dekadenz eingetreten seien; Preußen dagegen sei ein junger Staat, der seine besten Zeiten noch vor sich habe. Dazu sei Expansion notwendig; so konnte Friedrich die Eroberung Schlesiens rechtfertigen. Sachse betont, dass Friedrichs Vorbild dabei das Römische Reich gewesen sei, wohingegen er der antiken griechischen Kultur fremd gegenübergestanden habe.
Friedrich pflegte die Rom-Analogie aber noch auf einer zweiten Ebene: Europa als Ganzes erschien ihm als eine Republik gleich der römischen in ihrer Endphase. So konnte Friedrich die Allianz aus Russland, Frankreich und Österreich als eine Analogie zum Zweiten Triumvirat deuten und sich selbst im Siebenjährigen Krieg als Verteidiger der europäischen Freiheit gegen die machthungrigen „Triumvirn“ stilisieren.
Antike Analogien wandte Friedrich auch auf sich selbst an. Den Einmarsch in Schlesien stilisierte er schon während des Geschehens als Überschreitung des Rubikon und identifizierte sich so mit Cäsar (S. 191). Die Botschaft war deutlich: Nur ein monarchischer Aufsteiger könne das gesamteuropäische Gemeinwesen retten, so wie Cäsar die Bürgerkriege beendet habe. Im Siebenjährigen Krieg dagegen rückte sich Friedrich in die Nähe von Brutus und Cato Uticensis, diesmal als Verteidiger der Freiheit der Republik Europa.
Friedrich argumentierte auch historisch, wenn es darum ging, die Monarchie als beste Staatsform zu verteidigen. Die späte Republik mit ihren Bürgerkriegen kontrastierte er mit dem inneren Frieden der frühen Kaiserzeit. Ein tugendhafter Monarch, so Friedrich, kanalisiere den Ehrgeiz der Bürger in Richtung großer Taten für das Vaterland, während in der Republik ebendieser Ehrgeiz zum Bürgerkrieg zwischen verschiedenen Feldherren führen könne. Freilich geriet der König hier durchaus auf argumentativ schwieriges Terrain, denn der Alleinherrscher kann sich ja auch zum Tyrannen wandeln – was Friedrich zwar anerkannte, sich der Konsequenz einer möglichen Absetzbarkeit des Monarchen aber verweigerte.
An das letzte Kapitel schließt sich ein Epilog an, in dem der Streit um ein Friedrich-Denkmal nach dessen Tod beschrieben wird. Sollte der König in zeitgenössischer Kleidung dargestellt werden, oder sollte er vielmehr als römischer Imperator oder aber im germanischen Gewand eines Arminius verewigt werden? Diese Frage war deshalb wichtig, weil sie unterschiedliche Interpretationen von Friedrichs historischer Rolle implizierte, als preußischer Staatsmann oder aber als deutscher Nationalheld.
Das Buch nähert sich seinem Thema mit dem Instrumentarium der klassischen Ideengeschichte. Neuere Ansätze in diesem Feld – wie die Diskursanalyse, die Rezeptionsästhetik oder Roger Chartiers Geschichte des Lesens – bleiben zwar weitgehend unberücksichtigt, was schade ist; das Buch kommt aber auch so zu interessanten Ergebnissen. Sachse zeigt auf, wie Friedrich II. Ideen der klassischen Antike rezipierte und welche eigenen Ideen er unter dem Einfluss der antiken Denker entwickelte. Er erörtert dabei nicht nur das Verhältnis Friedrichs II. zur antiken Geschichte, sondern auch zu antiken Denkern wie Cicero, Polybios und Tacitus. Daneben kommt aber auch sein Verhältnis zu neuzeitlichen Denkern und zu deren Antikenbild zur Sprache; zu nennen sind neben Machiavelli, an dem Friedrich sich abarbeitete, seine Zeitgenossen Montesquieu, Voltaire und Rousseau.
Zu kritisieren ist das Buch allerdings auf sprachlicher Ebene. Sachse pflegt einen teilweise sehr umständlichen Nominalstil, den er mit komplizierter Hypotaxe kombiniert; zudem schreibt er in langen, manchmal überlangen Sätzen – manche ziehen sich über fünfzehn, gar zwanzig Zeilen. Die Zugänglichkeit des Textes wird dadurch unnötig erschwert. Störend ist auch die große Zahl an Tippfehlern in den französischen Buchtiteln und den französischen Zitaten aus Friedrichs Werken, die ebenfalls die Lektüre erschweren (so S. 70: „Si l’Empereurenait à mourir“ meint offensichtlich „Si l’Empereur venait à mourir“).
Insgesamt ist es Ullrich Sachse gelungen, hinter den vielen Bezugnahmen Friedrichs des Großen auf die Antike die strukturierenden Leitideen herauszuarbeiten. Damit ermöglicht er einen neuen Blick auf das Geschichtsbild desjenigen, der in Sanssouci nicht nur König, sondern auch Philosoph sein wollte.
Anmerkungen:
1 Rita Unfer Lukoschik (Hrsg.), Italienerinnen und Italiener am Hofe Friedrich II. (1740-1786), Berlin 2008.
2 Gerrit Walther, Adel und Antike. Zur politischen Bedeutung gelehrter Kultur für die Führungselite der Frühen Neuzeit, in: Historische Zeitschrift 266 (1998), S. 359-385.