Dass Rittertum und Stadt sich keineswegs ausschließen, ist eine Feststellung, die in der deutschen Geschichtswissenschaft zwar seit Jahrzehnten bekannt ist, sich aber noch nicht vollends durchgesetzt hat.1
Peter W. Sposato ergänzt das Themenfeld nun durch eine Arbeit, die zwischen Aufsatzsammlung und Monographie einzuordnen ist. So wurden Kapitel 4, der Epilog und auch Teile von Kapitel 1 bereits zuvor als Aufsätze veröffentlicht und für das Buch mehr oder minder stark umgearbeitet. Sposato zeigt sich klar als Schüler Richard W. Kaeupers, dessen Thesen über die Bedeutung der Gewalt für die ritterliche Gesellschaft Europas2 er nicht nur in den Titel seines Buchs aufnimmt, sondern auch an den Beginn vieler Kapitel stellt. Dabei wundert es wenig, dass Sposato sich in der Frage, ob das Rittertum nun als Zivilisierungsfaktor oder Ventil adliger Gewalt einzuordnen sei, klar in die Kaeupersche Gruppe einordnet.
Mit dem Florenz des 13. und 14. Jahrhunderts widmet Sposato sich dabei einem Thema, dass neben einer reichen Geschichte mit einer beeindruckenden Vielfalt an Quellen punkten kann. Seine Betrachtung der Bedeutung ritterlicher Gewalt für die Florentiner Elite gliedert er in vier Hauptkapitel, denen er eine ausführliche Einleitung vorschickt und einen Epilog anfügt. Der namensgebende „Schatten des Mars“ bezieht sich dabei auf eine Reiterstatue dieses römischen Gottes Mars, die sich an der Nordseite der Ponte Vecchio befand und für die Jahre 1178 bis 1333 belegt ist. In der Einleitung (S. 1–27) stellt Sposato die zentralen Themen und Thesen seines Buchs vor. Dabei weist er der „chivalric ideology“ eine zentrale Rolle im Verständnis der Florentiner Elite des 13. und 14. Jahrhunderts und erhebt sie zu deren „dominant ethos“ (S. 2). Allzu eng sieht er seine Terminologie dabei aber nicht und spricht mal von einem „Ethos“ und mal von einer „Ideologie“, dann wieder von einer „Mentalität“ oder von einer „Kultur“ – meint damit aber stets dieselben Sachverhalte. Als Mitglieder der ritterlichen Elite der Stadt Florenz wertet Sposato jene Mitglieder der Konsulararistokratie, die den Titel messere trugen, sich regelmäßig persönlich im Kampf nachweisen lassen und grundsätzlich einem ritterlichen und dabei auch gewaltbereiten Lebenswandel anhingen. Diese ältere Elite kontrastiert er mit dem popolo grasso, einer im 13. Jahrhundert aufgestiegenen Gruppe von Familien, die in Handel und Bankwesen reich geworden waren. Von ihnen adaptierten zwar manche den ritterlichen Lebenswandel, während die Mehrheit aber „a very different brand of elite identity“ (S. 8) um die Idee des Gemeinen Nutzens propagierte und Frieden und Stabilität als Basis für ökonomisches Wachstums anstrebte. Dies führte zu einem Gegensatz zwischen dem popolo grasso und der ritterlichen Elite, den Sposato von der Mitte des 13. bis ins 15. Jahrhundert virulent sieht. Die beiden Gruppen setzt er dabei in einem strikt antithetischen ideologischen Gegensatz.
Um die ritterliche Florentiner Elite in ihrer Gänze zu beschreiben, entwickelt Sposato das Hilfsmittel einer „kulturellen Gemeinschaft“, da keiner der zeitgenössischen Termini wie miles, nobilis, grande oder magnate diese wirklich ganz umfasse. Als deren zentrale handlungsleitende Werte stellt er im Anschluss an Kaeuper Tapferkeit und Ehre (prodezza und onore) heraus. Dennoch sei die ritterliche Identität im kommunalen Italien des Spätmittelalters flexibel genug gewesen, um neben den Banken und dem Großhandel weiter zu existieren. Verschiedene Mitglieder derselben Familie konnten dabei einmal als Ritter und einmal als Bänker agieren.
Im ersten Kapitel über ehrbasierte Gewalt innerhalb derselben sozialen Gruppe (S. 28–69) betont Sposato, dass das ritterliche Ehrkonzept mit seiner großen Bedeutung für die ritterliche Gesellschaft zwangsläufig zu gewaltsamen Akten der Verteidigung der familiären und persönliche Ehre führen musste. Besonders junge Männer seien gezwungen gewesen, ihre Ehre durch Gewalt sowohl zu etablieren als auch zu verteidigen. Eine Verletzung der Ehre betraf das gesamte Geschlecht und konnte daher auch von anderen als den initial beteiligten Mitgliedern gerächt werden. Diese Thesen basiert er in Kaeuperscher Tradition vor allem auf den Schilderungen oberitalienischer Romane, in den Helden wie Tristan ihre manheit zu beweisen suchen.
Im zweiten Kapitel verschiebt Sposato den Fokus auf „social violence“, also Gewalt gegenüber Gruppen, die niedriger in der sozialen Hierarchie standen (S. 70–117). Sposato betont die hohe Gewaltbereitschaft von einzelnen Mitgliedern der Elite gegenüber popolani, was er einem Gefühl sozialer Überlegenheit zurechnet. Er führt mehrere Beispiele an, bei denen sich Mitglieder der ritterlichen Elite gewaltsam gegen Urteile der Stadtregierung zur Wehr setzten. Allerdings stellt sich hier die Frage, ob sich diese Verschwörungen und Attacken aus Reihen der Elite gegen die Regierung des popolo wirklich als „collective social violence“ (S. 102) charakterisieren lassen. Wären sie nicht eher als politische Form der Gewalt zu sehen? So erscheint es diskutabel, ob der bewaffnete Widerstand der Elite in diesen Fällen wirklich darin begründet war, dass ihre Gegner popolani waren, oder doch eher daran lag, da die alte Elite von den Schnittstellen der politischen Macht verdrängt wurde.
Danach vollzieht Sposato eine inhaltliche Volte und widmet sich in Kapitel 3 dem Tesoretto des Brunetto Latini (S. 118–142). Dabei handelt es sich um ein allegorisches Gedicht von ca. 1267, das Sposato als frühe ritterliche Reformschriften ausdeutet, die die Verhaltensformen der Florentiner Elite adressierte und innerhalb dieser zirkulierte. Latinis Ziel war es, das Gewaltpotenzial der Florentiner Elite in kontrollierte Bahnen zu lenken, weshalb er für eine stärkere Integration der ritterlichen Akteure in die städtische Gesellschaft als deren Führungsfiguren plädierte. Diesen Ideen attestiert Sposato zwar literarischen Einfluss, aber kaum Wirkung auf das faktische Verhalten.
Sehr materialreich ist Kapitel 4, in dem sich Sposato dem Agieren der Florentiner Elite im ritterlichen Kampf widmet (S. 143–188). So betont er, dass die militärischen Fähigkeiten der Elite von großem Wert für die Stadt waren, solange sie sich gegen äußere Feinde richteten. Für diese Akteure selbst stellte der Krieg ein zentrales Element ihrer „chivalric identity“ (S. 143) dar, galt als ehrmehrende Tätigkeit und bildete letztlich die Grundlage für ihren politischen Führungsanspruch. Gerade im späten 12. und beginnenden 13. Jahrhundert lasse sich die Florentiner Elite durch ihre kriegerische Funktion definieren. Dies weist er an Fallbeispielen einzelner Familien nach.
In seinem Epilog über das ritterliche Leben des Buonaccorsi Pitti (S. 189–204) verfolgt Sposato seine Thesen für das späte 14. und frühe 15. Jahrhundert und kommt zu dem Schluss, dass die „Florentine chivalric community“ (S. 189) auch im 15. Jahrhundert fortexistiert habe. Allerdings zeigt er, wie ritterliche Ideale gerade in puncto Gewaltausübung modifiziert wurden, was vor allem ihre Anwendung in der Heimat oder gegen sozial Niederrangigere betraf.
Sposatos Buch ist rundum lesenswert und hält zahlreiche Beobachtungen parat, die anschlussfähig für die Erforschung städtischer wie ritterlicher Gesellschaften sind und zum Vergleich auffordern. Etwas geschmälert wird der Lesefluss aber durch den episodenhaften Charakter des Buchs. Der erwähnte Umstand, dass Teile desselben bereits zuvor einzeln publiziert wurden, lässt den Anfang jedes Kapitels bereits Bekanntes wiederholen. Andererseits bietet sich so ein vereinfachter Einstieg in die Unterkapitel, der keine Lektüre des gesamten Buchs erzwingt. An dieser Struktur liegt es auch, dass sich eine der interessantesten definitorischen Erklärungen Sposatos erst im zweiten Kapitel findet. So votiert er hier dafür, den Lebensstil der Florentiner Elite nicht als „noble“ (da sie über keinen Landbesitz verfügten), nicht als „magnate“ (da dies eine zu flexible politische Kategorie darstelle) und auch nicht als „knightly“ (da sie kaum Rittertitel trugen), sondern als „chivalric“ zu bezeichnen (S. 72). Hier zeigen sich die Finessen der englischen Sprache, die im Deutschen untergehen.
Bemerkenswert ist seine Quellenbasis vor allem in den ersten beiden Hauptkapiteln. Denn hier greift Sposato zur Untermauerung seiner Argumentation wiederholt auch auf ritterliche Romane und Epen heran, da er in ihnen die Mentalität der Zeitgenossen widergespiegelt sieht. Zwar ist Sposatos Ansatz einer historischen Analyse, die die Fächergrenzen übergreift, zu begrüßen, dennoch lässt er hier und da etwas an kritischer Reflektion seiner – literarischen wie chronikalischen – Quellen vermissen (vgl. etwa S. 40). Wo ein Roman oder selbst eine Chronik aus dem Lager des popolo grasso die Gewalt der Elite beschreibt, scheint er diese Schilderung beim Wort zu nehmen, ohne die Intentionen, Tendenzen und Stilisierungen des Textes näher in die Betrachtung einzubeziehen. Seiner These, dass die Literatur historisches Verhalten widerspiegele und zugleich auch beeinflusse (S. 41), ist zuzustimmen, dennoch hätte ein wenig mehr Problematisierung der Quellen nicht geschadet. In eine ähnliche Kerbe schlägt es, wenn er die Miniaturen einer illustrierten Chronik als „visual evidence“ (S. 59) für die Handlungsweisen der Florentiner darstellt.
Diese kleineren Abstriche ändern aber nichts daran, dass Peter W. Sposato ein Buch verfasst hat, das nicht nur die Florentiner oder oberitalienische Geschichtsforschung bereichert, sondern grundsätzlich wertvolle Impulse für die Erforschung jener Gruppen setzt, deren Charakterisierung zwischen den Polen „städtisch“, „adlig“ und „ritterlich“ changiert.
Anmerkungen:
1 Siehe dazu etwa Jan Dirk Müller, Melusine in Bern. Zum Problem der ‚Verbürgerlichung‘ höfischer Epik im 15. Jahrhundert, in: Joachim Bumke / Thomas Cramer / Gert Kaiser u.a. (Hrsg.), Literatur, Publikum, historischer Kontext, Bern u.a. 1977, S. 29–77; Thomas Zotz, Adel, Bürgertum und Turnier in deutschen Städten vom 13. bis 15. Jahrhundert, in: Josef Fleckenstein (Hrsg.), Das ritterliche Turnier im Mittelalter. Beiträge zu einer vergleichenden Formen- und Verhaltensgeschichte des Rittertums, Göttingen 1985, S. 450–499.
2 Vgl. etwa Richard W. Kaeuper, Chivalry and violence in medieval Europe, Oxford 2001.