Die angezeigte Monografie beruht auf einer 2021 an der Universität Augsburg eingereichten Dissertation und leistet einen wichtigen Beitrag zum Verständnis des spätmittelalterlichen Rittertums. Florian Dörschel verfolgt in dieser klar gegliederten und methodisch schlüssig durchgeführten Studie eine präzise umrissene Fragestellung. Dörschel beschreibt „das Rittertum [als] eine Kultur von Kriegern, die aufgrund ihrer Gewaltausübung zusammengefunden hatten und die sich auch weiter als eine soziale Gruppe von Gewalttätern verstanden“ (S. 3), und folgt damit etablierten Ansätzen zu Gewalt und zum Rittertum.1 Von dieser Prämisse ausgehend, befragt Florian Dörschel biographische und autobiographische Lebensbeschreibungen von niederadligen Rittern des 15. und frühen 16. Jahrhunderts aus dem oberdeutschen Raum nach Formen und Funktionen der hier geschilderten Gewalt. Das untersuchte Korpus reicht von den „Reisen nach der Ritterschaft“ Georgs von Ehingen (1428–1508) über die „Geschichten und Taten Wilwolts von Schaumberg“ des Ludwig von Eyb d. J. (c. 1450–1521) bis zur autobiographischen Schrift Gottfrieds von Berlichingen (c. 1480–1562). Dabei konzentriert er sich sinnvoller Weise auf physische Gewalthandlungen und zieht in Ergänzung zu den Lebensbeschreibungen auch historiographische Schriften aus nichtadliger Perspektive (etwa die Ausführungen Willibald Pirckheimers zu den Schweizerkriegen) und fiktionale Texte (wie „Theuerdank“ oder „Weisskunig“) heran. Auf breiter Quellenbasis entsteht so ein differenziertes Bild zur Bedeutung von Gewalthandlungen für das ritterliche Selbstverständnis. Dörschel geht dabei systematisch vor und untersucht verschiedenen Aspekten seines Themas in den analysierten Texten, was bei der Lektüre des ganzen Buches mitunter zu Redundanzen, aber auch dazu führt, dass sich die einzelnen Kapitel als eigenständige Abschnitte, die alle mit einem bündigen Zwischenfazit abgeschlossen werden, rezipieren lassen.
Auf die präzise Einleitung (S. 1–15), folgt ein Kapitel zum „Ritterlichen Verhalten“ (S. 16–42). Hier erweist sich Dörschels Ansatz als fruchtbar, nicht nur von semantischen Beobachtungen rund um den Begriff „ritterlich“, sondern von geschilderten Verhaltensweisen und ihren Einordnungen auszugehen. So kann er deutlich machen, welchen Stellenwert zum Beispiel kriegerische Gewalthandlungen für die Ritterschaft hatten, aber auch, dass die positive Ausdeutung dieser Gewaltkompetenz als ritterlich nicht nur (nieder)adligen Kämpfern offenstand. Dörschel verweist auf die Universalität bestimmter Zuschreibungen und sieht hierin „die Strahlkraft des Rittertums“ (S. 24) begründet. Immer wieder betont er die Bedeutung kämpferischer Gewalt für die Ritterschaft: „Der Edelmann wollte Ritterliches und damit kriegerisch Großartiges leisten, nicht in erster Linie Gutes tun.“ (S. 42)
Das zweite Kapitel ist dem „ritterliche[n] Charakter des Adels“ gewidmet (S. 43–79); hier geht es um körperliche Prädispositionen zur Gewalt, die „ritterliche Bildungsfeindlichkeit“ (S. 56), adoleszente Gewaltorientierung und die intrinsische Motivation zu Gewalt, die unter anderen am Stellenwert des Ringkampfes plausibel gemacht wird.
Das ausführlichste, dritte Kapitel befasst sich mit der „kriegerische[n] Praxis“ (S. 80–180), der in den Gewaltdiskursen des Ritteradels ein besonderer Stellenwert zukam. Dörschel betont, dass die Fertigkeiten des deutschen Ritteradels zur kriegerischen Gewaltausübung keineswegs militärisch obsolet und in verschiedenen Kontexten – neben Kriegszügen waren dies auch Turniere, Reisen oder Fehdehandlungen – geschult waren. Er folgt Erkenntnissen der Militärsoziologie und betont die Bedeutung kleiner Kampfgruppen von bis zu acht oder zehn Personen (small group dynamics) und bringt dies mit den „Stallbrüdern“ der Texte in Verbindung (S. 108). Dabei kam auch in Zeiten der infantry revolution berittenen, ritterlichen Kämpfern eine wichtige Bedeutung in verschiedenen Kriegsszenarien zu, worin dann auch die militärische Trainigsfunktion von Turnier und Jagd begründet lag. Ein Unterkapitel thematisiert „ritterliche Tugenden“ (S. 113–138) und versteht hierunter den kompetenten Umgang mit Waffen (Fechtkunst), Disziplin und Tapferkeit. Der Kampf wird hier als Wesenskern des Rittertums herausgearbeitet, wobei dieser im Krieg, im Turnier oder in anderen höfischen und nicht-höfischen Kontexten stattfinden konnte.
Im kurzen Kapitel vier geht es unter dem Titel „Die deutliche Sprache der Gewalt und der Machtverlust der Ritterschaft“ (S. 181–199) vor allem um die fürstliche Kontrolle über niederadlige Herrschaft im deutschen Spätmittelalter und die Ausrichtung des Rittertums auf die fürstlichen Höfe.
„Ritterliche Ehre und ehrliche Taten“ werden im fünften Abschnitt (S. 200–237) behandelt. Hier thematisiert der Verfasser den Zusammenhang von Ehre, Gewalt und Öffentlichkeit; dieser ist der Forschung wohlbekannt, erklärt hier aber schlüssig, warum größere Gefechte in den Lebensbeschreibungen eine nachgeordnete Rolle spielen: In der Unübersichtlichkeit dieser Konfliktform ließen sich individuelle Gewalttaten weniger gut erzählen als in anderen Kontexten, wie Zweikampf oder Turnier. Durch den Fokus auf die als ritterliche Tugenden bezeichneten Kompetenzen erklärt Dörschel, warum nicht immer das Töten oder das eindeutige Siegen, sondern das ritterliche Kämpfen im Mittelpunkt stand.
Kapitel sechs „Ritterliche Gewalt als Mittel der sozialen Kommunikation“ (S. 238–283) fragt unter anderem nach der Bedeutung von Frauen und nicht-adligen Personen für die ritterliche Öffentlichkeit vor allem bei Turnieren und nach der inkludierenden und exkludierenden Funktion von Gewalt an ritterlichen und nicht-ritterlichen Akteuren.
Das siebte und letzte Kapitel „Die Exklusivität ritterlicher Gewalt“ (S. 284–328) befasst sich mit der nicht-adligen Gewalt in den Kriegen des Spätmittelalters; es fragt unter anderem nach den Fertigkeiten, die Fußknechte für erfolgreiche Kriegsteilnahme mitbringen mussten, oder der militärischen Relevanz berittener Verbände. „Die Tugenden, die gemeine Fußknechte an der Seite und auch gegen adlige Kämpfer auszeichneten, waren dieselben, an denen auch Edelleute im Krieg gemessen wurden.“ (S. 301) Was in Kapitel drei als „ritterliche Tugenden“ aus den ritterlichen Lebensbeschreibungen destilliert wurde, erweist sich hier nun als standesübergreifendes Kämpferideal: „Im Kampf selbst hingegen kamen sich Adel und Nichtadel nahe und teilten Ideale eines guten Kämpfers und seiner Tugenden.“ (S. 327). Damit fügt sich der spätmittelalterliche Ritteradel nicht nur in zeit- und standestypische, sondern auch in überzeitliche Ansprüche an Kämpfer. Das erklärt dann auch, warum diejenigen ritteradligen Kämpfer, welche diesen Anforderungen im Sinne eines professionellen (Reiter-)Kriegertums gerecht wurden, auch angesichts neuer Entwicklungen im Kriegswesen an der Schwelle vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit ihre militärische Bedeutung nicht einbüßten. Vielmehr nahmen sie als Teil einer Taktik, die auf dem Zusammenspiel unterschiedlicher Kämpfertypen basierte (Gefecht mit verbundenen Waffen), eine entscheidende Rolle ein.
Eine knappe Auswertung (S. 329–331) beschließt diesen sehr lesenswerten Band, dessen Ergebnisse für den oberdeutschen Ritteradel sich sehr gut in Forschungen fügen, die bislang vor allem englische, französische oder burgundische Verhältnisse in den Blick genommen haben. Das überzeugt vor allem da, wo sich die Arbeit auf die detaillierte Szenenanalyse der Lebensbeschreibungen stützt. So entsteht ein sehr facettenreiches Bild von der Bedeutung physischer Gewalt für das spätmittelalterliche Rittertum, sowohl auf der Darstellungseben der Texte als auch auf der Handlungsebene der Akteure. Damit leistet das Buch einen wichtigen Beitrag zur Kulturgeschichte des Rittertums und zur Mililtärgeschichte.
Anmerkung:
1 Vor allem: Richard W. Kaeuper, Chivalry and Violence in Medieval Europe, Oxford 2001; Malcolm Vale, War and Chivalry. Warfare and Aristocratic Culture in England, France and Burgundy at the End of the Middle Ages, Athens, 1981.