Das Unternehmen „Carl Zeiss“ in Jena hat in den Jahrzehnten seines Bestehens immer wieder das Interesse auf sich gezogen, einmal wegen seiner führenden Position in der deutschen optischen Industrie, dann aber sicherlich auch wegen seiner besonderen Unternehmensverfassung: Es ist ein Stiftungsunternehmen, das zwar wie andere Unternehmen unter marktwirtschaftlichen Bedingungen arbeitete, aber zugleich in vielerlei Hinsicht unter anderen Prämissen operieren musste bzw. konnte, etwa was die Festlegung der Gehälter der Unternehmensleitung oder die Verwendung der Gewinne betraf. Etliche Grundzüge der Unternehmensgeschichte von Zeiss sind zwar bereits bekannt, jedoch ist die grundlegende Frage bisher offengeblieben, wie sich eigentlich die besondere Unternehmensverfassung, die im Stiftungsstatut geregelt war, auf die konkrete Unternehmensführung auswirkte.
Dieses Interesse ist der Ausgangspunkt der Untersuchung von Johanna Steinfeld: Sie fragt nach den Spezifika der Unternehmensführung der Optischen Werkstätte Carl Zeiss, das mit dem Glastechnischen Laboratorium Schott & Genossen eines der beiden Trägerunternehmen der Carl-Zeiss-Stiftung war. Die Frage nach den unternehmerischen Entscheidungen und den Prinzipien der Unternehmensführung generell wird dabei ins Verhältnis gesetzt zur „corporate governance“, also den „Grundsätze[n] der Leitung und Kontrolle eines Unternehmens“ (S. 3). Diese wiederum waren von einem der Unternehmensgründer, dem Physiker Ernst Abbe, 1896 in einem Stiftungsstatut festgelegt worden. Inwiefern sich diese Besonderheiten der Unternehmensverfassung auf die konkreten unternehmerischen Entscheidungen in unterschiedlichen Kontexten auswirkten – diese Fragen sind Gegenstand der Untersuchung von Steinfeld.
Um sie zu beantworten, behandelt die Autorin verschiedene Entscheidungsfelder, auf denen die besonderen Konstellationen des Stiftungsunternehmens deutlich werden: die Personal- und Lohnpolitik, die Investitionspolitik, die Stiftungspolitik (worunter die besondere Förderung der Stadt Jena und der Universität durch die Erträge zu verstehen ist) sowie die Finanzierungspolitik des Unternehmens. Bei all diesen Themenfeldern steht die überwölbende Frage im Fokus, inwiefern das Stiftungstatut einerseits die Entscheidungsspielräume der Unternehmensleitung einengte, andererseits aber auch Entscheidungsmöglichkeiten eröffnete, die anderen Unternehmensformen (wie z.B. Kapitalgesellschaften) nicht offenstanden. Letztlich geht es auch darum herauszufinden, inwiefern die Ziele, die der Unternehmensgründer Ernst Abbe mit der Transformation in die Stiftungsverfassung verfolgt hatte, durch den Entscheidungsrahmen des Stiftungsstatuts auch umgesetzt wurden. Theoretisch fundiert wird die Untersuchung zum einen durch die Systemtheorie in der Prägung Luhmanns, wenn es um die Modellierung der Entscheidungsfindung geht, zum anderen durch die Neue Institutionenökonomik, die nützliche Modelle für die Untersuchung der auch in diesem Fall vielfach aufzufindenden Informationsasymmetrien zwischen den verschiedenen Akteuren bereitstellt.
Diesem Untersuchungsprogramm vorangestellt ist zum einen ein kurzer Überblick über die Geschichte der optischen Industrie in Deutschland während des Untersuchungszeitraums, wobei Steinfeld bis zur Wende des 18. auf das 19. Jahrhundert zurückgreift. Zum anderen folgt diesem Überblick ein kurzer Abschnitt über die Entwicklung des Unternehmens Zeiss bis 1933 selbst, in der einmal die wissenschaftlichen Leistungen Ernst Abbes betont werden, die den wissenschaftlichen Mikroskopbau auf eine neue Stufe hoben (gelegentliche Fachbegriffe wie „homogene Immersion“ (S. 53) hätten erklärt werden können), aber auch seine produktivitätssteigernden Maßnahmen bei der Organisation der Mikroskopherstellung. Freilich blieb die Optische Werkstätte Zeiss nicht bei Mikroskopen stehen, sondern erweiterte das Produktionsprogramm beispielsweise auf Kameraobjektive und Feldstecher, womit das Unternehmen auch für militärische Abnehmer interessant wurde. Zugleich erarbeitete es sich einen Exportanteil von „zwei Drittel[n] der Gesamtproduktion“ (S. 56) in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg, worin sich die starke Partizipation des Kaiserreichs an der ersten Globalisierungswelle eindrucksvoll niederschlägt. Das alles ist im Wesentlichen bekannt und dient auch nur der Vorbereitung auf den eigentlichen Kern der Untersuchung: der corporate governance dieses Unternehmens.
Dazu analysiert Steinfeld zunächst das „Stiftungsunternehmen“ vor dem Hintergrund der Herausbildung alternativer Unternehmensformen wie insbesondere der Aktiengesellschaft, zu der etliche Familienunternehmen übergingen. Die Wahl der Stiftungsform ergab sich dabei auch aus der Vorstellung Abbes von einem idealen Unternehmer, der „nicht in erster Linie den eigenen Vorteil im Blick haben“ (S. 65) sollte, sondern sich zunächst am Gemeinwohl zu orientieren habe. Dem entsprach im Rahmen der Stiftungskonstruktion die Verpflichtung, einen Teil der erwirtschafteten Erträge der Universität Jena zur weiteren Förderung der Wissenschaft zukommen zu lassen, einen anderen der „arbeitenden Bevölkerung“ der Stadt. Das nur schwer zu ändernde Statut der Stiftung bildete bei alldem den organisatorischen Rahmen, weshalb Steinfeld auch die verschiedenen Organe dieses Konstrukts analysiert – gerade weil es im Zusammenspiel von Stiftungsverwaltung und Geschäftsleitung (mit einem Stiftungskommissar als Bindeglied zwischen beiden Akteuren) durchaus zu den in der Untersuchung interessierenden Informationsasymmetrien kam. Spielräume für die Geschäftsleitung ergaben sich zum Beispiel dann, wenn die Statuten nicht eindeutig formuliert waren. Die Bezahlung der Geschäftsleitung etwa fiel auch nach damaligen Maßstäben ziemlich gering aus, vergleicht man sie mit anderen Unternehmen ähnlicher Bedeutung. So verfiel man einerseits darauf, über Umwege (Sonderzahlungen und ähnlich) statutenkonforme Gehaltserhöhungen zu erreichen, war aber andererseits darauf verwiesen, doch wesentlich auf die intrinsische Motivation und eben nicht das pekuniäre Eigeninteresse der Geschäftsleitung zu setzen, um Gewinnmaximierung für das Unternehmen und damit auch für die Stiftung zu erreichen. Die Statuten konnten revidiert werden; das geschah auch einige Male (musste auch geschehen, wenn eine strikte Befolgung des Stifterwillens den Fortbestand des Unternehmens gefährdet hätte), aber Steinfeld arbeitet klar den mühsamen Prozess eines solchen Vorhabens heraus.
Auch bei den Lohnzahlungen an die Arbeitskräfte legte das Statut einige Charakteristika fest, die den Beschäftigten Sicherheit und Planbarkeit ermöglichen sollten, andererseits aber auch Möglichkeiten der besonderen Entlohnung für besondere Leistungen vorsahen. Ein „fester Lohn“ konnte innerhalb eines Jahres nicht verändert und insbesondere auch nicht in Zeiten schlechter Konjunktur heruntergesetzt werden. Diese und andere Vorkehrungen zum Schutz der Beschäftigten vor Entlassungen limitierten in der Tat die Entscheidungsspielräume der Geschäftsleitung – aber in beide Richtungen: Auch in Zeiten anziehender Konjunktur konnte die Geschäftsleitung die Löhne nicht einfach anheben, sondern musste zu komplizierten Umweg-Konstruktionen greifen (Zuschläge, Akkordlohn), um einerseits den gestiegenen Lohnansprüchen einigermaßen gerecht zu werden und andererseits statutenkonform zu bleiben. Diese Konstruktion geriet dann insbesondere während der Inflation bis 1923 an ihre Grenzen, insofern die Arbeiterschaft und die Geschäftsleitung die vom Statut vorgesehenen Möglichkeiten der Lohnanpassung unterschiedlich interpretierten – die Arbeitervertretung sah hier wesentlich größere Spielräume. Interessant ist der für die Zeit des Kaiserreichs herausgearbeitete Punkt, dass das Instrument der „Nachzahlungen“ (eine Art Gewinnbeteiligung für die Beschäftigten) Erwartungen weckte, die bei konjunkturellen Einbrüchen (1903 zum Beispiel) und dann ausbleibenden Nachzahlungen zu schweren Enttäuschungen und Konflikten führten.
Allerdings engte das Statut die Möglichkeiten der Geschäftsleitung auch nicht so stark ein, dass sie die Optische Werkstätte nicht zu einem der bedeutendsten Unternehmen der optischen Industrie hätten ausbauen können. Dies geschah, wie Steinfeld an vielen interessanten Einzelbeispielen zeigt, auch durch Übernahmen anderer Unternehmen der optischen Industrie. Wenngleich als Möglichkeit der Expansion auch im Statut vorgesehen, so führte der von der Geschäftsleitung seit Anfang des 20. Jahrhunderts eingeschlagene Kurs der Käufe von und Beteiligungen an anderen Unternehmen auch zu Konflikten zwischen Geschäftsleitung und Stiftungsverwaltung. Die einzelnen Übernahmen bzw. Beteiligungen und die in diesen Zusammenhängen entstehenden Konflikte zum Beispiel aufgrund von Informationsasymmetrien zwischen beiden Organen und von unterschiedlichen Auffassungen über Verbuchungsprinzipien werden durch Steinfeld klar analysiert.
Alle diese Analysen sind nachvollziehbar und schlüssig; gelegentlich vielleicht auch detaillierter als zum Verständnis nötig. Mitunter fällt die Kontextualisierung der Ergebnisse etwas mager aus: So hätte gerade mit Blick auf die Lohnpolitik die Frage angerissen werden können, inwiefern auch das möglicherweise vergleichsweise niedrige Lohnniveau zu den Exporterfolgen von Zeiss beigetragen hat; ähnlich hätte mit Bezug auf die Expansion durch Unternehmensaufkäufe in den 1920er-Jahren die Frage diskutiert werden können, ob es sich hier zum Teil auch um ein inflationsgetriebenes Wachstum gehandelt hat. Und auch wenn die Untersuchung keine Gesamtdarstellung der Unternehmensgeschichte sein will, so kommen doch die konkreten Produkte etwas kurz – was gut für die Stringenz der Analyse ist, geht etwas zu Lasten der Anschaulichkeit. An wenigen Punkten ist die Analyse nicht ganz transparent: So entwirft Steinfeld das einerseits faszinierende Konstrukt des „fiktiven Prinzipals“, des zwar verstorbenen, aber den Stifterwillen immer noch verkörpernden Abbe. Andererseits folgten die Geschäftsleitungen aber bei der Auslegung der Statuten doch häufig nicht diesem Stifterwillen, was eher gegen dessen fortwirkenden Einfluss spräche. Oder ist eher gemeint, dass sich auch nach dem Ausscheiden und Tod Abbes die Akteure immer noch auf ihn als legitimierende Instanz beriefen, unabhängig davon, wie sehr ihre Ziele noch dem Statut entsprachen? Aber all das sind Kleinigkeiten, die auch die empirischen Ergebnisse der Studie nicht berühren, der es eben im Kern um die corporate governance einer speziellen Unternehmensform geht.
Und hier sind die Ergebnisse durchweg überzeugend – nicht zuletzt der von Steinfeld als zentrale Ursache für Konflikte zwischen Stiftungsverwaltung und Geschäftsleitung herausgearbeitete Umstand, dass in den Augen der ersteren nur ein einziger Finanzierungskreislauf bestand, so dass die Erträge des Unternehmens letztlich gänzlich den Stiftungszwecken zugeflossen wären, während die Geschäftsleitung auf dem Standpunkt stand, dass Stiftung und Unternehmen über zwei getrennte Finanzierungskreisläufe verfügten, die allenfalls Berührungspunkte aufwiesen. Demnach hätten die Stiftungsunternehmen deutlich geringere Summen an die Stiftungsverwaltung abführen müssen und entsprechend mehr Finanzmittel für unternehmerische Projekte zur Verfügung gehabt.
Die Studie trägt mit ihren Ergebnissen nicht nur zu einem besseren Verständnis der komplizierten Stiftungsorganisation dieses Unternehmens und der tatsächlichen Umsetzung bei, sondern bietet ein schlüssiges Modell an, auch für andere Unternehmen Probleme der corporate governance systematisch anzugehen – eine Rezeption nicht nur durch an der optischen Industrie, sondern an Unternehmensverfassungen generell Interessierte wäre ihr daher sehr zu wünschen.