Cover
Titel
Zeiten der Auflehnung. Eine Geschichte des indigenen Widerstandes in den USA


Autor(en)
Mattioli, Aram
Erschienen
Stuttgart 2023: Klett-Cotta
Anzahl Seiten
460 S.
Preis
€ 28,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Norbert Finzsch, Historisches Seminar, Universität zu Köln

Dieses Buch ist die erste wissenschaftliche Aufarbeitung des Widerstands der American Indians im 20. Jahrhundert. Der Autor geht bei seiner Untersuchung umsichtig, methodisch wachsam und sensibel für Nuancen vor. Das Buch ist in vier Großkapitel gegliedert. Auf eine konzise Einleitung folgt ein kürzeres zweites Kapitel, das das Vorgehen und die Fragestellung des Verfassers erläutert. Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit der Zeit zwischen 1911 und dem New Deal mit seinem Indian Reorganization Act von 1934, der die bisherige Assimilationspolitik der USA-Regierung und der Einzelstaaten beendete und die seit dem Dawes Act von 1887 fortgeführte, systematische Enteignung indianischen Landes unterband. Mattioli kann zeigen, wie John Collier, der subjektiv gute Absichten verfolgte, als Commissioner für das Bureau of Indian Affairs eine verhängnisvolle Politik initiierte, die auf die Reduzierung des Viehbestandes der Diné (Navajo) abzielte. Das Navajo Livestock Reduction-Programm setzte sich zum Ziel, die Schafherden der Navajo auf etwa ein Viertel des Bestandes zu reduzieren, weil 1,3 Millionen Schafe und Ziegen der Diné angeblich zu einer Überweidung und zur Bodenerosion führten. Die Schafzucht lieferte die Hälfte des Bareinkommens der einzelnen Navajo. Aram Mattioli erklärt die Konsequenzen dieser Politik, die die kulturellen Werte und die ökonomische Bedeutung der Schafzucht der Navajo nicht berücksichtigt hatte. Der Widerstand der Navajo blieb indessen folgenlos, unter anderem auch, weil es ihnen nicht gelang, die Öffentlichkeit zu mobilisieren und weil der Zweite Weltkrieg ab 1941 die Probleme der Navajo in den Hintergrund drängte.

Das vierte Kapitel adressiert die Geschichte des indianischen Widerstands während des Kalten Kriegs. Mattioli leitet dieses Kapitel mit einer Vignette zu Ira Hayes ein, einem der Flagraiser von Iwo Jima, der nach seinem Kriegsdienst als Held gefeiert wurde und mit seinem plötzlichen Ruhm nicht zurechtkam. Der Antikommunismus und der sich verschärfende Kalte Krieg beendeten den Indian New Deal. Mit der Öffnung des Uranabbaus auf dem Gebiet der Navajo wurde eine verhängnisvolle Politik betrieben, die der US-Regierung den ungehinderten Zugriff auf Bodenschätze in den Reservationen gestattete. Die gesundheitlichen Konsequenzen der rücksichtslosen Ausbeutung durch die Minengesellschaften schadeten nicht nur den Navajo, sondern auch den Eastern Shoshone und Northern Arapaho in Wyoming, den Paiute in Nevada und den Havasupai in Arizona (S. 113). Atombombentests auf indianischem Land taten das Übrige.

Gegen die Politik der Truman-Administration rebellierten die Hopi in Arizona. Sie vermochten in einer Art panindianischer Allianz Kontakt zu den Haudenosaunee in New York zu etablieren und bildete den Anfang eines intertribalen Netzwerks traditionalistischer Native Americans, das bald für Aufsehen sorgen sollte. Die Traditionalisten, die auf der kulturellen und politischen Eigenständigkeit der Native Americans beharrten, waren besonders stark unter den Navajo und Hopi vertreten, während die gemäßigte indigene Elite den Assimilationskurs vergangener Jahrzehnte im Wesentlichen fortsetzen wollte. Daneben entstand seit 1958 eine radikale Protestgeneration, die den Geist der Rebellion in den 1960er-Jahren ankündigte. Die indigene Elite widersetzte sich der Terminierungspolitik der Eisenhower-Administration nicht, die eine Auflösung der Reservationen und damit eine genozidale Lösung des "Indianerproblems" anstrebte. 109 "Stämme" beziehungsweise kleinere Bands wurden bis 1960 terminiert (S. 130). Der National Congress of American Indians stieg nun zur führenden indigenen und transtribalen Selbstverteidigungsorganisation auf. Mattioli stellt die keimende neue Militanz der Native Americans in den Kontext der globalen Dekolonisierungsprozesse nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die von indigenen Aktivist:innen gewählten Formen des Protests hingegen waren nicht nur von den antikolonialen Bewegungen außerhalb der USA inspiriert, sondern auch von den Protesten der African Americans. Die Proteste der Tuscarora gegen den Bau eines Stausees auf ihrem Territorium beflügelte zudem den Zusammenhalt der Six Nations und hatte somit einen positiven Effekt auf die gesamte indianische Bewegung (S. 138). Die im folgenden fünften Kapitel analysierten Red-Power-Jahre stellen in vielerlei Hinsicht das Zentrum der Untersuchung dar. Wieder eröffnet eine Vignette das Kapitel – diesmal über Peter La Farge, einen Folk- und Protestsänger mit indianischen Wurzeln, der in den 1960er-Jahren in New York wirkte. Die Fortsetzung der Terminierungspolitik während der Kennedy-Administration brachte unter anderem den Bau eines Staudamms auf dem Gebiet der Seneca, der trotz des anhaltenden Widerstands dieser Haudenosaunee durchgezogen wurde. Die Seneca waren aber nur die ersten, die die niederschmetternde Erfahrung einer Niederlage gegen Bundesregierung, Einzelstaaten und corporate America durchleben mussten. Der Pick-Sloan-Plan sah den Bau von 112 Dämmen vor; die meisten von ihnen waren auf Stammesland gelegen. Der Plan wurde bis 1966 nahezu unverändert durchgesetzt, zum Schaden der Lakota, Dakota, Nakota, Mandan, Arikara und Hidatsa. Das Resultat der Regierungspolitik war die Propagierung des "Red-Power"-Slogans analog zur "Black Power" der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Das 1960 gegründete National Indian Youth Council (NIYC) kämpfte in den 1960er-Jahren vornehmlich für den Erhalt der Fischereirechte der Völker des Nordwestens. Diese sollten im Zuge der Terminationspolitik beschnitten werden, wieder mit fadenscheinigen ökologischen Begründungen. In dem sich entfaltenden Fischkrieg bildete sich die Survival of American Indians Association (SAIA), die mit den Mitteln des zivilen Ungehorsams gegen einzelstaatliche Behörden vorging (S. 173f.). Mit "Fish-ins" unter Beteiligung von Marlon Brando wurde nationale Aufmerksamkeit erzeugt. Die Aktionen gipfelten schließlich in einer bewaffneten Auseinandersetzung mit der Polizei am Puyallup River im Staate Washington. In der folgenden Boldt Decision des Jahres 1974 erhielten die Native Americans Recht. Ihre Fischereirechte wurden 1979 vom Supreme Court bestätigt. Die Besetzung von Alcatraz Island 1969 war ein weiterer Höhepunkt indianischer Proteste in den 1960er-Jahren. Die Proteste, die zum Teil vom Campus der Universität Berkeley ausgingen und vom Radiosender KPFA unterstützt wurden, erreichten auch Menschen außerhalb Kaliforniens, da KPFA nicht etwa das "Campusradio" der Uni darstellte (S. 196), sondern mit fünf nichtkommerziellen Radiostationen über die Pacifica Foundation im ganzen Land verbunden war.1 Neben der Besetzung des Gebäudes des Bureau of Indian Affairs in Washington DC 1972 stellte wohl „Second Wounded Knee“ 1973 einen weiteren Höhepunkt des Kampfes um indigene Rechte dar. Am 27. Februar 1973 besetzten etwa 200 Oglala Lakota und Anhänger des American Indian Movement (AIM) die Stadt Wounded Knee in South Dakota. Die Proteste folgten auf das Scheitern der Bemühungen der Oglala Sioux Civil Rights Organization (OSCRO), den korrupten Stammespräsidenten Richard Wilson per Amtsenthebungsverfahren abzusetzen. Außerdem kritisierten die Demonstrant:innen die Nichteinhaltung von Verträgen mit den amerikanischen Ureinwohnern durch die Regierung der Vereinigten Staaten. Die Besetzung rief ein starkes Medienecho hervor. Die Nixon-Regierung sah von einer gewaltsamen Räumung ab. Am 8. Mai legten die entkräfteten Besetzer:innen die Waffen nieder und ergaben sich dem FBI. Die folgende Verhaftungswelle von hunderten Aktivist:innen schwächte das AIM und führte zu einer Verhärtung der Fronten.

Das letzte Großkapitel zur "Selbstbestimmungsära" wird eingeläutet mit der Verabschiedung des Indian Self-Determination and Education Assistance Act von 1975 unter Präsident Gerald Ford. Er beendete die Terminationspolitik, hielt aber die Herrschaft der Regierung über die Reservationen aufrecht. Trägerinnen der neuen Proteste waren Frauen aus den indianischen Völkern, die sich in der Women of All Red Nations (WARN) organisiert hatten, nachdem die männliche Führerschicht des AIM aufgrund der Gerichtsprozesse im Nachgang zu Second Wounded Knee weitgehend außer Gefecht gesetzt worden war. WARN setzte nicht nur die Politik des AIM fort, sondern bereicherte die Programmatik durch feministische Forderungen wie dem Ende der Zwangssterilisationen. Insbesondere der weiterhin ungezügelte Uranabbau stellte die indianischen Bevölkerungen vor große gesundheitspolitische Probleme. Besonders betroffen waren die Diné, auf deren Gebiet vier große Uranminen angesiedelt waren (S. 277). Das Grundwasser wurde vom Uranabbau verseucht. Sehr viele Diné erkrankten an Fibrose und Tuberkulose; es gab zahlreiche Fehlgeburten, körperliche und geistige Behinderungen und Krebserkrankungen in der Nähe dieser Uranminen. Mit der Besetzung des heiligen Bergs Tsoodzil nahe San Mateo protestierten Navajo und Pueblo-Indianer gegen den Abbau von Uran durch die Gulf Oil Corporation. 1990 erreichten sie die Verabschiedung des Radiation Exposure Compensation Act (RECA), der Entschädigungen für die Strahlenopfer vorsah. Mit dem Widerstand gegen den Uranabbau war der Startschuss abgegeben für die „Umweltselbstbestimmung“ der indianischen Bevölkerung in den USA.

Ein knappes Schlusskapitel, ein 130 Seiten umfassender wissenschaftlicher Apparat mit zahlreichen Endnoten, einer umfassenden Bibliographie und einem Orts- und Namensindex beschließen dieses hervorragend recherchierte, exzellent geschriebene und politisch engagierte Buch, das das Zeug zu einem Bestseller hat. Die einzige kritische Frage richtet sich an den Verlag: Wann wird es eine englische Übersetzung geben?

Anmerkung:
1 Michaela Hampf, Freies Radio in den USA. Die Pacifica-Foundation, 1946–1965, Hamburg 2000.

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