Cover
Titel
Personen im päpstlichen Umfeld. Ein prosopographisches Handbuch zum 9. Jahrhundert


Autor(en)
Unger, Veronika
Reihe
Regesta Imperii – Beihefte: Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters (48)
Erschienen
Köln 2022: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
480 S.
Preis
€ 75,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Simon Groth, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt Repertorium der deutschen Königspfalzen – Band Sachsen-Anhalt, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

Mit dem 48. Band der bekannten und renommierten Reihe der Beihefte der Regesta Imperii, die als „Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters“ firmiert, wird dem Reihentitel zum ersten Mal der Zusatz „Materialien und Hilfsmittel“ beigestellt. Dies ist angemessen, da damit das anzuzeigende Werk als prosopographische Datenbank der Personen im päpstlichen Umfeld treffend eingeordnet ist; gleichzeitig kehrt man hierdurch in gewisser Weise zum Ausgangspunkt der Reihe zurück, die als Publikationsort für Arbeitsergebnisse aus dem Kontext der Regesta Imperii eingerichtet worden war.1 Zukünftig sollen unter diesem Signum ergänzend zur thematischen Vielfalt der bisher erschienenen Bände weitere Materialien und Hilfsmittel – „zum Beispiel Zusammenstellungen von Urkunden, Publikationen von begleitendem, schwer zugänglichem Quellenmaterial und von vielem anderen mehr“ (S. V) – veröffentlicht werden. In diesem Fall handelt es sich um eine „Datenbank“ (S. VII) der von Klaus Herbers und Veronika Unger bearbeiteten Papstregesten des 9. Jahrhunderts, die Letztere innerhalb eines zweijährigen Projektes in die vorliegende Form überführt hat. Der untersuchte Zeitraum spannt sich dadurch vom Beginn des Pontifikats Leos III. (795) bis zum Ende des Pontifikats Johannes’ IX. (900). Obwohl sich dieses Jahrhundert „in Bezug auf Quellenreichtum und Quellenvielfalt zur Papstgeschichte von anderen Zeiträumen des Frühmittelalters“ unterscheide (S. 2f.), bedinge die grundsätzliche Quellenarmut des Frühmittelalters, dass man weder eine klassische geschichtswissenschaftliche Prosopographie liefern noch die Möglichkeiten der modernen Netzwerkanalyse berücksichtigen könne (dazu S. 7–9). Dementsprechend bescheiden resümiert Unger: „[Ü]ber die nun vorliegenden Biogramme und zudem über die dahinter stehende Datenbank [können] Organisation und Organisationsgrad der päpstlichen Umgebung abgebildet werden. Qualitative Bewertungen der dabei deutlich werdenden Beziehungen – wie auch Fragen nach Selbstverortung der Teilhaber – lässt das vorliegende Material wohl kaum zu“ (S. 9).

Den Hauptteil bilden alphabetisch sortierte Biogramme aller Personen, die in irgendeiner Form dem Umfeld der Päpste zugerechnet werden können (S. 63–441). Unter Ausklammerung der Könige und Kaiser sowie einiger Spezialfälle betrifft dies in erster Linie alle, die im päpstlichen Auftrag handelten sowie eine nachzuweisende Nähe zum Papst in Rom oder auf den wenigen päpstlichen Reisen des Jahrhunderts hatten. Dies konnten beispielsweise die Teilnehmer der päpstlichen Synoden oder die bei der Abfassung von päpstlichen Privilegien und Briefen Beteiligten sein. Darüber hinaus wurden auch sämtliche vom Papst geweihten Kleriker und die mit dem Papsttum oder der römischen Kirche im Zusammenhang stehenden Amtsinhaber sowie alle von außerhalb zum Papst reisenden Personen aufgenommen. Ergänzend wurden zudem die nachweisbaren Verwandten der Päpste erfasst. Neben einer einführenden Tabelle mit Kurzinformationen (ID, Klerus/Laie, Ämter, Pontifikat, Belegzeit, Funktionen) finden sich in den Biogrammen komprimierte Angaben zu Ämtern und Funktionen sowie zur Quellenüberlieferung und den jeweiligen Nummern der Papstregesten. Sehr knapp gehaltene Verweise auf einschlägige Literatur zur Person (vgl. hierzu etwa die Verweise zu Hinkmar von Reims auf S. 215) beschließen jeden Eintrag. Auf eine Erklärung der jeweiligen „ID“ Nummer wurde indes verzichtet und nicht immer glückt die Verschlagwortung der Funktion.

Vorangestellt sind diesem Apparat eine sehr kurz gefasste „Einleitung“ (S. 1–13) und eine „Analyse“ (S. 14–62), die man aber genauso gut zusammengenommen als einführenden Kommentar begreifen kann, da eine tiefergehende „Analyse“ der Daten unterbleibt. Dies ist freilich auch gar nicht das Anliegen der Verfasserin, die vielmehr verschiedene Forschungspotentiale aufzeigen möchte, die nunmehr auf der Grundlage des von ihr herausgegebenen Materials bearbeitet werden könn(t)en. Unger geht hierbei zunächst auf das Legationswesen ein und summiert einige Beobachtungen zu den päpstlichen Legaten sowie zu den vom Papst zurückgesandten Boten. Anschließend nimmt sie das Synodal-, Gerichts- und Kanzleiwesen in den Blick, bevor sie abschließend den römischen Klerus und die verschiedenen Amtsträger der päpstlichen Verwaltung berücksichtigt.

Das auf allen Feldern zu konstatierende Fehlen von Systematizität konterkariert dabei ein wenig das einleitende Argument, dass entgegen einer gängigen Sicht der Forschung nicht erst die sogenannte papstgeschichtliche Wende die Päpste für außerrömische Anliegen sensibilisiert habe (S. 1), wodurch zumindest implizit die Unterschiede zwischen den Jahrhunderten nivelliert werden. Doch obschon nicht zu bestreiten ist, dass das Papsttum bereits im 9. Jahrhundert auch außerhalb Roms von großer Bedeutung war (und möglicherweise „gerade“ das 9. Jahrhundert „als Phase einer besonderen Wirksamkeit des Papsttums in den orbis christianus vor der sogenannten ‚papstgeschichtlichen Wende‘ angesehen werden“ (S. 1) sollte), hätte man vor dem Hintergrund der eigenen Befunde einleitend auch die Unterschiede zum 11. Jahrhundert hervorheben können. Denn gerade die Institutionalisierung des Papsttums (Kanzlei, Kardinalkollegium), die Entfaltung des päpstlichen Jurisdiktionsprimats, des Legatenwesens und der delegierten Gerichtsbarkeit allgemein, aber auch das Wirken oder Ausgreifen nach „außen“ im Speziellen könnten damit stärker noch als eine Charakteristik der papstgeschichtlichen Wende des 11. Jahrhunderts verstanden werden, wodurch dann doch signifikante Veränderungen zwischen dem 9. und dem 11. Jahrhundert deutlich werden würden.

Wenngleich es allgemein natürlich zu begrüßen ist, dass die konventionelle Form der gedruckten Monographie auch für die Unterreihe „Materialien und Hilfsmittel“ fortgesetzt wird, bliebe doch zu fragen, ob dies an dieser Stelle wirklich sinnvoll ist. Während der prosopographische Kern des Buches ohnehin ebenfalls online zugänglich ist2 und man hier die Möglichkeit der fortgesetzten Aktualisierung und Ergänzung hat, hätte man die „Einleitung“ und „Analyse“ auch in einen Aufsatz zum Thema und/oder einen Begleittext zum digitalen Angebot überführen können. Denn – und dies wird selbst immer wieder betont (etwa S. 13 und öfter) – das Werk ist in erster Linie ein Arbeitsinstrument für darauf aufbauende Forschungen zur Papstgeschichte des 9. Jahrhunderts. Dass dieses „mit gleicher Aufmerksamkeit wie die weiteren Ergebnisse unserer Arbeit in der wissenschaftlichen Welt“ gewürdigt werden wird (S. V, Klaus Herbers, Zum Geleit), steht dabei genauso außer Frage wie die Tatsache, dass die Halbwertzeit solcher Grundlagenforschung um Einiges höher ist als für die darauf aufbauenden Interpretationen. Die Bedeutung der Regesta Imperii als Hilfsmittel an der Schnittstelle von Quellenüberlieferung und Literatur kann folglich nicht zu hoch veranschlagt werden. Hier reiht sich die Arbeit von Unger nahtlos ein.

Anmerkungen:
1 Vgl.: Ferdinand Opll, Das Itinerar Kaiser Friedrich Barbarossas (1152–1190) (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters 1), Wien 1978, dort das „Geleitwort“ von Heinrich Appelt und Helmut Beumann.
2 Vgl.: http://personspopes9c.regesta-imperii.de/personen/basic/ (27.02.2023).

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